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[B]BENJAMIN CLEMENTINE Condolence
„Then out of nothing
Out of absolutely nothing
I Benjamin
I was born“
„Condolence“ hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Es ist eine Aufnahme, die so klingt, wie sich die Sequenzen des zugehörigen Videos anfühlen: Kleine Lücken im Mauerwerk, hinter denen die Bilder erscheinen, farblos und doch voller Leben, still und anmutig, ein Suchen und Aufrichten, humpelnd über unebenes, ausgedörrtes Land, Tappen im dichten Nebel – ein fast fünfminütiger Erweckungsmoment.
Clementine stammt aus London, mein erster Gedanke war jedoch einer dieser gebrechlichen Klavieraufnahmen, die sich auch auf Einaudis „Divenire“ finden. Oder in etwas abgewandelter Form auch auf „I am bird now“ von Antony & the Johnsons (wenngleich gesanglich die Nina Simone Referenzen sicher passender sind). Musikalisch baut „Condolence“ auf Klavier und einem dominanten Beatmotiv, das der dahintreibenden Melodie unruhige, beschwörende Impulse entgegenstellt, ohne sie zu untergraben – an prägnanten Stellen zischt ein Snare dazu, Chöre erheben sich, die Geschwindigkeit wird immer wieder variiert und am Ende zu einem befreidnden Element – die Steine sind zur Seite gerollt, „I’m sending my condolence to feel“. All das würde nicht halb so intensiv klingen, wäre da nicht Clementines Stimme: Ich finde sie schlicht umwerfend. In Zeiten, in denen auch Soul oft am plakativen Retro-Halbmast hängt, tut es gut einen Sänger zu hören, dessen Songs inspiriert und abgründig klingen, den Ahnen gedenkend, aber nicht als Pose und Revival. Sein Gesang klingt tief und innbrünstig, voller Würde und Echtheit – Eigenschaften, die es sich leisten können, Töne an ungewohnten Orten zu setzen, ins tiefe Register zu wechseln, einzelne Wörter zu beschleunigen, kehlig und sinnlich zu klingen, manchmal in Flüstern und bloßes, ehrfürchtiges Sprechen überzugehen – Clementine macht daraus jedoch glücklicherweise keine Theateraufführung. Ich finde speziell „Condolence“ sehr spürbar und intuitiv.
Markant ist auch der Text, der sich wenig Worte erlaubt. Im Grunde ist es ein langer Monolog, eine Art Anrufung und Selbstbeschreibung. Und ein Erinnern. Etwas freier interpretiert steht die Frage der Vergänglichkeit und der Wiederkehr: Das Sehen eines Gesicht, das Erkennen einer Stimme, der Regen, den man hört, noch ehe er gefallen ist – das alles ist zeitlos, erneuert sich, war vielleicht schon immer, auch wenn man es vergessen hat. „Condolence“ hat eine sehr spirituelle Ebene, Clementine wiederholt hier auch zahlreiche Wörter – ein Mantra gegen das Vergessen. Auch die Bilder selbst sind voller Kraft: Vor dem Sturm war das Feuer, das alles auslöschte – und aus dem Nichts gebiert sich zur rechten Zeit das Neue. So heißt es dann auch: „So that when I become someone one day/I always remember/I came from nothing“. Etwas enger gefasst ist „Condolence“ die Sinnsuche in der Welt – das Wiederkehren, das notwendige Sterben von Dingen und der Sysphosgang. Und der Humor, den man sich inmitten des Memento Mori dabei erhalten kann. Die Auflösung der „Ausgangsfrage“ („And no one know why the road seem so long“) findet zuletzt daher ein fast schalkhaftes Ende: Eine Beileidsbekundung („condolence“). An das Fühlen, die Leichtigkeit, die Furcht.
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Hold on Magnolia to that great highway moon