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Gary Windo – His Master’s Bones (Cuneiform, 1996)
Anglo-American (Cuneiform, 2004)
Gary & Pam Windo – Avant Gardeners (Reel Recordings, 2007)
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Hugh Hopper – Hopper Tunity Box (Compendium Records, 1977)Noch ein Nebengeleise: Gary Windo kommt am 7. November 1941 in Brighton zur Welt. Luftangriffe 1944, Vater Kampfpilot, lebenslanges Interesse an Kriegsflugzeugen und an Mechanik. Die jungen Eltern beides Musiker: Der Vater leitet eine 20köpfige Akkordeon-Band, in der die Mutter am Klavier mitwirkt. Gary wächst oberhalb des elterlichen Musikladens auf, wo Basie, Ellington oder Parker lief … früh beginnt er, Akkordeon und Drums zu lernen, mit sechs der erste Gig als Drummer mit der Band des Vaters, mit zwölf kriegt er eine Gitarre und entdeckt Rhythm & Blues und Rock’n’Roll. In den späten Fünfzigern reist er mit der britischen Handelsmarine, 1958 in Australien wechselt er zum C-Melody Sax und spielt in der Band der Handelsmarine. 1960 studiert er in den USA mit Warne Marsh und Lennie Tristano Saxophon und Musiktheorie, 1963 taucht er in Tommy Potters Band in NYC auf, spielt auf Jam Sessions und bei Workshops, zum Beispiel mit Shafi Hadi. Tourt auf dem chitlin circuit mit Rhythm & Blues-Bands und entwickelt sich musikalisch weiter. Er hört Platten und Konzerte seiner Vorbilder: Coltrane, Shepp, Ayler … und Junior Walker (mit dem er 1992 in Woodstock spielen sollte), 1966 führt ein Jam zu einer kurzen Mitgliedschaft bei der Butterfield Blues Band. 1967 heiratet er Junie Field aus Barbados, die bei einer illegale Abtreibung stirbt. Heroin, Verhaftung, ein Jahr in Rikers Island. 1969 wir der nach England deportiert, kehrt nach Brighton zurück und trifft seine Schulfreundin Pamela Ayton wieder. Rhythm & Blues Bands in Pubs, Ausflüge nach London, Gigs im Ronnie Scott’s mit Johnny Griffin, Chick Corea, UK-Tour mit Jimmy Ruffin, Jam-Sessions (einmal mit Jack Bruce, Mitch Mitchell, Brian Auger und Graham Bond im Roundhouse).
1970 ziehen Gary und Pam mit deren beiden Söhnen nach Nordlondon und die Kunde von der Ankunft eines neuen, wilden Saxophonmanns macht die Runde. Der stösst – und ich komme zum Punkt – zur Brotherhood of Breath von Chris McGregor sowie zu Keith Tippetts Centipede. Symbiosis entsteht – mit Mongezi Feza, Nick Evans (tb), Steve Florence (g), Roy Babbington (b) und Robert Wyatt/Louis Moholo (d). Ein 30sekündiges Duo von Windo/Feza, „Ntu“ (Windo) öffnet die Compilation „His Master’s Bone“ und das fast zwölfminütige „Standfast“ mit der ganzen Band (Wyatt am Schlagzeug) ist auf „Anglo American“ zu finden – die Band das Ergebnis langer Gespräche von Windo und Wyatt, „discussing ways of making the then new music more available“. Die beiden, die 1970 zusammen nach London zogen und anfangs zusammen wohnten, „came to the conclusion that Robert’s Soft Machine following should be shown something new“ (Booklet von „Anglo American“, für das Pam Windo die Kommentare zu den Stücken schrieb – einen weiteren Text gibt es hier nicht nochmal). Jetzt explodiert Windo förmlich auf der Szene und spielt Anfang der Siebziger mit so ziemlich allen und taucht bei den einschlägigen Jam Sessions auf, auch im Peanuts Club oder dem Country Club, spielt mit Ginger Baker’s Air Force, John McLaughlin, Dudu Pukwanas Spear und lädt auch Musiker zu sich ein für Sessions.
(Windo ca. Ende der Siebziger oder Anfang der Achtziger, von „Anglo American“)
Mit der BoB tourt er durch Deutschland, es gibt im Juli 1971 eine Symbiosis Supersession, bei der auch Pukwana, Harry Miller und ganz viele Engländer mitwirken, die hier schon vorgekommen sind (Charig, Evans, Skidmore, Tippett…). Windo wirkt beim zweiten Album der BoB mit (klick) und bei späteren Tours (klick – der „Funky Boots March“ aus Willisau, der das erweiterte CD-Reissue beschliesst, ist auch auf „His Master’s Bones“ zu finden), tritt daneben mit Ray Russell auf („Secret Asylum“ von 1973 u.a. mit Harry Beckett, 2007 auf CD bei Reel Recordings wieder erschienen, letztes Jahr digital bei Cuneiform). Mit Feza, Russell und Alan Rushton entsteht das Gary Windo Quartet, mit Hugh Hopper nimmt er „1984“ (CBS, 1973) auf, wovon auf „His Mater’s Bones“ ein Alternate Take von „Minipax 1“ zu finden ist. Hopper hatte den Saxophonisten beim Konzert von Keith Tippetts Centipede im London Lyceum gehört und beschlossen, dass er mit ihm arbeiten wollte. „At the 1984 sessions he was his usual Seargant-Major self, rallying the troops if they looked tired or bored. He could be totally annoying, and a total joy also“ (Hopper im Booklet zu „His Master’s Bones“).
Mit Johnny Dyani ist er auf „Tes Esat“ von Alan Shorter dabei (America, 1971, aufgenommen im April 1970 – ich hatte völlig vergessen, dass Dyani dort mitspielt) und mit Miller/Moholo bildet auch er ein Trio (wie es Mike Osborne ebenfalls tat), das bei allen Gigs „Ghosts“ von Ayler spielte. Mit der Gospel-Sängerin Doris Troy spielt er einen Gig im Ronnie Scott’s (am einen Abend singen seine Stiefsöhne, 9 und 7, bei der Zugabe mit) und ein paar Auftritte in Tunis. Vom April 1973 gibt es auf „Anglo American“ zwei lange Stücke (über 23 Minuten), „Carmus“ und „Spiderman“, aufgenommen in London mit der Band WMWM: Windo (ts), Ron Matthewson (b, elb), Robert Wyatt (d, perc, org) und Dave MacRae (p, elp) – drei Proben in einer Crickett-Hütte nahe Ealing, West London, drei Gigs und eine Radio-Session – und das ist echt tolles Material, elektrisch aber frei! „We, the players, knew each other well and greatly enjoyed playing together, not to show off how good we were technically, but what we could do together“, schreibt Gary Windo. Dieser zeichnete auch gerne, seine Notizhefte und Notenblätter waren mit Comicfiguren gefüllt, die oft bekannten Charakteren ähnelten. Daher wohl der Titel „Spiderman“. Das lange Stück „Carmus“ ist Pam gewidmet, das Wort ist Arabisch für Feige und war ein Übername, den Gary Pam gab, als sie mit Doris Troy in Tunesien spielten – ein Gig, den wie so viele Pam Windo organisiert hatte, wie sie im Booklet erzählt, „but it was a total disaster as she left Gary and me stranded in Tunis airport with all the equipment and no money!“ – Windo bildet dann mit Feza die Jazz-Funk-Band „I Dogou“, um die Sängerin Norma Green in der Schweiz und Italien zu begleiten – und auch die haut mit dem Geld und lässt ihre Band sitzen.
Vier Stücke vom Februar 1974 im Trio mit Frank Perry (perc) machen den grösseren Teil der 2007 bei Reel Recordings erschienen CD „Avant Gardeners“ von Pam & Gary Windo aus. Insgesamt enthält das Album nur 39 Minuten Musik, aber von Windo nimmt man, was man kriegen kann. Gary Windo hat die Aufnahmen mit einem „consumer quarter Reel-to-Reel Recorder and two stereo microphones and 3&3/4 IPS tape speed“ gemacht, wie Michael King auf die Hülle geschrieben hat. Zum Trio mit Perry schrieb Windo 1984, er habe mehr Percussion gehabt als alle, die er kannte. „I would meet him at noon, load my VW bus completely to the roof with his boxes and boxes of equipment, drive two hours to a gig, help him unload, and wait while he spent three hours setting up his percussion playground. After the concert it took another three hours to pack up his stuff, drive back and arrive home at 5 am, before trying to sneak past his landlord’s vicious dog. But the music was always worth it. It had to be for so much of an ordeal!“ – Die Musik hier beginnt sehr laut und wild mit „Roarin'“, wird dann mit „Shepp Heard“ introspektiv: Becken- und Gongschläge, karge Piano-Akkorde, eine tiefe Bassklarinette, die dann mit einem kleinen Quietscher aktiv wird und schliesslich vor dem weiterhin kargen Hintergrund ein flatterndes, gesprächiges Solo folgen lässt, das im Gestus ein wenig an eine freie Variante von Eric Dolphy erinnert. Auch „Bass Space“ folgt (zumindest auf der CD) nahtlos, Windo weiter an der Bassklarinette, eine Art Coda zum vorherigen Stück, nicht einmal zwei Minuten lang und eher in Ayler- als Dolphy-Territorium. „Frank ’n Myrrh / Incensed“ ist das letzte Segment, eine Viertelstunde lang und mit Solo-Percussion öffnend, freie Musik, die aus der Stille entsteht und in eine hochenergetische Trio-Performance mit Klavierclustern, dichten Percussion-Teppichen und einem wild mäandernden Tenorsaxophon mündet.
Dann „Rock Bottom“ mit Wyatt und dessen Drury Lane Comeback-Konzert (1974), gefolgt von „Ruth is Stranger than Richard“, die Wiedervereinigung von Centipede (Auftritt bei den Nancy Jazz Pulsations, 1975), ein Gig mit Pam und Nick Mason. In den Jahren darauf bessert Windo sein mageres Einkommen als Musiker damit auf, dass er Masons Autosammlung repariert und pflegt und fährt wohl auch Lastwagen. Windo spielt mit Moholos Culture Shock (man darf hoffen, siehe Ogun vor einem knappen Jahr auf FB), er wird zum regular bei den Sessions im 100 Club und spielt dort mit Pukwana, Osborne, Dean, Evan Parker, Charig, Evans, Dyani, John Stevens usw. Im Mai und Juni 1976 nimmt Hugh Hopper sein Album „Hoppertunity Box“ auf – ohne je mit den anderen Mitwirkenden zu spielen, ausser für ein Stück mit Drummer Mike Travis. Ansonsten nimmt er mit Click-Track im Ohr die Bass-Spuren auf und lässt die anderen dann dazu spielen. Windo tut das auf „Miniluv“ mit einem seiner typischen Solo, im Opener „Hopper Tunity Box“ an der Bassklarinette im Ensemble in einem ziemlich psychedelischen Ensemble voller Blockflöten, Fuzz-Bass und „weird tone-generators“ von Dave Stewart (hauptsächlich an der Orgel dabei) inklusive „Freedom Jazz Dance“-Zitat. In „Crumble“ rifft Windo an drei Saxophonen zu Drone-artigen Sounds der Bässe. Ein letztes Mal ist Windo auf dem einzigen Cover des Albums, Ornette Colemans „Lonely Woman“, zu hören – an der Bassklarinette im Satz mit Charig und Dean.
Ende November 1976 wirkt Windo beim Baden-Baden Free Jazz Meeting mit. Zwei Stücke aus Mainz vom 25. finden sich auf „His Master’s Bones“, Windos „Standfast“, eine etwas underrehearsed wirkende straighte Rock-Jazz-Nummer über eine Tuba-Riff von Bob Stewart, dem einzigen nicht weissen Musiker der Band, gefolgt von Windos Arrangement von Fezas „You Ain’t Gonna Know Me, ‚Cause You Think You Know Me“ – wie so oft reden hier die Weissbrote (und Stewart) über die Südafrikaner statt mit ihnen: Leimgruber, Mantler, Rudd, Mangelsdorff, Dauner, Roan, Hopper, Stieff, Romano, Vesala. Den Geist der Brotherhood fangen sie doch ganz schön ein, finde ich.
Von einer Session im Mai 1976 aus dem Peanuts Club stammt „Take Off“ von Gary Windo & Friends auf „Anglo American“. Hier hören wir eine der schon erwähnten spontanen Bands aus BoB-Musikern: Dudu Pukwana (as), Windo (ts), Marc Charig (cor), Nick Evans (tb), Frank Roberts (elp), Jane Robinson (vc), Harry Miller (b) und Louis Moholo (d). Zum Stück gibt es im Booklet ein Zitat von Gary, das auch nochmal die Location bestätigt, bei der ich bisher nicht ganz sicher war (27 Wormwood St., gleich neben der U-Bahn-Station Liverpool): „This small club above the King’s Arms pub behind Liverpool tube station was the place of so much fantastic music. Every Friday night something exciting would happen and I played there many times. This night was typical of the club’s feeling, and this band was virtually the Brotherhood of Breath.“ – Ein tolles Stück, das den Groove und den Kollektivgeist der BoB aufleben lässt, aber in einer jazzigeren, weniger afrikanisch angehauchten Atmosphäre. Das gestrichene Cello ist gut zu hören und bringt eine neue Facette in den Mix (das E-Piano hört man hingegen leider kaum, das ist eine Amateur-Aufnahme). Natürlich ist das Stück auf der CD gelandet, weil Windo hier ein Solo spielt – er verbindet auf so typische Weise Free und Gospel … in den Fussstapfen von Albert Ayler natürlich. Dabei umgarnen ihn Charig, Evans und Pukwana, das Cello rifft mehr oder weniger auf einem Akkord – und wenn Charig zum Solo ansetzt, bricht das Stück leider hart (ohne Fade-Out) ab.
Aus ungefähr der Zeit sind auf „Avant Gardeners“ ein Duo-Stück der Windos, „We’re On Our Way / Primal Stream“, sowie ein Quartett von Gary und Pam Windo (p) mit Miller und Moholo, „Maiden Stone“, zu finden. Die Aufnahmen entstanden im Herbst 1976 bei einem Konzert im Maidstone College of Art in Kent. Eine Art Gospel-Stück und dann eine sehr freie, zuletzt unbegleitete Tenorsax-Improvisation, mit sprechendem Gestus, überblasenen Tönen, auch etwas Einsatz der Stimme. Windos unbedingte Verpflichtung seinem Instrument gegenüber wird selten so deutlich. Siebeneinhalb Minuten dauert das Quartett-Stück, auch sehr frei, mit einer entfesselten Bass-Drum und einem rasenden Miller, Pam spielt Cluster am Klavier, Gary kreischt darüber – wuchtiger Free Jazz. Das Foto auf dem Cover der CD ist mit „Maidstone, 1976“ überschrieben, Infos gibt es leider kaum, aber ein Zitat von Gary, datiert auf 1984: „Pam Windo and I loved to work together. She was and is one of the greatest supporters of my madness. And though she has had much heartbreak trying to help me, our musical collaborations have always been beautiful. This track is to say, ‚Thank you Pam.'“
Die eigenen „Steam Radio Tapes“ entstehen (1976-78) in den Brittannia Row Studio von Pink Floyd u.a. mit Nick Mason, Hugh Hopper, Steve Hillage, Julie Tippetts, Robert Wyatt und Pam Windo. Von Pam stammen zwei der drei Stücke auf „His Master’s Bones“. Die kurzen Opener und Closer des 2013 erschienen Albums („Steam Radio Tapes“, Gonzo Multimedia) sind in derselben Position auf „Anglo American“ platziert, „Ginkie“ für den Grossvater, ein Bassklarinetten-Solo-Stück mit Overdubs (Percussion, mehr Bassklarinette, gesprochener Text) und das Traditional „Red River Valley“, ein Lieblingsstück von Gary in einem First Take, „mistakes and all, but I love it – bollocks!“ – geht als Rhythm & Blues-Romp los und mündet dann in eine tolle unbegleitete Improvisation von Windo (ein sehr passender Abschluss für das zweite der „Tapes“-Alben). Dazwischen gibt es insgesamt sieben Stücke, wobei „Watch Out for the Bones“ von „His Master’s Bones“ zu fehlen scheint (oder „Come Into the Garden“ heisst, Timing würde passen). Mit den Komposition-Credits gibt es auch Verwirrung, jedenfalls hat Pam Windo zwei der Stücke geschrieben, bei „Letting Go“ sind sich die beiden CDs einig, sonst schreiben sie ihr „Is This the Time?“ bzw. „Come Into the Garden“ zu.
1978 dann die Carla Bley Band, Tour durch die USA, Windo eine Schlüsselfigur in der tollen Musik von Carla: „He easily breathed her musical spirit and could always be counted on to play off her dry wit“ und „whose lunatic between song antics had everyone either overjoyed or outraged“, schreibt Mike King in im Booklet zu „His Master’s Bones“, dessen ersten Teil mit dem Titel „Gary Edgar Windo: A Concise Career Chronology“ ich hier schamlos plündere – den zweiten Teil mit den Track-Infos und -Kommentaren gibt’s bei Discogs). 1979 ziehen die Windos nach New York – der Frachter mit den ganzen Tapes und kentert allerdings mitten im Atlantik in einem Sturm. Die zweite US-Tour mir Bley endet in Kalifornien, wo Haden und Don Cherry für ein Liberation Music Orchestra-Konzert dazu stossen. CBGBs mit Fred Frith, Carnegie Hall mit der Carla Bley Band, Umzug nach Woodstock auf der anderen Seite der Wiese von Bley und Mantler. Job beim Creative Music Studio neben Haden, Cherry, Blackwell, Coxhill, Frith, Hemphill und natürlich Karl Berger …
Pam Windo hatte nicht in die USA ziehen wollen – aber sie war es, die den Gig von Carla Bley im Dingwall’s in London eingefädelt hatte, der alles ins Rollen brachte. „I remember her letter arriving in London, asking Gary to tour the U.S. I had never wanted to visit, let alone live in America, but knowing how much he wanted to go, I went ahead of him to New York, to figure out how to get him back there. By pure luck, when I telephoned the Musician’s Union, one of the top guys answered, and told me to go over and he’d help me fill out the visa application. That’s how we came to live in America.“ – Und es begann mit „staying first with a new friend Nancy in Chappaqua, and then with John Clark (trumpet player [eigentlich Horn, oder?] with Carla Bley) until we found our own way up to a log cabin in Willow, NY. Gary loved Carla’s band, a perfect vehicle for his brilliant zaniness. It was a family affair, living in the woods near Carla’s studio, with the boys, Simon and Jamie getting up on stage at the Public Theater introducing the orchestra, and in the south of France, playing percussion. She would always cook meals for her musicians, saying that cooking and composing were closely tied!“ (Pam Windo im Booklet von „Anglo American“). Das alles beginnt irgendwann 1977 – im September des Jahres ist Windo ja schon dabei, als „European Tour 1977“ mit der Carla Bley Band aufgenommen wird, und ein Jahr später dann auch bei „Musique Mecanique“. In etwa derselben Zeit wirkt er auch auf Michael Mantlers „Movies“ und „Move Movies“ mit.
Am 29. und 30. Juli 1979 entstehen in Bleys Heimstudio (Grog Kill Studio, Willow, NY) Aufnahmen mit Pam Windo am Klavier, Steve Swallow am Bass und Drummer D. Sharpe – vier Stücke auf „His Master’s Bones“, fünf auf „Anglo-American“, wobei die Stücke „Anglo-American“ und „The Sun and the Moon“ auf beiden Alben zu finden sind (das erste einmal mit einem Gimmick-Intro angereichert: „This isn’t necessarily the tempo“ sagt eine Männerstimme, Windo vermutlich, und dann hört man ein paar Takte aus dem Stück in mehrfacher Geschwindigkeit). Zusammen um die 32 Minuten („Anglo-American“ und „The Sun and the Moon“ jeweils nur einmal gezählt) also etwas zu wenig für eine LP, aber vielleicht gibt es da ja noch mehr Material. „Anglo-American“ (Stück mit Bindestrich, Album ohne) hat Pam Windo geschrieben, weil sie wohl an Heimweh litt (das Wort gibt’s ja eigentlich nur in der Schweiz): „I was feeling a great nostalgia for England. It symbolizes the continental divide between our two homes“ (Schlussbemerkung im Booklet zu „Anglo American“). Diese Session gehört zum schönsten, was Windo hinterlassen hat. „Loaded Vinyl“ hätte das Album heissen sollen – „When asked for the meaning of the term ‚Loaded Vinyl,‘ Gary dramatically held an imaginary record up to a ceiling lightbulb, raving, ‚When you’re in a record shop and pick up an album you wanna know, does this record deliver the goods? Is it hot music? Is this loaded vinyl?'“ – Pams „Anglo-American“ ist eine bezaubernde Hymne, in „Peaches“ von The Stranglers spielt Windo zunächst Bassklarinette und singt und sprechsingt dann, bevor es ein typisches Solo gibt. „The Sun and the Moon“ ist noch ein tolles Stück von Pam Windo, es wechselt zwischen Hymne und freien Passagen und gönnt D. Sharpe ein Solo, das er mit einer Art Verweigerungshaltung nur allmählich auszuführen beginnt. Ein practical joker, „droll, with his dry, whimsical humor. He would often purposely drop his drumstick at the end of a piece“, wie er es hier am Ende seines Solos tut (Zitat aus Pam Windos Liner Notes zu „Ango American“). „Radio Improved“ bietet etwas Alltagsgeräusche und Radio im Hintergrund zwischendurch – während eine Männerstimme spricht, ein Klavier klimpert. Wenn das Stück nach ca. 1:30 Minuten richtig beginnt, nimmt die Band richtig Fahrt auf und Windo spielt ein tolles Solo, bis er da Tempo mit einem Riff drosselt und dann wieder das Radio zu hören ist. Auf „Anglo American“ gibt es zwischen den zwei repetierten Stücken noch das groovende „Is This The Time?“ (Gary Windo) mit Sprechgesang von Pam Windo, „Quick Steps“ (Pam Windo) und „Free to Go“, eine Improvisation (ohne Credit für die Komposition). Schade, dass aus diesem guten Material nie ein Album zustande gekommen ist … es hätte gar nicht schlecht in den Watt-Katalog gepasst, dünkt mich.
In dasselbe Umfeld gehören zwei Duos von Windo (ts, fl, hand d) mit Carla Bley am Klavier, in ihrem Studio schon im Februar 1978 aufgenommen und auf „His Master’s Bones“ zu finden. Das erste klingt wie ein alter Spiritual, ist als „untitled“ bezeichnet, das zweite heisst „Baby Fatele“ (Bley). Mike Mantler habe die Session am Mischpult betreut, erinnert sich Windo. „Over brandys and laughs we made some beautiful music. Carla was so warm that day and I love this track (‚Fatele‘) best of all.“ – Windo zeigt in diesen Session aus dem Heimstudio von Bley seine zarte Seite: der Ton am Tenorsax ist dennoch riesig, sehr farben- und obertonreich, er streut gekonnt Vibrato und Obertöne ein, haucht und singt. Von Bley gibt es im Booklet auch einen kleinen Text, auf 1978 datiert und des Lobes voll. Darin erklärt sie, wie Windo an Junior Walker erinnere und direkt vom Rhythm & Blues in die Avantgarde gesprungen sei. „Most important, he speaks through his horn. Anything he’d want to say – he can say through his saxophone immediately. He’s got a direct line between all four feelings and his horn. That’s being too serious for a moment because he’s not a serious person, but I believe in him completely.“
In den Achtzigern hunderte Sessions aller Art, Auftritte mit NRBQ, er wirkt bei einem Solo-Saxophon-Konzert neben John Zorn, Ned Rothenberg und George Cartwright im Soundscape mit, komponiert für und spielt mit der Saturday Night Live Band. 1981 erste schwere Krankheit (Darmperforation – wie ich vor einem Jahr) und Krankenhaus, doch es geht bald weiter, u.a. mit den Psychedelic Furs (US-Tour im November), in der Zeit auch viele Aufnahmen mit Todd Rundgren u.a. für „That’s the Way I Feel Now…“, die grosse Monk-Hommage (Monk und Sun Ra spielen auch bei NRBQ eine Rolle). 1983 die Scheidung von Pam Windo, Gary zieht bei Hal Wilner ein. 1984 heiratet Windo die junge Ellen Liberace, Pornodarstellerin (unter dem Alias „Siobhan Hunter“) und Nichte eines berühmtem Showmannes. Das Paar zieht nach L.A., Windo schreibt und spielt auch Musik für Pornofilme seiner Frau.
Mit Pam Windo & The Shades gibt es noch „Radio Improved“ von ca. 1981. Irgendwann früher im Jahr, als Gary mit Bley auf Tour war, startete Pam eine neue Band, die Shades. Als Gary genesen war, hörte er das Material zum ersten Mal: „He simply took over, giving the Shades the wild mixtures it turned out to be: some oddly lyrical songs I had composed that he edged towards a quasi-jazz-rock band by using two saxophones and a rocking rhythm section. Auf dieser Version von „Radio Improved“ sind Gary (ts) und Pam (p) mit Ian Bennett (ts), Charlie Brocco (g), Ed Fitzgerald (elb) und Chris Grassi (d) zu hören. Das ist eher instrumentaler Rock als Jazz, finde ich … und „Baxter“, das zweite Stück von ca. 1981 auf „Anglo American“, auch aus dem Grog Kill Studio von Carla Bley und mit Al Anderson (g), Terry Adams (p), Joey Spampinato (elb) und Tom Ardolino (d) ist dann eine Tanzband, Sonntagnachmittag irgendwo im verschlafenen Wintergarten eines Hotels, wo die Best Agers sich zum Tee treffen und Windo es geniesst, für einmal seine melodische Seite auszupacken. Baxter war Roadie mit NRBQ und vielleicht ist das Stück auch daher so … unerwartet, denn der die Band scheint sehr eklektizistisch unterwegs gewesen zu sein, und Windo liebte das natürlich. Auf der CD folgt gleich noch ein drittes Stück aus dem Grog Kill Studio von ca. 1981, „Lassie Breaks Out“, wieder mit The Shades, auch wenn das im Booklet nicht steht – ein wilder Romp. Diese Band brachte – laut Discogs schon 1980 – auch ein Album heraus, „It“ (Bearsville Records).
Auf „His Master’s Bones“ gibt es zwei Stücke vom Gary Windo Orchestra, aufgenommen am 4. April 1984 für WRPI Radio in Troy, NY. Neben dem Leader am Tenorsax sind in „Dumb Waiter“ (Psychedelic Furs) und „Ghosts“ (Albert Ayler) Gitarrist Knox Chandler, Bassgitarrist Jack Robinson und Steve Moses am Schlagzeug dabei – das Debut von Windos neuem Quartett der Achtziger, das nachher Gary Windo Band hiess. Das Repertoire der Band war gross, neben Originals gehörten Stücke wie „Stand By Me“ (Ben E. King), „MRA“ von Dudu Pukwana oder „Sister Europe“ von den Psychedelic Furs dazu.
Anfang 1985 die Rückkehr nach New York, neue Band, Mitwirkung beim Kurt Weill-Tribute-Album „Lost in the Stars“ und Tour mit Rundgren. Die Gigs sind zu viele, um sie zu erwähnen, aber in den Jahren gibt es mal ein Gary Windo Orchestra und immer wieder Gigs mit der Gary Windo Band oder dem Gary Windo Quartet, auch ein paar eigene Alben („Dogface“, 1982; „Deep Water“, 1988), Gigs mit Bongwater, Mitwirkung bei Allen Ginsbergs „The Lion For Real“ (1989), Knitting Factory mit der Gary Windo/Frank Lowe Band mit Walter Bishop Jr. und Frank Butler im Sommer 1989 (krasses Line-Up!). „Deep Water“ erschien bei Island Records – drei Stücke von den Sessions lehnte das Label a, darunter „Patience“, das am Ende der CD „His Master’s Bones“ steht. Aufgenommen in den Bearsville Studios in Woodstock im Mai 1984 mit Ann Sheldon, der Cellistin der Furs sowie dem Quartett der Zeit. Anscheinend habe Windo Sheldon so unter Druck gesetzt, dass sie den Tränen nah gewesen sei, bevor diese tolle Performance entstand – die gerade dank dem Cello besonders ist. Sheldon strab am 31. Dezember 1985 auuf dem Weg zu einem Auftritt in Albany, NY, bei einem Verkehrsunfall.
1990 erfüllt sich Windo einen alten Jugendtraum und nimmt Flugstunden, beginnt mit Segelflügen. 1992 spielt er mit Junior Walkers Band in Woodstock, mit den Heavenly Humminbirds (die Gospelmusik zieht sich ja durch, zum Glück hörte er früh auf, für Sängerinnen zu spielen, die mit der Kasse abhauten – wobei Norma Green wohl sie hier war, keine Gospelsängerin also). Allerdings geht es mit der Gesundheit bergab … was Windo nicht von der Westküsten-Tour mit NRBQ im Juli 1992 abhält. Letzter Auftritt im Slim’s in San Francisco, Asthma-Attacke auf dem Heimflug, Tod am 25. Juli durch Herzstillstand nach einer weiteren Asthma-Attacke. Als Freunde seine Mutter erreichen, stellt sich heraus, dass die schon seit ein paar Tagen Gary zu erreichen versucht, um ihm mitzuteilen, dass sein Vater gestorben ist.
Das ein irre volles Leben im Schnelldurchgang – mit mässig viel Bezug zum Thema hier, aber im Jahrzehnt der Rückkehr nach England (1969-1979) eben doch immer wieder … und Windos Stimme ist z.B. bei der Brotherhood of Breath wenigstens so eigenwillig wie die von Evan Parker.
Liner Notes von Gary zu manchen der Stücke gibt es, weil „His Master’s Bones“ noch zu Lebzeiten als Dokument seiner Karriere konzipiert worden war. Auch ein paar Stücke von „Anglo American“ waren dafür vorgesehen. Mike King schreibt am Ende des nahezu enzyklopädischen Booklets von „His Master’s Bones“, dass Gary den Titel im Mai 1992 wählte – für die Retrospektive, an der schon 1983 zu arbeiten begonnen hatte. Sein geliebter Hund Oliver hätte – in Erinnerung an das Logo von „His Masters Voice“ – auf das Cover kommen sollen, daneben Gary, wie er Knochen aus seinem Tenor bläst.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deVon Can bis Novalis: Das ultimative Who’s Who im Krautrock
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Der Rock ist ein Gebrauchswert (Karl Marx)Dass es ein Nick Mason-Album gibt, das quasi ein Carla Bley Band-Album ist, wusste ich nicht … aufgenommen von Mike Mantler (der auch als Solist auf dem Album glänzt, „Do Ya?„) im Grog Kill Studio, mit Bley, Steve Swallow, Windo, Gary Valente, Howard Johnson und der halben Band an Backing Vocals (Vincent Chancey, Earl McIntyre, D. Sharpe, Valente, Carlos Ward, Windo), dazu kommen neben Mason noch Chris Spedding (g) und Vocals von Karen Kraft und Robert Wyatt. Windo hat in „Wervin'“ einen Spot, der vom Sound etwas atypisch klingt – etwas dünn und hoch, fast ein wenig wie Dave Sanborn:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaIch gucke fast nie in diese Threads … ich hab ja lieber Texte als Sterne. Bringt mich drauf: Für die ganzen Südafrikaner sind Sterne-Listen parallel in Arbeit, aber bei den drei Windo-Zusammenstellungen tue ich mich echt schwer, das sind ja alles (am wenigsten die Reel-CD) Materialsammlungen, sehr bunt, mit Highlights aber ohne Kohärenz … als Album * * *, für den Inhalt aber * * * * oder auch einen halben mehr?
Ich glaub nicht, dass der Thread hier noch gross weitergeht, hab mich bloss mal nach dem Album von Centipede umgeschaut und noch etwas weiter geklickt und dann ins am Wochenende erstmals zur Kenntnis genommene Mason-Album reingehört (das ich mir wohl auch noch besorgen werde) und gedacht, ich stelle hier noch den Track mit dem Windo-Solo rein.
Auf dem Nino Roda-Album ist die Carla Bley Band mit Windo auch – und auch mit dem richtigen Track … einfach nicht mit dem richtigen Soundkleid, der aufgeräumte körperlose 80er-Sound passt dazu echt nicht, Gary Valentes Ton übersteuert da fast die Mikrophone:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: Gary Windo, Pam Windo
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