Antwort auf: Sun Ra

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vorgarten

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letztes aus chicago (1960/61)

das letzte chicagoer jahr zwischen der studiosession im juni 1960 und der abreise nach montréal im juli 1961 ist nur noch rudimentär dokumentiert. im „wonder inn“ wurde ein auftritt live mitgeschnitten und hat überlebt – bei proben entstehen eine handvoll aufnahmen neuer stücke, die es auf die schon fast gefüllten saturn-alben schaffen. 1961 nimmt sun ra schließlich die zusammenarbeit mit dem durchgeknallten yochannan wieder auf. die besetzungen wechseln. da phil cohran oft nicht verfügbar ist, wird er durch lucious randolph, walter strickland und dem jungen george hudson ersetzt. als neues arkestra-mitglied taucht ricky murray auf, ein sänger mit tiefer stimme und eher klassischem vibrato, der allerdings auf den band-fotografien aus dem wonder inn sich deutlich weniger maskulin präsentiert als er sich anhört.


(v.l.n.r.: drummer billy mitchell, ricky murray, ronnie boykins, marshall allen, walter strickland, sun ra, john gilmore)

der standard “early autumn”, wahrscheinlich zwischendurch im wonder inn aufgenommen, landet noch auf HOLIDAY FOR SOUL DANCE und fügt sich mit murrays sonorem blues und einem abstrakt suchenden gilmore-solo reibungslos in das standard-album ein.

wahrscheinlich noch vorher wird eine probe (ein konzert?) mitgeschnitten, das als zweiter teil der atavistic-archiv-cd MUSIC FROM TOMORROW’S WORLD überlebt hat. der sound ist schlecht, das arkestra klingt aus weiter entfernung zu uns herüber, der hall schmiert vieles, aber nicht alles zu. die musik nämlich ist hervorragend. ra, cohran, allen, gilmore, boykins und (mal wieder) robert barry haben zur verstärkung den baritonisten ronald wilson dabei, der mehrere originelle und üppige in-soli beisteuert und dazu mit dem arkestra-songbook hervorragend vertraut zu sein scheint; außerdem einen altsaxer namens gene easton (der später mit phil cohran weitermachte).
sun ra spielt geheimnisvolle klavierintros, danach entwickeln sich entweder sehnsuchtsvolle balladen oder komplexe bop-arrangements, im stil von 1956, aber mit stücken aus 1960. nur eine lange perkussionsorgie auf „posession“ macht die orientierung der letzten aufnahmen deutlich.

deutlich besser klingt ein tatsächlicher konzertmitschnitt, auch auf der atavistic-cd zu finden, wohl aus dem wonder inn und mit sehr gesprächigem publikum. hier ist das programm avancierter, man kann zum ersten mal die komposition „spontanious simplicity“ bewundern, auch das neue „space aura“ ist dabei. diesmal ist george hudson der (hervorragende) trompeter, ein bariton fehlt, die komplette band übernimmt wieder & ziemlich unnachahmlich die percussion. im zweiten teil dann plötzlich ein standard-programm: ricky murray singt „it ain’t necessarily so“, „s’wonderful und „how high the moon“, mit albernem (aber sehr schönem) response der anderen musiker. john gilmore ist in fantastischer form, mit großer leichtigkeit von ra auf dem e-piano begleitet. das arkestra als show-band, mit dezent modernistischen reflexen von gilmore und ra. die synthese des auftritts dann am ende, mit „china gate“ – ein ritualistischer gesang, auf einem akkord, mit operneffekten von murray und schellen und glöckchen der arkestrapercussionisten und schwebenden e-piano-akkorden des leiters.

im oktober 1960 nahm das 6-köpfige arkestra (ra, hudson, gilmore, allen, boykins, hardy) noch vier stücke auf einer probe auf, die es in sich haben. „distant stars“ (später auf FATE IN A PLEASANT MOOD untergebracht) ist eine kurze swingnummer, in der gilmore und ra im tenorsolo plötzlich das harmonische gerüst erweitern, bevor ra seinen monk-in-space macht. „onward“ (INTERSTELLAR LOW WAYS) hat ein merwürdig abstraktes bop-thema, das sich unter den soli zu sowas wie blues-harmonien auflöst. wieder solieren hudson, gilmore und ra, allen kommt dagegen nicht zum zuge. „space aura“ (im wonder inn schon live gehört) ist ein up-tempo-stück, bei dem die bläser morsezeichen über boykins‘ walking-linien senden. ein weiteres elegantes gilmore-solo, hudson dann selbstbewusst mit ein paar bop-klischees, mit stakatohaft eingespielten floskeln von gilmore und allen. schließlich noch der space chant „we travel the space ways“ (kam auf das gleichnamige album), auf einem vamp von ra & boykins und abgesetzten schlagzeug- und percussion-akzenten. der sich in spiralen abwärts bewegende kollektivgesang erhält im bläserthema ein harmonisch komplexeres echo, bevor percussion und das summende arkestra das ding nach hause fliegen und sich aus dem spielzeugrepertoir der band das merkwürdige schwirren von robotern und fliegenden ufos bemerkbar macht. gute reise.

wahrscheinlich wollte ra aus den eigenartig schräg im repertoire stehenden space-chant-nummern („we travel“, „rocket number nine“, „interplanetary music“ und dem erst 1968 aufgenommenen „the satellites are spinning“ eine suite machen).

nachdem auch dem wonder inn anfang 1961 das geld ausging, kam es zu zwei letzten engagements des arkestras – zunächst im gerade eröffneten „5th jack“ (in dem die von cohran beschriebene szene des menschenauflaufs stattfand, nachdem das arkestra anfing, „interplanetary music“ zu singen und zu spielen), dann, für vier wochen, in der pershing lounge. bei proben dort entstehen zwei aufnahmen, die es in die ra-diskografie geschafft haben (beide sind auf WE TRAVEL THE SPACEWAYS zu finden): eine weitere version von „eve“ und „space loneliness“. diesmal ist wieder ein posaunist dabei, wahrscheinlich dick griffin. billy mitchell (vom foto) ist der neue drummer und walter strickland wieder der trompeter. die einsamkeit im weltraum ist ein hübsch verschatteter blues, ansonsten bieten beide aufnahmen, letzte dokumente des klassischen chicagoer arkestras, wenig neues.

schließlich tritt nochmal der „mann von der sonne“ (wahlweise aus „vom mars“ und „aus dem weltraum“) auf. yochannan hatte ein 1960/61 ein paar feste engagements und alton abraham spendierte studioaufnahmen für eine single. in zwei sessions entstanden „the sun one“, dessen ‚erweiterung‘ „the sun man speaks“ und „message to earthman“. in einem fall versucht sich die band in der r&b-mimikry, ein bläserthema scheint schon „spaceways incorporated“ vorwegzunehmen, während sun ra dezent schräge orgelakkorde einwirft und yochannan furchtbar langweilig singt, dafür in gaga-einleitungen und shout-zwischennummern ausflippt. bei der nachricht an den erdling bleibt der sonnenmann beim gagashouting und das arkestra wirbelt dramatischen soundtracksternenstaub auf. (alle takes auf der SINGLES-kompilation).

was danach auf erden mit dem arkestra geschah, erzählt szwed in anekdotischer fülle. einem angebotsmissverständnis aus montreal folgen murray, strickland, mitchell, boykins, ra, gilmore und allen. da nur boykins einen führerschein hat, fährt er einen teil der musiker 18 stunden am stück nach kanada, fällt danach ohnmächtig aus dem auto. der auftritt endet im desaster, da der betreiber mit einer rockband gerechnet hatte. ra bringt das arkestra in einem urlaubsressort unter, wo es 4 wochen lang vor begeisterten teenagern spielt. im bei studenten beliebten montréaler club „the place“ schließlich findet die band ein zuhause, wird zum geheimtipp und zieht wieder die kosmischen kostüme an. den behörden wird es schließlich zu bunt und die aufenthaltsgenehmigungen werden nicht verlängert. im januar 1962 kontaktiert sun ra tom wilson, den produzenten der JAZZ BY SUN RA session, und ed bland, den regisseur von THE CRY OF JAZZ, die ihm jobs in new york versprechen. noch auf der hinreise hat boykins einen crash und das arkestra kein geld, um das auto zu reparieren. eine rückreise nach chicago, nachdem ein paar gigs in new york absolviert sind, ist vorerst nicht mehr möglich. das arkestra-schiff ist dort für sechs jahre gestrandet.

zuletzt geändert von vorgarten

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