Antwort auf: Jazz-Neuerscheinungen (Neuheiten/Neue Aufnahmen)

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friedrich

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Noch etwas mehr Musik aus den Zwischenräumen und den Randbezirken:

Charlie Hunter & Ella Feingold – Different Strokes For Different Folks (2025)

Ein Duo Album eines Gitarristen und einer Gitarristin. Charlie Hunter war mir bereits durch sein Album Bing, Bing, Bing! und noch ein bisschen was anderem bekannt, Ella Feingold arbeitet vor allem als Sessionmusikerin für z.B. Bruno Mars und Erykah Badu, als Produzentin, Komponistin und Lehrerin und war mir bis dato unbekannt. Charlie Hunter spielt eine 6-saitige, basslastige „hybrid guitar“, Ella Feingold eine Gitarre mit „inverted tuning“, also oben die hohen, unten die tiefen Saiten. Dazu ein paar Effektgeräte und – wie ich erst verspätet feststelle – auch ein Sampler. Beide steuern sehr minimalistische percussion bei.

Der Albumtitel Different Strokes … ist dem Text von Everyday People von Sly Stone entlehnt und auch der erste Track There Is Still A Riot Going On spielt nicht nur im Titel auf das fast gleichnamige Album an. Dieser reduzierte und schleppende Funk ist eine offensichtliche Hommage an Sly & The Family Stone. Und der groove als verbindendes Element zieht sich auch durch das gesamte Album, durchmischt mit einigen kurzen, manchmal nur ein-minütigen athmosphärischen Miniaturen.

Aber das Album ist keineswegs nur eine Sly Stone-Hommage. Da fühlt man sich manchmal auch an ein James Brown-Instrumental in Zeitlupe erinnert, an einer Stelle wartete ich nur darauf, dass Jimi Hendrix „Have you ever been … to Electric Ladyland …“ singt, in seinem sämigen blubbernden groove erinnert mich das manchmal auch an Dub-Reggae und bei der hier geschaffenen Athmosphäre kommen mir auch Bill Frisells Floratone-Alben oder Miles Davis’ und John Lee Hookers The Hot Spot-Soundtrack in den Sinn.

Aber das Wesentliche ist hier das Zusammenspiel von Hunter und Feingold, bei denen es keine Hierarchie von Solo und Begleitung gibt, die sogar überhaupt nicht solieren und weitgehend ohne Melodien auskommen, sondern sich über einem gemeinsamen groove miteinander einhaken und verweben und so miteinander kommunizieren. Ich weiß nicht, ob es am „inverted tuning“ von Feingolds Gitarre liegt, sicher auch an Hunters „hybrid guitar“, aber auch die Hierarchie von Gitarre und Bass ist hier nicht immer ganz eindeutig, denn die Rolle des Basses wird hier ja auch auf der Gitarre gespielt und ist dadurch eigenständiger, beweglicher und präsenter. Und klanglich reich ist das alles noch dazu!

Sehr reduziert, runtergebremst, tiefenlastig, langsam und gelassen fließend, aber den Hörer unwiderstehlich mit sich ziehend. Einer der Höhepunkte sicher das 8-minütige Nasty Ain’t It!?, ein offenbar er-improvisiertes groove monster, das ebenso monton ist, wie es sich auch ständig wandelt. Aber auch in einige dieser kleinen Miniaturen wie Tamla bin ich ganz verliebt.

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)