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Travis BickleZusammengefasst lautet demnach Deine Einschätzung wie folgt:
„Die Rapper sind die Sprachrohre und Verstärker bildungsferner Schichten mit geringem Einkommen und nicht vorhandenen gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten, deren männlicher Teil in manchen Fällen frustrationsbedingt zu aggressiven Verhalten neigt„
Ääh, nein … Wie kommst Du denn darauf?
Du zitierst aus dem Zusammenhang. Das finde ich etwas unangenehm, weil Du mir damit Dinge in den Mund legst, die ich so nicht gesagt habe.
Ein nur oberflächlicher Blick in die Biographie so manchen Gangster-Rappers lässt einiges von dessen sozialer Herkunft erkennen. Nehmen wir doch bloß mal den hier erwähnten Bushido, auch wenn das tatsächlich etwas off topic führt. Ich sage es mal so: Wen wundert es, dass auf diesem sozialen Humus keine zarten Blümchen blühen? Ich vermute, dass es in einem Land wie Jamaika, dass unter enormen wirtschaftlichen und sozialen Problemen leidet, ähnliche Probleme und ähnliche Auswüchse gibt. Ist doch bloß so ein Erklärungsversuch von mir und soll keineswegs einen Legitimationsversuch darstellen.
Travis BickleHast Du Dich je mit Rap auseinandergesetzt ? Vielleicht kannst Du Deine Erfahrungen hier schildern, sonst werden wir in diesem thread schnell off-topic.
Bin kein ausgesprochener Rap-Fan. Aber meine erste Hip Hop-Platte war 1983 (oder so) eine 12″-Single von Grandmaster Flash. Hieß wohl THE MESSAGE und steht bei mir immer noch im Plattenschrank.
Friedrich
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)Highlights von Rolling-Stone.deRobert Miles und „Children“: Sanfte Rettung vor dem Auto-Tod
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WerbungTravis Bickle@just me: ich habe keine Zeit Dein ganzes posting zu lesen, aber wenn sich Rap auf Deiner kulturellen Landkarte nur in Berlin abspielt, macht eine Diskussion wenig Sinn.
es geht hier um
Homophobie
siehe:
Homophobie – Wikipediaund um
Reggae
siehe:
Reggae – Wikipediawas ich nebenher und kurz dazu bemerkte war eigentlich nur:
“ man sollte auch vor seiner eigenen Haustüre kehren „--
Wird hier grade gemerged und Dancehall/Reggae MCs (oder Sänger, was auch immer man sagt) mit HipHop MCs gleichgesetzt? Travis B, aus deinem obigen Posting wurd mir das nicht recht klar. Ich glaub hier muss unbedingt differenziert werden. Wundert mich eh, wie man von Homophobie im Reggae zu Bushido und den Biographien von Gangsta-Rappern kommt.
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i bleed green[/I][/SIZE] [/FONT]Jay.Wird hier grade gemerged und Dancehall/Reggae MCs (oder Sänger, was auch immer man sagt) mit HipHop MCs gleichgesetzt? Travis B, aus deinem obigen Posting wurd mir das nicht recht klar. Ich glaub hier muss unbedingt differenziert werden. Wundert mich eh, wie man von Homophobie im Reggae zu Bushido und den Biographien von Gangsta-Rappern kommt.
Wundert mich auch. Daher habe ich auch vorgeschlagen die Diskussion in einen anderen, bereits existierenden thread zu verlegen.
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When shit hit the fan, is you still a fan?Wir sind Pop – jetzt.de
falls es jemand interessierthier ein Artikel aus der gestrigen Süddeutschen
( Hassprediger, Innovator – oder beides zugleich ? Der jamaikanische Dancehall-Star Beenie Man auf dem Montreux Jazz Festival ….
diese Bild fehlt allerdings in dem Artikel )--
just meWir sind Pop – jetzt.de
falls es jemand interessierthier ein Artikel aus der gestrigen Süddeutschen
Da die SZ Kohle sehen will für ihre alten Artikel, hier das Dingen noch mal kostenfrei (original pirate material, aight!):
Donnerstag, 24. Juli 2008
Wir sind Pop
Popmusik steckt voller Widersprüche – warum tun wir uns so schwer damit, sie auszuhalten?
Das Prozedere hat inzwischen etwas Routiniertes. Ende August werden beim größten Deutschen Reggae-Festival, dem Chiemsee-Summer-Reggae, unter anderem die jamaikanischen Dancehall-Stars Beenie Man und Sizzla auftreten. Oder zumindest haben Sie das vor – denn eigentlich dürfen beide wegen ihrer zum Teil offen homophoben Texte nicht mehr in die EU einreisen. Deutsche und britische Schwulenverbände setzten bei den Innenministerien Einreiseverbote durch. Bisher kam es aber nur in wenigen Fällen tatsächlich zur Verweigerung der Einreise für die Jamaikaner. Sollten Sizzla und Beenie Man am Chiemsee auftreten, was sehr wahrscheinlich ist, dann wird es im Umfeld des Festivals, wie immer, Proteste von Schwulenverbänden geben, worum sich die Reggae-Fans, wie immer nicht viel scheren werden. Es wird im Netz wieder etliche Gefechte geben, in denen sich die Kontrahenten wechselseitig als homophob beziehungsweise kulturimperialistisch beschimpfen.
Dass jamaikanische Musik, vor allem in ihrer rauen Variante, dem Dancehall, ein Problem mit Homosexuellen hat, ist kein Geheimnis. Zwar ist der Großteil der Songs einfach Partymusik, in der das gute Leben und die süße Liebe besungen werden, zwar gibt es auch etliche sozialkritische Tunes; viele namhafte Dancehall-MCs aber haben auch Songs im Programm, in denen unverhohlen zur Gewalt gegen Schwule aufgefordert wird. Das ist die eine Seite der Wahrheit.
Die andere ist, dass Dancehall-Musik oft einfach sehr gut ist. Dancehall ist eine elektronische Weiterentwicklung des Reggae. Über einem stolpernden und scheppernden Offbeatgerüst, und mächtig grollenden Bässen „toasten“ die MCs ihren monotonen Sprechgesang, meist mit tief verstellter Stimme, was den Breitseiten-Effekt der Musik noch verstärkt.
Diese beiden Seiten stehen sich unversöhnt gegenüber: Der Sound von Dancehall ist innovativ und fordernd – die Texte aber versteht man meist lieber nicht. Das eigentlich Erstaunliche aber ist, dass so gut wie niemand bereit ist, sich diesem Widerspruch auszusetzen. Dass die Schwulenverbände sich nicht groß um die musikalischen Qualitäten von Dancehall kümmern, ist zu verstehen. Wieso sollte man etwas gut finden, das zur Vernichtung der eigenen Existenz aufruft? Und auch die Gegenseite bemüht sich nicht um Dialektik. Erscheint irgendwo ein kritischer Beitrag zum Thema Homophobie und Dancehall, schleift er im Netz bald einen Rattenschwanz von Kommentaren nach sich, in denen postcolonial-studies-erfahrene Reggae-Fans zu erklären versuchen, dass es sich bei den Hasstiraden nur um ein Beispiel der typisch afrikanischen „uneigentlichen Rede“ handle, dass also alles nicht so gemeint sei, dass Jamaika eine allgemein hohe Kriminalität habe, mit der die vielen Schwulenmorde auf der Insel quasi verrechnet werden müssten. Die negative Seite der favorisierten Musik wird zwanghaft ausgeblendet.
Diese Immunisierungsstrategie ist auch in der gehobenen Popberichterstattung zu beobachten. In ihrer Sommerausgabe widmet sich die Zeitschrift Spex, einst die wichtigste deutsche Stimme der anspruchsvollen Poprezeption, dem Thema Reggae. Da dieser hierzulande von der Kritik tatsächlich zu wenig beachtet wird (was übrigens im eklatanten Widerspruch zur Popularität dieser Musik steht), ist ein löbliches Unterfangen. In der Einleitung zum Feature wird entsprechend gemutmaßt, dass die altbekannte Homophobie einiger weniger jamaikanischer „Hassprediger“ den Medien hierzulande als Vorwand diene, sich mit den musikalischen Errungenschaften Jamaikas nicht auseinandersetzen zu müssen. Das ist plausibel. Auf den folgenden 15 Seiten werden dann aber nur diese unanzweifelbaren musikalischen Errungenschaften diskutiert – mit keinem Wort aber die zum Teil vorhandene (und für das System Dancehall sehr wichtige) Gewalttätigkeit der Texte. Als wäre der Widerspruch, dass etwas gut und schlimm zugleich ist, nicht zu ertragen.
Das freilich ist im Pop keine Seltenheit. Anfang und Mitte der neunziger Jahre etwa war es der Gangster-Rap der US-Westküste, der auf höchst irritierende Weise musikalische Innovation mit frauenverachtenden und gewaltverherrlichenden Texten verband. Frauenverachtend und gewaltverherrlichend ist Gangster-Rap noch immer, homophob obendrein. Erst vor kurzem meinte der Berliner Obergangster Bushido, seinem Kontrahenten Sido endgültig den Garaus zu machen, indem er ihn via Youtube als angeblich schwul outete („ich habe ja nichts gegen Schwule, aber rappen sollen sie nicht“). Was sich geändert hat, ist, dass dem Gangster-Rap die musikalische Innovationskraft abhanden kam – der Widerspruch löste sich zum Schlechten hin auf. Dafür ist es heute etwa der energetische Baile Funk, eine schnelle, elektronische und sehr basslastige Hip-Hop-Variante aus Brasilien, die einen mit der unschönen Tatsache konfrontiert, dass die Musik, von der entscheidende Innovationsimpulse ausgehen könnten, mit schwer sexistischen Texten unterlegt ist.
Es wäre freilich sehr einseitig, das Phänomen der Widersprüche im Pop lediglich auf die verschiedenen Derivate der „Black Music“ zu beschränken. Die Punk-Szene hatte immer ein erhebliches Problem damit, dass einer ihrer Helden, der genial schrammelnde Johnny Ramone, Gründungsmitglied der Ramones, politisch stramm konservativ war. Ein aktueller Fall ist der Blues-Hip-Hop-Borderliner Beck. Seit vor drei Jahren bekannt wurde, dass er eine gar nicht mal so kleine Nummer bei Scientology ist, lastet ein schweres Gewicht auf seiner Person. Wie kann es sein, dass jemand, der so offene und eigenwillige Musik macht, sich freiwillig einer Sekte unterwirft? Die Taz versuchte anlässlich von Becks neuem Album, diesen Widerspruch apriorisch herauszurechnen: „Religion und musikalisches Genie schließen sich, wie man quer durch die Popgeschichte sehen kann, grundsätzlich aus.“ Hier liegt die Immunisierung in Reinform vor: Pop (gut) darf mit Religion (suspekt) nichts zu tun haben. Das Problem ist nicht nur, dass es so viele Beispiele religiöser Pop-Genies (etwas Bob Marley) gibt – dieser Satz ist auch deshalb problematisch, weil Beck schon immer Scientologe war, also auch bei den Aufnahmen seiner längst kanonisierten frühen Alben.
Es gab Zeiten, da leugnete Pop seine Widersprüche nicht, da wurden diese beinahe lustvoll betont. Ein Großteil der intellektuellen und per se linken Poprezeption der achtziger Jahre arbeitete sich am „Hauptwiderspruch“ von Pop ab – wie kann etwas, das Ware und folglich Produkt des Kapitalismus ist, trotzdem das herrschende System subvertieren? So zeitlos relevant diese Frage ist – ideengeschichtlich scheint sie leider nicht die überzeugendste Herangehensweise an Pop gewesen zu sein. Die vielen popinternen Widersprüche werden heute fast immer ausgeblendet, und zwar, indem sich die Rezipienten auf eine der beiden Seiten schlagen und ein Phänomen entweder bedingungslos gut oder bedingungslos schlecht finden.
In diesem Punkt unterscheidet sich Pop grundlegend von anderen Kulturphänomenen. In Literatur und Philosophie hat man sich damit abgefunden, dass Autoren zwar politisch verdächtig (wie Martin Heidegger) oder gar stramm antisemitisch (wie Louis-Ferdinand Céline) sein, ihre Werke aber dennoch Qualität haben können.
Die Frage ist freilich, wieso Pop derartige Trennungslinien, etwa zwischen Musiker und Musik, zwischen Pop als Ware und Pop als Kritik oder zwischen Text und Sound, so ungern zulässt. Die Antwort könnte sein, dass er eben doch grundlegend anders funktioniert als andere Kultursparten. Soziologisch betrachtet suggeriert Pop die volle Inklusion in ein System, man geht darin auf. Ein Buch wird einfach nur gelesen, man übernimmt vielleicht einige Gedanken – aber man lebt es nicht (oder zumindest wird es enorm albern, wenn man es versucht).
Das Modell Pop war dagegen in den letzten 50 Jahren wohl auch deshalb so erfolgreich, weil es in einer komplexen Welt einfach verfügbare Individuationsmodelle bot. Natürlich kann man Reggae auch nur einfach hören, mitsummen und nachher wieder ausschalten. Es gibt aber eben auch die Möglichkeit, sich in ein dichtes Referenznetz zu begeben, in dem die Musik nur ein Teil ist neben sozialen Kontakten, Überzeugungen und präferiertem Freizeitverhalten. Hier eine Trennungslinie einzuziehen, hieße, direkt durch den eigenen Lebensentwurf hindurch zu schneiden, sich von dem zu distanzieren, was man eigentlich ist. Pop will einfacher rezipiert werden, als er eigentlich ist.
PAUL-PHILIPP HANSKE
CassavetesDa die SZ Kohle sehen will für ihre alten Artikel, hier das Dingen noch mal kostenfrei (original pirate material, aight!):
ich editiere das jetzt mal und gebe dir den Text der in den Forumsregeln steht:
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( wurde zwar nur von einem „Moderator“ eingetippt, scheint aber rechtsgültig zu sein )
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Das heißt im Klartext: Du bist nicht berechtigt diesen Artikel in voller Länge einzutippen
( ich würde dir anraten den Text zu verkürzen )
das selbe gilt auch für „Songtexte“; sollte diese Information falsch sein, bitte ich darum mich zu berichtigen
sollte diese Information „richtig“ sein müssen wir auch Songtexte verkürzen--
Am vergangenen Freitag kam auf arte ein „tracks“-Special zum Thema „Männlichkeit“. Angerissen wurde in einem Kurzbeitrag auch die Homophobie bei Reggae/Dancehall-Künstlern. Gentleman, der einen Track mit Sizzla aufgenommen hat („Lack of love“), hinterließ beim Interview einen ziemlich naiven Eindruck und leugnete derartige Tendenzen. War ziemlich peinlich.
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Wake up! It`s t-shirt weather.Eigentlich finde ich diesen ganzen Thread und die sehr deutsche Diskussion zum Kotzen, nichtsdestotrotz hier mal ein älterer Artikel zum Thema aus der RIDDIM (Sommer 2004):
Öl ins Feuer giessen
Homophobie – Eine politische IdeeText von Hélène Lee
Die französische Journalistin und Buchautorin von „Der erste Rasta“ mit gewagten Thesen über den Zusammenhang von homophoben Dancehall-Lyrics und Politik: Edward Seaga, Koksdealer, Studiobesitzer, Knastkultur, Bobo-Artists und „Fire Pon Chi Chi Man“ während der Amtszeit eines angeblich schwulen Premierministers.
Dass Homosexualität in Jamaika verdammt wird, ist nichts neues. Das war schon immer so, genau wie „Unzucht“ und andere „Abscheulichkeiten und Schweinereien“ verdammt werden – Jamaika ist Bibelland. In den 70er Jahren war diese Verurteilung noch eher milde und konnte nicht als „Homophobie“ bezeichnet werden. Wie überall auf der Welt, wurden die üblichen Witze darüber gemacht, worin sich aber eher ein leichtes Unbehagen gegenüber der „Differenz“ ausdrückte. Jamaikanische Männer sind tollwütige „punanny“ Liebhaber und Babymacher. Da macht Homosexualität einfach keinen Sinn.
Doch die Dinge änderten sich wie so vieles in den 80er Jahren. Den Anfang machte die Politik. Das Ende der 70er Jahre war gleichzeitig auch das Ende eines Traums. Es war die Zeit, als Jamaikas Vision von einem „dritten Weg“ radikal zerstört wurde, als die kleine Insel in der Sonne zum Schlachtfeld für Castro und dem CIA wurde. Als der Wunschkandidat des CIA, Edward Seaga, in den 80ern an die Macht kam, wurden Rastas von den Kampftruppen seiner politischen Partei gejagt, ihre Camps wurden zerstört. Hunderte von Roots-Künstlern waren gezwungen Zuflucht in den USA oder England zu suchen. Wer blieb, tat dies auf eigene Gefahr. Am 27. August 1983 wurde der radikale Dub Poet Michael Smith von einer Gang politischer Thugs zu Tode gesteinigt. Einen Tag zuvor hatte er eine Rede bei einer politischen Versammlung gegen die Regierung gehalten.
Daher ist es kein „Zufall“, dass sich in Jamaika die Inhalte des musikalischen Outputs zu Beginn der 80er auffällig veränderten. Der Journalist und Dub Poet Linton Kwesi Johnson beobachtete, dass Produzenten, Medien und Regierung slackness bewusst ins Zentrum rückten und conscious Artists verdrängten, die mehrheitlich die Vision des „dritten Weges“ von Michael Manley, dem besiegten Kopf der PNP, unterstützt hatten. Als ich Shabba Ranks interviewte, der für das slackness Album „As Raw As Ever“ einen Grammy gewonnen hatte, sagte ich ihm, dass ich nicht von ihm erwartet hätte, dass er sich über Gott oder seine Mutter auslässt. Shabba antwortete: „Ich habe mir slackness nicht ausgesucht. Jahrelang habe ich cultural Songs gemacht, doch keiner wollte sie hören. Nun werde ich slack und bekomme dafür einen Grammy. Nicht ich bin sexbesessen. Die Medien sind es! Du bist es!“Mir fällt auf, dass Bob Marley niemals mit einem Grammy ausgezeichnet wurde, Shabba „Mr. Loverman“ Ranks war der erste Reggae-Künstler, der einen bekommen hat.
In den 80er Jahren veränderten sich auch die Machtstrukturen der Ghettos. Seitdem der CIA-Freund Edward Seaga an der Macht war, mussten die Area Dons der besiegten PNP Schutz suchen oder in ihren abgeschotteten Enklaven bleiben und verhungern. Einige konnten in die USA oder nach England auswandern, wo sie bald darauf den Ganja-Handel kontrollierten. Doch nicht nur die Kampftruppen der PNP wanderten aus. Auch die JLP musste ihre gefürchteten Gunmen loswerden, da die Polizei und Armee jetzt die Aufgabe übernehmen konnte, Jugendliche und Rastas zu unterdrücken. Auch die Gunmen der JLP stiegen im Ausland ins Drogengeschäft ein. Drogengelder wurden mit Immobilien, Autovermietung und in der Gastronomie gewaschen, aber hauptsächlich im Musikgeschäft. Viele neue Studios wurden mit Geldern aus dem Ganja-Handel finanziert, die bald durch Einnahmen aus dem Kokaingeschäft erweitert wurden. Auf dem Höhepunkt des Kokainbooms, als die Shower Posse Miami terrorisierte, fand ein Wirtschaftswissenschaftler heraus, dass im Durchschnitt alle drei Monate Equipment für ein komplettes Studio, das mit gewaschenem Geld finanziert wurde, nach Jamaika verschifft wurde! Die Produzenten dieser Studios versorgten die jungen Gunmen, die Geld genug hatten Platten zu kaufen und Sound Systems aufzubauen: Gun & slackness tunes wurden die Norm, machten den Weg frei für die „bling bling“ Kultur – Goldketten, Handys, rosafarbene Lexus-Modelle und kaum bedeckte „punannies“.
1989 verlor Edward Seaga die Wahl gegen seinen Erzfeind Michael Manley, der bald wegen einem Krebsleiden sein Amt niederlegen musste. Am 30. März 1992 wurde er durch einen jungen, schwarzen Anwalt ersetzt – dem ersten schwarzen Premierminister Jamaikas –, der am längsten an der Macht bleiben sollte: P.J. Patterson, der noch heute im Amt ist.
Es kursieren Gerüchte, dass P.J. Patterson homosexuell sei. Er hat es niemals zugegeben und genau so gut könnte es eine Erfindung seiner Gegner sein, um seinen Ruf zu ruinieren. So überrascht es nicht, dass homophobe Songs zu florieren begannen, kurz nach dem er im Juli 1992 an die Macht gekommen war. Genau in diesem Monat explodierte das Ganze mit Buju Bantons „Boom Bye Bye“, in dem es heißt, dass man Homosexuelle nur durch Kopfschüsse loswerden kann. Homophobie war geboren. Kann der exakte Zusammenfall dieser Ereignisse Zufall sein?
Was ist mit Bujus Behauptung, das Stück sei eine Reaktion auf eine Vergewaltigung eines Schülers durch seinen Lehrer? Es könnte so gewesen sein, aber diese Art von Vergewaltigung findet sonst eigentlich eher im Gefängnis statt – und sie wird nicht von Homosexuellen begannen, sondern von Insassen, nicht so sehr aus Frust, sondern zur Machtdemonstration. Gewalt bestimmt (wie in den meisten Ländern, aber in Jamaika ganz besonders) die Gefängniskultur. Die soziale Struktur des Ghettos setzt sich in den überfüllten Zellen fort. Junge Rebellen werden von Thugs „gebrochen“ und die größte Erniedrigung ist sich zu „beugen“, den homosexuellen Akt zulassen zu müssen. 1992, unter der Regierung der PNP und zu der Zeit, als die Shower Posse and andere Gangs sich auf der Höhe ihrer Macht befanden, waren die jamaikanischen Gefängnisse voll von JLP- und Kokain-Gunmen. Der langjährige JLP-Gunman Vivian Blake, der unter dem Namen seines Sohnes Duane schreibt, verneint in seinem Buch „Shower Posse“ die Verbindungen seiner Gang zu Edward Seaga und der JLP (siehe Riddim 02/04). Doch viele Informanten haben das Gegenteil ausgesagt, und betont, dass Jim Brown – der Anführer der Shower Posse – Seagas persönlicher Bodyguard war. Dass Jim Browns „Hinrichtung“, während er im Gefängnis auf seine Auslieferung in die USA wartete, von der JLP angeordnet wurde, gilt inzwischen auch als Fakt. Sie konnte nicht zulassen, dass ihr Top Gunmen über seine Verbindungen zur Partei aussagt. Durch die von den harten Jungs der Opposition geäußerten Vergewaltigungsandrohungen in Gefängnissen verstärkte sich die krankhafte Angst – Phobie – vor Homosexualität zu einer Zeit, als Gerüchte die Runde machten, ein Homosexueller regiere das Land. Es ist bezeichnend, dass das Schimpfwort battyman sich nicht – oder weniger – auf den „männlichen“ Partner bezieht: Er ist nicht derjenige, der sich „beugt“; er wird gefürchtet, aber er wird nicht verachtet, er kann wieder auf die Straße zurückkehren und seine Macht behaupten.
Das Ganze spitzte sich 2001 zu, als der von allen Seiten beworbene Hit von T.O.K., „Chi Chi Man“, veröffentlicht wurde. T.O.K. waren nicht sonderlich beliebt in Jamaika, das Boygroup-Prinzip kann sich nicht auf der Straße behaupten. Doch eine starke finanzielle Rückendeckung erlaubte es ihnen, sich in der internationalen Dancehall-Szene einen Namen zu machen. Als sie außerhalb Jamaikas etabliert waren, brachten auch jamaikanische Radiosender das Stück in die Charts. Obwohl „Boom Bye Bye“ seit zehn Jahren auf dem Markt war, hatte der homophobe Vibe nicht die hysterischen Ausmaße angenommen wie nach „Chi Chi Man“.
Ich erinnere mich daran, wie ich im gleichen Jahr in einem Bus die Windward Road lang fuhr – die lange verlassene Avenue, die parallel zur Küste Richtung Rockfort läuft. Eine Gruppe junger Männer stieg irgendwo in der Nähe des Bellevue Hospitals zu und machte sich im Durchgang breit. Sie tauschten lauthals Kommentare über Homosexualität und „battymen“ aus. Witze, Beleidigungen, schreckliche Details sexueller Verbrechen, die jene angeblich begangen haben. Mir wurde plötzlich bewusst, dass diese Szene etwas gezwungenes, unnatürliches hatte. Alle anderen saßen regungslos im Bus und sahen besorgt aus – und mir wurde klar, dass sie nicht besorgt darüber waren, was ihnen zu Ohren kam, sondern allein wegen der Anwesenheit der sechs Kids. Das waren toughe Jungs vom ärmsten Schlag, unterernährt, und mit ihren gefälschten Goldketten und billigen, gebleichten Frisuren versuchten sie auf hart zu machen. Der Typ, der sich von „Politikern“ für ein Stück Brot kaufen lässt. Der für ein paar Dollar tötet.
Politisch gewollte Homophobie schien eine Realität zu sein. Ein paar Monate später wurden meine Beobachtungen bestätigt, die JLP nahm den Song „Chi Chi Man“ für ihre Wahlkampagne. Während böse Zungen das Gerücht der „Homosexualität“ des Gegners verbreiteten, wurde viel Lärm um Seagas neu geborenen Sohn gemacht – mit 72, der Top Don hat es immer noch drauf! Patterson reagierte mit einem Wahlplakat, dass ihn mit seiner jüngsten Enkelin auf dem Schoß zeigt.
Die traurigste Entwicklung des Ganzen war jedoch die Befürwortung von Homophobie durch die Bobo Ashanti. Die Geschichte dieser Rasta-Gruppe muss erst noch geschrieben werden, aber es ist eine traurige Geschichte. Die Bobos oder Emmanuelites (ihr alter Name) waren die ärmste Rasta Community, sie wurden ignoriert und mit Füßen getreten. Seit Jahrzehnten wurde die Gruppe von einer Müllkippe zur nächsten gescheucht, bis sie sich schließlich „zehn Meilen vor der Stadt“ niedergelassen hat – so wie es Marcus Garvey prophezeite. In den Hügeln von Bull Bay haben sie endlich einen Ort gefunden, den sie ihr eigen nennen können, wo sie eine wundervolle (wenn auch widersprüchliche) Kultur entwickelt haben. Trotz Entbehrungen ist es ihnen gelungen ihre Unabhängigkeit und Würde zu wahren, wodurch Ende der 80er Jahre eine verzweifelte Ghetto Youth auf sie aufmerksam wurde. Eigentlich war die ursprüngliche Community nach dem Tod von Prince Emmanuel auseinandergebrochen, da sein Sohn Jesus nicht als Führer anerkannt wurde. Die Bewegung war gespalten. Fraktion gegen Fraktion, beating & burning. Prince Emmanuel war ein weiser, alter Mann, der Teil der Back-To-Africa-Bewegung gewesen war, unter Gelehrten und Intellektuellen verkehrte und sich nie an die Politiker, die ihn über Jahre schikanierten, verkaufte. Doch seine Adjutanten hatten einen sehr begrenzten Horizont – sie waren in einer festzusammengeschweißten Community aufgewachsen, wo Besucher nicht willkommen waren, und selbst wenn sie über die Insel reisten, um ihre Besen zu verkaufen, war es nicht gewünscht, dass sie mit der „anderen“ Welt Kontakt aufnahmen. Einige versuchten ihre Kinder in die Schule zu schicken, aber Rasta-Kindern war der Zutritt verwährt – und sie konnten es sich im Gegensatz zu „Uptown“-Rastas natürlich nicht leisten einen Anwalt einzuschalten. Als homophobe Songs populär wurden, konnten sie der Versuchung nicht widerstehen, Homosexuelle zu Sündenböcken zu machen. Dieser Gedanke stand im Einklang mit ihrer biblischen Erziehung, mit ihrer Besessenheit von Regeln und „Reinheit“, mit ihrem Konzept vom weißen Übel und der pervertierten babylonischen Kultur. Die wütenden Kids aus den Ghettos übernahmen ihre Kultur, ihre Kopfbedeckung, gewickelte Turbane, und kurze darauf florierte die „fire bun“ Kultur.
Hatte irgendeiner von ihnen eine Ahnung von dem politischen Einfluss ihrer Songs? Wahrscheinlich nicht. Wurden sie manipuliert oder für ihre Aufnahmen bezahlt? Nicht dass ich wüsste. Man könnte die Rolle von Rita Marley infrage stellen, die in der Nähe der Bobo Community wohnte (ihr Mann hatte ihr ein Haus in Bull Bay gesichert, als er noch eng mit dem PNP Wohnungsbauminister befreundet war). Sie wurde zur Retterin der Bobos, als deren Dorf von einem Hurrikan zerstört wurde und hatte seitdem ein Mitbestimmungsrecht in der Kommune. Als ehemalige Sonntagsschullehrerin sah sie sich wahrscheinlich nicht genötigt, das Recht zu verteidigen, sexuelle Neigungen selbst zu bestimmen. Seit dem Tod von Bob hat sie das JLP-Spiel mitgemacht, ist mit den Tuff Gong Studios in JLP-Gebiet umgezogen und könnte sehr wohl homophobe Ansichten gebilligt haben, etwas, was Bob in seinem ganzen Leben nicht getan hat (wahrscheinlich rotierte er im Grab, als sein Erzfeind Seaga, von dem er glaubte, dass er 1976 den Anschlag auf ihn angeordnet hatte, bei seiner Beerdigung eine Rede hielt…).
Durch die Befürwortung der Bobos hatte Homophobie nun auch einen „mystischen“ Status, der Tausende in „fire“ Ekstase zu den Konzerten der Sizzlas, Capletons und anderen trieb. Nun musste man einen „battyman“ Song schreiben, um zu beweisen, dass man selbst keiner war und sich der „fire bun“ Begeisterung bei eigenen Auftritt sicher sein konnte. Beenie Man und Sizzla, beide mit einem starken PNP-Hintergrund, schlossen sich dem Kampf an. Wieder einmal geriet der politische Inhalt ins Abseits, wie schon damals, als die politischen Dons auf Kokain umstiegen, als aus politischen Bürgerwehren Posses wurden: Jeder wollte dabei sein. Dort war die Macht. Die Popularität von Homophobie hat ihre Wurzeln in der Ignoranz, in urbanem Terrorismus, in Misshandlungen in Gefängnissen. Wie jeder jamaikanische Fluch, hat er sich auf beiden politischen Seiten breit gemacht. Alle Sufferer sollten leiden, um die Reichen reicher zu machen.
In der Zwischenzeit gab es in Jamaika Fälle von „homo bashing“, die so manchen Schwulen ins Krankenhaus brachte (wenn jemand dabei ums Leben kam, wagte niemand zu fragen warum, die Tat wurde unter der jamaikanischen „drei Morde am Tag“-Routine verbucht). Nachdem sie Beweise für zahlreiche Angriffe erbringen konnten, suchten zwei jamaikanische Schwule in England Asyl, was ihnen auch gewährt wurde.
Obwohl die internationale Kampagne gegen Homophobie in der Dancehall für den Durchschnittsjamaikaner nicht ganz nachvollziehbar ist, hat sie die Diskussion endlich eröffnet, jetzt wagen es auch diejenigen, die von je her Morde verurteilen, ihre Stimmen zu erheben. In naher Zukunft wird P.J. Patterson aufgrund seines Alters aus dem Amt scheiden, mit drei Regierungsperioden als Premierminister hat er bewiesen, dass jamaikanische Kultur doch gar nicht so homophob ist, doch jamaikanische Politiker werden sicherlich einen neuen Vorwand für Hass und Blutbäder finden. Keine Sorge.
CassavetesEigentlich finde ich diesen ganzen Thread und die sehr deutsche Diskussion zum Kotzen, nichtsdestotrotz hier mal ein älterer Artikel zum Thema aus der RIDDIM (Sommer 2004):
Vorsicht, die Diskussion wurde am heftigsten im UK geführt und hat offensichtlich – wie der Artikel berichtet – auch auf Jamaika übergegriffen. Das ist auf gar keinen Fall eine rein oder typisch deutsche Diskussion.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.nail75Vorsicht, die Diskussion wurde am heftigsten im UK geführt
Vom unerträglichen Tatchell losgetreten, ich weiß. Volker Beck steht ihm aber mittlerweile in Sachen Penetranz in fast nichts mehr nach. Ich meine, Einreiseverbot für Bounty Killer und die Schengen-Keule – geht’s noch?
Mit der „Deutschhaftigkeit“ meinte ich, daß sich hier im Thread alle mal kurz reflexartig angewidert und empört zeigen, und dann war es das auch schon wieder mit der Diskussion. Mit Fakten, Ursachen, Hintergründen etc. wird sich gar nicht erst beschäftigt.CassavetesVom unerträglichen Tatchell losgetreten, ich weiß. Volker Beck steht ihm aber mittlerweile in Sachen Penetranz in fast nichts mehr nach. Ich meine, Einreiseverbot für Bounty Killer und die Schengen-Keule – geht’s noch?
Mit der „Deutschhaftigkeit“ meinte ich, daß sich hier im Thread alle mal kurz reflexartig angewidert und empört zeigen, und dann war es das auch schon wieder mit der Diskussion. Mit Fakten, Ursachen, Hintergründen etc. wird sich gar nicht erst beschäftigt.Ich finde Deine Äußerungen enttäuschend. Jemanden wie Volker Beck, der seit Jahren engagiert und unter Einsatz seiner Gesundheit für die Rechte von Homosexuellen kämpft, so blöde abzuwatschen, ärgert mich sehr. Abgesehen davon verstehe ich es nicht, wieso Leute, die zur Ermordung von Schwulen aufrufen (mindestens aber zu Gewalt) hierzulande auftreten und ihre Hasstiraden verbreiten sollten. Warum sollte man es ihnen nicht verbieten? Meinungsfreiheit gilt jedenfalls nicht für die Verbreitung von Hetzparolen – das ist eigentlich selbstverständlich, auch wenn die Grenzen oft schwer zu ziehen sind.
Die Ursachen für diesen homophoben Wahn liegen zweifellos nicht in Deutschland, aber wenn Peter Tatchell eine Diskussion im Jamaika angestoßen hat, dann ist das doch ein Zeichen dafür, dass die Diskussion offensichtlich in Jamaika nicht aus eigenen Antrieb in Gang kommen konnte. Das allein ist doch schon sehr erfreulich – und auch bedauerlich zugleich. Dass die Ursachen dieser gewalttätigen Homophobie komplex sind, ist ja unbestritten, aber darin sehe ich keinen Grund, mich deren Äußerungen gegenüber gnädiger zu zeigen. Letztlich interessiert mich Reggae und Dancehall und jamaikanische Musik auch nicht so sehr, dass ich mich im Augenblick damit näher beschäftigen würde. Es ist schön, dass Du einen interessanten Artikel über die Ursachen dieser Entwicklung gepostet hast, aber dass nicht jeder sich mit Jamaika beschäftigen kann, ist auch klar. Aber wir können darüber entscheiden, ob Künstler in Deutschland auftreten sollten, die zum Mord an Schwulen aufrufen.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.@ nail
Daß Schwule zu diskriminieren, dumm ist und es nicht gerade für die Jamaikaner spricht, wenn sie sich einen Dancehall-Freizeitspaß daraus machen, Abfälliges über den battyman zu reimen, dürfte eigentlich klar sein. Das bitte nur mal fürs Protokoll.
Ich möchte mir jedoch von einem Volker Beck, der in seinem ganzen Leben keine zehn Minuten Dancehall-Musik gehört hat, erstens nicht die jamaikanische Gesellschaft erklären und zweitens nicht sagen lassen müssen, was ich hören darf und was nicht (vgl. hierzu Monika Griefahns Kampf gegen deutschen Rap mit gefaketen Zitaten Marke „Ich fick dich in die Urinblase“).
Die, die am lautesten schreien, haben in der Regel am wenigsten Ahnung von jamaikanischer Musik, und das ärgert mich an dieser Diskussion.
Zudem finde ich es extrem verlogen, wie sich die Wahrnehmung von früherem Reggae (als harmlose Feel-Good-Musik für die Grillparty oder den Nachmittag am Baggersee) zum heutigen Dancehall (extremistische Haßtiraden mit Schaum vor dem Mund und fieseste Mordaufforderungen am laufenden Band) schlagartig gewandelt hat.
Was war denn wohl früher mit dem herbeigesehnten Zusammenbruch Babylons gemeint, hm?
Rudeboy-Reggae war immer schon in höchstem Maße politisierte Musik, die Polizei, Kirche, Gesellschaft, Obrigkeit usw. ständig in den Lyrics angreift. Selbst bei Bob Marley haben damals schon (textlich) die Kirchen gebrannt, und dem Papst wurde sonstwas an den Hals gewünscht. Das gibt es nicht erst seit gestern.
Nur, warum zum Geier bei den Jamaikanern Schwule immer in einem Atemzug mit Polizisten, Priestern, Polizeispitzeln usw. genannt werden, wenn es darum geht, wem man das Fell über die Ohren zielen soll, das sollten wir uns mal fragen. Oder noch besser natürlich: die Jamaikaner würden sich das endlich mal selbst fragen. (Beenie Man hat sich dazu mal in einem Interview Gedanken gemacht. Natürlich fühlt er sich von den schwullesbischen Interessenverbänden zu Unrecht gebrandmarkt und verfolgt, denn seine Musik sei ja gar nicht schwulen- und lesbenfeindlich, sondern er prangere damit nur den Mißbrauch von Ghetto-Kindern und -Jugendlichen in seiner Heimat an. Zitat: „In Jamaika sind Schwule Vergewaltiger. Wohlhabende Männer gehen mit ihrem Geld in die Ghettos und holen sich dort diese jungen Kinder, die nichts besitzen. Und dann geben sie ihnen Geld und mißbrauchen sie. […] Bei uns im Jamaika ist es nicht so wie in England, wo zwei Männer zusammenleben.“ Was in seiner kruden Logik zumindest einigermaßen Sinn macht, denn dann sind es die Schwulen aus der Oberschicht, die in den Texten gekillt werden. Ich heiße das alles jetzt nicht gut, ich wollte nur mal einen Beitrag hier in den Thread stellen, der versucht, etwas Objektivität in die Sache zu bringen und auch die andere Seite beleuchtet, weil ich die Jamaikaner verstehen will statt sie nur aus meiner hohen Warte heraus zu verurteilen.)
Ich möchte jedenfalls als mündiger Bürger der Europäischen Union weiterhin Bounty Killer und die anderen üblichen Verdächtigen hören dürfen, wenn mir danach der Sinn steht und bin deshalb nicht gut auf Herrn Beck zu sprechen, wenn er mir dieses Recht nehmen möchte und deren Kunst kriminalisiert wird. Genauso wettere ich aber auch schon seit Jahren gegen die Bundesprüfstelle und das Prozedere der Indizierung, Beschlagnahmung etc. von Horrorfilmen, Computerspielen und Rap-CDs.Nachtrag:
Das alles hat doch nichts mit ein paar Fehlgeleiteten zu tun, die zufällig aus Jamaika kommen und Musik machen, sondern Schwulenhaß ist ein gesamtkaribisches Problem an sich. Das muß man doch mal sehen.
Jamaika ist eben nicht das problemfreie Paradies unter der Sonne aus dem Bilderbuch für weiße Sehnsuchtstouristen, sondern die Leute da schlagen ihre Kinder, treten ihre Hunde und hassen Schwule wie anderswo auch. Und das werden wir als Europäer auch nicht ändern, nur weil wir uns empören.
Wenn wir denen Auftrittsverbote erteilen und ihre CDs vom Markt nehmen, weil einer von 20 Songs darauf uns bedenklich erscheint, dann wird das eher eine „Jetzt erst recht“-Mentalität fördern, als daß es deshalb zu der Einsicht kommt: „Stimmt, gegen Schwule zu singen, war doof von mir. Der Deutsche hat Recht. Ich entschuldige mich.“ Sondern dann hauen die statt dessen hinterher nur noch mehr auf die Kacke und fühlen sich umso unverstandener von denen „da oben“ (in dem Fall: reiche weiße Westeuropäer), die sich in die Probleme der Rudeboys nicht hineindenken können.
Und wenn es selbst die PNP als nicht angemessene Einmischung ansieht, wenn international Kritik geäußert wird an der Menschenrechtslage und dann noch behauptet wird, daß Homophobie kein Problem im Land sei, oder (noch härter) daß eine vernünftige Schwulenrechtsbewegung die konservativen und sozialen Werte des jamaikanischen Volkes verletzen würde, dann ist das nichts, was man mit einem mal eben locker beschlossenen Verbot von Musik beheben könnte.
Ich bleibe somit dabei: Wer verbietet anstatt sich auseinanderzusetzen, macht es sich zu leicht. Deshalb Diskussion statt Verbot. In diesem, wie in jedem anderen Fall auch.Cassavetes (Beenie Man hat sich dazu mal in einem Interview Gedanken gemacht. Natürlich fühlt er sich von den schwullesbischen Interessenverbänden zu Unrecht gebrandmarkt und verfolgt, denn seine Musik sei ja gar nicht schwulen- und lesbenfeindlich, sondern er prangere damit nur den Mißbrauch von Ghetto-Kindern und -Jugendlichen in seiner Heimat an. Zitat: „In Jamaika sind Schwule Vergewaltiger. Wohlhabende Männer gehen mit ihrem Geld in die Ghettos und holen sich dort diese jungen Kinder, die nichts besitzen. Und dann geben sie ihnen Geld und mißbrauchen sie. […] Bei uns im Jamaika ist es nicht so wie in England, wo zwei Männer zusammenleben.“ Was in seiner kruden Logik zumindest einigermaßen Sinn macht, denn dann sind es die Schwulen aus der Oberschicht, die in den Texten gekillt werden. Ich heiße das alles jetzt nicht gut, ich wollte nur mal einen Beitrag hier in den Thread stellen, der versucht, etwas Objektivität in die Sache zu bringen und auch die andere Seite beleuchtet, weil ich die Jamaikaner verstehen will statt sie nur aus meiner hohen Warte heraus zu verurteilen.)
Diese Aussagen von Beenie Man erzeugen bei mir mit Sicherheit keine Objektivität, im Gegenteil, da bekomme ich erst recht einen Hals.
Es wird doch so dargestellt, als ob Schwule nichts anderes im Sinn hätten als kleine Jungs zu ficken. Und wer sich’s leisten kann, holt sie sich halt aus den Ghettos. Und was ist mit den anderen, die sich die kleinen Mädchen holen, das sind dann die „besseren Vergewaltiger“, oder wie? Weil sie einem natürlichen Trieb folgen im Gegensatz zu den perversen Schwulen?
Nö, objektiviert wird mit solchen Aussagen gar nichts.Homophobie ist sicherlich kein „karibisches“ Phänomen, sie ist hier auch noch schlimm genug. Erst im Dezember wurde das Denkmal für die ermordeten Homosexuellen im Dritten Reich wieder geschändet..
Und gerade deshalb muss man solchen Leuten mit ihren menschenverachtenden Textpassagen nicht auch noch eine Plattforum auf der Bühne bereiten, um diese verbreiten zu können.--
„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Goethe) "Allerhand Durcheinand #100, 04.06.2024, 22:00 Uhr https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/8993-240606-allerhand-durcheinand-102@Cassa: Danke für die ausführliche Antwort. Ich kann nicht auf jeden Aspekt eingehen, dafür bitte ich um Verständnis.
Es ist eine Sache, über die Homophobie in der jamaikanischen (oder gesamtkaribischen) Gesellschaft und die dortigen Zustände zu diskutieren, u.a. die Frage, wie viel diese Homophobie mit krassen Gegensätzen zwischen Reich und Arm zu tun hat. Dass Schwule und Pädophile dasselbe sind, ist jedoch eines der ältesten Vorurteile – und eines der unsinnigsten. Ich will das gar nicht vertiefen, denn ist es ist sicherlich richtig, dass wir die Probleme der karibischen Homophobie nicht über Nacht lösen können. Dass europäische Medien aber auch Debatten anstoßen können, ist ja oben belegt. Das geschieht sicherlich nicht zum Schaden Jamaikas.
Was uns aber etwas angeht, ist was hierzulande passiert. Man muss ja nicht gleich mit Verbot und Staatsanwalt drohen (obwohl das eine Option bleiben muss), aber diese Künstler, die es nach Europa geschafft haben, haben sich ja nach jamaikanischen Verhältnissen mindestens bescheidenen Wohlstand erworben. Am liebsten wäre es mir, wenn Konzertveranstalter ihnen klarmachten, dass sie diese Hass-Songs einfach aus ihrem Repertoire streichen würden – am liebsten dauerhaft, mindestens aber in Deutschland. Und Boykottaufrufe und öffentlicher Druck sind durchaus geeignete Mittel, um das zu erreichen. Was ich jedenfalls nicht akzeptieren kann und niemals akzeptieren werde sind Mordaufrufe an Schwulen in Liedern. Und dabei ist mir vollkommen gleichgültig, wie die entsprechende Person das gemeint hat, was sie für ein Leben hatte, ob sie sich durch Kritik ausgegrenzt fühlt und warum das möglicherweise in Jamaika ein diskutabler Vorschlag ist. Hier ist es jedenfalls keiner. Ich habe keine Hoffnung, dass diese Leute zu einem Umdenken in der Lage sind. Daher ist die einzige Lösung vermutlich die Leute hierzulande einfach nicht auftreten zu lassen bzw. deren CDs nicht mehr zu vertreiben. Ein solches Vorgehen wird nie lückenlos bleiben, aber man sollte durchaus ein Signal setzen, dass solche Äußerungen nicht ungestraft bleiben, denn schließlich ist Diskriminierung von Homosexuellen auch hierzulande ein Problem.
Wir bestehen ja ansonsten auch darauf, dass unsere Rechtsordnung Vorrang vor den kulturellen Eigenarten anderer haben soll, bzw. muss. Ich wüsste nicht, mit welcher Begründung man in diesem Fall eine Ausnahme rechtfertigen sollte.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum. -
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