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Sidney Bechet, Freddie Moore und Lloyd Phillips, Jimmy Ryan’s (Club), New York, N.Y., ca. June 1947 (Photo: William P. Gottlieb)Sidney Bechet (14. May 1897 – 14. Mai 1959) war eine der überragenden Figuren des frühen Jazz und seine Musik ist bis heute eindrücklich. Noch vor Louis Armstrong hat er erste Aufnahmen gemacht und ist damit der erste bedeutende Jazz-Solist, von dem Tondokumente existieren.
Ich habe vor ein Tagen ein Exemplar der Mosaic-Box mit Bechets Blue Note-Aufnahmen (die CD-Version) gefunden und eben John Chiltons Essay zum abenteuerlichen Leben Bechets gelesen. Ich bediene mich im folgenden ein wenig daraus.
Die Vorfahren Bechets väterlicherseits hatten alle neben ihren Berufen auch Musik gemacht. Das Oberhaupt der mittelständisch-soliden Familie, Bechets Vater Omar, war Schuhmacher und Hobby-Flötist und -Trompeter, der älteste Sohn Omar (wie der Vater im Leder-Geschäft tätig) spielte Kontrabass, Leonard Posaune (er war Zahnarzt), Albert spielte Geige (und war Metzgergehilfe) und Joseph, der von Berufes wegenGipser war, spielte Gitarre. Die vier Brüder waren alle ein ganzes Stück älter als der kleine Sidney, dessen Odyssee ihn durch Russland und Ägypten führen würde – viel weiter, als es die andere Zentralfigur des frühen Jazz, Jelly Roll Morton, je getrieben hat.
Die ersten musikalischen Schritte machte der kleine Sidney mit fünf oder sechs auf einer Blechflöte, bald schon stand ihm der Kopf nach etwas anspruchsvollerem und Leonard erlaubte ihm, auf seiner Klarinette zu spielen. Schon nach kurzer Zeit war Bechet in der Lage, vertrackte Linien auf dem Instrument zu spielen und fiel Musikern aus Freddie Keppards Band auf, die ihn an einem Familienfest spielen hörten.
Die erste Gruppe, in der Bechet spielte war The Silver Bell Band, mit seinen Brüdern und dem Trompeter Sidney Desvigne. Die anderen Musiker musste sich aber schnell eingestehen, dass das Talent Bechet grösser war als all ihre Talente zusammen. Es folgten Anfragen von Musikern wie Bunk Johnson, Frankie Dusen und Joe Oliver, die den Jungen als musikalisch ebenbürtigen Partner akzeptierten. Er fand auch Aufnahme in den informellen Zirkel der besten Klarinettisten von New Orleans um Lorenzo Tio Jr. und Alphonse Picou – sie sassen oft nach ihren Gigs zusammen in einer Bar im alten French Market und Bechet gesellte sich fortan zu ihnen.
Mit der Schule hatte er es naturgemäss weniger… er war ein vorzüglicher Schulschwänzer. Sein Bruder Leonard drohte gar damit, ihn vor das Jugendgericht zu stellen, aber das imponierte Sidney nicht – später hat er dazu gesagt: „My mind was on other things“ – früh schon wurde er mit Animiermädchen und billigem Schnaps gesichtet, in Gesellschaft von Musikern, die doppelt so alt waren wie er. Dabei vernachlässigte Bechet allerdings nie, die Tricks und Tips der älteren Klarinettisten einzustudieren, nahm auch etwas Unterricht bei George Baquet und „Big Eye“ Louis Nelson.
Die bürgerliche Familie hatte an diesem Lebenswandel natürlich keine Freude und der Druck auf Bechet wuchs. Er sollte einen Job annehmen wie seine vorbildlichen Brüder, seine Zukunft sichern, indem er einen Beruf erlernte. Zugleich war die Familie aber auch stolz auf das nicht zu verleugnende, grosse Talent ihres Nachzüglers.
Bechet allerdings dachte nicht daran. Schon als Teenager war er eigensinnig und hatte einen starken Kopf. Mit sechzehn zog er aus dem elterlichen Haus aus und suchte sich eine Wohnung. Er war in der ersten Hälfte seines Lebens ein Trinker, der nach ein paar Gläsern zuviel aggressiv werden konnte. Dennoch war er bei den meisten Bekannten beliebt. Die deutlichste Eigenschaft war aber seine Unrast. Bald ging er mit einer Truppe auf Tournee, fand auch Gefallen am Schauspiel und entwickelte seine Bühnenroutine: Sein Auftreten machte die Leute schon neugierig, bevor er auch nur einen Ton gespielt hatte.
Als die Truppe Chicago erreichte, suchte er ein paar Musiker auf, die aus New Orleans hierher gezogen waren – und beschloss, ebenfalls in Chicago zu bleiben. Er spielte ein Jahr lang mit King Oliver, Freddie Keppard (seinem grossen Vorbild) und anderen. In Chicago hörte ihn Will Marion Cook, Komponist, Musiker, Unternehmer, Talentscout. Obwohl Bechet noch immer keine Noten lesen konnte, bot er ihm einen Job mit seinem Southern Syncopated Orchestra an, das demnächst in Europa touren sollte.
Im Juni 1919 spielte Bechet also in London in der Philharmonic Hall am Eröffnungskonzert seinen „Characteristic Blues“. Der Dirigent Ernest Ansermet hat über das Konzert die anscheinend erste Jazzkritik geschrieben, in der die Musik ernst genommen und mit Verstand betrachtet wird. Ansermet schrieb in der Oktober 1919 Ausgabe der Revue Romande:
Il y a au sein du Southern Syncoped Orchestra, un extraordinaire virtuose clarinettiste qui est, paraît-il, le premier de sa race à avoir composé sur la clarinette des blues d’une forme achevée. J’en ai entendu deux qu’il avait longuement élaborés, puis joués à ses compagnons pour qu’ils en puissent faire l’accompagnement. Extrêmement différents, ils étaient aussi admirables l’un que l’autre pour la richesse d’invention, la force d’accents, la hardiesse dans la nouveauté et l’imprévu. Ils donnaient déjà l’idée d’un style, et la forme en était saisissante, abrupte, heurtée, avec une fin brusque et impitoyable comme celle du Deuxième Concerto Brandebourgeois. Je veux dire le nom de cet artiste de génie, car pour ma part je ne l’oublierai pas : c’est Sidney Bechet […] Quand on a si souvent cherché à retrouver dans le passé une de ces figures auxquelles on doit l’avènement de notre art, quelle chose émouvante que la rencontre de ce gros garçon tout noir, avec dents blanches et ce front étroit, qui est bien content qu’on aime ce qu’il fait, mais ne sait rien dire de son art, sauf qu’il suit son own way, sa propre voie, et quand on pense que ce own way c’est peut-être la grande route où le monde s’engouffrera demain.
~ Ernest Ansermet, „Sur un orchestre nègre“, in: La Revue Romande, 3/10 (15. Oct. 1919), S. 10-13
(Zitat von hier: http://emmflor.perso.neuf.fr/jazz/pages/sam2.html. Es gibt online zudem eine englische Version hier: http://jass.com/bechet.html (wo man nicht weiss, dass Ansermet nicht bloss ein „writer“ war) und diverse Reprints und Übersetzungen – siehe die Bechet-Bibliographie vom Jazzinstitut Darmstadt für weiteres.)
In London streifte Bechet mit dem Trompeter Arthur Briggs umher, um Schaufenster zu begutachten, als er ein Sopransax erspähte und kaufte. Er bessass schon zuvor in Chicago eins, das aber unspielbar war und rasch verpfändet wurde. Das neue Instrument aus London war schon nach ein paar Wochen in Konzerten zu hören. Die Southern Syncopated Orchestra lösten sich in diversen Streitereien auf und es bildeten sich diverse Nachfolge-Formationen. Bechet trat mit einigen von ihne auf, bevor er wegen eines Aufruhrs, in der ein paar Prostituierte und ein Kollege Bechets involviert waren, nach einer Gerichtsverhandlung am 3. November 1922 mit der S.S. Finland in die USA deportiert wurde.
Zurück in New York spielte er bald mit der „How Come“ Show, die durch die Lande tourte. Das war nur das erste einer Reihe von Engagements mit Theatertruppen. In diese Zeit fallen Bechets bedeutendste Studio-Aufnahmen. Sein Aufnahme-Debut erfolgte vergleichsweise spät, seine grosse Chance erhielt er im Juni 1923 dank Clarence Williams, dem aus New Orleans nach New York gezogenen Bandleader, Komponisten und Unternehmer. Sie erste Aufnahme war „Wild Cat Blues“ – und gleich eine richtige tour de force. Die Energie, der drängende Beat, der Bechets Spiel innewohnende Rhythmus weisen ihn auf Anhieb als einen grossen Künstler aus. Es folgte „Cake Walking Babies“, ein noch tolleres Stück, in dem Bechet mit Louis Armstrong zu hören war – dem damals einzigen vergleichbaren solistischen Talent der Jazz-Welt.
In den 1920ern war Bechet auch als Komponist ein wenig Erfolg beschieden und mit dem ersten grossen Scheck eröffnete er seinen „Club Basha“ (so sprachen die New Yorker übrigens seinen Namen aus). In der Band, die er dort organisierte, liess er auch ein paar seiner jungen Schüler spielen, unter ihnen Johnny Hodges, der bald mit Ellington die Welt erobern sollte und Bechet stets in höchsten Ehren hielt. Bechet hatte selbst für kurze Zeit mit Ellington im Kentucky Club gespielt, aber die beiden waren nicht kompatibel. Ellington sagte aber später über Bechet: „Of all the musicians, Bechet to me was the very epitome of jazz. He represented and executed everything that had to do with the beauty of it all, and everything he played in his whole life was compelely original.“ (zit. nach John Chiltons Text im Mosaic-Booklet).
In der Prohibitionszeit einen Klub zu leiten war allerdings kein grossses Vergnügen und Bechet verliess New York im September 1925 – die nächsten fünf Jahre verbrachte er ausserhalb der USA. Der erste Gig war mit Claude Hopkins‘ Band, als Begleitgruppe der „Black Revue“, im Sommer 1928 endete er dann in Paris in der Gruppe von Noble Sissle.
Im Dezember 1928 landete er nach einer Schiesserei für ein Jahr im Gefängnis. Er hatte nach einem Streit mit den Musikern Mike McKendrick und Glover Compton einen Revolver gezückt und auf sie geschossen. Dabei verletzte er Compton, ein australisches Showgirl und einen französischen Passanten. Bechet hielt sein Temperament nach diesem Ereignis besser im Zaume – er wurde nie zu einem ausgeglichenen Menschen, aber er beschränkte sich fortan auf weniger drastisches Benehmen (Chilton schreibt: „… the most he ever did thereafter was to threaten mayhem“).
Mit Noble Sissle spielte Bechet auch nach seiner Freilassung wieder, auch an einem Auftritt im Haus Vaterland in Berlin. 1930 hatte er im deutschen Film „Einbrecher“ auch sein Leinwand-Debut. Nach einer weiteren Tour mit der „Black Revue“ verliess Bechet die Gruppe in Amsterdam und reiste zurück in die USA, um einen festen Platz in Noble Sissles Band einzunehmen. Dort traf er auch auf seinen Freund, den Trompeter Tommy Ladnier. Die beiden machten aus ihren kurzen Jazz-Features bei Sissle das beste, was sie konnten, etwa auf Sissles Aufnahme von „The Basement Blues“ 1931.
Bald waren Bechet und Ladnier das enge Korsett der Musik von Sissle leid und 1932 nahmen sie in einer lange Session für Victor sechs Stücke auf, darunter den „Maple Leaf Rag“. Die Gruppe spielte auch kurz im Savoy Ballroom in New York, aber nach ein paar Gigs ausserhalb der Stadt löste sie sich wieder auf. Die beiden Freunde versuchten sich in der Folge als Unternehmer und öffneten in Harlem einen Laden, in dem Kleider gebügelt wurden – womit sie allerdings noch weniger verdienten als mit der Musik.
Bechet war also 1934 wieder zurück bei Sissle und es folgten vier der glücklichsten Jahre seines Lebens. Im Juli heiratete er die 19jährige Marie Louise, verdiente gutes Geld und wurde von Sissle auch als Attraktion der Band vermarktet. Mit den meisten von Sissles Musikern verstand er sich gut und manchmal kochte er der ganzen Truppe einen riesigen Topf Gumbo.
Nach ein paar Jahren setzte die innere Unruhe Bechets aber wieder ein – er sah, wie im ganzen Land Klubs öffneten, in der „seine“ Musik gespielt wurde. Zudem ging 1938 seine Ehe in die Brüche, worauf Bechet aufhörte, mit Sissle zu touren und sich in New York niederliess, um dort aufzutreten. Schnell konnte sich Bechet etablieren und wurde Ende der 30er von seinen Musiker-Kollegen als eine Art Legende gesehen. Dem breiten Publikum war er noch immer wenig vertraut, da er so lange Zeit ausser Landes war. Während er in Europa war, hatten viele andere Musiker durch Aufnahmen ihre Bekanntheit vergrössert und Erfolge gefeiert – all das hatten sie (allen voran Armstrong und Ellington) Bechet voraus. Bechet trat aber regelmässig in Nick Rongettis Club „Nick’s“ im Greenwich Village auf und allmählich wurde er so bekannt, wie er es verdient hatte. Dabei halt auch, dass er mit Tommy Ladnier für John Hammonds „From Spirituals to Swing“-Konzert gebucht wurde und an Sessions des französischen Kritikers Hugues Panassié beteiligt war.
Bechet nahm in dieser Zeit auch seine ersten Platten für das junge Blue Note Label auf – das erste Mal konnte er beweisen, dass er in der Lage war, über jegliches Material lange und beeindruckende Soli zu spielen. Die Kritik blieb allerdings nicht aus: sein breites und leidenschaftliches Vibrato – das doch seinen drängenden, unruhigen Charakter so gut verkörpert – war längst nicht überall beliebt. Bechet äusserte sich in den 40er Jahren folgendermassen:
I play every number the way I feel it. The vibrato is just a form of that expression, and I’d do it on any instrument I might play. I believe that the vibrato plays an important part in any solo that has to build up to a real effect.
~ Sidney Bechet (zit. nach John Chiltons Text im Mosaic-Booklet)
Frankie Newton & Sidney Bechet, 8. Juni 1939 (Blue Note Session der „Port of Harlem Jazzmen“Bechet spielte nach seinem Engagement im „Nick’s“ 1939 und 1940 mit Willie „The Lion“ Smith und anderen, aber auch mit eigenen Bands – aber nie an Orten, die seinen Ruf verbesserten, die ihm weitere Bekanntheit eintrugen. Als Stargast trat er auch in Boston und Philadelphia auf, wo er auch auf seinen alten Mentor George Baquet traf. Zwischendurch trat er auch 1940 wieder im „Nick’s“ auf, und 1941 stellte er für einen Gig im „Mimo Club“ in Harlem ein neunköpfiges Ensemble zusammen – das grösste, das er bis dahin je geleitet hat. Seine eigenen Nummern spielte er aber meistens im Quartett.
Ab 1941 trat er jährlich im Sommer in Camp Unity in Wingdale, NY auf – er leitete da ein Sextett mit Vic Dickenson, Manzie Johnson und anderen. Langsam erweiterte sich der Kreis seiner Hörer, seine Aufnahmen sorgten dafür, dass seine Bekanntheit etwas zunahm. Im Winter 1943/44 zog er auch einmal weiter in den Osten, nach Springfield, IL. Er hatte den texanischen Pianisten Cedric Haywood und den New Orleans Drummer Paul Barbarin in der Gruppe. Bechet spielte in jener Zeit immer öfter im Quartett – das gab ihm die uneingeschränkte Freiheit, den Lead und die Melodien zu spielen und er musste sich nicht mit Trompetern herumschlagen, die sich seinem Temperament nicht unterwerfen wollten. Zudem spielte er immer öfter Sopransax und wollte damit auch dann den Lead spielen, wenn er einen Trompeter in seiner Gruppe hatte. Wenn die Chemie der Band allerdings stimmte, spielte Bechet seine Parts in einer traditionellen sechs- oder siebenköpfigen New Orleans Band superb. Sidney De Paris und Max Kaminsky gehörten zu den Trompetern, deren Gesellschaft er genoss, in den 40ern trat er auch of an Konzerter auf, darunter einige der Town Hall Konzerte, die Eddie Condon organisierte. Bechet genoss die Gesellschaft Condons sowohl wegen dessen Witzeleien aber auch weil er fand, Condon helfe ihm auf seinem „come back trail.“
1941 erschienen die ersten Multi-Track-Aufnahmen des Jazz – Bechets „one-man-band“, in der er Klarinette, Sopransax, Tenorsax, Piano, Bass und Drums spielte, brachte ihm einige Publicity ein. Längerfristig war es aber die Reunion mit Bunk Johnson im März 1945, die Bechet viele Berichte in der Presse eintrug. Die beiden trafen sich 1944 wieder, als Bechet nach langer Abwesenheit New Orleans besuchte. Die gemeinsame Band war leider aber nur von kurzer Dauer. Beide gaben jeweils dem anderen die Schuld für das Scheitern: Johnson beklagte sich darüber, dass die Band nicht seinem Niveau enstprochen habe und Bechet sich zu stark auf das „fish horn“ (ein alter New Orleans-Ausdruck für das Sopransax) konzentriert habe. Bechet wiederum meinte, Johnsons übermässige Trinkerei habe ihn unzuverlässig und musikalisch unbeständig lassen werden.
Sidney Bechet (ss), Wellman Braud (b), unknown (g), Zutty Singleton (d)In den Jahren 1945-50 spielte Bechet dann regelmässig mit Wild Bill Davison – einem Trompeter aus dem Condon-Umfeld, dem nun wirklich keine Unbeständigkeit vorgeworfen werden kann. Bechet trat regelmässig auf und seine Konzerte füllten ihm auch einigermassen die Taschen, reich war er allerdings längst nicht. Als Geschäftsmann hatte nie eine gute Hand, es gab auch grössere Verluste als jenen mit dem Bügel-Unternehmen, etwa ein verlorenens Investment in eine Nerz-Farm. Zudem stand er – aufgrund schlechter Erfahrungen in seinen frühen Jahren in Europa – gegenüber Managern und Mittelsmännern sehr vorsichtig bis ablehnend gegenüber und wies manchmal auch lukrative Engagements zurück, wenn er meinte, die Mittelsmänner würde einen zu grossen Anteil des Gewinnes einstreichen. Das erlaubte ihm auch 1946 nochmal, in einer Theater-Revue aufzutreten, die allerdings nach nur acht Wochen wieder dichtmachte.
Sein nächste Einfall war, bei sich zuhause (178 Quincy Street in Brooklyn) eine Musikschule zu eröffnen, aber er tat kaum etwas, um sein Unternehmen bekannt zu machen und es gedieh nicht weiter als bis zum Schild an der Haustür. Sein alter Freund Mezz Mezzrow versorgte ihn allerdings mit ein paar Schülern – und schon der erste von ihnen war ein bemerkenswert talentierter junger Mann, Bob Wilber. Wilber lebte in der Folge bei Bechet, trat regelmässig mit ihm im „Jimmy Ryan’s“ auf und begleitete ihn auch zu seinem see-untauglichen Segelboot, mit dem Bechet dereinst plante, über New Orleans in die Karibik zu segeln… stattdessen endeten die beiden öfter in einer Bar in der Nähe.
In dieser Zeit sass Bechet auch immer häufiger an seinem Piano (wo er spielen gelernt hatte, wollte er nie verraten) und begann, sein längeres Werk „The Night Is a Witch“. Die Arbeit daran hatte er schon in den Sommern zuvor in Camp Unity begonnen – und da er noch immer keine Noten lesen oder schreiben konnte, half ihm James Tolliver, ein alter Freund aus Noble Sissle-Tagen, der die vorgespielten Passagen notierte.
Die „Symphonie“, wie Bechet sein Work-in-Progress nannte, steht sinnbildlich für Bechets breite musikalische Interessen und auch für seinen Traum, etwas grösseres zu Hinterlassen. Bechet ging schon als Kind gerne in die Oper, hörte Caruso, mochte die Musik Tschaikowskis, spielte aber auch spät in seinem Leben noch ungarische Volkslieder, die er Jahrzehnte davor irgendwo aufgeschnappt hatte.
Im Mai 1947 kam es zu einer bedeutenden Nicht-Begegnung mit Louis Armstrong. Condon hatte sowohl Bechet als auch Armstrong an eines seiner Konzerte in der New Yorker Town Hall eingeladen. Die beiden waren sich nie richtig nahe gekommen, obwohl sie sich schon früh kannten und auch einige gemeinsame Aufnahme-Sessions absolviert hatten. Sie hatten sich stets vorsichtig umrundet und beschnuppert, ohne sich je richtig aufeinander einzulassen. Bechet beschloss im letzten Moment, nicht aufzutreten – es hiess damals, er sei in der U-Bahn krank zusammengebrochen, anscheinend hat er aber am selben Abend und/oder wenige Tage später im Jimmy Ryan’s gespielt.
Ende 1947 trat Bechet in Chicago auf, der Stadt seines frühen musikalischen Triumphes. Im neuen Jazz Ltd. Klub von Bill Reinhardt spielte er für längere Zeit und erhielt viel Publicity. Bechet hielt zwischen den Sets Hof an einem speziellen Tisch im Klub und erfreute seine alten und neuen Fans. Im Rahmen des ersten Auftrittes 1947 besuchte ihn sein Bruder Leonhard, wie auch Ernest Ansermet.
Charlie Parker und Sidney Bechet auf dem Cover von Jazz Hot (Nr. 145, Juli/August 1959)Bechets unruhiger Charakter verhiess ihna ber auch hier wieder, den Erfolg zu verlassen… er gab einer Offerte von Charles Delauney nach, im Mai 1949 am Jazzfestival in Paris aufzutreten. Andere Musiker am Festival waren Charlie Parker, Hot Lips Page und die Band von Tadd Dameron und Miles Davis mit James Moody und Kenny Clarke. Bechet kehrte danach ins Jazz Ltd. zurück aber im September verdrückte er sich ohne formellen Abschied nach Europa, wo er in London tumultartig willkommen geheissen wurde. Zwei Monate später kehrte er zwar wieder in die USA zurück, aber sein Herz war dieses Mal in Frankreich geblieben. Nach einer Tour in den USA kehrte er für den Sommer 1950 zurück nach Europa.
Bechets Bekanntheit in Frankreich nahm Dimensionen eines Superstars an. Es gab etwas in seiner Musik, das die Franzosen ganz besonders ansprach, auch jene, die davor kein Interesse am Jazz zeigten – es waren wohl seine leidenschaftliche Darbietung, sein Vibrato, seine dramatische Phrasierung. Bechet wurde fast zur nationalen Figur in Frankreich, seine Popularität erreichte fast die Höhen von Edith Piaf und Maurice Chevalier.
Bechet kehrte zwar wieder in die USA zurück, um Aufnahmen (u.a. für Blue Note) zu machen und aufzutreten, aber in Europa kannte man ihn, seine Gagen waren viel höher, die Atmosphäre war eine ganz andere, viele alltägliche Probleme, besonders natürlich jene im Zusammenhang mit der Hautfarbe, fielen in Frankreich weg.
1951 beschloss Bechet, Frankreich endgültig zu seiner neuen Heimat zu machen. Im selben Jahr heiratete er in Antibes mit einem riesigen Fest die deutschstämmige Elizabeth Ziegler, die er 1928 kennengelernt hatte. Die Neuigkeit gelangte in Europa bis auf die Frontseiten der Zeitungen.
Hier kann man ein kurzes Nachrichten-Video sehen:
http://www.dailymotion.com/video/x21d8l_bechet-wedding-1951_music
Und hier ein paar Details nachlesen:
http://www.gaumontpathearchives.com/indexPopup.php?urlaction=doc&langue=EN&id_doc=28990In Frankreich spielte Bechet meist mit der Band des Klarinettisten Claude Luter, manchmal auch mit der von dessen Kollegen André Reveliotty. Die beiden bewunderten Bechet bedingungslos und nahmen ihm sein Temperament nicht übel. Die Bands lernten langsam, Bechets in unverständlichem Patois gebrüllte Anweisungen zu verstehen, im Gegenzug half er ihnen, sich von mittelprächtigen aber aufrichtigen Fans in gute Musiker zu entwickeln. Bechet nahm zahllose Platten auf in Europa, aber er blühte immer besonders auf, wenn er auf amerikanische Musiker traf.
1953 folgte eine längere Reise in die USA – mit Jonah Jones, Jimmy Archey, Walter Page und anderem nahm er da auch seine letzte Blue Note Session auf -während der er u.a. vor 6000 Menschen im Shrine Auditorium in Los Angeles auftrat. Während der ganzen Tour fühlte er sich allerdings unwohl. Bechet hatte schon länger über Magenschmerzen geklagt, die er aber auf diverse Medikamente zurückführte, die er nahm. Nach einem Auftritt in George Weins Storyville Club in Boston musste er allerdings hospitalisiert werden und es hiess, es müssten Geschwüre entfernt werden.
Bechet brach seine Tour ab, kehrte nach Frankreich zurück, es ging ihm besser und er spielte wieder, bis er 1954 notfallmässig doch noch operiert werden musste. Auch dieses Mal erholte er sich rasch und spielte bald wieder mit seiner alten Kraft und Verve. Im Jahr 1954 kam auch sein Sohn Daniel zur Welt. Die Mutter war Jacqueline, mit der Bechet ein zweites Heim besass, neben jenem mit seiner rechtmässigen Ehefrau Elizabeth.
Bechet trat in einigen französischen Filmen auf, verkaufte grosse Mengen von Platten und genoss die spezielle Zuneigung der Franzosen. In jener Zeit nahm er auch die Arbeit an seiner in den 40ern begonnenen Autobiographie wieder auf, die posthum unter dem Titel „Treat It Gentle“ erschienen ist.
1958 trat Bechet mit Buck Clayton und Vic Dickenson an der Weltausstellung in Brüssel auf – nichts deutete darauf hin, dass er bald von einer tödlichen Krankheit dahingerafft werden sollte, sein Spiel war kraftvoll und stark wie immer. Ende des Jahres wurde Krebs diagnostiziert und exakt an seinem 62. Geburtstag, dem 14. Mai 1959, tat Sidney Bechet seinen letzten Atemzug.
Sein Tod führte – endlich, möchte man sagen – auch in den USA dazu, dass das Interesse an seiner Musik zunahm. In den Worten John Chiltons:
The jazz world at large finally came to appreciate Bechet’s gifts, and to realize that it was idiotic to regard him simply as a ‚Dixielander‘. That he never was. He was a giant of traditional jazz, who could thrive and be inventive within any musical line-up.
Sidney Bechet was a true pioneer of jazz, he was perhaps the very first jazz soloist to give his improvisations the quality of form. His playing swung, before that description had ever been devised, and throughout his long career he remained an agile and melodic improviser. His interpretations of the blues are timeless, and all of his work contains a passion that should never be absent from any jazz solo. His genius will never become passé as long as jazz appreciation demands the highest standards.~ John Chilton: Sidney Bechet, in: „The Complete Blue Note Recordings of Sidney Bechet“, Mosaic MD4-110, 1985
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deOh, du Hässliche! Die 25 schrecklichsten Weihnachtsalben-Cover
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Taylor Swift: Alle 274 Songs im Ranking
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http://www.redhotjazz.com/bechet.htmlUnd hier eine wunderbare Passage vom Ende der Autobiographie, Treat It Gentle, die auch im Mosaic-Booklet abgedruckt ist:
I can remember when I was young. I didn’t have toys like others. I never had a toy to play with. I wouldn’t have known what to do with a toy if you gave me one. I started once to write a song for a boy like that. The song, it was called Sans Amis. He had nothing to play with and no one to play with. But he had a song. He kept making that song over and over out of himself, changing it around, making it fit. That boy, he had this song about being lonely, and as soon as he had the song, he wasn’t lonely any more. He was lucky. He was real well off; he had this thing he could trust, and so he could trust himself.
~ Sidney Bechet: Treat It Gentle, London 1960 (Reprinted New York 1978)
Und dann noch Art Hodes über Bechet (ebenfalls aus dem Mosaic-Booklet):
Sidney enriched everyone he touched; he was that kind of player. There was the State College date we did in Pennsylvania. It was my date. I’dd booked it; but with Sidney on it, it became Bechet’s date. he worked that hard to make it good. Anything that came to mind that needed doing he’d step in and do. You see…
We’d driven some 8 hours (starting like 5 a.m., immediately after finishing up on a gig) and we arrived in not the greatest of shape. In fact, a couple of my guys were feeling no pain (if you know what I mean). Sidney got them both to take a cold bath, plus some aspirins; then walked them for blocks, just to get ‚em straight. Then he played the gig; and knocked everybody out.
Did I ever tell you how we’d met? We were both on staff for Blue Note records. One time the date was named after Bechet; another it was Art Hodes‘ Hot Five. But no matter; Sidney worked those dates as if they were all his dates. Yeh; now I recall our meeting. It hadn’t come about on a good note. He was supposed to play a session for me and for some reason never showed. But he did make it the following week. When the union advised me not to pay him, and to bring charges against him, I decided that wasn’t for me. So we became friends.
Bechet didn’t stand for no nonsense. For some reason he took a dislike to a certain drummer’s playing. He only discussed it once with me. I couldn’t bring myself to let this cat go. Well, the next date Bechet got, he used Wettling on drums and James P. Johnson on piano. Couldn’t blame him for that; that was in good taste. Two very fine players. But dig this. Bechet, of course, was colored. But Wettling was white. With Sidney color didn’t count. If you couldn’t please him musically, forget it.
The ’40s (when I ran into Bechet) weren’t the best of times materially; financially. Sidney tried various businesses to make things go, but never successfully, or for long. And he liked to sail; take to the water. For a bit I heard he dug photography. Finally, he left the U.S. scene and landed in France. I’d heard he married some wealthy woman (titled). They must have loved him over there. When he passed on they renamed a street after Sidney Bechet.
~ Art Hodes, zuerst erschienen in dessen Zeitschrift „The Jazz Record“ in den 40ern, dann in der Auswahl aus Hodes‘ Artikeln „Selections from the Gutter“, in den 70ern erneut abgedruckt.
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RCA:
Die wichtigsten frühen Aufnahmen Bechets entstanden für Victor – Definitive hat ein wie üblich lausig dokumentiertes und mittelprächtig bis schlecht klingendes 3CD-Set der Master Takers veröffentlicht, das aber vergriffen ist. Jemand hat mir davon vor Jahren eine Kopie gemacht und neulich hab ich drei oder vier Stücke (die einzigen, die ich mittlerweile soweit ich sehen konnte nicht anderswo habe) extrahiert und geprüft, eins war mit 80, die anderen 100 prozentiger Wahrscheinlichkeit MP3-sourced! Unglaublich das, aber man sollte diese Dinge ja eh nie kaufen (hab ich zum Glück ja auch nicht).
Davor gab’s auch ein Master Takes 3CD-Set von BMG (1990).
Besser eignen sich wohl die französischen „Jazz Tribune“ Alben, die in den 70ern und 80ern als Doppel-LPs und dann auch als (gleich programmierte, also recht kurze Doppel-) CDs erschienen sind. Ich habe davon bisher nur „The Complete Sidney Bechet – Volumes 1/2 (1932-1941)“, muss mir die anderen beiden mal noch suchen (und zwar auf LP).Blue Note:
Sehr blues-lastige und zumeist wunderbare Aufnahmen aus den 40ern und 50ern (genau genommen: 1939-40, 1944-46, 1949, 1950-51 und 1953). Da gab’s das erwähnte Mosaic-Set, 4CD oder 6LP.
Die ganzen Port of Harlem Jazzmen Sessions gab’s auch auf einer einzel-LP von Mosaic und auf einer Blue Note CD (1994 erschienen). Bechet spielt nur auf der zweiten Session und auch dort nur auf drei der vier Titel. Die anderen Musiker sind der wunderbare Trompeter Frankie Newton, J.C. Higginbotham an der Posaune, Teddy Bunn an der Gitarre, Johnny Williams am Bass, Sid Catlett am Schlagzeug und auf der ersten Session Albert Ammons am Piano, auf der zweiten Meade Lux Lewis statt Ammons, und eben Bechet. Auf der CD ist auch die Sidney Bechet Quartett-Session vom 27. März 1970 (mit Bunn, Pops Foster und Catlett) zu hören, sowie die Teddy Bunn Solo-Session vom 28. März 1940 – sehr lohnenswerte Anschaffung!
Von den späteren Blue Note Sessions sind auch zwei einzelne CDs erschienen, „Runnin‘ Wild“ (1998) enhält die drei 1949/1950er Sessions mit Wild Bill Davison, „The Fabulous“ (2001) die beiden letzten Sessions von 1951 (mit Sidney De Paris) und 1953 (mit Jonah Jones), die Bechet für Lion/Wolff gemacht hat. Es gab auch ältere CD-Ausgaben der LPs, auf denen Blue Note in den 50ern seine Bechet-Aufnahmen sammelte (die 12″ LPs hiessen „Jazz Classics“ und „Giant of Jazz“, es gab je zwei Volumes von beiden, und mit „The Fabulous Sidney Bechet“, auf der nochmal zwei 10″-LPs versammelt waren, hatte man auf fünf LPs vermutlich ziemlich alles von Bechet auf Blue Note… bin mir nicht sicher, ob die drei Port of Harlem Tracks, die beiden Tracks mit Bechet von der Josh White Session und die Art Hodes Session dabei waren, denke eher nicht – die Mosaic-Box enthielt ja auch sechs LPs)
Auch hier gibt’s übrigens von Definitive eine 3CD Master Takes Ausgabe in der üblichen lausigen Qualität.Columbia/Brunswick/etc:
Mosaic hat ein „Select“ zusammengestellt, auf dem die frühen Sessions mit Clarence Williams und verschiedenen Sängerinnen (1923-25), die die Variety Sessions mit Noble Sissle (1937/38), die grossartige Vocalion-Session mit Leonard Ware an der Gitarre (1938) sowie drei Sessions von 1947 (eine mit Bob Wilber, zwei im Quartett) zu hören sind… ist derzeit auf Backorder, sonst hätte ich’s mir wohl grad bestellt!HRS:
Für die Hot Record Society nahm Bechet zwei tolle Sessions mit Trompeter Muggsy Spanier auf – ihre Big Four wurden von Carmen Mastren (g) und Wellman Braud (b) ergänzt. Gab’s im Mosaic-Set mit dem kompletten HRS-Output (grossartige Box für Liebhaber von Small Group Swing!)Frankreich:
Die späte Diskographie kenne ich noch kaum… die Brüssel-Aufnahmen von 1958 hab ich glaube ich mal gehört, ebenso ein Swing-Album von 1956 mit Sammy Price (Lucky Thompson hat mit ihm auch ein Album gemacht, als er in Paris war… es gibt nur jenes von Price/Thompson in der „Jazz in Paris“-Reihe).
Äusserst bemerkenswert sind auf jeden Fall die Aufnahmen, die im Quartett mit Martial Solal 1957 für Vogue entstanden sind. Es gibt sie gesammelt auf einer CD in der „Original Vogue Masters Reihe“, einer der letzten, die in dieser tollen Reihe erschienen sind.
Von Jazz in Paris gibt’s Vol. 22, „Sidney Bechet et Claude Luter“, eine Zusammenstellung einer 1948er Session von Luter (ohne Bechet) und 1949er Bechet-Aufnahmen u.a. mit Jean-Pierre Sasson und Kenny Clarke.Die „Complete Edition“ von Masters of Jazz gedieh bis zu Vol. 13 (1943-1944) und ist bis dahin wohl die mit Abstand beste und vollständigste Übersicht – aber die CDs sind zum grössten Teil sehr teuer geworden.
Ich besitze von ihnen bisher nur Vol. 13, auf der ein paar kürzere Sessions zu hören sind, deren Herzstück aber eine grossartige, informelle Trio-Session von Bechet (cl/ss) mit Max Miller (p) und Ken Smith (d) vom 8. Oktober 1944 aus Chicago bildet. Zwei der fünf Stücke dauern über 14 Minuten, die ganze Session etwas über 45 Minuten).Chronological Classics (16 Volumes, glaube ich, bis 1952 Vol. 2) plus die Alternative Takes von Neatwork (2 Volumes) gab es auch mal noch, aber auch die sind wohl kaum mehr zu finden.
Die Billig-Alternative ist das Membran 10CD-Set „Petite Fleur“, das ziemlich viel versammelt, von 1931-1952… keine Dokumentation ausser Tracklisten der CDs (aber ich kann sie gerne nachliefern, hab ich mir mal zusammengestellt). Könnte übrigens genausogut wie die Definitive Sets MP3-sourced sein, wer weiss… aber die Dinger sind billig und wenn man sich mal richtig zu vertiefen beginnt, will man meistens eh bessere Ausgaben. Gute Einstiegsdrogen, gewissermassen…
Bei Blue Note gab’s übrigens auch ein 4CD-Set, das gemeinsam mit Smithsonian herausgegeben wurde: „Hot Jazz on Blue Note“ (1996, auch auf K7 erhältlich). Da findet sich auf vier CDs ein grosszügiger Überblick über die frühen Sessions, mit Aufnahmen von Josh White, Edmond Hall, George Lewis, Bunk Johnson & Sidney Bechet, Sidney Bechet, Bechet & Albert Nicholas, Art Hodes, Baby Dodds, Sidney De Paris und James P. Johnson. Bechet und Hodes nehmen je ca. 1/4 des ganzen Platzes ein.
Und die oben erwähnte 1998er CD „Runnin‘ Wild“ war Teil einer Mini-Serie zum 60. Geburtstag des Labels, einer Mini-Serie, in der auch Aufnahmen mit Hot Jazz neu aufgelegt wurden. Neben der Bechet CD erschien die grossartige Edmond Hall CD „Profoundly Blue“, „George Lewis and His New Orleans Stompers“ und zwei Compilations, „Blue Note Swingtets“ (mit Ike Quebec, Johnny Hardee, Jimmy Hamilton u.a.) sowie „Blue Note Jazzmen“ (2CD, mit James P. Johnson, Sidney De Paris, Edmond Hall u.a.). Alles sehr zu empfehlen, aber vermutlich alles längst vergriffen. Die „Fabulous“ CD von 2001 war dann eine freundliche Nachreichung, die schon damals kaum mehr erwartet wurde. Was wirklich fehlt, ist die grossartige Musik von Art Hodes – da brauch ich dereinst auch das Mosaic-Set!--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaIch werde keinen chronologischen Durchgang durch Bechets Werk versuchen hier, sondern eher hie und da mal über einzelne Aufnahmen berichten, seien es Stücke, Sessions, Alben oder Compilations.
Eine äusserst bemerkenswerte Session entsand am 22. November 1939 in New York. Die Gruppe bestand aus Kenneth Roane (t), Sidney Bechet (cl, ss), Willie „The Lion“ Smith (p), Olin Alderhold (b) und Leo Warney (d) und erschien auf LPs mit Titeln wie „Haitian Moods“ oder „Haitian Understanding“. Die Band heisst in den Diskographien „Haitian Orchestra“. Auf CD ist sie u.a. auf einem Collectables-Twofer oder dem erwähnten Membran 10CD-Set zu finden. Von der Collectables CD stammen die folgenden Notes:
„We made what they talk about now,“ said the Lion, chewing on the cigar that is perpetually in his mouth. „When you speak of jazz you speak of the great men of New Orleans, they know what they’re doing. If they are displeased, they won’t play with nobody. They always give their heart and soul they know the beat.“ This is Willie „The Lion“ (so named because of his great bravery in World War I) Smith, great pianist and fabulous raconteur talking about the recording date, the results of which you hear in this album. This infectious music contains a strange admixture of influences. Recorded originally in the Brunswick studios in New York on November 22, 1939, it has the Afro-Cuban strains pervading so much of the music of today. That is what is striking about „The Lion’s “ opening statement. Added too is a spirit of carnival, fiesta, calypso, New Orleans marches and Haitian rhythms. The musicians play in such an integrated manner that no one person’s playing takes precedence over another’s. The numbers are divided between rhumbas and meringues. The meringue is a national Haitian dance which is possessed of seemingly indefatigable high spirits.
The musicians (Kenneth Roane, trumpet; Willie „The Lion“ Smith, piano; Olin Alderhold, string bass; Zutty Singleton, drums; and Sidney Bechet, clarinet and soprano sax) have lived and played in New Orleans a long time and that most continental of cities in turn engendered the music’s Caribbean color.
The selections: „Sous Les Palmiers“ is a very catchy tune. The string bass is used as a percussion instrument, Alderhold hitting the strings with drumsticks. „Rose Rhumba“ contains a fine duet between soprano sax and trumpet. The cooperation between Bechet and Roane throughout all the numbers is a joyful thing. Listen also for the beauty of simplicity that is created by short wonderful phrasings built around a steady rhythm. „Tropical Mood“ is a bright piece yet having a plaintive quality. Wonderful counterpoint. „Magic Islands“–the tempo picks up considerably in this meringue and the beat is unflagging. „Ba Ba“ is a rhumba with an extra bounce. „Mayotte,“ an exciting meringue, is introduced by a drum solo that propels us right into things.“~ ROBERT GEORGE REISNER
Ein anderes Cover:
Die Musik ist nichts, was man von Bechet erwarten würde, Latin-Rhythmen der feineren Sorte, manchmal kitschig wie die alten Herren vom Buena Vista Social Club, aber sie entwickelt einen ganz eigenen Charme.
Gemäss der Diskussion hier (von dort hab ich auch die Collectables-Liners) erschienen ursprünglich 5 Singles mit den folgenden Paarungen (die ersten beiden auf Baldwin, die anderen drei auf Variety):
Meringue De Amour
Ti RalphDiane
NanaBaba
Tropical MoonRose Rhumba
Sous Les PalmierMayotte
Magic IslandsDass Bechet mit seinen Wurzeln in New Orleans an so etwas Gefallen fand, ist wenig überraschend. Die Einflüsse verliefen damals in alle Richtungen und Bechet war ja als Kind schon da, als sich der Jazz in New Orleans erst entwickelt hat. Solos gibt’s in der ganzen Session nicht, nur ein paar Drum-Intros und auf „Ti Ralph“ vier Takte Intro von Bechet am Sopransax.
Fabrice Zammarchi zitiert in den Liner Notes zu Vol. 6 von Bechets Masters of Jazz Reihe Claude Luter, der gesagt hat: „Sidney often told me that the music he played in New Orleans prior to 1915 was the rhumba and the biguine.“
Auf der 6. CD der Bechet-Reihe sind acht Titel zu hören, fünf weitere von derselben Session stehen am Ende von Vol. 5. Im Booklet dazu schreibt Zammarchi: „According to John Chilton, this curious date was the brainchild of Wille ‚The Lion‘ Smith, a genuine admirer of Haitian music. The pianist then got Bechet interested in the project, not too difficult a task in view of the New Orleans man’s interest in all music on the fringes of jazz.“--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDanke Gypsy.Muss mir mal meine wenigen Bechet Aufnahmen wieder anhören.Er war ja ein komischer Kauz, er sollte eigentilch Mitglied der Louis Armstrong All Stars werden,aber sagte kurzfritig wieder ab.
Sehr ungewöhnlich seine Aufnahmen mit Solal.Es ist so als ob John Zorn mit James Last ein Platte aufnehmen würde.
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Na ja… Solal ist ja gewissermassen auch einer der ganz wenigen wirklichen Nachfolger von Art Tatum. Ganz so fremd war das also auch wieder nicht.
Über die Beziehung zu Armstrong weiss ich bisher nicht viel mehr, als ich oben berichtet habe. Die All-Stars gab’s ja erst ab 1946 – dass Bechet in der Zeit als Sideman zu Armstrong sollte, ist kaum vorstellbar! Was meinst Du genau? Es gibt ja die Condon-Geschichte, die ich oben erwähne…
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Die beiden haben sich aber nicht verstanden.Muss mal nach den Solal Aufnahmen ausschau halten.
Es gab mal 98 eine nette französische CD Serie.Davon habe ich leider nur zwei Alben.
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alexischickedas erst konzet der all stars war in der symphony hall und bechet war eigentlich als All Star vorgesehen.
Die beiden haben sich aber nicht verstanden.
Das mit dem Symphony Hall-Konzert wusste ich nicht!
Aber Bechet war wohl höchstens als Stargast vorgesehen? Alles andere würde mich – eben weil die beiden nicht wirklich miteinander klarkamen – doch sehr wundern!alexischickeMuss mal nach den Solal Aufnahmen ausschau halten.
Es gab mal 98 eine nette französische CD Serie.Davon habe ich leider nur zwei Alben.
Die Vogue-CD war ein Nachzügler – amazon.fr sagt von 2005, Marketplace-Exemplare kosten allerdings 90€ oder mehr), es gibt allerdings anscheinend zwei graue Ausgaben davon (und wenn das hier durchkommt und die weichen EU-Parlamentarier wirklich klein beigeben, dann sind das demnächst wieder waschechte Bootlegs – das einzig positive daran ist, dass nail dann meine semantische Eskapaden nicht mehr kritisieren kann ).
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ja damals war noch gar nicht sicher,dass sich die All Stars halten werden.Das war ein spezielles Konzert zur Vorstellung seiner neuen Formation.
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ich lese ein bisschen raus,dass dir die frühen Aufnahmen von Bechet wohl besser gefallen,weil in Frankreich die Qualität der Musiker nicht so gut war?
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alexischickeich lese ein bisschen raus,dass dir die frühen Aufnahmen von Bechet wohl besser gefallen,weil in Frankreich die Qualität der Musiker nicht so gut war?
Sind ja nicht nur die „frühen“, die nicht aus Frankreich kommen… ich sehe das eher so, als dass der grösste Teil des Spätwerks aus Frankreich stammt, dass aber der Hauptteil von Bechets Werk davor entstanden ist, in den 30ern und 40ern. Und auch danach gab’s ja noch ein paar Blue Note Sessions bei Besuchen in den USA.
In Frankreich war Bechet ein Superstar, Royalty gewissermassen. Die Musik, die ich bisher aus der Zeit kenne, hat eine gewisse… Gleichmässigkeit, einfach weil da keine Sidemen sind, die Bechet das Wasser reichen können (das bedaure ich übrigens durchaus auch bei Sonny Rollins oder etwas weniger bei Sam Rivers – finde ich stets schade, wenn Musiker sich nicht mehr – oder im Falle von Rivers nicht mehr oft – mit Leuten umgeben mögen, die sie auch fordern).--
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gypsy tail wind
Sidney Bechet (14. May 1897 – 14. Mai 1959) war eine der überragenden Figuren des frühen Jazz und seine Musik ist bis heute eindrücklich.Und ich bin beeindruckt !
Was wahrscheinlich auch nicht verwunderlich ist, wenn man zwei Ohren und ein Herz für Musik hat.
Durch die Aufnahmen, die er 1939 mit Jelly Roll Morton und Sidney De Paris gemacht hat, bin ich jetzt auf ihn aufmerksam geworden.
Der Mann hatte den Blues aber auch in jeder Faser seines Körpers!Mal sehen was man am besten kaufen sollte, wahrscheinlich am besten die Jazz Tribune- Alben, wie von gypsy oben geschrieben.
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life is a dream[/SIZE]Ja, die RCA-Aufnahmen als ganzes sind wohl der wichtigste Werk-Korpus in Bechets grossem Oeuvre.
Die Blue Notes sind aber auch sehr toll, sehr bluesig, anders im Charakter, weniger nervös, erdiger, und eben wirklich zu grösseren Teilen aus Blues-Nummern bestehend… Alfred Lion mochte den Blues so sehr, dass er in seinen frühen Sessions die Musiker oft etwas anders spielen liess, als sie das sonst (in Live-Auftritten oder so) taten, mehr Blues-Nummern, langsamere Tempi etc.
Die „Port of Harlem“ CD wäre dafür ein ideales Beispiel, falls man sie auftreiben kann… man kriegt da mit Frankie Newton zudem eine apokryphe Figur des Jazz zu hören und mit J.C. Higginbotham einen weiteren tollen Solisten des alten Jazz, mit Meade Lux Lewis und Albert Ammons (dem Vater von Tenorsaxer Gene Ammons) zwei der grossen Boogie-Pianisten, sowie mit Sid Catlett einen der tollsten Schlagzeuger des alten Jazz. Die CD (es gab davor eine LP von Mosaic) enthält als Bonus die Bechet Quartett-Session für Blue Note (mit Teddy Bunn) und eine Solo-Session von Bunn.
Aber man kann wohl durchaus auch mit irgendwelchen Compilation LPs einsteigen, hab mir selber neulich grad ein paar davon gekauft, es gibt manches mit RCA-Tracks und noch mehr aus der späteren Zeit in Frankreich. Nachdem die Bands von Claude Luter und ein paar anderen einige Jahre mit Bechet gespielt hatten, sind sie ganz gut geworden. Da gäb’s auch eine Jazz in Paris CD („Sidney Bechet et Claude Luter“, Jazz in Paris #22), die wohl einfach zu finden sein sollte.Und noch was: auf den frühen Sessions mit Louis Armstrong ist es wohl Bechet, der den jungen Satchmo übertrifft. Sein Rhythmus, der Fluss seiner Ideen ist unglaublich! Aber er war ja auch ein paar – damals vermutlich entscheidende – Jahre älter als Armstrong.
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Die Boogie – Pianisten und Higginbotham müssen aber wohl noch was warten,
denn erst ist Bechet dran.
Wenn es im Jazz so richtig bluesig wird, so liebe ich den Jazz wohl am meisten. Einfach wunderbar was die alten Meister da gezaubert haben.--
life is a dream[/SIZE] -
Schlagwörter: New Orleans Jazz, Sidney Bechet
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