The Chicago Sound

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    gypsy-tail-wind
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    Harvey Pekar über Von Freeman (JazzTimes Jan/Feb 2001)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #7451013  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Muhal Richard Abrams wird heute 80!

    Solo im Millenium Park, Chicago, IL – 2007-08-16

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #7451015  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Von Freeman & Ed Peterson in Concert (NPR)

    Von Freeman, tenor sax; Ed Petersen, tenor sax; Willie Pickens, piano; Brian Sandstrom, bass; Robert Shy, drums

    Green Mill, Chicago, IL – 2010-12-31

    „Anthropology“ (Parker)
    „Four“ (Davis)
    „All The Things You Are“ (Kern/Hammerstein)
    „What is This Thing Called Love?“ (Porter)
    „Auld Lang Syne“ (traditional)
    „Things Ain’t What They Used To Be“ (M. Ellington)

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    #7451017  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Heute abend hat Matana Roberts mit dem ersten Teil ihres Projektes Coin Coin, das den Titel „Gens de Couleur Libre“ trägt, in der Roten Fabrik in Zürich gespielt. Barfuss, das Gesicht mit weisser Kreide bestrichen und im langen weissen Kleid steht Roberts vorne rechts auf der Bühne, die Musiker im Halbreis, in der Mitte der Drummer Tomas Fujiwara, links vorne Cellistin Audrey Chen, dazwischen Bassist Jason Ajemian. Auf der anderen Seite, zwischen Fujiwara und Roberts, die Bratschistin Jessica Pavone und die Violinistin Mazz Swift. Also auch ein Streichquartett (in etwas ungewöhnlicher Besetzung) mit Drums und Altsax (sowie Klarinette und Stimme).
    Zum Auftakt lässt Roberts einen Sack mit Steinen (oder Murmeln?) herumgehen, jede schütelt den Sack, greift hinein, nimmt sich ein paar Steine heraus, reicht ihn weiter, im Halbkreis herum, derweil die anderen zupfen, leise fiedeln und trommeln… bis Roberts mit einem Schrei auf dem Altsax ins Geschehen eingreift und man merkt, dass man schon mitten drin ist. Im Hintergrund laufen auf einer riesigen Leinwand Bilder durch – die Familiengeschichte von Roberts, ihre weibliche Ahnenlinie, die Wurzeln im Süden in Louisiana, die auch in der Musik verarbeitet werden.
    Die Musikerinnen haben auf ihren Notenständern eine grossformatige, zum Ringheft gebundene Partitur (alle dieselbe? Jede eine eigene? Ich weiss es nicht, jedenfalls sind auch Fotos drin, Notenlinien), das ca. 70 minütige Werk wird ohne Unterbrüche präsentiert, besteht aus freien Passagen, aus boppigen Kürzeln, aus Work Song, aus einem Walzer und immer wieder aus mitreissend swingenden Passagen, in denen Fujiwara und vor allem Ajemian mit grossem Drive überzeugen – streckenweise erinnert das etwa an die Musik Mingus‘, aber auch an die grosse Tradition aus Chicago: das Art Ensemble und die AACM (der Matana Roberts angehört) sind wohl die wichtigsten Referenzpunkte.
    Roberts‘ Suite bringt zusammen, was zusammengehört aber selten zusammenfindet: die ganze Tradition der „great black music“ aber auch die europäischen Einflüsse aus Louisiana, alle Arten von Jazz, von bis New Orleans (Louisiana eben). Darein verwoben werden Textfragmente und längere Rezitationen von Roberts, streckenweise von der Band als Echo nachgeflüstert, auf halbem Weg auch ein langer Work Song über die Versteigerung einer Sklavin, in der Roberts (gegen Ende kurz im Wechsel mit Ajemian) den Lead singt und die anderen fünf einen polyphonen, leise brodelnden Chor bilden – in den intensivsten Passagen fiel mir nur etwas vergleichbares ein: die Urlaute, die Abbey Lincoln im Duo mit Max Roach 1960 für die „Freedom Now Suite“ aufgenommen hat. Mit derselben Wucht spielt Roberts auch ihr Altsax, streut hier und da auch mal boppige Kürzel ein, kann charmant Säuseln, bricht aber immer wieder aus, mit enorm schwerem Sound, der im tiefen Register am schönsten zur Geltung kommt und manchmal das Gehör fast platzen lässt…
    Bassist Ajemian ist wohl insgesamt neben Roberts die gewichtigste individuelle Stimme, auch manchmal im Dialog mit ihr zu hören, während die anderen Streicherinnen zurückhaltend begleiten. Am schönsten ist aber das Zusammenspiel aller, das changiert zwischen beinahe klassischen Passagen, wilden Ausbrüchen, verspielten Pizzicatos – das alles wird aber nie nach europäischem Mass rein intoniert, immer ist eine polyphone Vielfalt zu hören, auch in den kurzen Soli von Chen und Pavone, und ganz besonders im einen wunderbaren längeren Solo von Mazz Swift (die ich zuvor im Gegensatz zu allen anderen überhaupt nicht kannte, nicht mal dem Namen nach).
    Roberts spielt manchmal Klarinette, auch kurz in zwei New Orleans-artigen Passagen (die natürlich immer gebrochen werden, ins Gesamtgeschehen eingefügt, durch Roberts‘ Linse betrachtet und verarbeitet). Auch eine Passage mit simultanem Altsax- und Klarinettenspiel gab es gegen Ende – aber sehr verhalten, auch als eine Art polyphoner Begleitchor anderer Stimmen.
    Was bleibt ist ein sehr starkes, musikalisches Erlebnis, ein gelungener Versuch, Familiengeschichte auf persönliche Art und Weise zu betreiben und musikalisch zu verarbeiten und dabei auch die Unterdrückung und den Kampf der Afro-Amerikanerinnen zu thematisieren und auf sehr betroffen machende Weise umzusetzen. Ein sehr starkes Konzert, das sehr von der wuchtigen musikalischen Präsenz und Persönlichkeit von Matana Roberts geprägt war aber dem Kollektiv auch immer wieder Raum für klangliche Explorationen und Zusammenspiel in verschiedenen Kombinationen liess.

    Edit: im Sack befanden sich Kieselsteine… hab ich erfahren von jemandem, der am Tag drauf im Bimhuis war, um Roberts zu hören – er ist (im Gegensatz zu mir, leider) nach dem Konzert noch etwas geblieben und hat sich mit den Musikerinnen unterhalten.

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    #7451019  | PERMALINK

    thelonica

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    Wow! Höre dir unbedingt auch das erste Album von ihr an.

    NPR
    Matana Roberts‘ COIN COIN: Live In Concert

    Pictures
    http://www.flickr.com/photos/cactusbones/tags/matanaroberts/

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    #7451021  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Wow indeed!

    Danke für den Link – läuft sogar hier an der Arbeit, bin’s grad am Anhören, da fehlt natürlich die Intensität des Live-Erlebnisses, aber ist schön!

    Der Programmleiter von Fabrikjazz hat übrigens Roberts zum ersten Mal in Finnland gehört – wohl Tampere 2008, wo sie mit dem zweiten „Kapitel“ von Coin Coin auftrat (bis auf Fujiwara eine andere Besetzung), von dem ich eine Aufnahme habe (eine weitere von 2006 aus NYC, auch unter dem „Coin Coin“ Etikett, habe ich auch noch, muss mal genauer nachschauen).

    Das sie (gemäss dem NPR-Blurb) Fred Anderson und Vonski als Mentoren beschreibt macht natürlich perfekten Sinn.

    Und ja, ich werde mir mal eine CD kaufen – kann mir allerdings nicht vorstellen, dass das ans Live-Erlebnis heranreicht. Könnte gut sein, dass sie eine Musikerin ist, die man live hören MUSS, um sie richtig zu erleben und zu hören!

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    #7451023  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich hole mal diesen Teil-Post von gestern noch hier rüber – THELONICA hat schon auf der ersten Seite ein Album von El’Zabar vorgestellt:

    Mit „Big M“, der zwanzigminütigen Hommage an seinen langjährigen Bassisten Malachi Favors, beginnt Kahil El’Zabars Ritual Trio seine Aufnahme Live at the River East Art Center (Delmark, auch auf DVD erschienen). Billy Bang spielte einige Male als Gast des Trios, das zu diesem Zeitpunkt neben dem Leader aus Ari Brown (ts) und Yosef Ben Israel (b). Über ein dichtes Geflecht aus Trommelrhythmen und gezupfte Geige sowie den tiefen Bass von Israel bläst Ari Brown mit riesigem Ton das Thema.
    Was wir hier während etwas über einer Stunde zu hören kriegen ist bestimmt kein grosses Album, aber es ist ein Dokument eines tollen Konzertes, das streckenweise fast mehr nach Party klingt und tief, tief in Chicago verwurzelt ist. Bang, der Zuzüger, spielt für einmal elektrische Violine, entlockt dem Instrument aber im grossen ganzen die selben Klänge wie üblich. El’Zabar slbst sorgt an Drums, Kalimba und diversen Perkussionsinstrumenten und Trommeln für eine Vielfalt an Klängen, der Groove wird nie vernachlässigt und Ari Browns Tenor klingt dabei oft wie durch ein Fenster aus der Vergangenheit herübergerettet, so massiv und schön ist sein Ton.
    In „Return of the Lost Tribe“ steht der neue Bassist der Band, Yosef Ben Israel mit seinem tollen walkign bass-Spiel im Zentrum, er zieht und treibt die Band durch das Stück, während El’Zabar ein reguläres Drumkit spielt. Brown bläst ein tolles Solo voller Ideen, tief in der Tradition verwurzelt, dann folgt Bang, der sich rasch ans Erforschen der Klänge macht, die sein Instrument hergibt. Dann folgt El’Zabar mit einem Drum-Solo, bevor das Stück ruhig endet.
    „Where Do You Want to Go?“ stammt als einziges der Stücke nicht vom Leader sondern von Ari Brown. Den Beat trommelt El’Zabar an seinen handdrums, Der Bass trägt das Stück erneut, während Brown die Melodie spielt und Bang mit hohen Sounds drein- und drumherumspielt. Wie schon das vorangegangene Stück dauert auch dieses etwa dreizehn Minuten und die Musiker lassen sich viel Zeit, ihre Ideen zu entwickeln. Hier wird nichts überstürtzt, Phrase für Phrase wird sorsam ausgespielt, variiert, verändert, man folgt Brown und Bang in ihren Soli Ton für Ton – und das ist eine grosse Freude!
    „Be Exciting (Kahil Testifies)“ ist eine programmatische Ansage von El’Zabar, sie dauert vier Minuten.
    Zum Abschluss folgt dann „Oof“, die vierte lange Nummer, erneut Malachi Favors gewidmet und von Kalimba und Perkussion eröffnet, bevor Israel wieder einen fetten Bass legt, über dem sich das Stück ganz langsam entfaltet. Brown spielt eine einfach Singsang-Melodie, Israel tritt in den Dialog, Bang schleicht sich ganz leise durch die Hintertür ein. Wunderbar!
    Die Musik bereitet mir ungeheuren Spass und erinnert mich immer wieder dran, dass ich mehr aus dem Umfeld von Kahil El’Zabar (Edward Wilkerson, Ernest Dawkins) anhören müsste!

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    In diesem Sinne hab ich mir grad die Delmark CDs „Renaissance of the Resistance“ und „Love Outside of Dreams“ von Kahil El’Zabar sowie „Cape Town Shuffle“ von Ernest Dawkins bestellt.

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    Und zudem wird hier von der Chicago Tribune gemeldet, dass der 87jährige Von Freeman zur nächsten Runde von NEA-Preisträgern gehören soll! About time. . .

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    #7451025  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Matana Roberts „Coin Coin“, Musée Quai Branly, 2010-02-26
    http://liveweb.arte.tv/de/video/Matana_Robert_s_Coin_Coin_im_Musee_du_Quain_Branly/

    Matana Roberts – alto sax, voice, composer
    Mazz Swift – violin
    Jessica Pavone – viola
    Audry Chen – violoncello
    Jason Ajemian – bass
    Tomas Fujiwara – drums, percussion

    Fotos hier:
    http://www.flickr.com/search/?q=matana+roberts&f=hp

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    gypsy-tail-wind
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    a note from thulani davis on joseph jarmans health……

    Dear friends,
    First, just to reiterate for anyone who didn’t get my phone message: The Actors Fund sent Joseph by ambulance yesterday afternoon to Englewood Hospital (only a short distance from where he lives) because he was too weak to stand or walk, and he has been losing his ability to walk over the past two weeks in spite of physical therapy, a cane, a walker, etc.

    A CT scan revealed that he had a massive blot clot between the brain and its lining on the left side of his head. We are not sure what caused it, possibly a fall he had after the huge storm here a few weeks back, which Englewood very hard. He has not had a drink since Labor Day, so that was not the issue though alcoholism can cause them to occur spontaneously in later life. The neurosurgeon said it was putting tremendous pressure on his brain. He had emergency surgerytonight to remove the clot — they had to clear the OR to push him ahead of everyone because he could have died had they waited and would have died had he not gone to the hospital. So I am very grateful he was no longer in his apartment.

    By the time the surgeon spoke with him he no longer knew where he was or what year it is, so with Joseph listening I gave permission as nearest next of kin on the phone while in my car heading over there. When I arrived he was in some pain and said he had a terrible pressure on the right side of his head.

    The surgery went fine, the surgeon said, and he could not predict how much of his motor and brain function will return, saying finally, „the answer to all your questions is: we have to see day by day.“ While I was waiting for him to come up in the recovery room he had a seizure, which they tell me is common with brain surgery. As a result he will be in an ICU probably at least two days because they will have to monitor him in case of further seizures. They knocked him back out to stop the seizure, so he was sleeping pretty hard when I saw him. All of his vital signs are being monitored and were doing fine when I left. He has an incision along the left side of his head and a drain taking blood out, all very neatly done up in such a way you would hardly notice so much drama had gone on.

    For those of you to whom I sent the phone number, you can ask how he is but will probably not get to speak to him if he’s in the ICU.
    Here’s the number again:
    Englewood Hospital
    201-894-3000

    On two brighter notes, 1) the clot was not on the side the controls him knowing music. 2) This is a very fancy hospital –Gevalia & expresso machines in the stylish cafeteria..but most stunning, the only portrait gracing the hotel-like main lobby is a gorgeous shot of Dizzy Gillespie playing his horn. So Joseph is in the right place.

    And if I ever hit the mega millions, I’m going to give some dough to the Actors Fund–right after I take a long vacation.

    Douglas, would you let Thurman and Muhal know? I don’t have their email. Thanks.

    g’nite.
    t

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    #7451029  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    In ihrem auf zwölf Kapitel angelegten Zyklus „Coin Coin“ macht die Chicagoer Saxophonistin Matana Roberts sich auf die Suche nach den Spuren ihrer Vorfahrinnen im Süden der USA, erschafft dabei eine ganz eigene Lesart ihrer eigenen Geschichte und zugleich der Geschichte der Afro-Amerikaner von der Sklaverei bis in die Gegenwart, in der mit graphischer Notation – der Quilt dient als Modell –, mit Zitaten, Kostümierungen, Tanz und Multimedia-Elementen gearbeitet wird. Chapter One, „Gens de Coleur Libres“ betitelt, handelt von den frühesten Spuren, die Roberts Vorfahrinnen im Süden der USA, genauer in Louisiana hinterliessen, und auch von Marie Thérèze „Coin Coin“ Metoyer, einer legendären Gestalt, die sich im 19. Jahrhundert von ihrem Sklavendasein befreien konnte und gleichsam zur Urfigur der Emanzipation der Afro-Amerikanerinnen wird.

    Mit Chapter Two, „Mississippi Moonchile“, geht die Geschichte über ins frühe zwanzigste Jahrhundert, als viele afro-amerikanische Familien den Süden hinter sich liessen und ihr Glück anderswo suchten. Viele von ihnen strandeten in den Town Ships in Chicagos South Side, wo sich schon im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zehntausende Afro-Amerikaner angesiedelt hatten, die vom Rassismus, den fehlenden Jobs und mangelhaften Bildungsmöglichkeiten genug hatten.

    In das ohne Unterbruch gespielte, wohl fünfviertelstündige Konzert flicht Roberts Zeugnisse ein aus vergangenen Epochen, rezitiert mal flüsternd, mal in einen eindringlichen Singsang gleitend, oder auch schreiend Notate und Zitate aus unbekannter Quelle, persönliche Dokumente, Stellen aus Briefen oder Tagebüchern.

    Bei Matana Roberts, die rechts vorn am Rand der Bühne steht, führen alle Fäden zusammen, sie dirigiert die Band, lenkt die Musik in Bahnen, gibt Sänger Jeremiah Abiah Einsätze, lässt ihn wieder verstummen, regt einen Dialog von Schlagzeuger Tomas Fujiwara und Trompeter Jason Palmer an oder bläst ein Motiv, das umgehend von der Pianistin Shoko Nagai aufgegriffen zur Basis der folgenden Passage wird. Ein anderes Mal summt Roberts eine einfache Melodie, die Band summt mit, plötzlich spielt Thomson Kneeland dasselbe Motiv auf dem Kontrabass und es wird zum Fundament des nächsten Abschnittes. Die Musikerinnen und Musiker stehen im Halbkreis auf der Bühne, stets im Kontakt miteinander, die Musik entfaltet, öffnet sich Schritt für Schritt in einem konstanten Fluss – M-I…S-S-I… S-S-I… P-P-I, M-I…S-S-I… S-S-I… P-P-I, Mississippi, M-I…S-S-I… S-S-I… P-P-I – so abgedroschen das klingen mag: die Musik von Matana Roberts ist wie die Geschichte, wie das Leben ein Kontinuum aus Hochs und Tiefs, sie schwing sich hoch auf und lässt sich im nächsten Augenblick unvermittelt fallen, auf jubilierende Momente folgen herzzerreissend traurige, die buchstäblich zu Tränen rühren. Mit ihrem Altsaxophon gibt sie die Richtung vor, bläst liedhafte Motive oder rasante, manchmal an Ornette Colemans bluesgetränkt-quirlige Linien gemahnend, reisst Palmer mit, während die Rhythmusgruppe einen unbändig swingenden Freebop spielt. Ein anderes Mal fällt die Band in einen satten Coltrane-Groove, Roberts spielt ihr Alt mit schwerem Ton, bläst hymnische Linien über Fujiwaras Polyrhythmen und Nagais dichte Akkorde, während Kneeland die Musik mit wenigen Tönen zusammenhält.

    S-o-m-e-t-i-m-e-s, Some-Times, Sometimes I F-e-e-e-e-e-el, Some-Times I-I-I Feel Like a-a-a-a, Some-Times I F-e-e-e-e-l Like… a Motherless Child – Roberts entführt uns in die Kirche, verarbeitet neben einfachem Blues auch Spirituals, aus denen sie nahtlos in kinderliedhafte Melodien gleitet, die Albert Ayler anklingen lassen. Gesungen wird immer wieder, nicht nur von Abiah, der mit einer tief beeindruckenden Blues-Improvisation ohne Worte eines der grossen Glanzlichter des Abends setzt. Auch Nagai und Palmer singen mit Roberts und Abiah im Chor, das Publikum wird zum mitsummen animiert, die alten Call and Response-Muster werden wieder zum Leben erweckt. Den stillen und umso intensiveren Ausklang des Konzertes machen Roberts und Abiah vor karger Begleitung mit einem gesungenen Duett der alten Gospel-Hymne „In the Garden“ – And He Walks with Me and He Talks with Me, and He Tells Me I Am His Own, … and the Joy We Share as We Tarry There… and the Joy We Share… and the Joy We Share…

    Am Ende sitzt man da, ergriffen, schweigend, erschlagen von der Wucht der Musik, zum tiefen Nachdenken gebracht, aber auch erfüllt von einer wunderbaren Wärme (die nicht wohlig ist, zum wohlfühlen ist diese Musik nicht gemacht!) und der Überzeugung, dass man gerade etwas Grosses erleben durfte. Roberts Musik ist komplett, sie scheut keine Grenzen, schert sich nicht um Genres – und es gelingt ihr,

    Thank you so very much, Matana – that was fuckin‘ great!

    Flurin Casura / 23. März 2012

    „Coin Coin Chapter One: Gens de Couleur Libres” ist als Doppel-LP (10″ + CD), CD und Download bei Constellation Records erschienen
    Eine frühe Version von Chapter Two: Mississippi Moonchile ist auf NPR zu hören
    Workshop-Aufnahmen, die Roberts‘ Coin Coin-Musik in ihrer Entstehung dokumentieren, sowie ausgewählte Fragmente aus Konzerten können auf Archive.org angehört werden

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    #7451031  | PERMALINK

    vorgarten

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    wow, danke, klingt toll…

    gypsy tail wind
    Am Ende sitzt man da, ergriffen, schweigend, erschlagen von der Wucht der Musik, zum tiefen Nachdenken gebracht, aber auch erfüllt von einer wunderbaren Wärme (die nicht wohlig ist, zum wohlfühlen ist diese Musik nicht gemacht!) und der Überzeugung, dass man gerade etwas Grosses erleben durfte.

    das wäre laut diedrich diederichsen (letzter absatz) die typische haltung gegenüber diesem aufführungskonzept – und da läge bei mir (genau wie bei ihm) der kleine einspruch dagegen, bei allem, was ich da ganz toll und sinnlich und überraschend finde –
    dass ich dazu gebracht werden soll, in hochachtung vor den biografien der vorfahren von matana roberts ergriffen zu verstummen. es lässt einem doch wenig freiraum im umgang damit, ich muss das auf genau die art und weise annehmen, wie es gedacht ist. das ist tatsächlich kirche, im großen und ganzen. glauben und mitfeiern. bis auf weiteres bin ich aber gerne mit dabei.

    --

    #7451033  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich verstehe Deinen Einwand, entkräfte ihn aber umgehend, da es bei der Grösse nie ums Konzept oder den Gehalt geht, sondern allein ums Erlebnis im Jetzt bzw. das gerade erlebte, das noch in den Ohren, im Kopf, im Bauch nachbebt. Ich habe mir auch hin und her überlegt, ob ich diesen letzten Abschnitt nicht weglassen wollte, weil das eben falsch rüberkommen könnte.
    Mein Zustand nach dem Konzert war nicht anders von dem nach Brözzimonsters Onzetett (na ja, dort pfiffen die Ohren) oder irgendeinem anderen grandiosen und „kozeptlosen“ Konzert.

    EDIT: Diederichsen gelesen/überflogen – nein, von „kathartischer Erschöpfung“ kann nicht die Rede sein. Eher von erfüllter, dummer (weil jenseits jeglichen Denkens stehender) Glückseligkeit.

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    #7451035  | PERMALINK

    vorgarten

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    „einwand“ entkräftet!

    --

    #7451037  | PERMALINK

    thelonica

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    Diederichsen sollte die Kirche manchmal lieber im Dorf lassen, von mir aus könnte er auch für kurze Zeit (ergriffen von der Performance) verstummen. Nimm‘ solche Texte nicht all zu ernst. Ich schätze den Mann durchaus sehr und habe kein Problem mit seiner Sichtweise auf das Album. Von Roberts könnte ich mir auch sogar ein relativ „straightes“ Post-bop Album vorstellen, vielleicht irgendwann mal, und es wäre wahrscheinlich immer noch sehr hörenswert.

    --

    #7451039  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich kann mir übrigens schon vorstellen, dass es Leute gibt, die sich so fühlen, wie Diederichsen es beschreibt. Aber das halte ich dann für einen Fall von falsch verknüpften Synapsen beim Rezipienten. Schwieriges Thema, man kann den Produzenten des (Kunst-)Werks ja nicht von jeglicher „Schuld“ am Wirken des Werkes vorab freisprechen, aber es geht hier ja nicht um Völkermord, Nazismus oder sonstwas grausiges, wo man genauer hinschauen müsste. Matana kriegt von mir jedenfalls ganz klar einen uneingeschränkten Freispruch :-)

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