Jazz-Neuerscheinungen (Neuheiten/Neue Aufnahmen)

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  • #12507255  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Ich weiß nicht, ob das hier ins Jazz-Forum gehört. Aber woanders gehört es noch weniger hin. Ich glaube, dass die Jazzinados hier noch am ehesten empfänglich dafür sind.

    Auf der Suche nach unbekannter aktueller Musik habe ich mir wieder die JAZZTHETIK für knappe € 10 gegönnt. Im Heft wie immer zu gefühlt 90 % mir völlig fremde Namen. Es ist wohl ein menschlicher Reflex, dass ich in dieser Unübersichtlichkeit nach irgendwas Vertrautem suche. Bei einem Plattenreview fiel mir der Label-Name International Anthem ins Auge. Die hatten auch die von mir hier mal erwähnten SML veröffentlicht, außerdem Jeff Parker, das Exploding Star Orchestra und demnächst kommt da ein neues Album meiner alten Helden Tortoise raus. Also in das reviewte Album mal kurz reingehört. Selten hat mich eine Musik so spontan begeistert wie das hier:

    Resavoir & Matt Gold – Horizon (2025)

    Auch hier verbindet sich das Unbekannte mit dem Vertrauten. Bei den ersten paar Takten fühlte ich mich sofort an brasilianische Popmusik der 60er/70er Jahre erinnert – wobei ich aber nicht sagen kann, an was konkret mich das erinnert und warum. Die raffinierte Harmonik? Die federnde Rhythmik? Die eleganten Arrangements? Irgendein unklares Gefühl? Auf jeden Fall sind Will Miller alias Resavoir und Matt Gold Liebhaber von Luiz Bonfa und Milton Nascimento. Aber Horizon ist keineswegs eine Retro-Platte sondern vermischt ganz unterschiedliche Sachen aus Vergangenheit und Gegenwart miteinander. Eklektizistisch, aber ohne zu kopieren und am Ende klingt es so, als gehöre das alles ganz natürlich zusammen. Am auffälligsten ist das mit dem Einsatz einer pedal steel-Gitarre und einer japanisch-sprachigen Sängerin – deren Text ich natürlich überhaupt nicht verstehe, deren Stimme ich auch mehr als Klang als als Sprache wahrnehme.

    Sehr vielschichtige, organisch wirkende Arrangements mit akustischer und elektrischer Gitarre, Bass, keyboards, drums und percussion, dezent eingesetzten Synthesizern, etwas Streichern, hier und da einem Sopran-Sax oder einer Flöte. Ein Stück nur mit Piano und einem Sampler – ohne dass das irgendwie gezwungen oder deplatziert wirkt.

    Horizon hat eine verführerische Leichtigkeit, wie Sonnenstrahlen, die funkelnd durch ein Blätterdach auf eine Wasseroberfläche fallen. Aber hinter diesem Bild der Leichtigkeit verbirgt sich eine musikalische Raffinesse, die erst beim wiederholtem Hören überhaupt auffällt – dass dieses eine Stück tatsächlich nur mit Piano und Sampler besetzt ist, habe ich zuerst gar nicht bemerkt. Mit 10 Stücken und nicht mal einer halben Stunde Spielzeit ist Horizon etwas kurz, aber auch jede Sekunde ein Genuss.

    Habe ich bestellt, noch bevor ich es einmal komplett gehört hatte.

    Horizon bei bandcamp.

    Demnächst erscheint auch eine Compilation mit 29 Stücken von International Anthem.

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    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
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    #12512969  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Noch etwas mehr Musik aus den Zwischenwelten und den Randbezirken:

    Charlie Hunter & Ella Feingold – Different Strokes For Different Folks (2025)

    Ein Duo Album eines Gitarristen und einer Gitarristin. Charlie Hunter war mir bereits durch sein Album Bing, Bing, Bing! und noch ein bisschen was anderem bekannt, Ella Feingold arbeitet vor allem als Sessionmusikerin für z.B. Bruno Mars und Erykah Badu, als Produzentin, Komponistin und Lehrerin und war mir bis dato unbekannt. Charlie Hunter spielt eine 6-saitige, basslastige „hybrid guitar“, Ella Feingold eine Gitarre mit „inverted tuning“, also oben die hohen, unten die tiefen Saiten. Beide steuern sehr minimalistische percussion bei.

    Der Albumtitel Different Strokes … ist dem Text von Everyday People von Sly Stone entlehnt und auch der erste Track There Is Still A Riot Going On spielt nicht nur im Titel auf das fast gleichnamige Album an. Dieser reduzierte und schleppende Funk ist eine offensichtliche Hommage an Sly & The Family Stone. Der groove zieht sich durch das gesamte Album, unterbrochen von einigen kurzen, manchmal nur ein-minütigen athmosphärischen Miniaturen.

    Aber das ist keineswegs durchgehend eine Sly Stone Hommage. Da fühlt man sich manchmal auch an ein James Brown-Instrumental in Zeitlupe erinnert, an einer Stelle wartete ich nur darauf, dass Jimi Hendrix „Have you ever been to Electric Ladyland …“ singt, in seinem sämigen groove erinnert mich das manchmal auch an John Lee Hooker und Dub-Reggae und bei der hier geschaffenen Athmosphäre kommen mir auch Bill Frisells Floratone Alben oder Miles Davis’ The Hot Spot-Soundtrack in den Sinn. Aber das Wesentliche und das Eigentliche ist hier das Zusammenspiel von Hunter und Feingold, bei denen es keine Hierarchie von Solo und Begleitung gibt, die sogar überhaupt nicht solieren und weitgehend ohne Melodien auskommen, sondern sich über einem gemeinsamen groove miteinander einhaken und verweben. Ich weiß nicht, ob es am „inverted tunig“ von Feingolds Gitarre liegt, sicher auch an Hunters „hybrid guitar“, aber auch die Hierarchie von Gitarre und Bass ist hier aufgehoben, denn die Rolle des Basses wird hier ja auch auf der Gitarre gespielt und ist dadurch eigenständiger, beweglicher und präsenter. Und klanglich reich ist das alles noch dazu!

    Sehr reduziert, runtergebremst, tiefenlastig, zäh fließend, aber den Hörer unwiderstehlich mit sich ziehend. Einer der Höhepunkte sicher das 8-minütige Nasty Ain’t It!?, ein offenbar er-improvisiertes groove monster, das ebenso monton ist wie es sich auch ständig wandelt. Aber auch in einige dieser kleinen Miniaturen wie Tamla bin ich ganz verliebt.

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    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
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