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KATHRYN JOSEPH: The bird
„In den Songs dreht sich alles um meine Beziehungen zu anderen Menschen; von ihnen verletzt zu werden oder sie zu verletzen. Und um die wunderbaren Sachen, die dazwischen passieren.“
„Bones you have thrown me and blood I’ve spilled“ habe ich leider bis heute nicht vollständig gehört, das wird sich bald ändern. Als ich „The bird“ zum ersten Mal lauschte, hat mich die Magie und Präsenz von Josephs Musik sofort eingewickelt – allen voran die Titelzeilen und die Symbolik des Tracks brennt sich unauslöschlich unter die Haut. „The bird“ ist ein langsamer, getragener Song, beschwörend wie das Rauschen einer Klamm, Musik wie ein Gezeitenwechsel. Was ich daran besonders schätze, ist der leicht makabere, verwundete Anstrich – Joseph hat nicht nur einfach eine weitere Klavierballade geschrieben, die sanft gegen die Klippen rauscht, sondern einen leichtfüßigen und gleichsam gebrochenen Sirenengesang. Sie singt leicht kehlig, mit einem zittrigen Vibrieren am Ende der Worte, ungemein sinnlich, teils mädchenhaft und fast quäkig, dann wieder so bestimmt und erdrückend, dass man das Alter nicht ausmachen kann.
Der erste Vers steht bereits völlig für sich: „You do not know me and never will/bones you have thrown me and blood I’ve spilled/it will be better I do not know/you bring me dead birds and then you go“. Joseph wirft direkt mitten in die Szene, mich erinnert das Gefühl, das die Aufnahme umschweift, ein wenig an Nastasias „Counting up your bones“. Alles geht direkt an die Substanz – er wirft mir (seine?) Knochen zu, ich vergieße (mein?) Blut. Er bringt mir tote Vögel, danach verschwindet er. Joseph wählt das Symbol des toten Vogels mit viel Bedacht und schließt jeden Vers damit erneut. Der Vogel ist frei, fliegend und ungezwungen, Herr der Lüfte, Glücksbote, DeLillo schrieb in „Point Omega“ von den „vorbeisegelnden Vögeln des Geistes“ – hier ist die Leichtigkeit und Freiheit von Geist und Körper ein ausbleibender Herzschlag geworden.
„You and don’t want me make me and might/oats you have sown me at needle point“. Der zweite Vers ist etwas komplexer, ganz sicher bin ich mir nicht (speziell der erste, elliptische Satz gibt Spielraum). Das nächste starke Symbol ist hier der Hafer, ich vermute, dass Joseph ein Gegengewicht herzustellen versucht – Saat, Wachstum, Nahrhaftigkeit; kurz: „Die Ernte einzuholen“, die aber so dünngewachsen ist, dass sie auf eine Nadelspitze passt. Und die dann zuletzt auch eine Brücke zum ersten Vers schlägt – jemand einen Knochen zuzuwerfen ist ein ähnlich demütigender Moment.
Zuletzt folgt die Billanz und nüchterne Erkenntnis: „And it sounds like all our lives „. Damit schließt sich der Kreis des Songs – einer ist der, der Blut vergießt, der mit offenen Wunden weitergeht, der andere der, der verschwindet.
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Hold on Magnolia to that great highway moon