Irrlichts Introducing

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  • #8389235  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

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    Herr RossiDer Titel „The Blacker The Berry“ spielt vermutlich auf einen Roman von 1929 an:

    http://en.wikipedia.org/wiki/The_Blacker_the_Berry

    Gute Anmerkung, Danke Rossi. Kennst Du, oder ein anderer, das Buch?

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #8389237  | PERMALINK

    tina-toledo
    Moderator

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    Ich sollte mal öfter durchs Forum streunen, diesen Thread habe ich erst jetzt nach fast drei Jahren entdeckt… Schöner Text zu „The Blacker The Berry“, Irrlicht! Höre alles von Dir Aufgeschriebene ganz ähnlich, finde aber gleichzeitig, dass der von Jan angesprochene Punkt nicht nur eine Lesart – also ein möglicher Blickwinkel von vielen – ist, sondern tatsächlich ein weiteres, ganz elementares Statement.

    IrrlichtGute Anmerkung, Danke Rossi. Kennst Du, oder ein anderer, das Buch?

    Ich zwar auch nicht, wollte nur darauf hinweisen, dass es nicht das erste Mal prominent referenziert wird: 2Pacs „Keep Ya Head Up“ von 1993 bezieht sich ebenfalls darauf, auch wenn dort ganz konkret Frauenfeindlichkeit thematisiert wird, während Kendrick Lamar einen universelleren Ansatz hat (2Pac bewegt sich damit anscheinend näher an der Story).

    --

    Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!
    #8389239  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389241  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    [B]BENJAMIN CLEMENTINE Condolence

    „Then out of nothing
    Out of absolutely nothing
    I Benjamin
    I was born“

    „Condolence“ hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Es ist eine Aufnahme, die so klingt, wie sich die Sequenzen des zugehörigen Videos anfühlen: Kleine Lücken im Mauerwerk, hinter denen die Bilder erscheinen, farblos und doch voller Leben, still und anmutig, ein Suchen und Aufrichten, humpelnd über unebenes, ausgedörrtes Land, Tappen im dichten Nebel – ein fast fünfminütiger Erweckungsmoment.

    Clementine stammt aus London, mein erster Gedanke war jedoch einer dieser gebrechlichen Klavieraufnahmen, die sich auch auf Einaudis „Divenire“ finden. Oder in etwas abgewandelter Form auch auf „I am bird now“ von Antony & the Johnsons (wenngleich gesanglich die Nina Simone Referenzen sicher passender sind). Musikalisch baut „Condolence“ auf Klavier und einem dominanten Beatmotiv, das der dahintreibenden Melodie unruhige, beschwörende Impulse entgegenstellt, ohne sie zu untergraben – an prägnanten Stellen zischt ein Snare dazu, Chöre erheben sich, die Geschwindigkeit wird immer wieder variiert und am Ende zu einem befreidnden Element – die Steine sind zur Seite gerollt, „I’m sending my condolence to feel“. All das würde nicht halb so intensiv klingen, wäre da nicht Clementines Stimme: Ich finde sie schlicht umwerfend. In Zeiten, in denen auch Soul oft am plakativen Retro-Halbmast hängt, tut es gut einen Sänger zu hören, dessen Songs inspiriert und abgründig klingen, den Ahnen gedenkend, aber nicht als Pose und Revival. Sein Gesang klingt tief und innbrünstig, voller Würde und Echtheit – Eigenschaften, die es sich leisten können, Töne an ungewohnten Orten zu setzen, ins tiefe Register zu wechseln, einzelne Wörter zu beschleunigen, kehlig und sinnlich zu klingen, manchmal in Flüstern und bloßes, ehrfürchtiges Sprechen überzugehen – Clementine macht daraus jedoch glücklicherweise keine Theateraufführung. Ich finde speziell „Condolence“ sehr spürbar und intuitiv.

    Markant ist auch der Text, der sich wenig Worte erlaubt. Im Grunde ist es ein langer Monolog, eine Art Anrufung und Selbstbeschreibung. Und ein Erinnern. Etwas freier interpretiert steht die Frage der Vergänglichkeit und der Wiederkehr: Das Sehen eines Gesicht, das Erkennen einer Stimme, der Regen, den man hört, noch ehe er gefallen ist – das alles ist zeitlos, erneuert sich, war vielleicht schon immer, auch wenn man es vergessen hat. „Condolence“ hat eine sehr spirituelle Ebene, Clementine wiederholt hier auch zahlreiche Wörter – ein Mantra gegen das Vergessen. Auch die Bilder selbst sind voller Kraft: Vor dem Sturm war das Feuer, das alles auslöschte – und aus dem Nichts gebiert sich zur rechten Zeit das Neue. So heißt es dann auch: „So that when I become someone one day/I always remember/I came from nothing“. Etwas enger gefasst ist „Condolence“ die Sinnsuche in der Welt – das Wiederkehren, das notwendige Sterben von Dingen und der Sysphosgang. Und der Humor, den man sich inmitten des Memento Mori dabei erhalten kann. Die Auflösung der „Ausgangsfrage“ („And no one know why the road seem so long“) findet zuletzt daher ein fast schalkhaftes Ende: Eine Beileidsbekundung („condolence“). An das Fühlen, die Leichtigkeit, die Furcht.

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389243  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 86,957

    Sehr schön beschrieben! Ein wirklich faszinierender Track, könnte mein Jahresfavorit werden.

    --

    #8389245  | PERMALINK

    motoerwolf

    Registriert seit: 25.10.2006

    Beiträge: 6,314

    Irrlicht[B]BENJAMIN CLEMENTINE Condolence

    Wunderbar! Danke, daß du du mir dieses Juwel entdeckt hast, Irrlicht. Und, wie so oft, bin ich nicht nur vom vorgestellten Song, sondern auch von der Vorstellung selbst beeindruckt. Die ist besser als vieles, was ich von bezahlten Autoren kenne.

    --

    And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame
    #8389247  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    jeder Anfang beinhaltet bereits das Ende
    was für ein Song, danke.

    condolence könnte auch Mitgefühl bedeuten, so der Angst, Furcht den Stachel nehmen
    das Leben ist eine Sisyphusarbeit, nimm es an, oder verzweifle daran

    PS
    das Klavierthema erinnert mich entfernt an Moby – God moving over the face of the waters

    --

    #8389249  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    Herr RossiSehr schön beschrieben! Ein wirklich faszinierender Track, könnte mein Jahresfavorit werden.

    Wie schon gesagt: Danke nochmals, ohne Deine Erwähnung gebe es den Text wahrscheinlich gar nicht.

    motörwolfWunderbar! Danke, daß du du mir dieses Juwel entdeckt hast, Irrlicht. Und, wie so oft, bin ich nicht nur vom vorgestellten Song, sondern auch von der Vorstellung selbst beeindruckt. Die ist besser als vieles, was ich von bezahlten Autoren kenne.

    Sehr gerne. Das ist ja lieb. :-)

    Catch-22jeder Anfang beinhaltet bereits das Ende
    was für ein Song, danke.

    condolence könnte auch Mitgefühl bedeuten, so der Angst, Furcht den Stachel nehmen
    das Leben ist eine Sisyphusarbeit, nimm es an, oder verzweifle daran

    Es läuft in jedem Falle auf dieses Gefühl hinaus, glaube ich – auch wenn das Wort „condolence“ mir hier schon bewusst gesetzt erscheint (mich hatte das erst irritiert, da nicht klar ist, wem das Beileid gilt). In Zusammenhang mit einigen anderen Songs Clementines – die im übrigen allesamt fantastisch sind – meine ich eine innige Wertschätzung für die Irrungen und Wirrungen der Welt herauszuhören und auch einen sehr gewitzten Teil, der allem Ernst innewohnt.

    Abgesehen davon muss ich mir aber gerade auch überlegen, ob ich unter „Mitgefühl“ und „Beileid“ das Selbe verstehe, auch wenn der Duden es als Synonym zulässt.

    Catch-22PS
    das Klavierthema erinnert mich entfernt an Moby – God moving over the face of the waters

    Ich mag viele Tracks von Moby unheimlich gerne (besonders „Porcelain“), aber daran musste ich tatsächlich nicht denken – Mobys Arbeiten sind ja oft auf viel markantere Weise repetitiv, speziell „God moving over the face of the waters“ ist eine Melodie in Endlosschleife, die sich nur geringfügig ändert, sondern vielmehr an den Rändern Orchesterelemente und bebende, pochende Töne anheftet – das ist sehr meditativ und erinnert mich mehr an eine klassische Komposition. „Condolence“ hat ein paar Brüche mehr, fließt weniger.

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389251  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Irrlicht

    Abgesehen davon muss ich mir aber gerade auch überlegen, ob ich unter „Mitgefühl“ und „Beileid“ das Selbe verstehe, auch wenn der Duden es als Synonym zulässt.

    Beileid setzt einen Verlust und die Trauer darüber voraus, all dies macht Leben ja auch aus, Vergänglichkeit, nichts wird bleiben.
    Beängstigend, auch traurig, aber Gang der, aller Dinge, wer dies akzeptiert, mindert das eigene Leid (Buddhismus).

    --

    #8389253  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    Catch-22Beileid setzt einen Verlust und die Trauer darüber voraus, all dies macht Leben ja auch aus, Vergänglichkeit, nichts wird bleiben.
    Beängstigend, auch traurig, aber Gang der, aller Dinge, wer dies akzeptiert, mindert das eigene Leid (Buddhismus).

    Ja, genau das. Diese Akzeptanz ist eine wesentlichen Bestandteil von „Condolence“. Im Vorfeld singt er auch diese Zeilen: „You should know by now that I just don’t care/For what you might say/Might bring some one down here“. Wobei ich geneigt bin das „I just don’t care“ großzuschreiben, Clementine betont es sprübar und ich finde, da schwingt auch ein Lächeln mit.

    Weitere Meinungen und/oder Interpretationen sind natürlich sehr willkommen.

    --

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    #8389255  | PERMALINK

    motoerwolf

    Registriert seit: 25.10.2006

    Beiträge: 6,314

    Mich erinnert der Song übrigens neben den bereits erwähnten Antony & the Johnsons ein Stück weit an Nick Cave and the Bad Seeds auf No More Shall We Part.

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    #8389257  | PERMALINK

    irrlicht
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    motörwolfMich erinnert der Song übrigens neben den bereits erwähnten Antony & the Johnsons ein Stück weit an Nick Cave and the Bad Seeds auf No More Shall We Part.

    Ich finde „No more shall we part“ etwas anders angelegt (Rockgrundierung, Bandsound), aber ansonsten stimmt das absolut. Die Stimmung hat ähnliche Weichenstellungen, die Klaviermotive sind ebenso präsent und Cave vermischt auch gerne Weltliches (hier: Liebe, Verlangen, Verlust) mit Gottes- und Schöpfungsfürchtigkeit – wenn auch etwas ernster, wenn ich das noch recht in Erinnerung habe. :-)

    --

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    #8389259  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

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    Der Text zu „Red apples“ ist damals eher einer spontanen, euphorischen Laune entsprungen, daher gibt es auch kein Inhaltsverzeichnis. Das hole ich jetzt hiermit nach, damit man sich nicht immer durch die Seiten blättern muss. Momentan ist wieder mehr Lust zum Schreiben da, gut möglich dass es hier bald mit weiteren heiß geliebten Tracks weitergeht (eher als mit Albenbesprechungen).

    1. SMOG: Red apples
    2. LAURA NYRO: New York Tendaberry
    3. DIE ORSONS: Jetzt
    4. LITTLE DRAGON: Twice
    5. DAUGHTER: Youth
    6. BILL CALLAHAN: Summer painter
    7. SUN KIL MOON: Carissa
    8. KENDRICK LAMAR: The blacker the berry
    9. SOPHIE HUNGER: House of gods
    10. BENJAMIN CLEMENTINE: Condolence

    --

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    #8389261  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

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    KATHRYN JOSEPH: The bird

    „In den Songs dreht sich alles um meine Beziehungen zu anderen Menschen; von ihnen verletzt zu werden oder sie zu verletzen. Und um die wunderbaren Sachen, die dazwischen passieren.“

    „Bones you have thrown me and blood I’ve spilled“ habe ich leider bis heute nicht vollständig gehört, das wird sich bald ändern. Als ich „The bird“ zum ersten Mal lauschte, hat mich die Magie und Präsenz von Josephs Musik sofort eingewickelt – allen voran die Titelzeilen und die Symbolik des Tracks brennt sich unauslöschlich unter die Haut. „The bird“ ist ein langsamer, getragener Song, beschwörend wie das Rauschen einer Klamm, Musik wie ein Gezeitenwechsel. Was ich daran besonders schätze, ist der leicht makabere, verwundete Anstrich – Joseph hat nicht nur einfach eine weitere Klavierballade geschrieben, die sanft gegen die Klippen rauscht, sondern einen leichtfüßigen und gleichsam gebrochenen Sirenengesang. Sie singt leicht kehlig, mit einem zittrigen Vibrieren am Ende der Worte, ungemein sinnlich, teils mädchenhaft und fast quäkig, dann wieder so bestimmt und erdrückend, dass man das Alter nicht ausmachen kann.

    Der erste Vers steht bereits völlig für sich: „You do not know me and never will/bones you have thrown me and blood I’ve spilled/it will be better I do not know/you bring me dead birds and then you go“. Joseph wirft direkt mitten in die Szene, mich erinnert das Gefühl, das die Aufnahme umschweift, ein wenig an Nastasias „Counting up your bones“. Alles geht direkt an die Substanz – er wirft mir (seine?) Knochen zu, ich vergieße (mein?) Blut. Er bringt mir tote Vögel, danach verschwindet er. Joseph wählt das Symbol des toten Vogels mit viel Bedacht und schließt jeden Vers damit erneut. Der Vogel ist frei, fliegend und ungezwungen, Herr der Lüfte, Glücksbote, DeLillo schrieb in „Point Omega“ von den „vorbeisegelnden Vögeln des Geistes“ – hier ist die Leichtigkeit und Freiheit von Geist und Körper ein ausbleibender Herzschlag geworden.

    „You and don’t want me make me and might/oats you have sown me at needle point“. Der zweite Vers ist etwas komplexer, ganz sicher bin ich mir nicht (speziell der erste, elliptische Satz gibt Spielraum). Das nächste starke Symbol ist hier der Hafer, ich vermute, dass Joseph ein Gegengewicht herzustellen versucht – Saat, Wachstum, Nahrhaftigkeit; kurz: „Die Ernte einzuholen“, die aber so dünngewachsen ist, dass sie auf eine Nadelspitze passt. Und die dann zuletzt auch eine Brücke zum ersten Vers schlägt – jemand einen Knochen zuzuwerfen ist ein ähnlich demütigender Moment.

    Zuletzt folgt die Billanz und nüchterne Erkenntnis: „And it sounds like all our lives „. Damit schließt sich der Kreis des Songs – einer ist der, der Blut vergießt, der mit offenen Wunden weitergeht, der andere der, der verschwindet.

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389263  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

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