Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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  • #11197699  | PERMALINK

    cleetus

    Registriert seit: 29.06.2006

    Beiträge: 17,283

    clau

    cleetusGibt es einen Thread, welcher sich mit kultureller Aneignung/cultural appropriation (in der Musik) auseinandersetzt?

    Aufmachen!

    karmacomaNach kurzer Recherche, ist das z.B. wenn ich Shirts von Bands trage, die ich selbst nicht höre?

    • Dieses Thema wurde geändert vor 3 Jahre, 7 Monate von  cleetus.

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    Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the block
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    #11197713  | PERMALINK

    cleetus

    Registriert seit: 29.06.2006

    Beiträge: 17,283

    @karmacoma, ich finde das trifft erst ab einem gewissen Grad zu und ist heutzutage, wo alles Popkultur ist, nur noch schwer definierbar. Wenn ich hier in Oberbayern mit einem Beatles-Shirt rumlaufe, wird mich niemand kritisieren, wenn ich mich jedoch als Ladysmith Black Mambazo verkleide, vermutlich zu Recht schon.

    Ich meinte primär so etwas:

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    Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the block
    #11197723  | PERMALINK

    cleetus

    Registriert seit: 29.06.2006

    Beiträge: 17,283

    Womit ich auch bei meiner eigentlichen Überlegung angelangt bin: kann man musikalisch heutzutage noch von einer Aneignung sprechen und wenn nicht, wieso ist in der Musik legitim*, was man in Hollywood whitewashing, blackfishing, blackfacing etc nennt?

     

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    Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the block
    #11197821  | PERMALINK

    demon

    Registriert seit: 16.01.2010

    Beiträge: 66,870

    Gefühlsmäßig empfinde ich die beiden verlinkten Songs als geschmacklos. Und ähnlich peinlich, wie wenn ein „Preiß“ den bayerischen Dialekt nachmacht…

    Aber wo genau beginnt diese Geschmacklosigkeit? War es „cultural appropriation“, als die ersten Weißen den Blues spielten? Oder wenn Deutsche auf englisch singen? Im wörtlichen Sinne ja, aber ich würde den Begriff dafür nicht verwenden, eben weil er so negativ besetzt ist.

    Also: Es gibt die unschöne (geschmacklose, abzulehnende…) „cultural appropriation“ à la blackfacing auch in der Musik, oder sie ist zumindest möglich; das ist für mich schon anhand der beiden Beispiele klar. Aber in den paar Minuten, die ich jetzt darüber nachgedacht habe, ist mir kein objektives Kriterium zu ihrer Abgrenzung eingefallen.

    zuletzt geändert von demon

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    #11197837  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,625

    Ein guter Essay zum Thema, der Beispiele aus der Musik heranzieht, ist der hier: The Question of Cultural Appropriation von Briahna Joy Gray. Die Autorin schlägt darin vor, zwischen zwei Aspekten des Themas zu unterscheiden, um strittige Fragen zu klären: einerseits Ausbeutung, andererseits Missachtung / Verunglimpfung / Beleidigung (disrespect).

    Once we clearly understand what the actual problems are, it’s easy to see how free cultural exchange can occur without creating injustice. The problems are largely those of economics and respect, and if we evaluate cultural borrowing by these measures, we can get rid of the racism without getting rid of the borrowing itself. A few simple questions can help us think about specific cases: (1) Is there a historic record of exploitation between the appropriator and the originating group? (2) Is the originating group and its culture being celebrated, appreciated, and respected, or are they being degraded, mocked and accessorized? (There’s a difference between Eminem’s genuine relationship to the environment of 8 Mile Road and his immersion in Detroit hip hop and, say, a person wearing a tacky, cruelly stereotypical, and cartoonish Mexican Halloween costume.) (3) Is the appropriator actually claiming to be the owner or innovator, or allowing the media to create a false origin narrative? (E.g. Elvis as the “King” or Miley Cyrus’s “invention” of twerking.) (4) Is differential economic enrichment occurring? Is the cultural product more valuable in the hands of the appropriator, and does that have wider financial or political consequences for certain groups?

    Both the concept of cultural appropriation and the backlash to it are, to use a popular term, “problematic.” Rigid ideas of cultural ownership would lead us to absurdity, but profiteering and cultural disrespect are important to recognize.

    Ein Fall, bei dem hier jeder mitreden kann, ist die Geschichte, wie sich weiße Jungs aus England den Blues angeeignet haben: Die Stones haben sich dabei korrekt verhalten (ihre Vorbilder gewürdigt und sich darum bemüht, dass die auch finanziell was davon hatten); Led Zeppelin dagegen haben manchmal schlicht geklaut (Willie Dixon musste klagen, um die Credits zu erhalten, die ihm zustanden).

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    #11197859  | PERMALINK

    demon

    Registriert seit: 16.01.2010

    Beiträge: 66,870

    Danke @go1 für den Lesetipp !

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    #11197867  | PERMALINK

    pfingstluemmel
    Darknet Influencer

    Registriert seit: 14.09.2018

    Beiträge: 5,878

    Wenn jetzt jeder nur noch seine eigenen Stammestänze aufführt, wird’s aber richtig duster…

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    Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.
    #11197875  | PERMALINK

    punchline
    Minimalist

    Registriert seit: 15.12.2019

    Beiträge: 4,144

    pfingstluemmelWenn jetzt jeder nur noch seine eigenen Stammestänze aufführt, wird’s aber richtig duster…

    Dazu wird es nicht kommen. Bin da viel zu sehr Optimist.
    Igendwann werden diese „eigenen Stammestänze“ langweilig. Der Mensch ist so geschaffen, dass er ständig Neues sucht und an Grenzen stoßen möchte. Ob das irgend eine Gesellschaft befürwortet oder nicht, spielt keine Rolle.

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    No, you can't grow out of ADHD.
    #11197905  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,625

    pfingstluemmelWenn jetzt jeder nur noch seine eigenen Stammestänze aufführt, wird’s aber richtig duster…

    Eh klar. Kulturelles Schaffen lebt von Austausch und Aneignung; und was sich jemand aneignen kann oder nicht, ist durch seine Herkunft gar nicht festgelegt. Aber das ist nicht der Punkt. So problematisch manche Vorstellungen von „cultural appropriation“ und „cultural ownership“ auch sind, hat die Diskussion doch einen guten Kern, den ich ungern wegwerfen würde. Wie Briahna Joy Gray schreibt: eigentlich geht es um die Kritik an der Ausbeutung und Verunglimpfung von Minderheiten.

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    To Hell with Poverty
    #11197927  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 85,018

    Ein komplexes Thema, das leider viel zu schnell in einen flachen „das darf man nicht“ vs. „die wollen uns was verbieten“-Dualismus mündet, der niemandem weiterhilft. Der von Go1 verlinkte Kommentar bringt es gut auf den Punkt. Es geht um Problembewusstsein und Sensibilität und nicht um „Verbote“. Sehr anschaulich finde ich zu der Thematik auch den Video-Essay der Filmwissenschaftlerin Lindsay Ellis am Beispiel von Disney-Filmen der letzten 30 Jahre (die man nicht gesehen haben muss, um dem Gedankengang folgen zu können). Man kann den ersten Teil weglassen, ich habe mal auf 12:20 vorgespult:

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    #11197937  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,106

    @go1 So ist es. Und damit ist genau die Grenze markiert, hinter der es ungut wird.

    Tatsächlich riechen für mich manche Auswüchse des CA-Konzepts ziemlich identitaer, wenn auch aus einer linken und meinetwegen gut gemeinten Perspektive. Da geht es um Macht und um Deutungshoheit, und das finde ich etwas beklemmend.

    Kunst sollte doch nicht in erster Linie korrekt sein, sondern immer wieder auch maßlos, grenzgaengerisch, verrückt, wild, abenteuerlustig, Kunst sollte auch nicht in erster Linie sortenrein sein, sondern ein lustvoll und schamlos sich mit allem, was seinen Weg kreuzt, paarender Bastard.

    Es geht da ja auch um Fragen wie: Darf ein weißer Mann einen Roman aus der Ichperspektive einer schwarzen Frau erzählen? Meine Antwort: selbstverständlich, verdammt nochmal! Ob dabei Kunst rauskommt oder nur ein Puzzle aus Klischees, muss die Literaturkritik bzw die Lektüregemeinschaft entscheiden, nicht der kulturelle Sittenwaechter.

    Insgesamt habe ich ein gewisses Bauchweh mit dem CA-Konzept. Denn um Klauereien wie die von Led Zep und vielen anderen anzuprangern, braucht man es ja eigentlich gar nicht. Dass das nicht okay ist, weiß man doch seit Jahrzehnten und kann es auch mit dem zur Verfügung stehenden Old-School-Vokabular hinreichend präzise benennen: als Klau, Plagiat, Abkupferei etc pp.

    Ich finde, CA geht tendenziell darüber hinaus und handelt explizit oder implizit oft nicht nur von „Sei bitte fair und vergolde dir nicht, was andere erschaffen haben“, sondern von „Finger weg von meiner Kultur und halt dich da raus, da kannst da eh nicht mitreden. “

    Zusammengefasst: Dem von @go1 zitierten Aufsatz kann ich problemlos zustimmen. Ich fürchte bloß, beim Kampfbegriff CA geht es oft um deutlich mehr, nämlich um Implikationen, die @pfingstluemmel schon ganz gut beschrieben hat.

    „Wenn jetzt jeder nur noch seine eigenen Stammestänze aufführt, wird’s aber richtig duster…“

    zuletzt geändert von bullschuetz

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    #11197943  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,106

    Oder um es noch etwas konkreter zu machen: der medial ja vielbesprochene Fall der afroamerikanischen Künstlerin Hannah Black. Sie verlangte die Zerstörung eines Gemäldes mit dem Titel „Offener Sarg“ von Dana Schutz (weißhaeutig). Denn das Bild basierte auf einem Photo der Leiche von Emmett Till.

    Bei solchen Forderungen wird mir echt unwohl.

    --

    #11197949  | PERMALINK

    punchline
    Minimalist

    Registriert seit: 15.12.2019

    Beiträge: 4,144

    bullschuetzOder um es noch etwas konkreter zu machen: der medial ja vielbesprochene Fall der afroamerikanischen Künstlerin Hannah Black. Sie verlangte die Zerstörung eines Gemäldes mit dem Titel „Offener Sarg“ von Dana Schutz (weißhaeutig). Denn das Bild basierte auf einem Photo der Leiche von Emmett Till.
    Bei solchen Forderungen wird mir echt unwohl.

    Mir auch. Irgendwann wirds zu viel.
    Ich denke, Hannah Black übertreibt.
    Ich schätze die Bilder von Dana Schutz übrigens sehr.

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    No, you can't grow out of ADHD.
    #11197977  | PERMALINK

    pfingstluemmel
    Darknet Influencer

    Registriert seit: 14.09.2018

    Beiträge: 5,878

    herr-rossi Es geht um Problembewusstsein und Sensibilität und nicht um „Verbote“.

    Beschränken sich diese Probleme nicht sowieso auf „minderwertige“ Kunst? Wenn irgendein Lappen mit Bräunungscreme und Haargel „Fiesta, fiesta, vamos a la playa“ über Synth-Presets leiert, um „Latino-Feeling“ zu erzeugen? Oder wenn ein Gottschalk mit den Armen fuchtelt und „Yoyoyo!“ ruft?

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    #11198011  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,106

    @herr-rossi Problembewusstsein und Sensibilität finde ich gut, aber ich fürchte, es geht in dieser Debatte schon auch um Verbote.

    In der Black/Schutz-Debatte um die malerische Aneignung des Emmett-Till-Fotos verdichtet sich das ja in einem mittlerweile vielfach zitierten Satz: „The painting must go“, das Gemälde muss weg!

    Die kleine Schwester der Verbotsforderung ist die moralische Maximaldiskreditierung. Als die Schriftstellerin Lionel Shriver 2016 ihre Einwände gegen das CA-Konzept in einer Rede formulierte, wurde ihr vorgehalten, sie strebe nach „racial supremacy“, und ihre Art zu denken, lege „the foundation for prejudice, for hate, for genocide“. So zackig ging es da vom Vorurteil über den Hass zum Völkermord. Und schwups bist du ein Nazi.

    Damit habe ich ein ernsthaftes Problem.

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