Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Coleman Hawkins – The Father of the Tenor Saxophone (1904-1969)
-
AutorBeiträge
-
Am 4. Dezember 1943 beginnt eine Phase, während der Hawkins in grosser Regelmässigkeit ins Aufnahmestudio ging – und eine Menge umwerfender Musik einspielte. Neben Sessions für Bob Thieles Label Signature und der Apollo-Session, die als erste Bebop-Session in die Annalen des Jazz eingegangen ist, sind vor allem diverse Aufnahmen für Keynote erwähnenswert. Doch der Reihe nach.
Hawkins‘ Stil hatte sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt. Loren Schoenberg zitiert in den Liner Notes zur Mosaic-Box „Classic Coleman Hawkins Sessions 1922-1947“ den Kritiker Barry Ulanov, der Hawkins‘ neuen Stil sofort bemerkt habe:
Barry UlanovColeman Hawkins is still the top man on the tenor saxophone. Hawk today is more relaxed than at any time in recent years. The changes of key and chord, the plethora of notes that Hawk blows have confused or annoyed or bewildered many of his listeners in the past. And casual listeners can’t help occasionally being swamped into boredom and uncertainty by his playing. There will be somewhat less of that reaction in the future however, because this is a more lucid music that Hawk plays today.
Schoenberg selbst fährt unmittelbar im Anschluss fort:
Loren SchoenbergIt wasn’t only his emotional tone that had changed. Hawkins had continued to expand his technical command of the instrument. Then there was the new generations of musicians that matched Hawkins‘ penchant for – and knowledge of – what were for the time extended harmonies. While most of his peers were at best noncommittal and at worst hostile to the new music emanating from Minton’s and Monroe’s in Harlem, Hawkins welcomed it, and as he had always done, listened deeply and integrated it into his own music. All of this resulted in a series of recordings where all of Hawkins‘ abilities were in perfect accord not only with each other but with the times themselves. He was the acknowledges master of his horn, he was at the peak of his creative and technical powers and a major attraction in his niche of the music business.
4. Dezember 1943 | WOR Studios, New York City | Coleman Hawkins and Leonard Feather’s Esquire All Stars (Commodore) – mit Cootie Williams, Edmond Hall, Art Tatum, Al Casey, Oscar Pettiford und Sid Catlett nahm Hawkins unter Feathers Leitung vier Titel ein. Neben Hawkins ist vor allem Tatum zu erwähnen, der in dieser Zeit leider viel zu selten mit Bläsern aufnahm und sich in guter Form präsentiert (allerdings erinnern seine Läufe und Arpeggi hier öfter an Bars und Spelunken denn an den Konzertsaal – doch das ist eigentlich gar kein „aber“, das „allerdings“ also etwas mutwillig gesetzt). Cootie Williams lag im Poll hinter Armstrong und Eldridge auf Platz drei (sagt Francis Davis, Doering sagt hinter Satchmo auf Platz zwei), Edmond Hall auf Platz zwei hinter Benny Goodman. Die Erstplazierten und wohl auch Eldridge standen nicht zur Verfügung, doch das tut dem Gelingen der Aufnahmen keinen Abbruch – es liegen Welten zwischen der Musik der Metronome All Stars ein paar Jahre zuvor und diesen Esquire All Stars! Auch diese Session findet man übrigens auf der neulich abgebildeten Doppel-CD von Frémeaux.
Den Auftakt macht Feathers „Esquire Bounce“, Williams präsentiert das einfache Thema im Wechsel mit Hawkins und übernimmt die Bridge. Das erste Solo gehört dann Tatum, der klarmacht, dass er zum Spielen gekommen ist. Es folgen Casey und Hall, bevor Hawkins mit toller Begleitung von Catlett loslegt. Zwischen ihm und „Big Sid“ verlief eine besondere Achse, von der auch weitere Sessions aus der Zeit profitieren sollten. Die anderen Bläser riffen hinter Hawkins und das Stück klingt direkt aus, ohne das Thema zu wiederholen. Die zweite Nummer, „Boff Boff (Mop Mop)“, macht klar, dass der Bebop im Anmarsch war. Casey spielt die Bridge des Riff-Themas aus Hawkins‘ Feder, Tatum übernimmt wieder das erste Solo – bemerkenswert das Zusammenspiel zwischen linker und rechter Hand – die erstere scheint die Musik stets zurückzubinden an die Jazztradition, die rechte hingegen eilt flink voran … dann folgt Hawkins, schliesslich Williams mit einem tollen Solo und sehr engagierter Begleitung von Catlett.
„My Ideal“ – von Hawkins mit der Rhythmusgruppe präsentiert – gehört dann zu den grossen Balladen aus Hawkins‘ Katalog. Nach Hawkins Präsentation des Themas mit einer unglaublichen Gelassenheit folgt Tatum, dann schliesst Hawkins das Stück ab, wieder mit einem Solo, das direkt zum Ausklang führt – majestätisch! Den Abschluss der Session macht dann Feathers „Esquire Blues“, in dem deutlich wird, wie prägend Hawkins auch für die „härteren“ Tenoristen wie Illinois Jacquet war. Casey und Hall solieren zuerst, beide schlagen sich sehr gut (Tatums Klavier klingt dahinter sehr distanziert), Williams folgt, einmal mehr verspielt, während Catlett immer mehr in die Gänge kommt. Hinter Tatum nimmt er sich dann etwas zurück, wobei Pettifords starke Walking-Bass-Läufe umso schöner zur Geltung kommen – und er erhält danach auch sein einziges kurzes Solo der Session, als Überleitung zum abschliessenden Hawkins-Solo, in dem er eine einfache Idee melkt und von Catlett angetrieben wird – zum Schluss mit einer Art Proto-Backbeat!
Es handelt sich hier übrigens um Oscar Pettifords erste Aufnahme überhaupt. Francis Davis schreibt in seinen Liner Notes zur weiter oben abgebildeten GRP-CD „Tenor Giants“:
Francis Davis… in 1943, all of the top soloists in jazz still spoke essentially the same language. For a sense of how long ago this was, consider that Pettiford, then only twenty-one, was making his first record date here, having already won a poll on the strenght of his live perofrmances at the a timeh one could hear practically anyone who was worth hearing on New York’s 52nd Street and recordings were thought of as little more than souvenirs.
Jeweils einen Alternate Take (in wesentlich schlechterem Sound) aller Stücke findet man auf Volume 1 (1935-1943) von Neatworks „Alternative Takes in Chronological Order“, der österreichischen Reihe, mit der die französischen Classics-CDs ergänzt werden (von „Boff Boff“ findet man auf der Chrono-CD – „1943-1944“ – anscheinend Take 2, den Alternate Take, Neatwork liefert daher Take 1 – ich habe nicht mit der oben abgebildeten GRP-CD verglichen. Vom „Esquire Bounce“ fand Mosaic dann noch einen dritten Take (wenn mir jemand mal wirklich eine Freude machen will: die drei Commodore LP-Boxen von Mosaic hätte ich wirklich gerne ;-)).
8. Dezember 1943 | WOR Studios, New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Signature) – Am 8. Dezember, nur vier Tage nach der Esquire-Session, nahm Hawkins die erste von drei Sessions für Bob Thieles Label Signature auf – alle drei finden sich auf der Mosaic-Box „Classic Coleman Hawkins Sessions 1922-1947“, und alle drei sind unbedingt hörenswert. (Die Esquire-Session hätte auch schon für Thieles Label aufgenommen werden sollen, doch konnte Feather ihn wie es scheint nicht erreichen und wandte sich daher an Milt Gabler von Commodore.)
Die Band bestand am 8. aus Bill Coleman (t), Andy Fitzgerald (cl), Hawkins (ts), Ellis Larkins (p), Al Casey (g), Oscar Pettiford (b) und Shelly Manne (d). Mit Coleman hatte Hawkins schon 1936 in Europa gespielt, der zwanzigjährige Larkins studierte klassische Piano (Juilliard), Manne und Fitzgerald waren auf Urlaub vom Militärdienst in New York. Die Bläser verzahnen sich in „Hawkins‘ Barrel-House“ (einem Boogie) fast New Orleans-mässig, Hawkins spielt in seinem Solo mit einem einzigen Riff herum, das dann auch gleich zum Thema der letzten Nummer, „Stumpy“ wird. „Voodte“, das erste der vier Stücke, klingt ein wenig nach Bop, doch insgesamt ist das ganz klar eine Swing-Session, wofür auch Bill Colemans Trompete und der mir völlig unbekannte Andy Fitzgerald an der Klarinette sorgen. Shelly Manne an den Drums orientiert sich stark an Big Sid, auch wenn sein Beat ein anderer ist – gerade in Hawkins‘ zupackendem Solo in „Voodte“, aber auch im „Barrel-House“, begleitet er sehr engagiert, in letzterem gestaltet er die ganze Performance mit unterschiedlichen Stilmitteln bis zum Klimax, dem Rim-Shot auf dem Beat bevor Hawkins‘ Solo beginnt.
Mit „How Deep Is the Ocean“ enthält die Session eine weitere meisterhafte Ballade, die möglicherweise das viel berühmtere „Body and Soul“ noch übertrifft. Nach vier Takten, in denen Hawkins sich am Thema orientiert, spielt er eine Reihe von Phrasen, die aus der jeweils vorangegangenen wachsen – ein Solo, das unglaublich organisch und zugleich dramatisch wirkt – und das eins von Sonny Rollins liebsten ist, wie er im Interivew mit Ted Panken einst gesagt hat. Das Solo scheint auch unglaublich schwierig zu spielen zu sein – doch Hawkins präsentiert es, als gäbe es nichts leichteres auf der Welt. Er selbst hat sich gewundert, warum dem Stück nicht der Erfolg von „Body and Soul“ beschieden war, doch erschien ersteres auf der Höhe der Swing-Ära auf einem Major Label, während „How Deep Is the Ocean“ mitten im Zweiten Weltkrieg auf einem kleinen, unabhängigen Label erschien.
18. Dezember 1943 | WOR Studios, New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra/Coleman Hawkins‘ Swing Four (Signature) – Die zweite Signature-Session erschien damals nicht. Sie bestand bisher aus „Lover Come Back to Me“ und „Blues Changes“, die mit Verspätung auf einer Brunswick-LP landeten. Auf der Mosaic-Box ist erstmals nicht nur ein Alternate Take von „Lover“ zu finden sondern auch noch „Indiana“. Das vierte Stück, „These Foolish Things“, ist leider verloren (dabei wäre es natürlich höchst interessant, Hawkins in dieser so sehr mit Lester Young verbundenen Ballade zu hören).
Die Band besteht aus Larkins, dem Gitarristen Jimmy Shirley, Pettiford sowie Drummer Max Roach bei seinem Aufnahme-Debut. „Lover Come Back to Me“ öffnet mit einem Intro von Larkins, bevor Hawkins wieder nur kurz das Thema anspielt und sich rasch in eigene Linien verabschiedet. Pettiford trägt den Beat, Roach (noch nicht zwanzig geworden) stompt – man hört hier noch nichts vom genialen Trommler, der zu den wahren Innovatoren gehört, was das Jazz-Schlagzeug betrifft. Shirley war ein toller Gitarrist, der auf der 52nd Street mit den besten Musikern spielte, u.a. mit den Pianisten Clarence Profit und Herman Chittison – aber in der Welt von Hawkins wirkt er mit seinem soliden 4-to-the-bar-Comping und seinen twangy Soli wie ein Fremdkörper. In „Blues Changes“ wird Spannung durch den ständigen Wechsel der Tonart aufgebaut – und wir hören in der Mitte ein gutes Bass-Solo von Pettiford. Die beste und freieste Nummer der Session ist wohl das neu entdeckte „Indiana“, leider in ziemlich schlechter Klangqulität (wie auch der Alternate Take von „Lover“).
Trivia: Hawkins‘ Band folgte im Studio auf James P. Johnson, den Vater des Stride-Pianos. Er hatte eine Session mit Yank Lawson und eine Solo-Session eingespielt und u.a. eine Hommage an seinen drei Tage zuvor verstorbenen Schüler und Freund von Hawkins aufgenommen: Fats Waller. Faszinierend die Vorstellung, Max Roach habe sich mit diesem unterhalten … das grosse Jazz-Kontinuum.
23. Dezember 1943 | WOR Studios, New York City | Coleman Hawkins‘ Swing Four (Signature) – Die dritte und letzte Signature-Session ist zugleich die berühmteste – die Band besteht aus Hawkins, Eddie Heywood (p), Pettiford und Manne und es wird schon im ersten Stück, „Crazy Rhythm“, das eher eine Art Aufwärmübung ist, klar, dass alle vier einen guten Tag haben. Pettiford spielt schon im ersten Stück ein tolles Solo, Shelly Manne swingt spätestens in „Get Happy“, dem zweiten Stück, wie der Teufel und sein flexibler und doch stabiler Beat verzahnt sich aufs schönste mit Pettifords harmonisch offenem Bass. Dieser und besonders der eher für kommerziellere spätere Sessions bekannte Heywood wachsen förmlich über sich hinaus. Doch Hawkins setzt mit seinem Solo zum Abschluss das Glanzlicht.
Der Höhepunkt der Session ist „The Man I Love“. Heywood spielt den ersten Chorus, Hawkins legt ein paar leise, gehaltene Töne darunter, während die Rhythmusgruppe mächtig Dampf macht. Heywood klingt hier unheimlich frisch und fast schon wie Monk – dieser sagte in einem Interview: „Every day I listen to pianists who are using my technique. If you don’t know them, I know them very well. Listen to someone like Eddie Heywood, for example.“ – Echos von Monk, noch bevor dieser – ein paar Monate später mit Hawkins – erstmals aufnahm? Die beiden, Heywood und Monk, kannten sich gemäss Robin D.G. Kelley seit 1939, in welcher Richtung die Einflüsse gingen, ist wohl nicht mehr zu rekonstruieren. Doch zurück zu „The Man“, inzwischen spielt Pettiford ein tolles Bass-Solo, mit grossem Ton und treibendem Beat, voll nach vorn … und man hört ihn Luft holen, Keuchen zwischen den Phrasen – ein Bass, der atmet, ein Bass wie ein Mensch. Oscar Pettiford: vielleicht der grösste von allen. Pettiford denkt wie ein Bläser, spielt Phrasen nur so lang, wie ein Atemzug reicht – und er endet sein Solo mit einem Zitat von Charlie Parkers Solo in Jay McShanns „Sepian Bounce“ (in dem Parker stark von Lester Young geprägt ist). Doch das ist noch längst nicht alles, das Stück dauert fünf Minuten (es handelt sich hier wie auch schon bei anderen „Blues Changes“ um Aufnahme, die auf 12-Inch 78 rpm Platten erschienen) und lässt daher auch noch Raum für ein zwei ganze Minuten langes, grandioses Solo von Hawkins, der sich zwar nicht so weit von der Melodie entfernt wie sonst, aber was er damit anstellt, kleine Verschiebungen, ein motivisches Fortspinnen – die perfekte Balance zwischen Variation und Einheit – und dabei der unglaubliche rhythmische Drive bei maximaler Entspanntheit, der wundervolle Ton, der auch akustisch mehr denn ansprechend eingefangen ist … klasse auch der Pedal Point, den Pettiford kurz vor dem Ende spielt!
Was will man danach noch spielen, wenn die music to end all music verklungen ist? Eine Ballade vielleicht? Auf „Sweet Lorraine“, das Evergreen, das auch Nat „King“ Cole mochte, fiel die Wahl. Heywoods Solo ist erneut phantastisch, Hawkins spielt gehaltene Töne die einen an Ben Webster denken lassen (bei dem die Geste, das „Wie“, so wichtig war wie die Note, das „Was“).
Gut möglich, dass diese prototypische Swing-to-Bop-Session Hawkins beste Stunde überhaupt ist.
Trivia: Oscar Pettiford trat 1942 ins Bild – Hawkins spielte in Duluth, Minnesota, bei einem Radio-Sender. Pettiford, ein aufstrebenden Bassist, der in den Twin Cities aktiv war, hatte davon erfahren und reiste an. Er hatte seinen Bass dabei und war schon bei den den Sound Checks anwesend. Schliesslich meinte Hawkins, er solle ihm was vorspielen und war beeindruckt. Pettiford spielte mit und danach jamten die beiden die ganze Nacht hindurch und wurden Freunde.
CODA:
Am 15. und 16. Januar folgten dann weitere Esquire-Sessions, die teils auf Bootlegs veröffentlicht wurden (vom Radio mitgeschnitten). Beim ersten Datum war bis auf Hawkins die Band eine komplett andere (u.a. mit Roy Eldridge, Jack Teagarden und Barney Bigard), beim zweiten waren zu den gerade genannten die vier Rhythmiker von der Commodore-Session wieder zur Stelle, zudem Louis Armstrong, aber nicht Bigard und Eldridge. Ich kenne diese Aufnahmen leider nicht. Das eigentliche Esquire-Konzert fand dann am 18. Januar statt (siehe unten), doch Hawkins nach davor noch weitere Stücke auf.
18. Januar 1944 | Metropolitan Opera House, New York City | Esquire American All Stars (V-Disc) – Ich kenne diese Aufnahmen leider nur in Auszügen von der abgebildeten Proper 4-CD-Box Art Tatums. Die All-Stars bestanden aus Louis Armstrong, Roy Eldridge, Jack Teagarden, Barney Bigard, Coleman Hawkins, Art Tatum, Al Casey, Oscar Pettiford und Sid Catlett. „Mop Mop“ öffnet nach dem Thema mit einem umwerfenden Solo von Tatum, bevor Al Casey mit dem Riff spielt, das als „Salt Peanuts“ bekannt wurde. Danach folgen Soli von Bigard, Catlett und im Thema zum Schluss eine bridge von Teagarden. Als nächstes erklingt der „Esquire Bounce“ ohne Armstrong, aber mit einem weiteren guten Solo von Tatum und einem kurzen Beitrag von Hawkins, den Catlett wieder anpeitscht, und schliesslich ist als drittes in der Box noch „My Ideal“ zu hören – anscheinend Hawkins einziger wirklich guter Moment des Konzertes, in dem er ein feines Solo spielt, während er sonst einfach munter drauflosfetzt – was vom Publikum, im Gegensatz zum Balladen-Feature, denn auch abgefeiert wird.
Weitere Titel mit Hawkins, die ich nicht kenne, waren „Tea for Two“ (ohne Armstrong, dafür mit Lionel Hampton), ein Billie Holiday-Set mit drei Stücken (natürlich auch ohne Armstrong, und wieder ohne Hampton), die All Stars spielten noch diverse weitere Stücke u.a. mit Red Norvo und Mildred Bailey, aber meine alte Ausgabe von Lord ist da nicht sehr aufschlussreich, ein paar Titel sind mehrfach und mit divergierenden Line-Ups gelistet …
Das Konzert als ganzes gehört neben Benny Goodmans Carnegie Halll-Konzert, den beiden Spiritual to Swing-Konzerten und dem Town Hall-Konzert vom 9. Juni 1945 wohl zu den wichtigsten Ereignissen dieser Jazz-Epoche … schade, dass es keine ordentliche Ausgabe der gesamten Aufnahmen zu geben scheint (gesucht habe ich dabei gerade nicht, aber es kam mir noch nie was unter).
Für heute ist Schlusz – ich hatte geplant, den Post bis Dezember 1944 fortzuführen, doch das Jahr 1944 erhält seinen eigenen Post (oder auch deren zwei). Bei den Signature-Sessions bin ich jetzt seit zwei Stunden und muss ich noch länger verweilen. Sie sind wirklich grossartig*, ganz besonders die dritte!
*) Chuck Nessa was right!
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deOh, du Hässliche! Die 25 schrecklichsten Weihnachtsalben-Cover
Legendäre Konzerte: The Concert For Bangladesh 1971
„Kevin allein zu Haus“: Ein Familienfilm ohne Familie
The Beatles: Wie die Aufnahmen zu „Let It Be“ zum Fiasko wurden
Taylor Swift: Alle 274 Songs im Ranking
Stephen King: Die besten Bücher – Plätze 10-01
WerbungDiese Box enthält die gesammelten Aufnahmen Coleman Hawkins‘ für das neu gegründete unabhängige Label Keynote. Auf vier CDs werden die Sessions präsentiert, die Harry Lim mit Hawkins produzierte – neben verschiedenen Formationen unter Hawkins‘ Leitung auch Gruppen unter der Leitung von Cozy Cole, Charlie Shavers und George Wettling. Stilistisch reichte die Bandbreite bei Keynote von Dixieland bis Cool, die Hawkins-Sessions präsentieren in erster Linie Swing, wie man ihn damals in den Clubs der 52nd Street hören konnte. Die Musik ist vom Allerfeinsten und zählt mit zum besten, was Hawkins aufgenommen hat.
Dazwischen kommen Sessions zur Sprache, die er für andere Label eingespielt hat – 1944 ist nicht nur das Keynote-Jahr sondern auch das Jahr der ersten Bebop-Session, wie ich ja schon erwähnte.
31. Januar 1944 | New York City | Coleman Hawkins Quintet Featuring Teddy Wilson (Keynote) – zum Auftakt hören wir Hawkins in einer hervorragenden Band mit Roy Eldridge und Teddy Wilson sowie Billy Taylor und Cozy Cole. Die Rhythmusgruppe ist wesentlich unaufgeregter und auch etwas konservativer als es die Rhythmiker – vor allem Oscar Pettiford – bei den Signature-Sessions waren. Doch für Hawkins ist auch dies ein perfektes Umfeld, er spielt entspannt auf, wirkt fokussiert und übernimmt auch den Löwenanteil der Soli. Eldridge und Wilson sind aber ebenfalls in allen Stücken zu hören. Wilson glänzt auch mit kurzen Piano-Intros und einer eleganten Begleitung, unterstützt von Taylors solidem Bass (der aber nicht die Anstösse von Pettiford geben kann) und Coles Schlagzeug, das leicht und steady und dennoch flexibel klingt. Von den besten zwei Stücken der Session, „I Only Have Eyes for You“ und „Bean at the Met“ sind jeweils drei Takes zu hören – warum ist unklar, denn alle drei sind äusserst gelungen. Doch man will nicht klagen, wenn man von Meistern wie Hawkins, Eldridge und Wilson mehr zu hören kriegt! In „Eyes“ ist Hawkins im zweiten Take besonders gut. Er spieltt in dem Stück zwei Chorusse, nachdem Eldridge das Thema mit Dämpfer (und umgarnt von Hawkins und Wilson) präsentiert und sich mit Wilson einen Chorus geteilt hat. Das Tempo ist in allen drei Takes dasselbe. Das ist im zweiten Stück, „‚S Wonderful“, anders – der zweite Take ist fast 20 Sekunden kürzer. Auf dem ersten Take ist das Ensemble zu Beginn etwas ungeschliffen (Eldridge präsentiert wieder mit Dämpfer das Thema, während Hawkins ihn begleitet), aber Wilsons Solo, das direkt folgt, ist brillant. Im letzten Chorus – Hawkins soliert mehr oder weniger weiter, Eldridge kehrt mit dem Thema zurück – kickt Cole die Band. Sein Spiel ist überhaupt bemerkenswert, auch wenn er ganz nur einen leichten Shuffle spielt wie im ersten Stück. Auch Taylor ist mehr als solide. Seiner Bekanntheit half nicht gerade, dass er bei Ellington von Jimmie Blanton abgelöst wurde, aber er gehört sicherlich zu den besten Bassisten seiner Generation (1906-1986). Der zweite Take von „‚S Wonderful“ ist dann heiss, vor allem Eldridge macht im Out-Chorus (er spielt ihn mit offener Trompete und growls) mächtig Dampf.
In „I’m in the Mood for Love“ überlässt Hawkins das Thema erneut Eldridge (wieder mit Dämpfer), seine Begleitschnörkel sind kaum hörbar – Wilson spielt die letzten acht Takte des ersten Chorus, dann übernimmt Hawkins. Er spielt meisterlich, mit bezauberndem, weichem Ton und gelassener Phrasierung, perfekt von Wilson, Taylor und Cole eingebettet. Wilson und Eldridge spielen dann im letzten Chorus nochmal je acht Takte – aber Hawkins‘ eineinhalb Durchgänge sind das Kernstück. Der erste Take war diesmal perfekt (bei „Eyes“ und „Bean at the Met“ ja eigentlich auch). Den Abschluss macht dann „Beat at the Met“, eine Paraphrase über „How High the Moon“ (das auch deutlich durchscheint) und damit auch mit Bop-Anklängen. Die Rhythmusgruppe setzt einen eleganten und doch treibenden Beat, Eldridge soliert mit Dämpfer, sehr erfindungsreich (in jedem der drei Takes!). Dann folgt Wilson, im zweiten Take mit Tatum-Anklängen. Hawkins spielt im zweiten Take heisser, und im dritten perfektioniert er seinen dramatischen holler aus dem zweiten Take, verfeinert und erweitert das Solo noch einmal.
16. Februar 1944 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Apollo) – Das erste Stück dieser Session gilt als die erste Bebop-Aufnahme. Dizzy Gillespie leitete damals mit Oscar Pettiford zusammen eine Band. Hawkins gehörte unter den älteren Musikern zu den wenigen, die keinerlei Berührungsängste mit den jungen Wilden, den Beboppern, an den Tag legten. Max Roach, Howard McGhee, Miles Davis, J. J. Johnson oder Thelonious Monk nahmen damals als Sidemen mit ihm auf. Hier spielen: Dizzy Gillespie, Vic Coulson, Ed Vandever (t), Leo Parker, Leonard Lowry (as), Coleman Hawkins, Don Byas, Ray Abrams (ts), Budd Johnson (bari), Clyde Hart (p), Oscar Pettiford (b), Max Roach (d).
Pianist Clyde Hart öffnet „Woody’n You“ mit einem kurzen Piano-Intro, dann präsentiert die ganze Band das Thema – und as boppt in der Tat schon ganz schön, vor allem dank den Einwürfen der Trompeten und Max Roach am Schlagzeug, der mit Oscar Pettiford bestens harmoniert und langsam unterwegs zum eigentlichen Max Roach ist. Hawkins spielt ein engagiertes Solo, doch das Augenmerk gilt hier vor allem Dizzy Gillespies Solo. Er präsentiert sich hier erstmals nicht mehr als ein talentierter Schüler von Roy Eldridge, sondern ganz als sich selbst.
Das zweite Stück der Session ist „Bu Dee Daht“, ein boppigs Riff-Stück, das Johnson und Hart komponiert haben. Auch hier hören wir eine kurze bridge eines Trompeters, der wohl auch wieder Gillespie heisst (hier allerdings ein paar Töne nicht wunschgemäss trifft). Danach wird das Stück aber konventionell, Hawkins ist der einzige Solist, nur die Trompeten-Einwürfe klingen weiterhin modern. Das dritte und letzte Stück der Session ist „Yesterdays“ und gehört ganz Hawkins – er spielt unterwegs auch mal einen sehr hohen Ton (was er nur seltetn tat) und man merkt, dass Ben Webster hier auf ihn zurückwirkt.
17. Februar 1944 | New York City | Coleman Hawkins Quartet (Keynote) – Hawkins‘ zweite Keynote-Session entstand nur mit Rhythmusgruppe – aber was für eine! Teddy Wilson und Cozy Cole sind erneut dabei, zu ihnen stösst der Bassist Israel Crosby (am besten bekannt durch seine Arbeit mit Ahmad Jamals Trio in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre). Wilson ist in besonders guter Form und erhält diesmal auch etwas mehr Raum um seine Eleganz und sein tiefes harmonisches Wissen zu präsentierten. Wir sind wieder fest im Swing-Territorium, Hawkins spielt eher zurückhaltend, aber in „Imagination“ wird sein melodisches Talent einmal mehr deutlich und im letzten Stück, „Cattin‘ at the Keynote“ kommt er in drei Chorussen aus sich heraus (Doering verzeichnet ein Alternate Take davon, aber scheint es sich um einen Fehler handeln, die 4-CD-Box enthält keinen, Lord führt auch keinen auf, Morgenstern nennt den Alternate Take in seinen Liner Notes zur CD-Box „a figment of the discographical imagination“).
In „Flame Thrower „(WWII lässt grüssen) glänzt Wilson mit zwei Chorussen voller Einfälle, Hawk wirkt reserviert. „Imagination“ präsentiert ihn dann aber in Form – ein schier wollüstiger Ton, ein überwältigender Fluss von Ideen. Das Zusammenspiel von Wilson, der sich mit Hawkins als Solist abwechselt, wirkt wie ein Gespräch unter guten Freunden. „Night and Day“ von Cole Porter folgt, eröffnet nur von Crosby und Cole. Dann setzt Hawkins ein und präsentiert das Thema mit seinen langen Linien, das über weite Teile nur auf einem Ton bleibt. Wilson wirkt hier ebenso souverän wie Hawkins – eine weitere meisterhafte Performance. Den Abschluss macht dann „Cattin‘ at Keynote“, ein Romp, den Hawkins und Wilson mit breaks eröffnen. Wilson spielt dann zwei Chorusse, schnellfingrig und fliessend, Hawkins deren drei, kraftstrotzend. Das Thema wird nicht präsentiert, aber das Stück (keins mit einer üblichen AABA-Struktur) erinnert ein wenig an „Shine“.
22. Februar 1944 | New York City | Cozy Cole All Stars (Keynote) – am 22. Februar nahm Hawkins gleich zwei Sessions auf. Die Reihenfolge ist mir nicht bekannt. Da ist zunächst eine All Stars-Session unter der Leitung von Cozy Cole. Neben Hawkins sind auch Joe Thomas (t), Trummy Young (tb), Earl Hines (p), Teddy Walters (g) und Billy Taylor mit von der Partie. Es ist Hines, der Piano-Gigant, der das Geschehen am stärksten dominiert. Hines leitete damals noch seine eigene Big Band und war nur selten bereit, als Sideman aufzunehmen. Doch die Musiker sind allesamt in Form. Trummy Young hatte früher bei Hines gespielt, Hawkins braucht nicht vorgestellt zu werden, Joe Thomas setzte sich leider nie wirklich durch, nahm für Keynote jedoch mehrmals auf. Teddy Walters, der Gitarrist, verstarb früh, er spielt hier Soli im Stil von Charlie Christian und schlägt sich gut, definitiv weniger twangy als Jimmy Shirley in der Signature-Session ein paar Monate früher. Taylor und Cole sind schon von der ersten Keynote-Session vertraut, sie sorgen auch hier für ein stabiles, swingendes Fundament.
Die Session ist eine der schönsten aus dem ganzen Keynote-Katalog. Sie profitiert sehr davon, dass zum ersten Mal bei Keynote das 12-Inch-Format zum Einsatz kam, das Raum für etwas über fünf Minuten Musik bot. Zu den vier Stücken sind insgesamt sechs Alternate Takes überliefert, von jedem Stück einer, von „Father Co-Operates“ gleich deren drei.
„Blue Moon“ macht den Auftakt, für meinen Geschmack zu schnell gespielt, man erkennt den Song kaum. Hines spielt ein paar Töne, Cole und Taylor steigen mit einen soliden Beat ein, dann präsentieren die Bläser das Thema, Hawkins ergänzt da und dort einen Schnörkel. Hines spielt den letzten Teil allein und geht direkt in sein Solo über – he has come to play! Alle Musiker ausser Taylor und Cole solieren in diesem ersten Stück, Hines beide Male hervorragend, aber auch Trummy Young sticht heraus. Doch das Stück ist nur die Vorspeise …
Als nächstes hören wir das Meisterstück der Session, „Father Co-Operates“ – „Fatha“ war Earl Hines‘ Übername (als sei „Earl“ sein Vorname … der Adel war unter den alten Jazz-Pianisten endemisch ;-)). Hines‘ Ideenfluss ist beeindruckend in allen vier Takes, er überrascht, prescht hervor, erkundet die harmonisch abgelegensten Ecken, lässt nichts unversucht – dabei tut er eigentlich nichts, war er nicht immer getan hat, der Mann war schilcht: eine Naturgewalt. Bloss hörte man ihn damals (und eigentlich überhaupt) selten in einem solchen Rahmen. Das Stück, eine Riff-Nummer (die Bridge gehört Hines), ist ein schneller, Romp durch die Rhythm-Changes, die damals (auch bei den Beboppern) so beliebten Akkorde von „I Got Rhythm“. Hawkins ist der Aufgabe gewachsen, er spielt das letzte Solo – das Vorrecht des Ältesten, wenn man so will, entwickelt es von Take zu Take weiter, perfektioniert es, ohne dass dabei seine Spontanität verloren ginge. Thomas, Walters und Young (speak about Spontanität!) sind mit kürzeren Soli zu hören und sie alle schlagen sich wacker. Hines‘ Auftakt und Hawkins‘ Abschluss sind hier aber die grossen Ereignisse.
Nach diesem Feuerwerk gibt es eine romantische Ballade, „Just One More Chance“, in der Hawkins im Mittelpunkt steht. Er nutzt seine Chance und liefert ein weiteres Meisterwerk der hohen Kunst der Ballade ab. Auch Hines kriegt einen Chorus – man beachte die Tremolos! – und Walters erhält in diesem die Bridge. Die anderen Bläser legen da und dort ein paar gehaltene Töne unter die Melodien des Meisters, der eine bezaubernde Stimmung kreiert – in beiden Takes, beide sind perfekt. Den Abschluss der Session macht Trummy Youngs „Thru‘ for the Night“, eine Variation über „Honeysuckle Rose“ in einem swingenden mittelschnellen Tempo. Nach Hines‘ irrwitzigem Intro präsentieren die Bläser das Thema, verhalten, relaxed – und alle lieferen tolle Soli ab, ganz besonders Trummy Young selbst, der im zweiten Take ein Juwel von einem Solo bläst.
22. Februar 1944 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Apollo) – Am selben Tag – und das ist echt kaum zu fassen – ging Hawkins auch wieder für Apollo ins Studio. Zu den drei Stücken 16. Februar kamen noch drei dazu, mit der exakt selben Band, mit dem einzigen Unterschied, dass Budd Johnson diesmal an Alt- und Tenorsaxophon zu hören ist. Und es ist nicht so, dass Hawkins sich eine Blösse gäbe – ganz im Gegenteil, in dieser Session entstand „Rainbow Mist“, sein „Update“ von „Body and Soul“, das dem Original in nichts nachsteht.
Doch als erstes wurde „Disorder at the Border eingespielt, eine Blues-Linie von Hawkins, die er bis zum Ende seiner Karriere spielen sollte. Dizzy Gillespie soliert zuerst, zunächst mit Dämpfer, dann mit offenem Horn – mit dem Dämpfer klingt er noch schwer nach Roy Eldridge, auf der offenen Trompete ist er schon er selbst. Hawkins folgt und geht gleich in die Vollen – mit Enthusiasmus und Biss. Das Riff, das die Bläser hinter ihm spielen, stammt übrigens aus „Jumping Blues“ von Jay McShann – also von Charlie Parker! Die Session ging mit „Feeling Zero“ weiter, einem langsamen Original von Hawkins, das ihn sebst ganz ins Zentrum rückt und erneut eine romantische Stimmung heraufbeschwört.
Dann folgt „Rainbow Mist“ (eine Improvisation über „Body and Soul“), benannt nach dem Rainbow Music Shop in Harlem, dessen Besitzer auch Inhaber von Apollo Records war. RCA hatte gerade „Body and Soul“ aus dem Katalog gestrichen und Hawkins wollte es mit einer neuen Version ersetzen. Sein Solo ist erneut grandios, sein Ton voller als 1939. Die Begleitung ist 1944 angemessen, es gibt nicht den Graben zwischen Hawkins und der Band – doch es ist vielleicht genau dieser Abgrund zwischen der steifen Band und dem innovativen Solisten, der die 1939er Aufnahme so speziell macht.
Am 1. Mai 1944 nahm Hawkins mit Cozy Cole eine weitere Session auf – mit dabei Emmett Berry, Walter Thomas, Budd Johnson, Johnny Guarnieri und Max Shopnick. Die vier Stücke erschienen auf Savoy, leider kenne ich sie nicht.
17. Mai 1944 | New York City | Auld/Webster/Hawkins Sextet (Apollo) – Die nächste Session paart Hawkins erneut mit wetieren Tenorsaxophonisten – dieses Mal sind es Ben Webster und Georgie Auld (der auch am Alt zu hören ist). Dazu kommen Charlie Shavers (t), Bill Rowland (p), Hy White (g), Israel Crosby (b) und Specs Powell (d). Leonard Feather hat die Session geleitet. Im ersten Stück, seinm eigenen „Pick-Up Boys“, ruft er die Solisten aus. Das Riff klingt etwas nach Ellington. Webster ist denn passenderweise der erste Solist, mit mächtigem Ton, aufgerauht, sich stellenweise fast überschlagend. Die Rhythmusgruppe stompt hinter ihm. Charlie Shavers spielt ein kurzes Break, dann folgt Auld mit einem sehr guten Solo, ebenfalls mit recht rauhem Ton. Hawkins spielt dann als letzter – und gewinnt die Battle, so es denn eine ist.
„Porgy“ von Jimmy McHugh ist das zweite Stück der Session – es gehört ganz Hawkins, der erneut beeindruckt. In dieser Periode war er wirklich eins mit seinem Instrument, spielt mit unglaublicher Gelassenheit und Souveränität. Auch „Uptown Lullaby“ von Feather ist eine attraktive Nummer, die Linie klingt irgendwie nostalgisch, Whites Gitarre hat wohl auch etwas damit zu tun. Auld greift hier zum Altsax, spielt es mit sattem cremigem Ton, irgendwo zwischen Willie Smith und Johnny Hodges entfernt, auch diese eine repetierte Note mittendrin (2:13 bis 2:16) und der anschliessende Lauf klingt sehr nach Hodges. Webster spielt im Ensemble Klarinette und schliesst nach Aulds Alt-Solo den Chorus am Tenor ab. Hawkins ist für die Girlanden am Anfang und Ende zuständig. Eine durchaus überraschende Nummer für eine solche pick-up band (darauf bezieht sich natülrich der Titel des ersten Stückes), aber da waren eben Meister am Werk.
Das letzte Stück ist aber fraglos das wichtigste der Session: „Salt Peanuts“. Hier stiehlt Charlie Shavers den Saxophonisten beinah die Show. Er hatte 1935 mit Dizzy Gillespie, dem Komponisten des Stückes, in der Trompetensection der Big Band von Frank Fairfax gespielt. Die vorliegende Aufnahme ist die erste dieses Stückes, Shavers spielt kurze Breaks zwischen den Soli und glänzt mit präzisen, boppigen Phrasen. Auld soliert als erster – und imitiert dabei täuschend echt Ben Webster. Dieser folgt als zweiter, dann Hawkins – und er ist ganz klar am fokussiertesten und entscheidet auch diese Runde für sich.
Alle drei Apollo-Sessions finden sich auf der oben abgebildeten CD „Rainbow Mist“ (Delmark, 1992), die zudem eine Session der Big Band von Georgie Auld enthält, ebenfalls aus dem Mai 1944. Budd Johnson hat alle Arrangements für diese Session geschrieben und auch ein „Concerto for Tenor“ komponiert, dessen Intro Monks „Round Midnight“ sehr ähnelt. Auld war ein guter Musiker, der immer swingte, aber sich nicht recht entscheiden konnte, wie er denn nun klingen wollte – in der Session mit Hawkins und Webster imitiert er ja in einem seiner Soli letzteren, später machte er eine Lester Young-Phase durch … ein Highlight der Session ist das Trompetensolo von Sonny Berman in „Taps Miller“. Berman (1925-1947) hatte leider viel zu wenige Möglichkeiten, sein Talent auf Platte zu beweisen. Die Session bietet jedenfalls einen hübschen Schlusspunkt nach den drei phantastischen Hawkins-Aufnahmen (und ja, klar, die Delmark-CD gehört ganz wie die Keynote-Box zum feinsten, was man von Hawkins haben kann – und im Gegensatz zur Keynote-Box sollte sie sogar noch problemlos und günstig zu finden sein).
Talmadge „Tab“ Smth, c. 1946-48 (Photo: William P. Gottlieb)24. Mai 1944 | New York City | Coleman Hawkins and His Sax Ensemble (Keynote) – eine Woche nach der dritten und letzten Apollo-Session fand Hawkins sich erneut in bester Gesellschaft im Studio ein. Sein „Sax Ensemble“ mit Tab Smith (as), Don Byas (ts) und Harry Carney (bari) nahm vier Stücke für Keynote auf. Byas war einer von Hawkins‘ grössten Rivalen an der 52nd Street, Carney natürlich der Anker der Ellington Big Band, und Smith hatte mit Mills‘ Blue Rhythm und der Band von Count Basie gespielt. Auch die Rhythmusgruppe war erstklassig: am Klavier Johnny Guarnieri (einer der weniger, der wohl das Zeug zum Tatum-Nachfolger gehabt hätte, aber gereicht hat es dann irgendwie doch nie), am Bass Al Lucas, und am Schlagzeug der alte Bekannte Sid Catlett. Wieder erlaubte das 12″-Format längere Stücke, Tab Smith zeichnete für alle Arrangements.
„On the Sunny Side of the Street“ macht den Auftakt. Es gehörte Johnny Hodges, der es 1937 mit Lionel Hampton aufgenommen hatte – und Hodges war gewiss im Kopf von Smith, als er das Stück aufnahm. Hawkins spielt im ersten Take nach Smith ein relaxtes Solo, im zweiten Take hat sein Spiel mehr Biss. Nach Hawkins spielen Guarnieri, Carney und Byas je einen halben Chorus, die Saxophonisten mit Breaks (Byas im zweiten Take sehr toll). Dann führt Smith das Stück zu Ende – mit der längsten unbegleiten Kadenz, die es vor der Modern Jazz-Ära zu hören gibt. Ein äusserst gelungener Auftakt zu einer sehr schönen Session – kein Warmspielen nötig hier, von Beginn an wird konzentriert musiziert!
Mit „Three Little Words“ steigt das Tempo. Byas soliert als erster, sanft und flüssig präsentiert und umspielt er das Thema. Carney folgt, kraftvoll, freudig, nahe am Thema und mit gutem Support von Sid Catlett – und es wird klar, wie viel er Hawkins verdankt. Guarnieri, Smith und Hawkins folgen, letzterer bereit, es allen zu zeigen (die anderen Saxophone begleiten ihn in der zweiten Hälfte des Solos). Besonders toll ist hier Catlett zu hören, der die ganze Performance strukturiert und gestaltet, speziell hinter Carney und Hawkins ist er bemerkenswert. Hinter Guarnieri glänzt dafür besonders Bassist Al Lucas.
„Battle of Saxes“ ist eine Uptempo-Nummer von Hawkins über die Changes von „China Boy“. Hawkins spielt als ersters, geht in die vollen und gibt einen sehr hohen Standard vor. Smith spielt zwei Chorusse – sein bestes Solo der Session wohl. Guarnieri folgt, mit ein paar Phrasen à la Fats Waller. Byas folgt mit zwei Chorussen und nimmt Hawkins‘ Herausforderung an – leider keine backings durch die anderen Bläser, aber er schlägt sich sehr gut. Dann hören wir einen Chorus von Carney, überraschend flüssig und leicht. Doch dann übernimmt der alte Mann und zeigt einmal mehr allen, wer hier der Meister ist (die anderen begleiten ihn wieder – wirklich schade, das das bei Byas nicht auch gemacht wurde).
Das letzte Stück der Session ist „Louise“, ein alter Song von Whiting/Robin. Smiths Arrangement ist hübsch, Carney spielt die bridge, ansonsten wird das Thema gemeinsam präsentiert. Hawkins spielt das erste Solo – und man könnte ihn zunächst fast für Don Byas halten, so sehr nimmt er sich in der Gestaltung seines Tons zurück. Die Saxophon-Begleitung läuft hinter Guarnieri weiter, er spielt geschickt damit. Carney (im ersten Take zu leise) wird dann einmal mehr von Catlett angetrieben. Byas kriegt leider nur einen halben Chorus, Smiths Einstieg wirkt fast wie eine unhöfliche Störung. Hawkins bläst dann nochmal einen ganzen Chorus.
Insgesamt ist das eine sehr schöne Session – und ein Triumph, einmal mehr, für Hawkins, den kompetitiven alten Fuchs.
29. Mai 1944 | New York City | Coleman Hawkins‘ All American Four (Keynote) – Ein paar Tage später war Hawkins bereits wieder für Keynote im Studio. Die All American Four waren eine weitere Poll-Winners-Session, vom Esquire, wo nur Kritiker abstimmten. Teddy Wilson, John Kirby und Sid Catlett sind mit von der Partie bei einer einer weiteren 12″-Session, was den Musikern viel Raum lässt.
Hawkins ist unglaublich entspannt drauf in „Make Believe“, dem Jerome Kern-Stück, von dem zwei – perfekte – Takes erklingen. Sein Ton ist sehr schön eingefangen, überhaupt sind die Keynote-Aufnahmen klanglich sehr gelungen, gerade auch, was die Drums betrifft. Und es gab nie dünne oder verstimmte Klaviere. Auch von „Don’t Blame Me“ sind zwei Takes überliefert. Das Stück von Jimmy McHugh und Dorothy Fields bietet die langen Linien und interessanten Changes, die Hawkins so mochte. Auch Wilson schätzte den Song, hatte ihn in den Dreissigern schon solo eingespielt. Sein Solo im zweiten Take gehört wohl zu den besten, die er aufgenommen hat. Hawkins ist zugleich relaxed aber auch leidenschaftlich. Charlie Parker nahm das Sütck wenige Jahre später ebenfalls auf.
In „Just One of Those Things“ ist wieder der enstpannte Swing des ersten Stückes zu hören. Das Stück von Cole Porter ist wahrlich sophisticated, Catlett ist in der Begleitung einmal mehr brillant. Den Abschluss macht dann „Hallelujah“ mit Soli von allen vier Beteiligten. Ein stürmisches Finale einer weiteren herausragenden Session (Hawkins‘ beste für Keynote? Die Cole All Stars mal ausgenommen, bei denen Hawkins ja wirklich nur einer unter vielen ist).
Am 14. Juni fand eine weitere Savoy-Session von Cozy Cole statt, diesmal mit Berry, Eddie Barefield, Thomas, Guarnieri und Sid Weiss. Auch diese Aufnahmen kenne ich nicht.
Die Sessions vom Juli 1944 bis Januar 1945 folgen im nächsten Post, auch wenn sie eine Einheit mit den hier besprochenen bilden.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
v.l.n.r.: Denzil Best (d) Al Casey (g), John Levy (b), Pied Piper, New York, ca. 1946-48 (Photo: William P. Gottlieb) (Anm.: falsche Infos zum Bild bei der deutschen Wiki! Das recht ist sicherlich nicht Billy Bauer.)27. Juli 1944 | New York City | Coleman Hawkins and His All Stars (Manor/Regis) – Denzil Best hatte in den frühen Vierzigern als Trompeter angefangen, aber nach einer Tuberkulose-Erkrankung konnte er nicht mehr spielen. Zwei Jahre später tauchte er bereits bei Ben Webster als Schlagzeuger wieder auf. Die Hawkins-Session ist seine zweite, und er sollte eine Weile mit Hawkins spielen. Ein unaufdringlicher, ja minimalistischer, aber äusserst musikalischer Drummer, ein Meister des Spiels mit den Besen. Die Session findet sich auf der Mosaic-Box „Classic Coleman Hawkins Sessions 1922-1947“ und – ohne „Shivers“, das vielleicht beste Stück – auch auf „Coleman Hawkins 1944-1945″ von Chronological Classics“.
Die Band, die Hawkins Ende Juli ins Studio brachte, ist wieder sehr interessant. Die Session entstand für Manor, das kleine Label von Irving Berman, der vermutlich als Produzent gewirkt hat. Die Independent-Labels, oft Ein-Mann-Betriebe, hatten in der Zeit Hochkonjunktur. Das lag besonders am recordings ban der Musikergewerschaft, der seit August 1942 lief. Es ging dabei um Streitigkeiten, was die Honorare betraf. Musikern, die der „American Foundation of Musicians“ (geleitet vom mächtigen James Petrillo, deshalb spricht man auch vom „Petrillo ban“) angehörten, durften zwar live und im Radio auftreten, ab 1943 auch V-Discs einspielen (Platten für die Truppenunterhaltung, die nicht für die breite Öffentichkeit bestimmt waren), aber sie durften keinen Fuss in ein Studio setzen. Die grossen Labels hatten im Juli noch auf Vorrat Platten aufgenommen, danach war Schluss. Nur das Boston Symphony Orchestra war nicht in der AFM, Sänger konnten allenfalls neue Platten mit Vokal-Begleitung aufnehmen, aber nicht mit Bands. Diejenigen Label, die keinen grossen Vorrat an Aufnahmen hatten, gaben als erste nach und stimmten den neuen Bedingungen zu – und viele kleine Label, die dies ebenfalls tate, entstanden. Der Streik endete effektiv erst im November 1944, als auch RCA Victor und Columbia nachgaben (davor hatte sich auch schon Franklin D. an Petrillo gewandt, doch der blieb stur). Weitere Nebenerscheinungen des bans sind der beschleunigte Niedergang der Big Bands und der relative Mangel an Aufnahmen, die die Entstehung des Bebop dokumentieren (es gibt zwar durchaus Aufnahmen, aber eben auch diverse bekannte und wichtige Bands, die nie ein Studio betraten).
Aber zurück zu Hawkins. Im Studio mit ihm waren Charlie Shavers (der schon bei der Session mit Auld und Webster dabei gewesen war), Edmond Hall (auch er ein alter Bekannter), der überragende Pianist Clyde Hart (der leider schon 1945 an Tuberkulose verstarb), Tiny Grimes an der Gitarre (er leitete im selben Jahr eine tolle Session mit Charlie Parker für Savoy), sowie Oscar Pettiford und Denzil Best. Den Auftakt mach „All the Things You Are“, das innert kurzer Zeit zu einer Lieblingsnummer der Bebopper werden sollte und an der 52nd Street bereits hoch im Kurs stand. Hart und Pettiford leiten ein, dann präsentiert Hawkins das Thema. Im dritten Takt des A-Teils spielt die Rhythmusgruppe übrigens einen umgebauten Akkord mit Tritonus. Wenig später war das üblich, im Sommer 1944 war es bahnbrechend. Hawkins präsentiert das Stück mit grösster Gelassenheit, sein Ton scheint trotz der mittelprächtigen Qualität der Aufnahme schön eingefangen zu sein, das Material bietet für ihn eine perfekte Grundlage. Shavers und Hall setzen aus.
„Shivers“ ist das zweite Stück, erstmals in der Mosaic-Box veröffentlicht und ein sehr toller Fund! Charlie Christian hat es komponiert, Pettiford spielt auf der ganzen Länge einen Kontrapunkt, nachdem er schon im Intro mit einem break zu hören ist, das an Jimmie Blanton erinnert. Auch die bridge gehört Pettiford. Die Tonart ist übrigens dieselbe wie jene von Blantons Feature mit Ellington, „Jack the Bear“. Hawkins spielt einen ganzen Chorus, Shavers einen halbe, dann folgen je acht Takte von Grimes und Hall. Es ist jedoch klar Pettiford, der hier das Geschehen dominiert! Er nahm an dem Tag auch zwei Duos mit Hart auf, die jedoch noch nicht aufgetaucht sind.
„Step on It“ beruht auf den changes des „Tiger Rag“, vor „I Got Rhythm“ wohl das populärste Stück bei Jam Sessions. Nach dem unbegleiteten Intro von Hawkins übernimmt Hart und spielt zunächst eine Art Variation über Basie, bevor er mit eigenen Linien loslegt. Hier hört man Best an den Besen recht deutlich, und auch den gelegentlichen fill der Bass-Drum. Shavers spielt ein gutes Solo, das stellenweise recht modern wirkt. Dann folgt Grimes. In der Mitte seines Solos setzt Pettiford mit einem drop in die tiefe Lage einen Akzent, den Grimes umgehend aufgreift – sehr schön, zu hören, wie spontan diese Musiker reagieren! Hawkins folgt dann mit dem letzten Solo, greift zum Einstieg Grimes‘ letztes Riff auf. Die anderen riffen hinter ihm. Man hört nach fünf Takten, wie (vermutlich) Hart eine Anweisung gibt, die Struktur des Stückes spontan zu ändern.
„Riding on 52nd Street“ ist ein Jam über die changes von „I Found a New Baby“. Die Klangqualität ist etwas besser und man hört mehr von Bests Besen – er leitet das Stück mit acht Takten ein, endet das Intro mit einer bomb der Bass-Drum. Dann setzt Shavers ein, spielt eine quirlige Linie, zunächst nur von Best und Hart begleitet. Grimes und Pettiford setzten ein, Shavers rifft weiter, dann übernimmt Hall – und was folgt ist eine study in contrast. Seine Klarinette mit dem aufgerauhten Ton wirkt beinahe archaisch. Doch das ist kein Clash, eher eine schöne Ergänzung. Hart und Grimes teilen sich einen Chorus, dann übernimmt Hawkins – und hebt das Stück auf ein anderes Level. Keine Licks, keine vorgefertigten Phrasen – ein tolles, spontanes Solo.
Den Abschluss macht dann die Ballade „Memories of You“, das Thema von Shavers mit Bravur, aber auch etwas plärrend vorgestellt (seine eine Schwäche, auch da und dort bei seinen späteren Aufnahmen mit Billie Holiday etwas störend, finde ich). Hall spielt die Bridge, dann scheint Hart die letzten acht zu übernehmen – doch nein, Hawkins schleicth heran und beginnt sein Solo für einmal nicht mit einem Knall sondern behutsam, mit Pausen, zunächst weichem Ton. Grimes spielt schöne Begleitlinien unter ihm, als dieser einfach nicht mehr zu spielen aufhört. Die letzten Takte zurück zum Thema – mit Shavers – wirken ein wenig wie eine ruppige Unterbrechung. Und Hawkins wirkt mal wieder wie von einem anderen Planeten – wunderbar!
Am 18. August nahm Hawkins an der Session teil, die bei CBS als „Music Till Midnight“ lief – Mildred Bailey war die Leaderin, mit dabei waren u.a. Billy Butterfield, Eldridge, Charlie Shavers, Trummy Young, Ernie Caceres, Hank d’Amico, Red Norvo, Wilson, Remo Palmieri, Al Hall, Billy Taylor, Specs Powell, sowie die Gäste Slam Stewart und Coleman Hawkins. Letzterer ist in „The Man I Love“ zu hören – leider kenne ich auch diese Aufnahme nicht.
11. Oktober 1944 | New York City | Coleman Hawkins with Walter Thomas Orchestra/Walter Thomas and His Jump Cats (Joe Davis) – Joe Davis war ein Musikverleger. Er lud Walter „Foots“ Thomas, der einst bei Cab Calloway gespielt hatte, ein, vier Sessions mit Swing-Musikern aufzunehmen. Hawkins nahm an der ersten (und wie es scheint besten, ich kenne die anderen jedoch nicht) von ihnen teil. Das Line-Up: Jonah Jones (t), Eddie Barefield (cl, as), Hilton Jefferson (as), Walter Thomas, Coleman Hawkins (ts), Clyde Hart (p), Milt Hinton (b), Cozy Cole (d). Thomas war auch an der Cozy Cole-Session im Mai beteiligt, die ich leider nicht kenne.
„In the Hush of the Night“ öffnet mit ein paar Girlanden von Hawkins über liegenden Töne der anderen Bläser. Dann präsentiert Jefferson am Alt das Thema (es beruht auf Rimsky-Korsakovs „Sheherazade“). Thomas, Jones und vermutlich erneut Jefferson sind im ersten Chorus im Wechsel mit dem Ensemble zu hören, Hawkins kriegt den zweiten, die bridge spielt wieder Jones, in einem stompenden Armstrong-Mood. Am Ende hören wir wieder Jefferson. Hawkins‘ Beitrag ist der beste, doch allzu viel Futter gibt das Stück nicht. „Out to Lunch“ folgt, aus Thomas‘ Feder. Die Saxophone bilden eine tolle Section, Jones spielt das Thema, punchy und kraftvoll. Nach ein paar Takten der cremigen Sax-Section hören wir ein paar Takte von Hart, vor riffenden Bläsenr spielt Hinton im Dialog mit Hart ein paar Takte (sein Beat ist satter als der von Pettiford, weniger flexibel, anders konturiert, aber ebenfalls toll). Dann ein Klarinettensolo von Barefield, Jefferson am Alt – und dann übernimmt wieder Hawkins, angetrieben von Cozy Cole und Hinton. Erneut das beste Solo des Stückes, klar.
„Every Man for Himself“ ist eine Uptempo-Nummer von Irene Higginbotham, der Nichte von Posaunist J.C. HIgginbotham. Wir hören Jonah Jones in der Bridge und dann mit einem eigenen Chorus, gefolgt von Hawkins mit seinem wohl besten Solo der Session – wieder sind Hinton/Cole klasse, sie sind nach ein paar Takten von Thomas‘ Tenor im Dialog zu hören. In diesem Rahmen hat keiner Hawkins viel entgegenzusetzen – die Rhythmusgruppe ist sehr gut, Jones‘ ein guter Kontrast, aber das war’s dann auch. „Look Out Jack“ stammt wieder von Irene Higginbotham. Die Rhythmusgruppe öffnet das Stück, Hinton mit starkem Beat. Das Stück entwickelt einen „Mop Mop“-Drive – noch nicht Bebop, aber auf dem Weg dahin. Hawkins spielt ein kurzes Solo, dann folgt Barefield, hier sehr gut. Jones swingt und Jefferson spielt seine Kadenzen … eine hübsche Session, die aber im Rahmen der vielen herausragenden Aufnahmen Hawkins‘ aus dieser Zeit doch etwas abfällt.
v.l.n.r.: Ben Webster, Eddie Barefield, Buck Clayton, Benny Morton, Famous Door, NYC, ca. Oktober 1947 (Photo: William P. Gottlieb17. Oktober 1944 | New York City | Coleman Hawkins Quintet (Keynote) – Ein paar Tage später war Hawkins wieder für Harry Lims Keynote im Studio. Das Coleman Hawkins Quintet bestand aus Buck Clayton (t), Hawkins (ts), Teddy Wilson (p), Slam Stewart (b) und Denzil Best (d). Von den vier Stücken – wieder im 10″-Format, also maximal etwas über drei Minuten – sind insgesamt zehn Takes überliefert. Mit dem ersten Stück, „I’m Yours“, kann Hawkins wohl nicht viel anfangen – er kostet die changes aus, überlässt die Melodie jedoch ganz Buck Clayton. Teddy Wilson spielt in allen drei Takes feine Soli, hat mehr Geduld mit dem Material und ist besonders im dritten Take gut. Die Aufteilung zwischen den dreien macht jedoch Sinn, alle drei Takes sind spitze, Clayton entpuppt sich als idealer Partner für Hawkins und Wilson glänzt wie eigentlich immer. Man kann ihn leicht als „geschmackvoll“ abtun, doch das würde ihm nicht gerecht, der Mann ist unheimlich gut! Eine besondere Klangfarbe bringt natürlich Slam Stewart rein – sein Markenzeichen waren gestrichene Soli, die er – eine Oktave höher – mitsummte. Der Effekt kann ermüdent wirken, aber der Mann war ein äusserst stabiler Bassist und ein Original der Swing-Ära.
Von „Under a Blanket fo Blue“ gibt es dann bloss einen Take. Wilson spielt ein Klavierintro, dann übernimmt Hawkins, stellt das Thema vor, swingt im mittelschnellen Tempo, sein Ton wieder hervorragend eingefangen. Clayton spielt die bridge mit Dämpfer, seinem feinen Ton. Dann übernimmt Wilson, Slam Stewart kriegt die diesmal bridge. „Beyond the Blue Horizon“ ist dann wieder ein schnelles Stück, erneut in drei Takes zu hören. Denzil Best – man beachte sein Ride! – ist hier sehr gut zu hören, die Leute von Keynote hatten das wirklich im Griff! Die drei Takes sind allesamt gut. Slam Stewart spielt ein Intro (im ersten Take zitiert er „Salt Peanuts“) und ist nach Wilson und Clayton auch mit einem Solo zu hören. Hawkins übernimmt – wie so oft – den Schluss und spielt auch als einziger zwei Chorusse (im Thema spielt er sehr diskret hinter Clayton), in den letzten Takten stösst Clayton dazu, um das Stück abzuschliessen. Hawkins öffnet alle drei Takes gleich, doch von da an geht sein Solo stets in eine andere Richtung. Clayton soliert stets mit Dämpfer, im zweiten Take ist er wohl am besten, im dritten spielt er fast nur die Melodie. Wilson war wohl an dem Tag in besonders guter Form, seine Soli sind jedenfalls allesamt spitze.
Den Abschluss machen dann drei Takes von „A Shanty in Old Shanty Town“, ein von Jazzern nur selten gespieltes Stück, das hier aber sehr gut funktioniert. Hawkins spielt ein Intro, das aufhorchen lässt, Wilson soliert dann wieder als erster, gefolgt von Stewart und Clayton (diesmal am offenen Horn). Hawkins soliert auch hier als letzter, es folgt ein kurzer break von Stewart und schliesslich ein kurzer Schluss der beiden Bläser. Clayton ist hervorragend, Best kickt ihn richtiggehend, spielt viel mehr, als man von ihm gewohnt ist, auch hinter Hawkins. Faszinierend, wie so exzellente Musiker immer noch einen drauflegen können, auch wenn die Musik davor schon auf höchstem Niveau war! Und Dan Morgenstern meint im Booklet der Keynote-Box nicht zu unrecht: „Those who claim to be bored by [alternate takes], and that includes some critics, do not understand jazz properly.“
18. Oktober 1944 | New York City | Charlie Shavers‘ All American Five (Keynote) – Am nächsten Tag war Hawkins bereits wieder für Keynote im Studio. Der Leader war dieses Mal Charlie Shavers, inzwischen längst ein vertrauter Partner (aber wohl hinter Clayton, Eldridge und Thomas einzureihen, wenn es um geeignete Trompeten-Partner in dieser Phase von Hawkins geht – und wohl auch hinter Emmett Berry, einem wie Thomas unterschätzten, zu wenig bekannten Musiker, doch seine Aufnahmen mit Hawkins sind mir nicht wirklich vertraut). Mit Shavers und Hawkins im Studio waren erneut Wilson und Best, am Bass kehrt Billy Taylor zurück (wo wir grad bei den unterschätzten Musikern sind). Auch diese Session – acht Takes von vier Stücken – wurde im 10″-Format aufgenommen.
Den Auftakt mach das Chanson „Mon Homme“, das Billie Holiday in den Jazz eingeführt hat. Wilson spielt ein Intro, Shavers präsentiert dann das Thema im Duo mit Wilson – im Rubato und mit Dämpfer, virtuos und zugleich zurückhaltend, mit schönem Ton. Die Rhythmusgruppe fällt in einen swingenden mittelschneller 4/4-Takt, Hawkins übernimmt, bleibt nah an der Melodie. Wilson folgt, wie üblich makellos. Dann schliess Shavers mit einem weiteren tollen Chorus ab, endet mit einer tollen kurzen Kadenz. Der zweite Take ist diesmal – im Hinblick auf die Bläser – deutlich besser, fokussierter.
„El Salon de Gutbucket“ heisst das zweite Stück, ein Riff-Blues aus Shavers‘ Feder, das im Titel auf Aaron Coplands „El Salon Mexico“ anspielt. Wir sind hier in Kansas City-Territorium, nach Latin klingt hier gar nichts. Hawkins leitet den Solo-Reigen ein, Shavers folgt mit offenem Horn, dramatisch, mit leichten Bop-Anklängen aber auch Bravour-Läufen, die an Satchmo gemahnen. Dann demonstriert Wilson seine Blues-Skills – ohne dass er je in funky Klischees fallen würde. Hawkins klingt hier etwas oberflächlich – er wurde ja, so scheint es, erst durch Charlie Parker zum wirklich guten Blues-Spieler. Im zweiten Take – der erster erschien damals, Shavers ist dort besser – spielt er dann jedoch ein sehr tolles Solo. Als nächstes hören wir einen einzelnen Take von „Embraceable You“. Das Thema selbst erklingt nicht, nach einem Intro von Shavers (mit Dämpfer) folgen Wilson und Hawkins je mit einem halben Chorus, dann übernimmt Shavers, ebenfalls mit einem halben. Das bot sich hier einigermassen an, da der Song eine ABAC-Struktur hat. Eine meisterhafte Balladen-Performance von allen dreien!
Den Abschluss macht dann „Undecided“, Shavers‘ bekanntestes Stück. Es sollte in seinem wie auch in Hawkins‘ und Wilsons Repertoire bleiben. Der Ablauf ist in allen drei Takes derselbe: das Ensemble präsentiert das Thema, bridge von Shavers mit Dämpfer, dann Chorusse von Wilson, Shavers und Hawkins, ein neues Riff für den Out-Chorus, in dem Shavers wieder die bridge erhält. Im ersten Take läuft alles gut, bis beim letzten Riff etwas schief geht (Hawkins ist mit einem „Ha!“ zu hören, halb amüsiert, halb verärgert).
Dan Morgenstern (October 1970)“The Old Man“ is what they called him, even before he began to look it. The whole point, in fact, was that he didn’t look it, didn’t act it, and most certainly didn’t sound it. It just seemed as if he’d always been there; after all, he’d started young, and even men his juniors by only a few years called him „old man“ with affectionate respect giving rise to countless put-ons and jokes about age. „I was in kneepants when I first heard you,“ Ben Webster (five years yonger) once told Hawk. „That was my father you saw,“ was the response. „I wasn’t born then.“ And he pulled out his cabaret card, on which his birthday was registered in 1912. When he was 13, he once said, he had a mustache and a mature man’s voice.
(aus den Liner Notes zu Prestige 7824, wieder abgedruckt im Booklet der oben abgebildeten CD „Bean and the Boys“)
19. Oktober 1944 | New York City | Coleman Hawkins Quartet (Joe Davis) – Einen Tag später fand Hawkins sich erneut im Studio ein, um eine weitere Session für Joe Davis einzuspielen. Denzil Best ist erneut mit von der Partie, Bass spielt ein gewisser Edward „Bass“ Robinson, doch bemerkenswert ist die Session vor allem wegen des Herrn am Klavier: Thelonious Monk macht hier sein Plattendebut. Mit diesem Quartett spielte Hawkins in der Zeit im Onyx Club an der 52nd Street. Die Session findet man u.a. in der abgebildeten Box mit Monks kompletten Prestige-Sessions (die Aufnahme gehörte später Fantasy, ich weiss allerdings nicht, ob das für das ganze Joe Davis-Label gilt oder nur für diese Monk-Session), der ebenfalls abgebildeten „Bean and the Boys“ (ebenfalls Prestige bzw. Fantasy) oder auch auf der Chronological Classics „Coleman Hawkins 1944-1945“.Peter KeepnewsHawkins as much as any jazz musician transcended styles and eras. His willingness to hire a modernist like Monk – whose work here, especially in his dazzling solo on „Flyin‘ Hawk,“ is instantly identifiable and shows more than a hint of the harmonic adventurousness that would come to define his playing – was completely in character. Hawkins embraced Monk’s approach to the piano at a time when many of his contemporaries viewed it with skepticism or even hostility; his stamp of aproval provided many listeners, young [Bob] Weinstock [der 1949 Prestige Records gründete] among them, with an introduction to the music of Monk and many other young practitioners of the new sound that came to be know as bebop.
(aus den Liner Notes zur abgebildeten Monk 3-CD-Box)
Dem ersten Stück der Session, „On the Bean“ (alle vier Stück der Session sind Walter Thomas zugeschrieben – nehme mal an, dass das in diesem Fall nichts mit Komponieren zu tun hat), liegen die changes von „Whispering“ zugrunde (wie zuvor schon Hawkins‘ „Stumpy“). Das Klavier-Intro klingt schon stark nach Monk. Hawk phrasiert ebenmässig, sein Ton klingt zunächst etwas flacher als sonst, aber er legt zu – die Aufnahmequalität reicht nicht an die Keynote-Sessions heran (von Best hört man oft überhaupt nichts, das Rauschen übertönt die Cymbals gänzlich). Monk spielt ein kurzes Solo – „Thelonious“ klingt darin an, und ein paar seiner typischen Läufe sind auch bereits zu hören. Sonst gehört das Stück ganz Hawkins, der im zweiten Solo nochmal zulegt.
Als zweites ist „Recollections“ zu hören, eine Ballade, in der Hawkins‘ Ton wieder unglaublich satt und schön klingt. Meisterhafter Romantizismus, auch wenn Hawkins in double time oder triolische Phrasen ausbricht, leidet sie Stimmung keine Sekunde darunter. „Flyin‘ Hawk“ ist das dritte Stück, ein mittelschneller 4/4-Swing. Hawkins spielt so lange Phrasen, dass man sich wundert, wie er das hinkriegt (das war schon in der Quintett-Session mit Clayton da und dort der Fall). Monk spielt hier einen ganzen Chorus – und man erkennt ihn in der Tat sofort und ganz unmissverständlich. Da sind diese absteigenden Ganztonläufe, die eigenwillige Rhythmik, die harmonische Waghalsigkeit – alles schon da! Hawkins legt auch hier nach dem Klaviersolo nochmal nach, das Stück endet ohne Wiederholung des Themas (so die Melodie, die zu Beginn nach Monks Intro erklingt, überhaupt als Thema zu betrachten ist … es klingt so, als könnten nur gerade die erste Phrase und die changes festgelegt worden sein – letztere klingen vertraut, aber leider weiss ich nicht, auf welchem Stück sie beruhen). Monks Solo ist allerdinsg wirklich bemerkenswert, es lohnt, wie ich es gerade mache, die Session mehrfach zu hören, dieses Stück noch häufiger, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie diese Band geklungen hat (zwölf Minuten sind besser als nichts, aber hört man sie nur einmal, ziehen sich doch viel zu schnell vorüber).
De Abschluss macht „Drifting on a Reed“, eine Ballade mit reifem Hawkins. Monk etabliert auch hier in den paar Takten des Klavier-Intros seine ganze Persönlichkeit – selbst wenn die Begleitung danach vergleichsweise unauffällig abläuft (aber sich doch sehr deutlich z.B. von Teddy Wilson abhebt, der in mehreren Sessions gleich davor zu hören war). Doch das hier ist Hawkins‘ Show und der macht das beste daraus – sein Ton ist leidlich gut eingefangen, übrigens auch der von Bassist Robinson (über den Dan Morgenstern in seinen Liner Notes von 1970 auch nicht mehr zu berichten weiss, als dass er auch noch in der nächsten Band von Hawkins dabeigewesen sei).
Am 20. Oktober stieg der nächste „Music Till Midnight“-Broadcast, wieder mit Mildred Bailey und einer ähnlichen Band. Hawkins gastiert auf „Yesterdays“ – und ich kenne auch diese Aufnahme nicht. Baileys Chronological Classics-CD „1943-1945“ enthält vom Konzert jedoch zwei Stücke ohne Hawkins, die auf V-Disc erschienen sind, „Hold On, Keep Your Hand On the Plow“ und „Summertime“.
14. November 1944 | New York City | Cozy Cole’s All Stars (Continental) – Im November nahm Hawkins drei Sessions für das kleine Label Continental auf, die ersten beiden unter der Leitung von Cozy Cole, die letzte dann unter Leonard Feathers Aufsicht. Chronological Classics hat Coles Sessions von 1944/45 auf zwei CDs versammelt („1944“ enthält die zuvor erwähnten Sessions, auch jene für Savoy, die ich nicht kenne – aber da suche ich eher gelegentlich nach der Arista Doppel-LP aus den Siebzigern, statt 30€ für eine CD auszugeben, auf der dann noch der eine oder andere Alternate Take fehlt). Die drei Sessions finden sich – mit den im Hinblick auf Hawkins wichtigen Stücken zumal – auch in der Mosaic-Box „Classic Coleman Hawkins Sessions 1922-1947“ und komplett auf „The Continental Sessions Volume 2“ (Cole) bzw. „Volume 3“ (Feather) von Storyville. Die Feather-Session ist auch auf der ebenfalls bereits erwähnten und abgebildeten Doppel-CD „Summit Meetings“ von Frémeaux zu finden.
Die Arrangements zur wenig herausragenden Session stammen erneut von Walter „Foots“ Thomas (zu dessen Schülern u.a. Ornette Coleman und Jackie McLean gehörten – und hier ist „Schüler“ bzw. „Lehrer“ wohl wörtlich zu verstehen). Die Band klingt routinierter als man es sich wünschen würde. Grimes/Stewart hatten gerade ein Jahr im Trio von Art Tatum beendet und sind in allen vier Titeln solistisch zu hören. Cole selbst langt v.a. in „Look Here“ zu, streut kleine Riffs aus der maching band Tradition ein, was Charlie Shavers zu einem lauten, zupackenden Solo animiert. Hawkins streut ein Zitat von „Ortnithology“ ein, desses Komponist, der Trompeter Benny Harris, in dieser Zeit immer wieder in Hawks Band spielte.
Hawkins ist gut in „Willow Weep for Me“, es macht den Eindruck, als setzte die Aufnahme mitten in einem längeren Solo ein, so animiert ist er von Beginn an. Schön die Ballade „I Don’t Stand a Ghost of a Chance“ mit ein paar ungewöhnlichen Akkorden im Arrangement. Bemerkenswert ist hier der schöne Ton von Hank d’Amicos Klarinette. „Take It On Back“ (wie „Look Here“ Cole-Thomas-Hart zugeschreiben, letzterer ist der Pianist der Session, Clyde Hart) macht den Abschluss. Thomas selbst spilet auch mit, ist aber nicht solistisch zu hören. Eine sehr routinierte Sache, insgesamt, und damit eine der schwächsten Sessions dieses tollen Jahres.
21. November 1944 | New York City | Cozy Cole’s All Stars (Continental) – Besser ist die zweite Session, in der Don Byas hinzustösst, der die meiste Zeit im Frühling und Sommer neben Monk und Best mit Hawkins‘ Band an der 52n Street zu hören war. Eine richtige Battle mit Byas sucht mal leider auch hier vergeblich, aber in „Memories of You“ hört man die beiden immerhin im Kontrast. Im Thema ist v.a. d’Amicos Klarinette präsent, dann spielt Byas das erste Solo. Wie immer wirkt er kontrollierter, ebenmässiger als Hawkins – aber er überzeugt! Shavers trägt dann leider wieder eine Spur zu dick auf, Grimes spielt ein seltames pentatonisches Solo, und dann folgt Hawkins mit einem schönen Solo.
„Comes the Don“ gehört dann allein Byas – darum fehlt es in der Mosaic-Box konsequenterweise auch. Shavers soliert in diesem mid-up-Stomp seltsamerweise zurückhaltender als in der Ballade zuvor. Das Ensemble wird einmal mehr von Hank d’Amico angeführt, der aber in beiden Sessions ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt. Dann erklingt „When Day Is Done“, ein hübsches Arrangement von Thomas mit gestopfter Trompete von Shavers und warmen Holzbläsern, angeführt wieder von d’Amico. Pianist Johnny Guarnieri (der für diese zweite Session Clyde Hart ersetzt) spielt ein paar Takte, darunter Grimes‘ Gitarre, dann ein kurzes Solo von d’Amico – neben dem oben erwähnten „Ghost“ wohl sein bester Beitrag zu diesen Sessions. Hawkins spielt dann ein sehr tolles Solo – leider kam keiner auf die Idee, hier auch Byas etwas Raum zu geben. Stattdessen ein paar Takte von Stewart und dann zurück zum Thema.
Den Abschluss macht „The Beat“, ein seltsames Stück, in dem Cole seine ganzen Tambouren-Künstle präsentiert, das aber streckenweise auch wie eine weitere „Mop Mop“-Nummer klingt. Für kurze Soli (Byas – oder doch Hawkins? -, d’Amico, Shavers wieder eher geschmacklos) wechselt der Beat jeweils in einen swingenden 4/4, doch die Marschmusik kehrt immer wieder zurück. Beim zweiten kurzen Tenorsolo – wohl Hawkins, aber sicher bin ich mir hier nicht – bleibt der Beat eine Weile im 4/4, auch für Grimes und dann Stewart. Den Abschluss machen dann aber wieder Trommelwirbel und das fanfarenartige Thema. Mehr Novelty den Musik.
Für Fans des Tenorsaxophons wie mich enthält die Storyville-CD noch weitere schöne Aufnahmen. Auf die beiden Cole-Sessions folgen drei von Hot Lips Page, eine erste mit Lucky Thompson (sowie Vic Dickenson, Hank Jones u.a.), eine zweite mit grosser Besetzung u.a. mit Buck Clayton, J.C. Higginbotham, Benny Morton, Earl Bostic, Don Byas und Ben Webster, die dritte dann mit Higginbotham, Byas, Bostic und (bis auf Pianist Rufus Webster unbekannter) Rhythmusgruppe. Den Abschluss machen dann Timme Rosenkrantz and His „Barons“ u.a. mit Charlie Venture, Harrey Carney und Red Norvo (die Aufnahmen stammen alle von 1944/45).
1. Dezember 1944 | New York City | Leonard Feather and His All Stars (Continental) – Die dritte Continental-Session ist eine erneute Steigerung, aber an die besten Aufnahmen aus der Zeit reicht sie dennoch nicht heran. Leonard Feathers Regime – es handelt sich auch hier wieder um eine Session mit Siegern des Esquire Polls – mag den Unterschied ausmachen, aber auch die etwas passendere Band: Buck Clayton und Edmond Hall harmonieren wesentlich besser mit Hawkins als Shavers und d’Amico. Feather selbst sitzt am Klavier, Remo Palmieri spielt Gitarre, Oscar Pettiford ist zurück am Bass (auf zwei Stücken ergänzt ihn Carl Powell) und Specs Powell spielt Schlagzeug. Die Mosaic-Box enthält zwei der vier Titel, den „Esquire Jump“ und „Thanks for the Memory“. Alle vier sind auf der abgebildeten Storyville-CD oder der erwähnten Doppel-CD von Frémaux zu hören.
„Scram“ macht den Auftakt und klingt, mit Verlaub, etwas müde. Doch das Stop-and-Go-Thema ist nicht unattraktiv, wenn die Band erst in die Gänge kommt. Clayton verziert (mit Dämpfer), auch die Gitarre von Palmeri ist recht prominent zu hören. Clayton bläst das erste Solo (ohne Dämpfer, aber immer noch sehr lyrisch). Hawkins setzt mit einer Begleitung ein, die Clayton noch mehr anzutreiben scheint – er überzeugt hier sehr (und hat v.a. nicht nötig, in pyrotechnische Geschmacklosigkeiten à la Shavers auszubrechen). Die Rhythmusgruppe unterstützt den einzigen Solisten sehr, zum Schluss erklingt nochmal ein Teil des Themas.
Weiter geht es mit dem „Esquire Stomp“, Palmieri öffnet mit ein paar Tönen, dann spielt das Ensemble das hübsche Riff-Thema, charmant arrangiert. Im „Esquire Jump“ ist Hawkins dann mit einem feinen Chorus zu hören, von Specs Powell aktiv unterstützt. In den zweiten acht Takten entfernt sich Hawkins von den changes und spielt stattdessen mit Skalen. Edmond Hall spielt danach seinerseits ein tolles, überschwängliches Solo. Den Abschluss macht dann das grosse Hawkins-Feature, „Thanks for the Memory“. Die Begleitung ist einengend, aber Hawkins lässt sich nicht beirren und reiht eine schöne Phrase an die andere und sein Ton klingt wieder wie von einem anderen Planeten!
Die dritte Storyville-CD mit CD mit Continental-Aufnahmen öffnet mit einer Session von J.C. Heard (mit Budd Johnson), enthält nach der erwähnten Feather-Session noch Stücke von Feather mit dem Pianisten Dan Burley (und Rhythmusgruppe), Aufnahmen von Sarah Vaughan u.a. mit Dizzy Gillespie und Charlie Parker, Flip Phillips, Tadd Dameron und Max Roach, eine Session des Eddie South Trios sowie eine der Mary Lou Williams Girl Stars (Aufnahmen von 1944-47). Der Vollständigkeit halber: Vol. 1 enthält Aufnahmen aus dem Jahr 1945 von Edmond Hall and His Café Sodiety Orchestra, Clyde Harts All Stars (mit Dizzy Gillespie, Trummy Young, Charlie Parker, Don Byas) und des Slam Stewart Quintet (mit Red Norvo und Johnny Guarnieri)
George Wettling, Museum of Modern Art, NYC, 1947 (Photo: William P. Gottlieb)12. Dezember 1944 | New York City | George Wettling’s New Yorkers (Keynote) – Im Dezember kam es noch zu einer letzten Session mit Hawkins Beteiligung für Harry Lims Keynote. Zwar kam wieder das 12″-Format zum Einsatz, doch die Stücke bewegen sich zwischen drei und vier Minuten Dauer. Wettling war bekannt als Drummer des Chicago-Jazz – sowohl des orignalen der Zwanzigerjahre wie auch der NYC-Variante um Eddie Condon. Ein grossartiger Drummer mit vielfältigen Erfahrungen in der Swing-Ära: Artie Shaw, Bunny Berigan, Paul Whiteman, Benny Goodman. Hier traf er auf seinen alten Freund Jack Teagarden (tb, voc), neben Hawkins sind auch Trompeter Joe Thomas und Hank d’Amico erneut mit von der Partie. Die Rhythmusgruppe wird von Herman Chittison und Billy Taylor komplettiert.
Teagarden war mit seiner erfolglosen Big Band gerade für zwei Wochen in New York und nahm die Gelegenheit wahr, einige Sessions aufzunehmen. Am selben Tat wie diese Keynote-Session nahm er auch mit Condon für Decca auf. Hawkins kannte er aus dem Roseland Ballroom aus den späten Zwanzigern. Chittison kehrte 1940 aus Europa zurück und dies war danach seine einzige Sideman-Session, sonst nahm er solo oder mit einem eigenen Trio auf. Seine Soli sind gut, aber als Begleiter wirkt er nicht glücklich.
In den zwei Takes von „Home“ steht Teagardens Gesang im Zentrum, wir hören auch ein paar Takte seiner Posaune. Ansonsten sind Hawkins und Thomas in toller Form, aber auch d’Amico und Chittison sind zu hören. Von „Too Marvellous for Words“ hören wir drei Takes, die ziemlich unterschiedlich geraten sind. Die Solo-Reihenfolgte ist stets Teagarden, d’Amico, Thomas, Chittison, Hawkins. Der erste Take ist der schnellste, Wettling spielt ein Intro und im letzten Chorus ein 16-taktiges Solo. Der zweite Take iat weniger schnell, Chittison spielt das Intro und im letzten Chorus ist in der bridge die Rhythmusgruppe mit Taylors Bass prominent zu hören. Im dritten, wieder etwas rascheren Take öffnet das Ensemble mit Stop-Time-Breaks von Teagarden und so endet das Stück dann auch wieder. Die bridge im letzten Chorus gehört erneut der Rhythmusgruppe. Hawkins‘ Solo unterscheidet sich stark. Teagarden wirkt im ersten Take, als sei ihm das Stück nicht vertraut – und das Tempo zu schnell. Thomas soliert in allen drei Takes hervorragend.
In „You Brought a New Kind of Love to Me“ klingt Teagarden dann wieder gut, spielt im ersten Chorus die bridge und singt in seiner typisch entspannten Art (besser im ersten der zwei Takes). Hawkins öffnet das Stück und präsentiert in den ersten sechzehn Takten das Thema. D’Amico soliert flüssig, irgendwo zwischen Goodman und Shaw, und Thomas steuert erneut feine Soli bei. Er ist auch in der ganzen Session sehr gut, was den Lead in den Ensembles anbelangt. Man versteht, warum Harry Lim ihn so schätzte – und bedauert, dass er nicht bekannter geworden ist.
Den Abschluss der Session – und somit von Hawkins‘ Keynote-Aufnahmen – macht ein einzelner Take von „Somebody Loves Me“. D’Amico ist hier abwesend. Das Tempo ist rasch, Chittison (ein Chorus), Teagarden und Hawkins (je zwei Chorusse) spielen gute Soli. Thomas (ein Chorus) ist aber auch hier der glänzendste Solist, für einmal weit weg von der Melodie der Vorlage kommt er mit den changes bestens zurecht. Erwähnt sei auch die feine Begleitarbeit von Leader Wettling, der sich durchaus anpassungsfähig zeigt und die Solisten ganz nach ihrem jeweiligen Geschmack zu bedienen weiss.
Diese Session mag Ende 1944 wie ein Schlusspunkt klingen, doch Hawkins sollte später wieder zu seinen Gefährten aus der Swing-Ära zurückfinden und neben modernen Sessions auch wieder Alben mit Musikern wie Vic Dickenson, Joe Thomas, J.C. Higginbotham, Johnny Hodges oder Tiny Grimes aufnehmen, auch Aufnahmen mit Red Allen sollten weitere entstehen (die habe ich allerdings als reichlich seltsam abgebucht; abwarten, wie sie diesmal auf mich wirken). Wie schon mehrmals erwähnt spielte er auch regelmässig mit Roy Eldridge und trauf auch wieder auf den morderneren Spielarten des Jazz ebenfalls nicht abgeneigten Earl Hines.
15. Dezember 1944 | New York City | Mary Lou Williams and Her Orchestra (Asch) – Die nächsten beiden Sessions nahm Hawkins für das Label von Moses („Moe“) Asch auf. Er nahm in erster Linie Blues auf, sein Label benannte er später in „Folkways“ um. Mary Lou Williams stand damals bei Asch unter Vertrag und die erste Session mit Hawkins fand unter ihrer Leitung statt. Wie Hawkins‘ ging auch Williams Karriere bis in die Zawnzigerjahre zurück, beide wirkten in wesentlichen Big Bands (Williams in der von Andy Kirk) mit, hatten Swing-Sessions aufgenommen und waren am aufkommenden neuen Jazz interessiert. Die Band kam eher zufällig zusammen. Hawkins brachte seine Rhythmusgruppe mit (Edward „Bass“ Robinson und Denzil Best), Williams brachte ihren damaligen Trompeter – und alten Bekannten von Hawkins – Bill Coleman mit. Zufällig waren auch noch Claude Green (tb) und Joe Evans (as) anwesend.
Als erstes nahm Williams ein Stück mit dem seltsamen Titel „Carcinoma“ im Trio mit Coleman und dem Bassisten auf (Anatol Schenker nennt in den Liner Notes zur abgebildeten CD Al Hall, doch die Diskogarpaie nennt Robinson für die ganze Session). Hawkins ist in Williams‘ „Song in My Soul“ der Hauptsolist, liefert ein weiteres beeindruckendes Balladen-Solo ab. „This and That“ folgt, ein Ensemble-Stück mit den Bläsern. Diese und besonders das abschliessende „Lady Be Good“ sind früher Bebop, auch wenn die Bläsersätze in „This and That“ dafür etwas zu fröhlich klingen, fast eher wie eine Jump-Nummer. Coleman schlägt sich auf diesem ungewohnten Territorium wacker aber nur teilweise erfolgreich (hier wäre nun, so man keinen früheen Bebopper wie Idrees Sulieman oder Kenny Dorham auftreiben konnte, Charlie Shavers die bessere Wahl gewesen). Hawkins aber greift in die Vollen und als ganzes funktioniert das Stück schon. Besser ist dann „Lady Be Good“ – das Thema wird gar nicht erst präsentiert, stattdessen erklingt das Motiv, das später als „Rifftide“ in die Bop-Annalen einging. Hawkins spielt es zusammen mit Coleman (die anderen Bläser setzten aus) und übernimmt die Bridge, Williams dann das erste Solo. Sie klingt wie eine Mischung aus Wilson und Monk, mit Anklängen von Earl Hines – oder eben wie: Mary Lou Williams. Robinson ist erneut sehr präsent und Williams tritt in einen Dialog mit ihm, bevor Coleman übernimmt – und sich wesentlich besser schlägt („Lady Be Good“ war ja schon bei Swing-Musikern beliebt, erwähnt sei nur die grossartige Aufnahme von Lester Young und Count Basie 1936). Hawkins wirkt hier dafür etwas sketchy, kommt nicht recht in die Gänge, scheint sich in ein kleines Motiv zu verrennen, bevor er sich etwas fängt, gestützt auch von Williams. Eine seltsame Session des „Zwischen“ – aber Moe Asch war’s zufrieden, vier Wochen später nahm auch Hawkins für ihn auf.
11. Januar 1945 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Asch) – Hawkins‘ eigene Asch-Session ist auf die Chronologicals „1944-1945“ und „1945“ aufgeteilt. Er nahm seine neue Band mit ins Studio: Howard McGhee (t), Charles Thompson (p), Robinson und Best. McGhee gehörte zu den ersten, die den Bebop so richtig begriffen, wie sein Solo im Opener „Sportsmen’s Hop“ beweist. Thompson, der Komponist des Stückes, ist im neuen Stil auch mehr zuhause denn die eigentlich zeitlose Mary Lou Williams, und Hawkins scheint inzwischen auch schon besser damit zurechtzukommen, dass er selbst moderne Impulse geben soll/will (und sie nicht von Sidemen empfangen und aufgreifen kann, wie in früheren Sessions).
Noc boppiger geht es in „Bean Stalking“ zu und her, einem Riff-Tune von Hawkins. Auf die konventionelle Einleitung folgt ein schroffes Thema und „Maggie“ legt sogleich mit einem phantastischen Solo los. Thompson folgt, noch sparsamer als im ersten Stück, dann Hawkins, der sich hier kaum um Stilgrenzen zu scheren scheint und einfach drauflosspielt. Dann eine Ensemblepassage mit sehr leisen Unisono-Linien der Bläsern und prominenten Piano-Arpeggi … Robinson ist prominent im Mix, von Best kann mal leider wieder einmal nur wenig hören, der Klang ist aber sehr viel besser als auf der Williams-Session (kann natürlich sein, dass es bessere Ausgaben als die Chronological-CD gibt, aber das weiss ich nicht).
„Ready for Love“ von McGhee ist ein mittelschnelles Stück mit einem längren Intermezzo von Thompson, der hier noch mehr glänzt als zuvor. Hawkins wird von einer kleinen arrangierten Passage angekündigt und spielt ein tolles Solo – ob das nun Bop ist oder nicht, keine Ahnung (ich sage eher: nein), aber er kommt in diesem Umfeld mühelos zurecht und klingt überhaupt nicht langweilig, auch auf der rhythmischen Ebene nicht, obwohl er wesentlich weniger unregelmässig und zerklüftet phrasiert als McGhee. Die abschliessende Solo-Kadenz hat es jedoch wieder in sich!
Die Session geht mit „Ladies Lullaby“ weiter, dem zweiten Stück aus Thompson Feder, in dem dieser mit einer eigenwilligen Einleitung aufhorchen lässt. Hawkins soliert in der Bridge im Dialog mit dem Pianisten, überlässt McGhee dann das erste Solo (er spielte, das ist längst klargeworden, am liebsten als letzter – das Vorrecht des Leaders, wobei andere lieber als erste solieren). Dann folgt Hawkins, die letzte bridge gestaltet er wieder im Dialog mit Thompson. Auch „The Night Ramble“ ist boppig, es stammt wie die abschliessende Ballade „Leave My Heart Alone“ von Hawkins. In „The Night Ramble“ werden kürzere Soli von Ensemble-Passagen eingebettet, auf Hawkins‘ kurzes Solo folgt eine arrangierte Piano-Passage, dann wieder das Ensemble und nochmal Thompson. Eine raffinierte Sache, auch wenn das thematische Material wenig abwechslungsreich ist. Die obligatorische Ballade zum Abschluss ist vom Tempo her vielleicht eine Spur zu schnell geraten, aber Hawkins spielt wie immer mit Autorität, Thompson hält die Begleitung spannend.
Eigentlcih greife ich bereits vor, wenn ich diese Session hier noch erwähne – sie gehört eher schon zum NàCHSTEN Kapitel, in dem Hawkins mit seiner Band den Bop nach Kalifornien bringt (er war nicht der erste oder einzige, klar, aber sicherlich waren sein Gastspiel und seine Aufnahmen für Capitol einflussreich – doch dazu mehr im nächsten Post). Doch ein Session will hier noch erwähnt sein.
ca. Januar 1945 | New York City | Coleman Hawkins (Baronet/Selmer) – Irgendwann im Januar nahm Hawkins zum ersten Mal unbegleitet auf. Man erinnert sich, dass er früher Cello gespielt hat, dass er Bach liebte, und Pablo Casals … der Vergleich mit den Cello Suiten mag hoch gegriffen sein, aber er liegt zugleich auf der Hand. Hawkins begann wie erwähnt während seiner Zeit in Europa, seine Konzerte mit Solo-Passagen zu öffnen und zu schliessen, es ist möglich, dass er das schon zu seinen Zeiten bei Mamie Smith tat.
In „Hawk’s Variations“ (der Titel ist viel zu bescheiden) benutzt er ein kleines aufsteigendes Riff, um die gut viereinhalbminütige Exkursion zu strukturieren. Das Resulstat ist faszinierend und beeindruckend. Drei Jahre später sollte er für Verve jedoch „Picasso“ nachlegen, seine definitive Solo-Performance, in der Bach als Referenz dann wirklich nicht mehr zu hoch gegriffen ist. Die Aufnahme wurde von Baron Timme Rosenkrantz gemacht, einem Hawkins-Anhänger seit den Dreissigerjahren. Die Aufnahme erschien in Dänemark auf Baronet und in Frankreich auf Selmer und erst viel später in den USA (was zur falschen Annahme geführt haben mag, es handle sich um eine Probe für „Picasso“ – das Hawkins in zwei langen Studio-Sessions minutiös vorbereitet und geprobt hat, aber ausser dem Master ist nie etwas davon erschienen, vermutlich ist auch nichts davon erhalten geblieben).
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaSollte jemand beim Zitat hier:
Loren SchoenbergArmstrong created jazz phrases out of a vocabulary that drew heavily upon the blues and the „irrationalities“ of African rhythms. This frightened some in the music world and inspired many more. Within a decade, there would be Armstrong-esque singers and instrumentalists all over the world. Hawkins was one of the first to begin transforming Armstrong’s example into personal terms, but it would be a lengthy process.
gedacht haben, das sei etwas überzogen, empfehle ich unbedingt die Lektüre des Artikels über den Krieg des Federal Bureau of Narcotics gegen Billie Holiday, den ich gerade hier verlinkt habe. Es handelt sich dabei um einen Vorabdruck aus einem Buch, der leider ganz ohne Belege auskommt, aber lesenswert ist der Text auf jeden Fall!
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaIch erlaube mir – schliesslich wuchs dieser Thread aus der ursprünlich für den 1. Januar geplanten StoneFM-Sendung – den Hinweis auch an dieser Stelle zu placiren: morgen Dienstag, 27. Januar, 22 Uhr bis 23 Uhr, läuft meine Sendung zu Coleman Hawkins – eine Einleitung zur Sendung (gut geeignet für Leute, denen der Thread hier zu ausführlich ist ;-)) findet sich auf der StoneFM-Website.
Die nächste Sendung, am 5. Februar (wieder um 22 Uhr) präsentiert erneut Hawkins – und einige seiner wichtigsten Schüler: Ben Webster, Don Byas, Herschel Evans, Chu Berry, Illinois Jacquet … die ideale Gelegenheit, Hawkins‘ Musik etwas genauer kennenzulernen
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDas nächste Kapitel von Hawkins‘ Karriere, die Bebop-Band mit Howard McGhee, begann ja bereits am Ende des vorigen Posts. Hawkins ging mit diesem Quintett – die Rhythmusgruppe bestand aus Charles Thompson, Oscar Pettiford und Denzil Best – nach Kalifornien. Dort entstanden drei Studio-Session für das Label Capitol. Sie finden sich – neben einer Aladdin-Session vom Juni 1947 – auf dem Album „Hollywood Stampede“.
Produziert hat die Aufnahmen Dave Dexter, der mit modernem Jazz nicht viel anfangen konnte. Er bestand darauf, der Band den Gitarristen Allen Reuss beizugeben. Er spielt hier elektrisch verstärkte Rhythmusgitarre (er war überhaupt ein fast reiner Rhythmusgitarrist, ein sehr guter übrigens), fügt sich recht gut ein und steuert auch ein paar schöne Effekte bei, doch verdeckt er auch ein wenig das tolle Bass-Spiel Oscar Pettifords. Bei der zweiten Session stiess – wohl auch auf Dexters Wunsch hin – der Swing-Posaunist Vic Dickenson zur Gruppe, ein grossartiger Musiker, dessen Präsenz jedoch das Gewicht auch ein wenig weg vom modernen Jazz verschiebt. Bei der dritten Session spielte dann John Simmons statt Pettiford den Bass. Dexter bestand zudem auch darauf, dass nicht nur Eigenkompositionen gespielt werden sollen, sondern auch bekannte Standards aufgenommen wurden. Kein Fehlentscheid, wenn man sich Hawkins‘ Spiel auf „Stardust“ und anderen Stücken anhört! Insgesamt ist der Eindruck, den die Capitol-Sessions hinterlassen, daher etwas konservativer als bei den Asch-Aufnahmen. Dennoch zählen die drei Capitol-Sessions zusammen mit den Aufnahmen von Dezember 1943 und verschiedenen Sessions von 1944 zu den allerbesten von Hawkins.
Der Trip nach Kalifornien war übrigens Hawkins‘ erster seit den frühen Zwanzigern, noch mit Mamie Smith’s Jazz Hounds – die Distanzen waren damals nicht zu unterschätzen. Geplant war die Reise schon für Ende 1944, doch Billy Berg, der Hawkins in den Westen lockte, musste die Eröffnung seines Clubs verschieben (was, wie es scheint, dann auch der Grund bzw. Vorwand für Monk war, auszusteigen).
Schon am 12. Februar wurde Hawkins erstmals mit Jazz at the Philharmonic mitgeschnitten – doch dazu später mehr in einem separaten Post.
23. Februar 1945 | Los Angeles, CA | Coleman Hawkins and His Orchestra (Capitol) – Hawkins, das wird im Kontrast mit McGhee deutlich, spielte auch in dieser Phase rhythmisch nicht so lebendig wie die jungen Bebopper. In harmonischer Hinsicht jedoch konnte er jedem das Wasser reichen. Zu den besten Stücken gehören die beiden Monk-Kompositionen, die Hawkins unter seinem Namen eintragen liess: „Rifftide“ und „Stuffy“. Beide spielte er bis ans Ende seiner Tage immer wieder. Monk holte sich sich später als „Hackensack“ und „Stuffy Turkey“ wieder zurück – „no hard feelings were involved; Hawk had given MOnk his first big-time job, and the two remained friends for life – when Hawk was dying, Monk was among his last visitors, and even managed to make ‚the old man‘ (as he’d long been known among his musician friends) laugh“, so Dan Morgenstern in den Liner Notes zur abgebildeten CD.
Reuss‘ Gitarre stört vor allem in „Stuffy“ ein wenig – Petiffords Bass hätte allein unter dem Piano im ersten Chorus gewiss besser gewirkt. Hawkins phrasiert in „Rifftide“ zupackend, drängend, aber dennoch mit entspanntem Feeling und rundem Ton. Der Abschluss ist mit einem shout chorus (und einem drängenderen Intermezzo Hawkins, nun mit gepressterem Ton) sehr hübsch arrangiert, lässt Raum für fills von Thompson, der Hawkins‘ Solo – angesichts der Rhythmusgitarre ein guter Entscheid – nur spärlich begleitet hatte. In „Stuffy“ klingt Hawkins – nach gutem Piano von Thompson – zunächst ein wenig wie ein alter Löwe, der etwas zu laut brüllt. Doch nach ein paar Takten findet er den Weg und sein Solo enthält einige sehr gute Ideen. Wieder ist das Stück hübsch arrangiert mit Ensemble-Passagen, die um ein weiteres einfaches Riff gebaut sind – Reuss spielt eine recht gute Bridge … doch am Ende ist dann auch gut mit all dem Geriffe. Dass McGhee nicht stattdessen ein Solo erhielt, ist bedauernswert – dennoch ein gutes Stück.
Die erste Ballade der ersten Session jedoch, „April in Paris“, der Opener der CD, bindet Reuss‘ Gitarre sehr gelungen ins Intro ein, dann übernimmt Hawkins, dem Thompson mit Klavierschnörkeln antwortet – Hawkins lässt Raum, macht Pausen, spielt aber auch seine schier endlosen melodischen Linien. In den Standards, den Balladen, bleibt McGhee aber allgemein recht farblos oder wirkt sogar unangebracht aufdringlich mit seinem spitzen Ton – stellenweise fast wie eine moderne Ausgabe von Charlie Shavers (obwohl auch er am Ende wohl vor allem auf Roy Eldridge gehört haben dürfte). Seine Themenpräsentation in „Stardust“ – nach einem tollen Intro der Rhythmusgruppe mit prominentem Bass – ist gerade noch im Rahmen (Dan Morgenstern launisch aber sehr treffend: „it’s like a John followed by a lover“) und Hawkins liefert darin ein weiteres meisterliches Solo in diesem walking ballad-Tempo, das ihm so lag.
2. März 1945 | Los Angeles, CA | Coleman Hawkins and His Orchestra (Capitol) – Die zweite Session beginnt mit der Rhythmusgruppe, „Hollywood Stampede“ heisst das Stück und baut hörbar auf „Sweet Georgia Brown“ auf. Nach acht Takten setzen die Bläser mit dem Riff ein. McGhee soliert als erster, verspielt, swingend und voller Elan. Hawkins legt mit einem tollen Solo nach, dann folgen Dickenson und Thompson mit je einem halben Chorus. Die Ballade „I’m Through with Love“ (von Matty Malneck) öffnet mit Reuss‘ Gitarre, danach legt Thompson eine perlende Begleitung unter Hawkins, Pettiford streut wieder einen effektvollen pedal point ein. Dickenson übernimmt nach Hawkins‘ Paraphrase des Themas und bleibt zunächst noch näher an der Melodie und legt dann richtig los – toll jedenfalls, ihn in diesem Rahmen zu hören! Er beschleunigt sein Solo gegen Ende ein wenig, rauht seinen Ton noch mehr auf, Hawkins übernimmt dann fliegend und entschleunigt langsam wieder. Eine meisterhafte Performance, bei der man zum Glück McGhee ausgesperrt hat.
Die Session bleibt bei Standards, es folgt „What Is There to Say“, erneut ohne McGhee und diesmal auch ohne Dickenson – und Hawkins mag die Melodie offensichtlich, er liebkost sie richtiggehend, während die Begleitung von Reuss/Thompson erneut gut funktioniert. Pettiford spielt meist nur auf 1 und 3, setzt seine Töne sehr geschickt, es wirkt tatsächlich so, als würde er Räume öffnen und nichts festlegen. Reuss spielt erneut ein paar Takte, später ist auch Thompson mit einem guten Solo zu hören, bevor Hawkins das Stück abschliesst. Die letzte Nummer der Session ist „Wrap Your Troubles in Dreams“ und dieses Stück ist vielleicht das schönste der Sessions. Mir hat sich von „Wrap Your Troubles in Dreams“ die tolle Version von Mingus mit Eldridge und Jo Jones (Candid, 1960) eingeprägt – und ich fragte mich neulich beim Wiederhören von „Driva‘ Man“ auf Roachs Candid-Album mit Hawkins, warum Hentoff wohl nicht auch noch Hawkins zur Eldridge/Mingus/Jones-Session gesellt hat – das hätte ganz grossartig herauskommen können! (Nicht, dass die Aufnahmen nicht so schon phantastisch wären, klar … aber man stelle sich einfach mal vor, Hawkins wäre auch noch dabei gewesen.) Anyway, Mingus als Referenz ist so übel nicht, denn Pettiford spielt hier sein einziges Solo der beiden Sessions, nachdem Hawkins das Thema mit viel Biss über einem mittelschnellen Swing – mit fills von Thompson – präsentiert und mit einer Art Arpeggio-Passage angereichert hat. Pettiford spielt mit dem Thema, Reuss und Thompson stossen dazu, dann kommt Hawkins wieder dazu und spielt mit Thompson zusammen das Thema – toll, wie die beiden in diesen Sessions immer wieder interagieren. Klar, Thompson ist nicht Monk, aber ein mehr als würdiger Ersatz ist er auf jeden Fall! (Monk bei Capitol kann man sich aber auch wirklich nicht vorstellen – Dexter hätte gewiss auf einem Ersatzpianisten bestanden.)
9. März 1945 | Los Angeles, CA | Coleman Hawkins and His Orchestra (Capitol) – Die dritte Session fand wie erwähnt mit John Simmons am Bass statt (er sprang ein, weil Pettiford anscheinend ein Problem mit der Hand hatte) – man mag ihn heute am ehesten noch als etwas unpassenden Bassiten von „Mating Call“ kennen, dem Dameron/Coltrane-Album, aber der Mann war gut und zu seinen credentials zählte später z.B. auch das Trio von Teddy Wilson. „Too Much of a Good Thing“ von Hawkins öffnet die Session, eine Paraphrase über „Fine and Dandy“ – McGhee spielt ein tolles Solo, wohl sein bestes im Rahmen seiner Aufnahmen mit Hawkins. Mit „Bean Soup“ folgt gleich das zweite Original, das diesmal auf „Tea for Two“ basiert. Man hört hier möglicherweise, dass Ben Webster auf Hawkins zurückgewirkt hat. McGhee spielt ein gutes Solo, das stark an Eldridge erinnert, doch im Outro ist er wieder eher jenseits der Grenze des guten Geschmackes.
Dann folgen erneut zwei Standards, zunächst Gershwins „Someone to Watch Over Me“. Hawkins klingt am Schluss, als hätte er gerne weitergespielt. Nach seiner Präsentation des Themans übernimmt Thompson, danach McGhee mit satterem Ton und wohl seinem besten Balladensolo der Sessions. Den Abschuss der Session macht dann „It’s the Talk of the Town“, das Hawkins bereits ein Jahrzehnt zuvor eingespielt hatte – es war auch 1933 sein Feature bei Fletcher Henderson, in seinem letzten Jahr als Sideman. Hawkins ist in bester Form, besonders herausragend die zweite bridge und wie er daraus in die letzten acht Takte überleitet und dann auch noch eine Kadenz anhängt – grossartig!
30. März 1945 | Los Angeles, CA | Capitol International Jazzmen (Capitol) – Diese All Star-Band vereint Hawkins mit seinen alten Bekannten Bill Coleman und Benny Carter (am Altsax und für die Arrangements zuständig), dazu Buster Bailey, ebenfalls ein Vertrauter noch aus den Tagen mit Fletcher Henderson. Die Rhythumsgruppe bildet sich um Nat „King“ Cole und den Gitarristen seines Trios, Oscar Morre, dazu kommen John Kirby und Max Roach, mit denen Hawkins auch schon aufgenommen hatte. Zwei der vier Stücke präsentieren zudem die tolle Sängerin Kay Starr, die für Capitol ein paar eigene Sessions aufgenommen hat.
Das erste Stück, „You Can Depend on Me“, öffnet mit Nat Cole am Klavier – der Mann hatte verdammt viel drauf und ja, es ist wirklich schade, dass er später das Klavierspiel fast ganz aufgab! Bailey und Carter folgen, letzterer bricht kurz aus der gepflegten Routine aus, die mit Coleman auch gleich wieder zurückkehrt. Ein Tremolo von Cole kündet dann Hawkins an, Coleman rifft hinter ihm und er rotzt seine Phrasen hin, endet sie mit weitem Vibrato – viel mehr als Routine ist auch das nicht, aber Spass macht es schon.
„If I Could Be With You“ öffnet mit Kay Starr, dann folgen Soli von Carter (schön und interessant!), Coleman (routiniert) und Hawkins (sehr entspannt – und was für ein Ton!). Starr ist eher noch besser in „Stormy Weather“ – aufmerksam von Cole begleitet (das konnte er natürlich, auch wenn er üblicherweise sich selbst begleitete, damals). Coleman stösst dazwischen auch noch dazu, mit Dämpfer, danach ein paar Takte von Carter – und Starrs tolle Performance scheint ihn auch hier wieder anzuspornen, aus dem kurzen Solo das meiste herauszuholen. Am Schluss hört man dann ganz leise Begleitlinien von Hawkins hinter Starr.
Das vierte und letzte Stück – wie vom ersten gibt es auch hier einen Alternate Take, den ich nicht kenne (dass ich die vier Stücke überhaupt habe, ist schon ein Glücksfall – von einer von zwei japanischen Capitol-Boxen mit je acht CDs von 1991, die mir einst ein Freund kopiert hat). „Riffmarole“ heisst das Stück und natürlich basiert es auf einem Riff (die Bläser spielen es, Cole antwortet). Bailey spielt ein erstes Solo, leise zunächst, mit Glissandi, dann mit verschlungenen schnellen Linien. Carter übernimmt, melkt eine Idee, bevor er zur nächsten fortfährt. Hinter Coleman kommt die Rhythmusgruppe richtig in Fahrt (Roach! Mop mop!), hinter Cole schaltet sie wieder einen Gang runter, ohne deshalb an Drive zu verlieren. Mit einem rim shot kündet Roach dann den „old man“ an, der ein kurzes aber kraftvolles Solo spielt. Dann ein shout chorus (warum haben die Mainstreamer/Postbopper das seit dem Hard Bop bloss zu 99% vergessen?) und zurück zum Riff. Damit endet sicherlich keine besonders herausragende Session, aber für All Star-Verhältnisse doch eine mehr denn solide – und „Stormy Weather“ ist dank Kay Starr doch so etwas wie ein Ereignis!
Sid Catlett, New York, ca. März 1947 (Photo: William P. Gottlieb)Oktober 1945 | New York City | Sid Catlett and His All Stars (Super Disc) – Hawkins blieb anscheinend den grösseren Teil des Jahres in Kalifornien. Im Herbst war dann zurück in New York und wirkte bei einer Session von Sid Catlett mit, dem Drummer, der auf ein paar seiner allerbesten Plattensessions dabei gewesen war.
Die Band besteht aus dem mir bisher nur wenig bekannten Trompeter Dick Vance (er spielte mit Chick Webbs Band und nahm später auch mit Ben Webster auf), Tyree Glenn an der Posaune und am Vibraphon (er spielte später u.a. mit Ellington und leitete gemeins mit Don Byas eine Band), Hilton Jefferson am Altsax (er wirkte an einer der Walter „Foots“ Thomas-Sessions mit Hawkins mit), Pianist Billy Taylor, Bassist John Simmons und Leader Catlett an den Drums. Leider wird eine der vier Nummern an einen unsäglichen Balladenkitscher Matthew Meredith verschenkt. Und leider ist der Klang der Überspielung auf der „1945“ Chronological-CD von Hawkins sehr lärmig.
Den Auftakt macht eine Riffnummer, von den Bläsern nur mit Schlagzeugbegleitung präsentiert. Dann setzt die Rhythmusgruppe ein, Glenn spielt die bridge, bevor die ganze Band das Thema zu Ende spielt und Hawkins gleich mit einem heissen Solo einsetzt. Auch hier kann man in mancher Phrase an den äusseresten Rändern seines Tones Ben Webster erahnen – die beiden schätzten sich ja gegenseitig und sollten 1957 für Norman Granz auch eine gemeinsame Platte aufnehmen. Vance übernimmt, solide, irgendwo zwischen Satchmo und Eldridge. Dann Jefferson mit flüssigem aber wenig aufregendem Alt und schliesslich Glenn nochmal mit einer kurzen Überleitung, bevor das Ensemble das Stück zu Ende bringt. Eine hübsche Swing-Nummer mit leisen Bebop-Anklängen, auch was Catletts Beat betrifft (er war ja vier Monate zuvor in der New Yorker Town Hall als Gast beim Konzert von Dizzy Gillespie und Charlie Parker aufgetreten).
„Before Long“ ist dann die Kitschballade – schöne Posaune von Glenn zum Auftakt, man erahnt guten Bass von Simmons (Catlett geht völlig im Rauschen der Überspielung unter), blumig Billy Taylor am Piano. Vance übernimmt, fetter Ton (unadaquat dünn aufgenommen) mit übermässigem Vibrato. Dann Taylor, nicht übel, aber immer noch blumig … und dann, ogottogott, skip (ein weiteres Mal mag ich das nicht mehr anhören und es dauert auch wirklich bis zum Ende der Nummer, man lernst doch mit den Jahren tatsächlich Pancho Hagood schätzen – ich hätte jeden für komplett irre erklärt, der mir sowas vor 15 oder 20 Jahren prophezeit hätte).
Mit „What’s Happenin'“ geht es dann beschwingt weiter, Vance spielt ein erstes Solo, wieder mit zuviel Vibrato für meinen Geschmack, aber solidem Beat, gut begleitet von Catlett. Danach Glenn, der für die zwei letzten Stücke ans Vibraphon wechselt – konnte er wenigstens so gut wie Posaune und war wohl neben Lionel Hampton der wichtigste frühe Solist auf dem Instrument. (Gut Red Norvo, aber der spielte ja nicht Vibraphon). Hawkins folgt, erneut mit gutem Support von der Rhythmusgruppe (auch von Simmons!), zwischendurch werfen die anderne Bläser im Wechsel mit Taylor ein „Mop Mop“-Motiv ein … so ganz kommt hier nicht alles zusammen, auch das abschliessende „Mop De Mop Mop“ (anscheinend hat Catlett vom Text abgesehen alle vier Stücke komponiert) wirkt mit seinen Schlagzeug-Pyrotechnics und dem von seiner eigenen Virtuosität bessoffenen Piano Taylors etwas inkohärent. Hawkins stürmt dann mit seinem Solo los, fetzt durch die Akkorde und die Beats von Catlett. Glenns Vibraphon-Solo ist dann vielleicht der beste Moment hier. Das ist Musik des Umbruchs von Leuten, die wohl nie ganz irgendwo angekommen sind aber auch nicht einfach in ihrer Komfortzone bleiben mochten … aber etwas seltsam ist das alles schon, und Hawkins wirkt in der ganzen Session ziemlich routiniert. Die ganze Band ist aber auch reichlich seltsam zusammengestellt, ohne Vance und vielleicht mit Glenn nur am Vibraphon und einem geeigneteren Pianisten hätte das ganz anders ausgehen können.
(Diese schon weiter oben abgebildete und erwähnte CD enthält die drei letzten Asch-Stücke von Hawkins aus dem Januar, dann die zwölf Capitol-Aufnahmen von Februar/März, die vier mit Catlett vom Oktober, und schliesslich als Nachtrag das tolle „My Ideal“ mit Art Tatum vom Esquire Konzert vom 1. August 1944 – siehe weiter oben.)
27. Februar 1946 | New York City | Coleman Hawkins‘ 52nd Street All Stars (RCA Victor) – Im Februar 1946 nahm Hawkins erstmals seit fünf Jahren für ein grosses Label auf. Leonard Feather stellte ein All Stars-Band zusammen, in der erneut Vertreter des alten wie des neuen Jazz aufeinandertreffen. Charlie Shavers, Altsaxophonist Pete Brown und Pianist Jimmy Jones repräsentieren die alte Generation, Allen Eager, Mary Osborne, Al McKibbon und Shelly Manne die junge.
„Say It Isn’t So“ gehört ganz Hawkins, eine weitere feine Ballade, von Jimmy Jones sehr schön arrangiert. Bei 0:33 spielt Jones ein kleine Phrase, die Hawkins sofort aufgreift und zurückreicht. Die anderen Bläser legen Orgeltöne unter das Saxophon, Al McKibbons Bass erinnert ein wenig an Pettiford, auch wenn sein Beat ein anderer ist. Eine grandiose Performance mit toller Klavierbegleitung und einem frei fliessenden Hawkins, der bei grösster Spontanität auch wieder absolut zwingend wirkt.
In „Spotlite“, der Bop-Paraphrase von „Just You, Just Me“, ist der Ton schon mit den ersten Tönen ein anderer, Jones legt ein paar Akkorde, Osborne spielt eine boppige Linie, dann geht es los mit dem Thema. Shavers übernimmt die Bridge und schlägt sich gut. Dann übernimmt Osborne das erste Solo, spielt mit sehr klarem Ton, streut auch mal einen Akkord ein, bleibt aber fast auf der ganze Länge rein linear – motivisch interessant, aber etwas inkohärent. McKibbon spielt ein paar Takte, fliessend übernimmt Jones mit Block-Akkorden und baut auf, wird lauter, bis Hawkins einsetzt und Manne ihn richtig kickt. Shavers ist trägt dann etwas dick auf, das Thema endet mit einer kurzen Reprise.
Anscheinend entstanden bei derselben Session auch noch „Low Flame“ und „Allen’s Alley (Wee)“, aber sie sind nicht in der Mosaic-Box zu finden. Auf der Chronological-CD „1946-1947“ findet man alle vier. „Low Flame“ ist das Pendant zu „Say It Isn’t So“ – bloss ist hier Allen Eager der Solist im Zentrum (und Shavers ist in der Einleitung für einmal wieder sehr geschmackvoll). Eager ist die Antithese zu Hawkins, klingt streckenweise fast wie ein Altsax (Verwechslungen mit Pete Brown sind jedoch ausgeschlossen), schlanker Ton, ein Mann, der stark von Lester Young beeinfluss war und wohl zu den wichtigsten, originären Bebop-Tenoristen gehört (vielleicht war er gar der einzige?), jedenfalls ein damals genialer Mann, der seine grossen Versprechen nie einlösen konnte (wer mehr hören mag, dem sei die Uptown-CD „Allen Eager – In the Land of Oo-Bla-Dee, 1947-1953“ wärmstens empfohlen, zudem was immer man von den Aufnahmen mit Tadd Dameron halt in die Finger kriegen kann).
In „Allen’s Alley“ hören wir, wie Pete Brown seinen dicken Ton vorübergehend zu zähmen sucht … mit dem Material kommt er bestens zurecht, aber scheint sich dennoch wohler zu fühlen, wenn er gegen Ende des Solos den Ton aufgehen lässt. Dann folgt Eager, beginnt in der tiefen Lage und arbeitet sich allmählich hoch, Shelly Mann begleitet aufmerksam. Osborne ist hier (wie in „Low Flame“ mit einem guten Solo zu hören, danach folgen Fours von Brown und Eager – und weil Hawkins hier wie in „Low Flame“ ebensowenig zu hören ist, wird auch klar, warum die Stücke in der Mosaic-Box und bei Doering fehlen. Auch das, insgesamt irgendwie eine Session des „Zwischen“.
Hawkins‘ Karriere erlitt in den nächsten Jahren einen Knick – doch 1946 und 1947 folgten noch einige Aufnahmen, zu denen ich später kommen werde. Dazwischen aber zunächst ein Exkurs über den ersten Schwung von Aufnahmen, die Hakwins im Rahmen von Jazz at the Philharmonic präsentieren.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaColeman Hawkins‘ „Body and Soul“ hatte einst eine Schüsserolle darin gespielt, den Sohn russischer Einwanderer Norman Granz für den Jazz zu begeistern – doch aus dem kleinen Exkurs, der diesen nun folgenden Post eröffnen sollte, wuchs gestern der längst überflälige Thread zu Granz, seinen Labeln (der Reihe nach: Clef, Norgran, Verve, später folgte noch Pablo) und zu Jazz at the Philharmonic, das nach einigen im üblichen Rahmen kleinerer Clubs veranstalteter Jam Sessions der Ausgangspunkt zu Granz‘ im Musikbusiness einzigartiger Karriere werden sollte.
Die ganze Geschichte von JATP will ich in den kommenden Wochen doer Monaten dort Stück für Stück erzählen, hier soll es nur um die Aufnahmen gehen, die Hawkins mit JATP machte.
12. Februar 1945 | Philharmonic Auditorium, Los Angeles – Coleman Hawkins trat schon früh mit JATP auf, noch in der Halle, die den Konzerten den Namen gab (und in der Granz ein Jahr später zum letzten Mal ein Konzert durchführen konnte). Die Aufnahmen stammen aus dem Fundus von AFRS (auch dazu mehr im anderen Thread), auch eine Einführung von DJ Al Jarvis ist erhalten und in der 10-CD-Box mit Verves JATP-Aufnahmen der Jahre 1944-1949 zu finden. Er stellt die damals noch mehrheitlich kalifornischen Musiker der Band einzeln vor. Drummer Dave Coleman spielte mit der Big Band von Harry James, Bassist Charles Mingus war ein aufstrebender lokaler recording man, wie Jarvis ihn nennt. Gitarrist Dave Barbour hatte zuvor mit der Big Band Benny Goodmans gespielt, Milt Raskin spielte im Trio von Les Paul und davor in der Big Band von Tommy Dorsey. Von Harry James‘ Band kam auch Corky Corcoran (ts), Shorty Sherock (t) von Horace Heidt (ein lokaler kalifornischer Bandleader, der mir völlig unbekannt ist, ich musste sogar die Schreibweise des Namens nachschauen), Neal Hefti (t) von Woody Herman, und zuletzt wird „the world’s greatest tenor saxophonist“ angekündigt, Coleman Hawkins, „in his very first appearance“.
Dann geht es los mit „Stompin‘ at the Savoy“, wie die beiden folgenden Sütcke „I’ve Found a New Baby“ und „Body and Soul“ zum ersten Mal in der 10-CD-Box veröffentlicht. Sherock, der eher zum Dreckeln neigt, legt mit dem ersten Solo los, zunächst recht geschmackvoll, später mit immer mehr Druck auf der Leitung (gut, nicht halb so übel wie Al Killian). Corcoran folgt mit einemähnlich gearteten (also nicht ausartenden) Solo, dann Neal Hefti, an sich toll, aber leider ist die Aufnahme genau hier von argen Tempo-Schwierigkeiten geprägt (die Art, die sich kaum reparieren lässt, soweit ich weiss. Dave Barbour gefällt mir danach sehr gut – ihn verbindet man nun echt nicht mit Testosteron-Anlässen wie JATP, aber genau darum passt er wohl, als Kontrapunkt gewissermassen, so gut herein. Nach Raskin folgt Hawkins und spielt ein gutes, entspanntes Solo, hinter dem die anderen Bläser zu riffen beginnen.
In „I Found a New Baby“ soliert Corcoran als erster, dann folgt Hefti, wieder sehr gut. Danach ist Barbour zu hören und dann treibt Sherock die Musik näher an den Siedepunkt, von der Rhythmusgruppe angetrieben. Hawkins übernimmt und fetzt gleich weiter – sowas konnte er wohl auf Autopilot, aber er scheint sich doch ordentlich Mühe zu geben und die Rhythmusgruppe ist auch hinter ihm gut, die anderen Bläser kommen dazu, riffen und dann endet das Stück. Hawkins kriegt einen mächtigen Applaus, doch noch grösser wird der, als er gleich danach sein „Body and Soul“ anstimmt – auch 1945 verband man ihn noch stark mit der Hit-Scheibe von 1939. Hawkins‘ Performance davon ist für seine Verhältnisse dann aber recht routiniert.
Neben den drei Band-Nummern ist noch ein kurzes Set von Billie Holiday erhalten, die von anderen Musikern begleiitet wurde, auch da vornehmlich Kalifornier. Dann folgen Illinois Jacquets Feature über „Ghost of a Chance“ (eine Spezialität von Lester Young), ein weiteres Jam-Set und schliesslich Slim Gaillard und Bam Brown mit ihrer „Opera in Vout“. Die Holiday-Stücke erschienen auf Clef und später Verve (auch auf LP, Jazz Recital, eine Split-LP mit Ralph Burns). Vom zweiten Jam-Set erschien ene erste Veröffentlichung auf dem Label von Moses Asch – die abgebildete Veröffentlichung ist eine etwas spätere auf Stinson (auch ein Asch-Label, dort erschien der Mitschnitt nach den 78 rpm-Album auch in 10″ und 12″ Ausgaben).
NG: I’ll tell you, the first time I ever used Coleman Hawkins was in Los Angeles. As faras I know, he had never been out to the West Coast [gtw: doch, in den Zwanzigern mit Mamie Smith], and everybody was wondering what was Hawk going to do – because he finally was booked to play at Billy Berg’s club, and everybody was dying to see the great Coleman Hawkins. And I was giving one of my jazz concerts at the Philharmonic then, and Slim was on it, and I told Slim [how] I wished I could get Hawk before he played his gig. And he said, „Well, let’s call him“ (I think he was working at Kelly’s Stable or one of the clubs on 52nd Street).
And Gaillard called him for me, and introduced me, and I said, „[If] you’re coming out here, I’d be pleased to put together a Jazz at the Phil and have you on it.“ And he said, „What’s it pay?“
NH: [Laughs]
NG: Which is waht I liked about Hawk, because Hawk was always up front.
NH: Yes, yes.
NG: And I, we agreed on something that then, for me, was astronomical [laughs], and I said, „Well, fine.“ And Hawk came out and came backstage when we faced, saw each other for the first time; and I gave him, of course, a solo sot with the rhythm section, and he did his set. And then the finale came, and that meant that I would take the first, second and third sets of whatever [we] had, and put them together, say, to do the blues or something as a finale. And I said, ah, they decided, I guess because of Jacquet, they were going to do „Flying Home“. So I said to Hawk, „Listen, don’t put your horn away; you’re gonna play in the finale.“ And he said, „I don’t play numbers like that.“ (Both laugh)
And I was in such awe of him, I said, „Okay, yes, sir, of course“ (laughts), and I paid him. But we became, of course, very close, because I used him wherever I could. I had great respect for Coleman Hawkins.
NH: He was one of the fascinating, very interesting, and complicated guys.
NG: Oh, he really was, I mean, and to talk to him about things other than music was something special.
(aus: „Interview with Norman Granz by Nat Hentoff“, aus dem Booklet von „The Complete Jazz at the Philharmonic on Verve 1944-1949“, 10 CD, PolyGram, 1998)
22. April 1946 | Embassy Auditorium, Los Angeles – Am nächsten Konzert, von dem Aufnahmen vorliegen, dem letzten im Philharmonic Auditorium am 26. Januar 1946, war Hawkins nicht dabei. Seinen Part übernahm der regelmässig bei JATP mitwirkende Flip Phillips. Ebenfalls dabei waren Lester Young, Dizzy Gillespie und der einstige Star der Big Band von Jimmie Lunceford, Willie Smith. Ein paar Monate später war Hawkins erneut mit von der Partie. Die Band ist eine der tollsten, die Granz je versammelt hat: Buck Clayton, Charlie Parker, Willie Smith, Kenny Kersey, Irving Ashby, Billy Hadnott, Buddy Rich und – wie Norman Granz sagt – „the two grandest tenor saxophonists in the world“, Coleman Hawkins und Lester Young.
Zu hören sind der „JATP Blues“, „I Got Rhythm“, „I Surrender Dear“, „I’ve Found a New Baby“ und ein unvollständiger (und vor der 10-CD-Box unveröffentllichter) „Bugle Call Rag“. Im „JATP Blues“ legt Parker mit einem aufgeräumten Solo vor – und es wird sofort klar, dass die Musik sich hier auf einem anderen Level bewegt denn bei der Session zuvor. Hinter Buck Claytons Trompetensolo – auch er kommt ohne Pyrotechnik aus – beginnen die Saxophone zu riffen. Young übernimmt fliegend und bläst ein tolles Solo, sehr cool, sehr sparsam, langsam seine Linien entfaltend, und dazwischen auch schon mal honkend – der Mann war immerhin jazz‘ original honker, das vergisst man zu gerne. Dann folgt Willie Smith – nach Parker und Young wirkt er mit seinem satten Ton zunächst etwas aus der Zeit gefallen, doch sein Solo ist nicht übel. Hawkins übernimmt, wirkt aber nicht sonderlich motiviert – überhaupt scheinen Young und er den jeweils anderen eher zu ignorieren denn sich anspornen zu lassen. Es folgen Soli von Ashby und Kersey und merkt, wie gut die ganze Rhythumsgruppe hier funktioniert.
„I Got Rhythm“ öffnet mit Smith (besser), dann Clayton (erneut gut), das Tempo schnell, Rich in seinem Element. Dann folgen die anderen drei Saxophone, zunächst Hawkins, dann Parker (unter ihm kriegt die Rhythmusgruppe viel Raum) und schliesslich Young. Hawkins und Young spielen beide sehr kraftvoll, Young war überhaupt wie es scheint in guter Verfassung. Doch es ist auch hier Parker, der das beste Solo beiträgt – er war klar der Star des Abends. Danach folgt wieder die Rhythmusgruppe, mit Soli von Ashby, Kersey und auch Rich, Parker spielt dann im abschliessenden Thema nochmal ein paar Takte über dem Ensemble.
Es folgt die Ballade „I Surrender Dear“ – ohne Parker-Solo. Young präsentiert das Thema, dann folgt Clayton mit Dämpfer – man beachte Hadnott unter ihm! Hawkins übernimmt dann mit robustem Ton, fast etwas zu aggressiv in der ersten Phrase, bever er den Ton etwas öffnet und weicher werden lässt – Hadnott ist weiterhin sehr präsent, tritt in eine Art Dialog mit den Solisten, während Kersey und Ashby sich sehr zurücknehmen. Kersey und Smith folgen mit guten Soli – dass eine solche Ballade bei JATP möglich war, straft eigentlich schon diejenigen Lüge, die das ganze als musikalischen Zirkus ablehnen. Wirklich schön! Schade nur, dass Parker nicht auch noch zu hören ist!
Das vierte und letzte Stück, „I Found a New Baby“, erschien erst auf 12″ LP, die anderen drei auf den Alben JATP Vol. 6 und Vol. 14 (78 rpm, 45 rpm, 10″ LP). Kersey leitet ein, das Tempo ist wieder rasch, die Bläser präsentieren das Thema in charmant unstrukturierter Art mit sich überlappenden Phrasen, dann setzt Young zum ersten Solo an, getragen von Buddy Richs Schlagzeug – Young war definitiv in Form an dem Abend! Clayton folgt wieder an zweiter Stelle, mit offenem Horn und einem Solo, das viel Raum lässt – den Buddy Rich immer stärker zu nutzen beginnt. Als Hawkins übernimmt, ist die Musik schon nah am Siedepunkt – doch er fetzt wieder ziemlich routiniert durch die Musik und die Spannung, die Clayton so schön aufgebaut hatte, sinkt merklich ab. Smiths Solo ist auch eher routiniert, aber nicht übel. Kersey folgt, er hat wohl oft Nat Cole gelauscht, dem ersten regulären JATP-Pianisten, der schon davor an vielen Jam Sessions beteiligt war, die Granz veranstaltet hatte. Rich spielt eins seiner bekloppten steifen Schlagzeugsolos, von überraschend kompletter Uneleganz wie so oft bei ihm – das ist eher Stomp als Swing. Aber egal, es ist rasch vorbei, das Ensemble schliess das Stück ab, Hawkins bläst noch ein paar Takte über dem Ensemble.
Ein fünftes Stück tauchte erstmals in der CD-Box auf, eine nach fünf Minuten abbrechende Version des „Bugle Call Rag“ mit derselben Band sowie Ray Linn (t), Corky Corcoran (ts) und Babe Russin (ts). Ein deppertes Stück, das die Amerikaner damals wohl alle zehn Minuten hören mussten – keine Ahnung, ob das mit Kriegspropaganda zu tun hat, aber für mich gehört es zu den Stücken, bei denen ich stets warte, bis das Thema vorbei ist und die Soli beginnen – und stets hoffe, dass der Drummer nicht auf Idee kommt, die Sache mit den Marschtrommeln zu weit zu treiben. Klar, das Stück stammt aus dem ganz alten Jazz (die New Orleans Rhythm Kings haben es 1922 als „Bugle Call Blues“ erstmals aufgenommen, aber populär wurde es durch Benny Goodman und Glenn Miller in den Dreissigern. Mit Buddy Rich kann so ein Stück also eigentlich gar nicht gut kommen … Young soliert als erster, zu weit vom Mikro weg, dann Linn (spitz), Hawkins (routiniert), Kersey (zunächst singt Young noch kurz was, aber man hört ihn auch da kaum), Corcoran, Smith und Russin folgen. Kein ausgegrabener Schatz, eher Dutzendware.
April 1946 | Hollywood, CA | Jubilee Shows No. 190 & No. 192 – Ebenfalls im April wirkte eine ganz ähnliche Band an den Aufzeichnungen zur Musik mit, die im Rahmen zweier AFRS „Jubilee Shows“ ausgestrahlt wurde. Zielpublikum waren schwarze GIs, das Format 16″ 33 1/2 rpm Scheiben, die mit normalem Equipment abspielbar waren. Clayton, Young, Hawkins, Kersey, Ashby und Hadnott trafen im Studio auf den Drummer Shadow Wilson, aber so richtig in Form waren die beiden Tenorsaxophonisten hier nicht, die Aufnahmen wirken etwas müde (was durchaus zutreffen könnte, denn ein Besuch im Studio nach einer langen Nacht war nicht immer ein Vergnügen.
In „I Got Rhythm“ öffnet Pres den Solo-Reigen, danach folgt Clayton mit einem guten Solo. Als Hawkins übernimmt, scheint er da und dort ein paar Pres-Klischees einzustreuen, den Ton eher flach zu halten, bis er im zweiten Chorus (wie zuvor auch schon Young) etwas aus sich herauskommt. Es folgen gute Soli von Ashby und Kersey – und auch hier ist die Rhythmusgruppe ohne Fehl und Tadel, Hadnott sehr aktiv, Wilson unaufdringlich (im shout chorus kickt er dann doch noch ein wenig), und der Klang vor allem deutlich besser als bei den JATP-Aufnahmen.
Dann folgen die Features für die Gockel – Young spielt seien „D.B. Blues“, den „disciplinary barracks“ gewidmet, in denen er seine traumatische Zeit in der Army absass – das Stück sollte er bis zu seinem Tod 1959 spielen, sein Mitwirken bei Jubilee war nicht frei von Ironie. Young liefert damit seine beste Performance der Session ab. Hawkins stimmt danach seine Paradenummer „Body and Soul“ an. Den famosen Klimax der Originalaufnahme peilt er auch hier an, sein Solo ist insgesamt stimmig, aber keine Sternstunde.
Den Abschluss von Show Nr. 190 macht dann „Lady Be Good“ wieder mit allen drei Bläsern. Hawkins klingt hier, wie im ersten Stück der ganzen Band, etwas besser als Young.
Die zweite Show öffnet mit Claytons Feature über „My Old Flame“, dann folgt Helen Humes mit „Don’t Blame Me“ (mit der Rhythmusgruppe und Clayton) und „Unlucky Woman“ (mit der ganzen Band, und wieder mit Schnörkeln von Clayton) – Pres hat mit ihr in dieser Zeit ein paar schöne Sessions aufgenommen. Den Abschluss macht dann die dritte Jam-Nummer, „Sweet Georgia Brown“, mit der gesamten Band (ohne Humes). Youngs zweiter Chorus ist wohl sein bester der ganzen Sessions, aber auch Hawkins spielt sein bestes Solo
Die abgebildete CD auf dem Storyville PD-Sublabel Jazz Unlimited öffnet mit drei Stücken aus der Jubilee Show No. 153 (Oktober 1945) mit einer Big Band unter Leitung von Murray McEachern (u.a. mit Vic Dickenson, Bobby Hackett, Emmett Berry, Willie Smith, Slim Gaillard, Corky Corcoran und Babe Russin) und endet nach den Pres/Hawk/Buck-Sessions mit drei weiteren Stücken aus der Jubilee Show No. 186 (März/April 1960) mit Willie Smith, Benny Carter und Charlie Parker, dem Nat „King“ Cole Trio (mit Oscar Moore und Johnny Miller) sowie Buddy Rich. Eine durchaus hörenswerte CD, aber essentiell ist sie eigentlich nicht – die abschliessenden Titel sind leider alle drei im Dreiminutenformat, doch Parker glänzt in „Cherokee“ mit einem atemberaubenden Solo, das vermutlich besser – länger, kohärenter, ausgereifter – ist als das berühmte für Savoy … so gesehen also doch was Essentielles mit drauf.
Lester Young, Carnegie Hall, NYC, ca. Mitte der Vierzigerjahre (Mai 1947?) – rechts Buck Clayton und Kai Winding (Photo: Gjon Mili/Time Life)27. Mai 1946 | Carnegie Hall, New York City – Der nächste Mitschnitt stammt aus New York, wieder mit vorzüglicher Band: statt Parker/Smith hören wir einen dritten Tenorsaxophisten, Illinois Jacquet, neben Kersey besteht die Rhythmusgruppe aus Curly Russell und J.C. Heard. Von dieser Band sind „Philharmonic Blues“ (aka „Carnegie Blues“), „Lady Be Good“, „I Can’t Get Started“ und „Sweet Georgia Brown“ zu hören, dann folgt das Krupa Trio (Ventura, Napoleon) mit einem langen „The Man I Love“ und schliesslich nochmal die Band (ohne Jacquet) mit „Slow Drag“.
Lester Young spielt nach einem Intro von Kersey und dem von Clayton präsentierten Thema das erste Solo im „Carnegie Blues“, Clayton folgt danach, erneut als Barriere zwischen Pres und Hawk. Dieser scheint recht gut in Form, wie zuvor Pres. Heard begleitet die Solisten jeweils unterschiedlich und sehr aufmerksam. Kersey folgt, danach Illinois Jacquet. Er spielt auf halbem Weg die allererste Phrase von seinem Hit „Flying Home“. Danach gibt es einen honk, später in paar Riffs mit aufgerauhtem Ton – ganz die JATP-Schule. Doch wie Jacquet sich in diesem Solo ins Feuer spielt, ist schon ziemlich toll! Die Rhythmusgruppe ist dann zu hören, doch Curly Russell hat weniger zu bieten als zuvor Billy Hadnott.
In „Lady Be Good“ spielt Clayton das Thema, während die Saxophone eine Bebop-Linie spielen, die auf „Lady“ basiert – ich komme gerade nicht auf den Namen des Stückes. Aus dieser Linie steigt Pres direkt in sein Solo ein, sehr lebendig wirkt er, aber auch etwas inkohärent. Clayton gibt wieder den Puffer zwischen Pres und Hawk, bläst ein fines Solo – ein unglaublich verlässlicher Mann, der übrigens ein paar Jahre später für Columbia eine Reihe von Alben produzieren sollte, die allesamt auf Jam Sessions beruhten (bei denen Musiker wie Joe Newman, Joe Thomas, Trummy Young, Benny Powell, Woody Herman, Al Cohn, Charles Thompson, Kenny Kersey, Walter Page, Milt Hinton, Jo Jones … und natürlich Coleman Hawkins mitwirken sollten). Hawkins folgt dann mit einem tollen, zupackenden Solo, danach Kersey und als letztes – die Solo-Reihenfolge ist exakt dieselbe wie im Blues davor – wieder Jacquet.
Auch in diesem Konzert folgt an dritter Stelle eine schöne Ballade, dieses Mal fiel die Wahl auf „I Can’t Get Started“. Young, Clayton, Hawkins und Kersey sind die Solisten, das Outro bestreiten sie alle gemeinsam.
Den Abschluss dieses Segments macht dann wieder einmal „Sweet Georgia Brown“ – und endlich hören wir Pres und Hawkins Seite an Seite. Den Auftakt macht Illinois Jacquet, von Heart angetrieben, es folgt Clayton, danach Hawkins und dann Young. Kersey und – vertiermassen – Heard beschliessen den Reigen. Die erhofften Feuerwerke bleiben aber auch hier eher aus. Doch ist es alleweil interessant, die beiden so unterschiedlichen Auffassungen direkt nebeneinander zu hören.
Nach einer Aufnahme des Gene Krupa Trios – „The Man I Love“, Charlie Ventura orientiert sich klar an Hawkins – folgt ein weiterer Jam, „Slow Drag“, mit derselben Besetzung ohne Jacquet. Hawkins spielt für einmal das erste Solo, gefolgt von Clayton, Young und Kersey. Young ist sehr soulful, die melancholische Blues-Atmosphäre kommt ihm sehr gelegen.
3. Juni 1946 | Carnegie Hall, New York City – Eine Woche später trat JATP schon wieder in der Carnegie Hall auf. Erschienen sind ursprünglich soweit ich sehe nur ein paar Stücke von Billie Holiday (ein paar andere Stücke erschienen später auf LPs von Phoenix, Jazz Archives und Verve, die Holiday-Stücke natürlich auch in ihrer Verve-CD-Box). Band-Nummern sind keine erhalten, bloss Features. Neben zwei kürzeren Holiday-Sets (vier bzw. drei Songs) sind Lester Young (mit Joe Guy), Coleman Hawkins und Buck Clayton mit je einem Stück zu hören, stets mit dem Kenny Kersey Trio mit Al McKibbon und J.C. Heard, das auch ein Trio-Feature kriegt und das ebenso Holiday begleitet, im zweiten Set wohl mit Curly Russell statt McKibbon, die Bläser sind hinter Holiday auch zu hören, kriegen aber keine Soli, zu den Genannten stossen da auch noch Georgie Auld und Illinois Jacquet sowie die Gitarristen Tiny Grimes und John Collins. Vor dem zweiten Holiday-Set und nach dem Trio-Features von Kersey gibt es von Pres noch ein Mini-Set mit drei Stücken.
Hawkins ist nur mit einem sehr kurzen (unter zwei Minuten), aber ebenso schönen „It’s the Talk of the Town“ vertreten. Er wirkt dann auch in der Band hinter Holiday mit, im zweiten überlieferten Set – aber bei ihren JATP-Auftritten gehörte die Bühne ihr jeweils ganz alleine (was ich schade finde, gerade weil Lester Young öfter zur Stelle war und man doch zu gerne gehört hätte, ob die Chemie zwischen den beiden noch so gestimmt hätte, wie in den späten Dreissigern bei den Small Group-Aufnahmen mit Teddy Wilson und anderen.
5. März 1947 | Syria Mosque, Pittsburgh – Im Dezember 1946 nahm Hawkins wieder an verschiedenen Studio-Sessions teil – dazu im nächsten Post mehr. Wir greifen noch rasch vor zur letzten JATP-Aufnahme vor dem Herbst 1949, derjenigen von „How High the Moon“, die Granz dann auf seinem Label Clef veröffentlichte, weil der Rechtsstreit mit Asch ihn davon abhielt, die frühere vom 1945 neu herauszubringen. Wir hören Hawkins neben Flip Phillips, dem Saxphonisten, der wie kein zweiter mit vulgärem „Geschrei“ im Rahmen von JATP auf sich aufmerksam machen sollte. Doch hier gibt es noch keine sinnfreie Effektharschere sondern zwei bestens gelaunte Solisten – die Konkurrenz scheint gerade Hawkins, der auf den bisherigen JATP-Aufnahmen oft sehr routiniert klingt, anzuspornen.
Kenny Kersey öffnet am Piano, dann präsentiert Buck Clayton über ein Riff der Saxophone die Melodie. Benny Fonville und Buddy Rich leisten solide Begleitarbeit, Posaunist Trummy Young bläst die letzten acht Takte des Themas, dann setzt Clayton zum ersten Solo an, wieder über Riffs der Saxophone und Rich, der langsam in die Gänge kommt. Phillips übernimmt, dann Young und schliesslich Hawkins. Phillips legt die Latte schon mal hoch, doch Trummy Young schert sich nicht darum und spielt gelöst wie immer – schön, ihn auch mal kurz in diesem Rahmen hören zu können! Hawkins folgt dann mit seinem bis anhin wohl besten JATP-Solo. Es mag sein, dass ihm nicht bewusst war, dass diese Konzerte mitgeschnitten wurden, dass er einfach seinen (lästigen?) Job erledigte – doch hier ist für einmal sonnenklar: er kam, um zu spielen! Und wenn Hawkins spielen wollte, wollte er gewinnen – und das tut er hier auch. Kersey und Rich folgen, den Abschluss macht dann Willie Smith am Altsax (auch er wächst bei der guten Stimmung, die hier herrscht, an der Aufgabe!), bevor Hawkins und Clayton mit dem Ensemble achtaktive Phrase wechseln und Clayton das Stück wieder mit dem Thema beendet.
Im zweiten Jam aus der Syria Mosque, dem „Bell Boy Blues“, wirkt Hawkins leider nicht mit, Smith, Young, Phillips und Clayton sind solistisch zu hören. Ansosten sind aus dem Konzert noch zwei Trio-Nummern von Kersey/Fonville/Rich erhalten – die Zuschreibung zu diesem Datum ist allerdings unsicher.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba4. Dezember 1946 | New York City | Esquire All American Award Winners / Chubby Jackson and His Jacksonville Seven (RCA Victor) – „This is an odd session that is neither fish nor fowl“, meint Loren Schoenberg in seinem Text zur Mosaic-Box. Was er damit anspricht ist, dass es sich einmal mehr um eine zwischen Swing und Bop situierte Musik handelt. „Indiana Winter“ basiert auf „How High the Moon“, wir hören J.J. Johnson, Charlie Shavers und Coleman Hawkins – das ganze Stück wirkt etwas unruhig, der Groove kommt nie ganz zusammen. Mit Teddy Wilson ist zwar ein Pianist dabei, der harmonisch gewiss alles begriff, was die Bebopper machten – aber im es Gegensatz zu Shavers und Hawkins vermied, dies auch umzusetzen. Die weiteren Anwesenden sind Buck Clayton, Harry Carney, John Collins, Chubby Jackson und der exzellente Shadow Wilson – noch ein Swing-Musiker, der keine Berührungsängste gegenüber dem Bebop kannte. (Das Stück, Leonard Feather zugeschrieben, mag nach Johnson benannt sein, der aus Indianapolis stammte).
„Indian Summer“ (ohne Clayton) ist das zweite Stück der Session (nur die beiden finden sich in der Mosaic-Box, alle fünf Titel im Frémeaux-Set „Summit Meetings“). Nach einem tollen Intro präsentiert Hawkins das Thema der Ballade – und bleibt eng am Thema. Dies sollte er in den kommenden Jahren (ich kenne sie schlecht) so halten. Die Begleitung der anderen Bläser engt ihn nicht ein, aber etwas steif ist das alles schon (auch Wilson, tatsächlich).
„Blow Me Down“ ist das nächste Stück, mitreissender Beat, aufgestellte Stimmung. Buck Clayton an der Trompete, dann Teddy Wilson – der Groove etwas seltsam, irgendwie mag Wilson nicht recht in diese Swing-to-Bop-Umgebung passen. Doch dann übernimmt Harry Carney und alle Sorgen sind weggeblasen. „Buckin‘ the Blues“ ist die vierte Nummer der All Stars, der Titel sagt eigentlich schon alles – ein langsamer Groove mit warmen Riffs und einem satten Bass. Dieses Stück hätte in derselben Zeit auch bei einer der Swing-Sessions von Blue Note eingespielt werden können. John Collins öffnet den Solo-Reigen, dann übernimmt Clayton an der Trompete (kein Beboppper zwar, überhaupt nicht, aber dafür ungleich geschmackvoller als Shavers, auch wenn er – im Solo in „Blow Me Down“ – auch mal in hohe Lagen geht und laut wird). Collins soliert dann gleich nochmal – neben der Hawkins-Ballade mit Sicherheit das gelungenste Stück der Session!
Den Abschluss macht dann der „Moldy Fig Stomp“, der Chubby Jackson und seinen Jacksonville Seven zugeschrieben wurde – eine Art Dixieland-Verarsche mit hupenden Saxophnen, tailgate Klängen von Johnson, barrelhouse Piano von Teddy Wilson, einem geklöppelten Backbeat von Shadow Wilson … und einem tollen Solo von Harry Carney mittendrin. Der Titel nimmt natürlich Bezug auf die „Kriege“, die – kaum war der richtige Krieg endlich zu Ende – zwischen den Jazzfans (mehr als zwischen den Musikern) ausbrachen. Es war ganz offensichtlich nicht unter Leonard Feathers Würde, anzustacheln und vor den Kopf zu stossen …
15. Dezember 1946 | New York City | Metronome All Star Band (Columbia) – Die nächste Session ist, wie Schoenberg zu Recht sagt, „somewhat strange and wonderful“. Frank Sinatra singt zunächst „Sweet Lorraine“ – eigentlich ein Stück, das sich im Besitz von Nat Cole befindet, der hier als Pianist zu hören ist. Die All Star Band ist wirklich eine solche: Charlie Shavers, Lawrence Brown, Johnny Hodges, Coleman Hawkins und Harry Carney sind die Bläser, neben Cole besteht die Rhythmusgruppe aus Buddy Rich sowie den beiden Kentonites Bob Ahern und Eddie Safranski. Sy Oliver hat die beiden Stücke arrangiert der Session arrangiert, die in der Mosaic-Box von Hawkins mit allen break downs und alternate takes komplett zu hören ist. Toll zu hören, wie die Musiker die Feinabstimmung perfektionieren, ohne deshalb ihre Spontanität aufzugeben. Rich bringt Sinatra zunächst mit einem humorvollen, ungewöhnlichen Break ins Stück, entscheidet sich dann beim master take schliesslich für ein einfacheres, eingängigeres. Brown, Hodges, Shavers und Hawkins spielen im zweiten Chorus je acht Takte solo – unter Shavers‘ Bridge fügen die anderen sich zu einer bezaubernd klingenden Section zusammen. Hawkins geht – ganz wie zu erwarten – am weitesten vom Thema fort, sein Solo verändert sich von Take zu Take am stärksten. Sinatra macht seine Sache sehr gut, lässt sich auch von den – teils simultanen – Begleit-Schnörkeln von Carney und Cole nicht aus der Ruhe bringen.
Der zweite Titel der Session präsentiert June Christy, die damalige Kenton-Sängerin, gemeinsam mit Nat Cole: „Nat Meets June“. Das Intro stammt diesmal von Harry Carney – und man hört mal wieder seine Wurzeln bei Hawkins. Dann singt Christy den Blues, begleitet von Browns Posaune und mit gutem Support von Cole, Safranski und Rich. Cole singt dann den näcshten Chorus, antwortet auf Christys Klage. Die Musik beginnt allerdings, wenn Rich für die Soli das Tempo verdoppelt. Hawkins endet sein Solo in allen Takes mit einer boppigen Phrase, es sind aber vor allem Cole und Rich, die gemeinsam Feuerwerke entfachen. Cole streut hinter Hodges einmal auch ein paar Ellington-Momente ein, nach einem kurzen Bass-Solo Safranskis sind Cole und Rich dann auch in ein paar kurzen exchanges (bei fortlaufendem walking bass) zu hören. Zum Abschluss gibt es einen Jam mit ein paar Schlenkern von Brown und Riffs unter der Leitung von Shavers.
In der Frémeaux-Box finden sich zwei Takes von „Lorraine“ und einer von „Nat Meets June“.
Dezember 1946 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Sonora) – Ebenfalls im Dezember nahm Hawkins für das Label Sonora eine Session auf. Und dieses Mal finden wir uns ganz klar in Bopland wieder. Allein die Besetzung ist zum auf der Zunge zergehen lassen: Fats Navarro, J.J. Johnson, Porter Kilbert, Hawkins, Milt Jackson, Hank Jones, Curly Russell, Max Roach. Von den vier Stücken findet man fünf Takes (von „Bean and the Boys“ sind zwei Takes erhalten) auf der abgebildeten Fantasy-CD. Diese enthält neben zwei bereits besprochenen Sessions (1944-10-11 mit Walter „Foots“ Thomas und 1944-10-19 mit Thelonious Monk, beide für Joe Davis‘ Label) auch noch den Longplayer „Stasch“, eine Jerry Valentine-Session vom Februar 1959 für Prestige. Diese wird an passender Stelle Erwähnung finden.
Den Auftakt macht „I Mean You“ – Monk und Hawkins gemeinsam zugeschrieben. Das anonyme Arrangement klingt, wie Dan Morgenstern zu Recht anmerkt (Liner Notes zu Prestige 7824, im Booklet der erwähnten CD abgedruckt) deutlich nach Tadd Dameron. Jackson scheint hier auszusetzen. Das Stück öffnet mit einem Riff der Rhythmusgruppe, dann folgt die übliche (von Monk bestens bekannte) Routine mit stop time und durchgehendem 4/4-Swing in der bridge. Hank Jones ist exzellent im Thema – er wird noch einiges an Raum kriegen in dieser Session, Hawkins wusste einen guten Pianisten zu schätzen. Die Soli sind kurz, Hawkins spielt acht ruppige Takte, Navarro acht sehr flüssige. Dann Kilbert, sehr hübsch (er hatte wohl einiges von seinem Leader abgeschaut, als er in der Band von Benny Carter spielte), dann Johnson, schon so sichter wie ein Veteran – erstaunlich! Und man beachte Max Roach hinter ihm! Dann gibt es einen tollen shout chorus (man weiss wohl inzwischen, dass ich eine Schwäche dafür habe) mit mehr gutem Jones und Roach. Jones kriegt dann auch noch seine acht, bevor das Thema erneut erklingt. Man wünschte sich natürlich eine ausführliche Performance mit ausgereiften Soli, aber die Herausforderung, in wenigen Takten etwas Bedeutungsvolles zu sagen, ist ja auch nicht ohne. Ein Kleinod.
Hawkins‘ „Bean and the Boys“ beruht auf „Lover, Come Back to Me“, und war eins von Hawkins‘ Lieblingsstücken. Der erste Take ist etwas weniger entspannt und zusammen, das Tempo ist um entscheidende Nuancen zu rasch. Milt Jackson bricht im Thema ein paarmal kurz aus, soliert ein paar Takte zwischen der druckvollen Unisono-Linie der Bläser, die Rhythmusgruppe gestaltet die ganze Performance. Druckvoll ist dann auch Hawkins‘ Solo – er spielt auch hier wieder als erster, gefolgt von Navarro, der sein erstes Solo noch übertrifft. Danach folgt erneut Kilbert, dem das Tempo offensichtlich zu schnell ist, und dann macht Johnson – wieder mit animiertem Roach hinter sich – den Abschluss, souverän und gelassen. Hank Jones ist dann auch noch mit einem Solo zu hören, bevor das Thema, wieder mit Jackson, erklingt. Der Master Take ist nur ein klein wenig langsamer (in Sekunden ausgedrückt: 5), aber das macht den Unterschied, der Groove funktioniert schon im Thema besser, Russell/Roach sind gut zusammen (auch wenn Russell wie üblich mit dünnem Ton und wenig Präsenz spielt). Roach spielt hier schon in Jacksons kurzen Soli zu Beginn sehr lebendig, hinter den tollen Soli von Hawkins und Navarro nimmt er sich eine Spur zurück, Kilbert kommt diesmal besser durch, Johnson erneut sehr souverän und erfindungsreich. Unter Jones hält Roach sich dann wieder etwas zurück, doch im abschliessenden Thema spielt er wieder sehr lebendig.
Hawkins erhält zum Abschluss gleich zwei Balladen, ohne die anderen Bläser. „Cocktails for Two“ im walking-Tempo öffnet mit einem Intro à la Art Tatum von Hank Jones. Dann schöpft Hawkins wieder aus seinem Fundus. Leider ahnt man eher, wie schön sein Ton klingt, als dass man ihn hört (die Metronome-Session im Mosaic-Set macht den Unterschied umso schmerzlicher hörbar, die klingt unglaublich gut). Jackson begleitet sehr schön, die Klangfarbe des Vibraphons war damals noch recht neu und passt gut zu Hawkins (die beiden sollten später auch ein gemeinsames Album aufnehmen). Rhythmis ist Hawkins viel offener unterwegs als früher, spielt mit Pausen und Unterbrüchen. Möglicherweise ist das bereits der Einfluss von Charlie Parker, dem Hawkins in dieser Zeit sehr gerne lauschte. In der Mitte des Stückes übernimmt Hank Jones – Jackson setzt hinter ihm aus und Roach hält sich zurück. Curly Russell klingt nun plötzlich ziemlich gut, wählt auch die Töne recht geschickt, doch Jones bleibt im Zentrum. Bis Hawkins wieder übernimmt und das Stück nach ein paar weiteren phantastischen Takten und einigen Schlenkern um das Thema herum mit einer kurzen Kadenz abschliesst.
„You Go to My Head“ ist das zweite Balladen-Feature, ein Stück mit interessanten changes, wie geschaffen für Hawkins. Doch das Stück öffnet mit einem langen Intro von Jones. Mit Hawkins setzt auch Jackson wieder ein – seine Anwesenheit macht diese beiden Stücke einzigartig im bisherigen Werk von Hawkins, das Vibraphon passt klanglich wirklich hervorragend! Hawkins lässt auch hier viel Raum, spielt unglaublich entspannt und konstruiert erneut ein grossartiges Solo (Jones hat nach dem langen Intro diesmal kein weiteres Solo mehr). Klasse der Schluss des Solos, die leidenschaftlich gespielten hohen Töne! Morgenstern schlägt (in den erwähnten Liner Notes) hier den Bogen zurück zu Louis Armstrong – und meint, vielleicht sei Hawkins am Ende das wahre Bindeglied zwischen Armstrong und Charlie Parker. Ein interessanter und ziemlich einleuchtender Gedanke.
Coleman Hawkins und Miles Davis, NYC, September 1947 (Photo: William P. Gottlieb)Ende 1946 oder Anfang 1947 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Ca-Song) – Diese kurze Session findet sich wieder in der Hawkins gewidmeten Mosaic-Box – die Band ist bis auf Hawkins unbekannt. Der old man steht einem intonationsmässig ziemlich schiefen Orchester gegenüber – und macht erneut seine Qualitäten als Begleiter von SängerInnen deutlich. In diesem Fall eine Dolores Martin (bei Bogdanovich heisst später mal eine Filmfigur so – ich kenne den Film nicht, gehe aber bei aller Obskuriät nicht von einem Zufall aus). Hawkins präsentiert „That Old Song“ – einwandfrei in der Intonation natürlich, aber wenig überraschend. Dann folgt Martin (der Trompeter sudelt dahinter herum) und schlägt sich recht gut (auch sie ist in tune). Im zweiten Stück – die Arrangements könnten erneut von Tadd Dameron stammen -, „You Said Goodbye“, gibt es, was die Band betrifft, noch mehr Probleme, Hawkins lässt sich nicht zu sehr irritieren, aber anstrengen mag er sich auch nicht besonders.
Juni 1947 | New York City | Coleman Hawkins All Stars (Aladdin) – Sehr viel besser ist dann die nächste Session, die für Aladdin enstand. Auf CD zu hören ist sie mit den drei Capitol-Sessions, als Bonus auf „Hollywood Stampede“. Die Rhythmusgruppe ist dieselbe wie bei der Sonora-Session: Hank Jones, Curly Russell und Max Roach. Die Bläser sind Miles Davis und Kai Winding. Miles bläst guten Lead („The Way You Look Tonight!“) und spielt in „Bean a Re Bop“ auch ein kurzes Solo. Der Klang des Ensembles ist voll und satt – erneut denkt man ein wenig an Tadd Dameron.
Hawkins ist schon in „Isn’t It Romantic“ in bester Form, einem Balladen-Feature, das ihm ganz allein gehört. Im boppigen „Bean-A-Re-Bop“ hören wir gute, wenngleich kurze Soli von Miles und Winding.
„The Way You Look Tonight“ ist für Hawkins wieder gefundenes Fressen. Das Tempo mittelschnell, die beiden Blechbläser mit interessanter Begleitung, die Rhythmusgruppe sehr solide, Roach im Hintergrund werkelnd und antreibend, ohne je aufdringlich zu werden – und davor der Meister mit seinem grossartigen Ton, der hier wieder recht adäquat eingefangen ist. Gegen Ende entwickelt das Arrangement sich so, dass Hawkins in den Dialog mit dem Ensemble tritt.
Noch schöner kommt Hawkins‘ Ton in der abschliessenden Eigenkomposition „Phantomesque“ zur Geltung. Das chromatische Stück öffnet ihm alle Möglichkeiten, zu glänzen, das Arrangement mit gehaltenen Tönen von Trompete und Posaune und auch ausgearbeiteten Parts für die Rhythmusgruppe, ist erneut sehr effektiv.
Kenneth Kamal ScottLeslie Scott was one who literally got buried before the world could witness all that he had to offer.He did however sing opposite Ms Price in Porgy and Bess and toured all over Europe.
He returned to America where he passed at age forty eight. Broken hearted, with the knowledge that his own country refused to see or hear him.(vom Blog von Leslie Scotts Sohn Kenneth Kamal Scott)
10. Dezember 1947 | New York City | Leslie Scott with Coleman Hawkins and His Orchestra (RCA Victor) – Im Dezember wirkte Hawkins erneut bei einer Session mit Gesang mit. Doch have no fear! Leslie Scott hat eine phantastische Stimme! Scott war der Schwager von Irving Ashby (der 1946 ein paar JATP/V-Disc-Sessions mit Hawkins bestritt) und folgte vor allem auf William Warfield in „Porgy and Bess“ – mit Leontyne Price als Partnerin. Er wirkte auch in der mir nicht bekannte 1959er Verfilmung mit.
Hawkins ist offensichtlich inspiriert, die Streicher sind gut, Hank Jones sorgt für manch spannende Klavier-Fills. Auch hier ist Dameron einer der möglichen Kandidaten, was die Arrangements betrifft – bei der Hawkins-Session vom nächsten Tag war er dann definitiv dabei. Hawkins spielt schon im ersten Stück, „How Did She Look“, ein grossartiges Solo, auch Hank Jones glänzt am Piano. Roach sitzt am Schlagzeug, agiert sehr zurückhaltend, aber erneut effektiv. In „Under a Blanket of Blue“ leitet Hawkins kurz ein und spielt dann leise Linien unter dem Gesang. Bassist Jack Lesberg macht einen ebenso guten Job wie Roach – wählt seine Töne von A bis Z perfekt (die Gruppe wird von Chuck Waynes Gitarre, vier Violinen und einem Cello vervollständigt). Auch hier klingt Hawkins eindeutig inspiriert – die hervorragende Umgebung trägt dazu wohl viel bei, auch der Klang der Session (in der Mosaic-Box) ist hervorragend.
Weiter geht es mit „Never in a Million Years“, Hawkins erneut mit Intro, sotto voce Linien – und dann einer bridge, die in kurzen acht Takten zeigt, was ein Musiker wie Hawkins mit minimalen Mitteln und auf engstem Raum erreichen konnte. Auch Roach und Jones sind hier wieder klasse. Den Abschluss macht dann „You Were Meant for Me“, Scott präsentiert es mit Vintage-Charme, doch Hawkins bringt es mit seinen sechzehn Takten umgehend in die Gegenwart – mit einem zerklüfteten, von Parker inspirierten Solo.
Den Ausschnitt fand ich ebenso wie das obige Photo in einem zweiten Eintrag auf Kenneth Kamal Scotts Blog mit weiteren Informationen über seinen Vater.
Diese Session ist für mich wohl eine der schönsten – weil unerwartetsten – Überraschungen der grossartigen Hawkins-Box von Mosaic!
Tadd Dameron und Fats Navarro, NYC, 19476-48 (Photo: William P. Gottlieb)11. Dezember 1947 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (RCA Victor) – Mit dieser RCA-Session endet das Mosaic-Set, das Hawkins‘ Werdegang über zweieinhalb Jahrzehnte (mit ein paar Lücken, v.a. den Jahren in Europa) nachvollziehbar macht. Die Band lässt allerhöchste Erwartungen aufkommen – die jedoch ein wenig enttäuscht werden. Dabei waren erneut Fats Navarro und J.J. Johnson, dazu Budd Johnson (as) und Marion DeVeta (bari) (Maurice DeVertueil? Geht da selbst Mosaic in die Falle?), die Rhythmusgruppe ist dieselbe wie am Vortag: Jones, Wayne, Lesberg, Roach. Es macht den Eindruck, als werde Hawkins hier als „Sänger“ präsentiert, der relativ straight die Themen vorstellt. Gemäss Schoenbergs Liner Notes in der Mosaic-Box mag das durchaus sein Wunsch gewesen sein – doch ein Rezept, ihn zu Höchstform zu bringen, war es nun gerade nicht.
Los geht es mit „April in Paris“, Fats Navarro legt mit sattem Ton eine Linie über das Intro, dann präsentiert Hawkins das Thema – schöner Ton, doch es geschieht nichts. Dann folgt „How Strange“, ein Stück mit einer interessanten Geschichte mit tragischer Note. Eingeführt wurde es durch den Film „Idiot’s Delight“, der Anfang 1939 in die Kinos kam – Hawkins war noch in Europa. Eine Gruppe von Leuten strandet wegen des beginnenden Krieges in einem Hotel in den Bergen. Im März nahm Ted Fio Rito das Stück mit seiner Band auf. Später wurde bekannt, dass der Komponist des Stückes, Boris Prozorovsky, 1937 in einem von Stalins Todeslagern umgebracht worden war. Das Stück ist in Hawkins‘ Interpretation bezaubernd, aber letztlich bleibt es wie das vorangegangene etwas brav (und Navarro erlaubt sich im Ensemble einen Schnitzer, der die Frage aufwift, warum kein zweiter Take eingespielt wurde).
Weiter geht es mit „Half Step Down, Please“, einer boppigen mittelschnellen Nummer von Dameron und Hawkins. Nach dem Thema mit gutem Lead von Navarro und Johnson (in der bridge) sowie cremigen Saxophonen spielen Hawkins und Navarro je einen Chorus. Sehr schön der Moment früh in Hawkins‘ Solo, als man ihn nach eine Phrase kurz seufzen hört. Navarros Solo ist dem von Hawkins ebenbürtig, hervorragende Phrasierung, sehr entspannte Präsentation mit viel Pausen und ganz ohne jegliche Hektik, die dem frühen Bebop so oft innewohnt. Dann spielt J.J. Johnson einen halben Chorus und von der bridge an geht es zurück ins Thema.
Mit „Angel Face“ folgt die nächste Ballade, von Hank Jones für seine Frau Teddi komponiert. Die Melodie ist interessant, Hawkins präsentiert sie über ein schönes Arrangement. Hawkins bleibt wieder ganz eng am Thema, soliert nicht wirklich – schade, aber immerhin ist die Linie wirklich gut! „Jumping for Jane“ ist ist dann Leonard Feathers Widmung an seine Frau – wir hören in dieser Bop-Nummer neben Hawkins (er spielt im Thema die bridge) auch Chuck Wayne, Budd Johnson (er liefert eine passable Parker-Imitation), Hank Jones und Max Roach mit kurzen Soli. Vor Roach sind noch J.J. Johnson, Fats Navarro und Hawkins selbst an der Reihe.
Den Abschluss macht dann die letzte Ballade der Session, „I Love You“, von Hawkins nur mit der Rhythmusgruppe vorgestellt. Wie „Angel Face“ erschien das Stück erst viel später – und warum ist nicht nachvollziehbar, denn es ist hervorragend (und erlaubt der Mosaic-Box damit einen versöhnlichen Abschluss). Hank Jones spielt eine weitere grossartige Einleitung, in der die Atmosphäre des Stückes bestimmt wird. Hawkins präsentiert das Thema, umgarnt es in einfachen Linien, spielt mit einer Grazie und Klarheit – jeder Ton scheint perfekt gesetzt, als müsste alles genau so sein. Jones soliert nach Hawkins und ist diesem ebenbürtig.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
Looking east from 6th Avenue, 52nd Street at night, May 1948 (Photo: William P. Gottlieb)In den Jahren 1947/48 begann der Niedergang der 52nd Street. Der Jazz büsste mehr und mehr von seiner Popularität ein – die Entwicklung war vielleicht paradox: die Combos an der 52nd Street setzten sich anfänglich vor allem aus Big Band-Musikern der Swing-Ära zusammen, die gerne mehr Jazz spielen wollten – das Big Band-Sterben geht damit einher, auch wenn es gewiss viel wichtigere Faktoren gibt. Die gewonnenen Freiräume – und die Konkurrenz auf engem Raum – beförderten die kreative „Explosion“, 1944/45 nahm der Bebop Konturen an. Lokale wie die oben sichtbaren „Onyx“ und „3 Deuces“ und andere wie das „Famous Door“ oder „Kelly’s Stable“ öffneten ihre Tore auch der neuen Musik, während das „Jimmy Ryan’s“ die Heimat der Dixieland-Musiker und Traditionalisten blieb. Hatten schon die Swing-Combos an der Street mehrheitlich nicht mehr zum Tanz aufgespielt, so verschärfte sich diese Entwicklung mit dem Bop noch. Die neue Musik war keine, die man in lockerer Atmosphäre zur Entspannung zu sich nehmen mochte sondern Musik, die aufmerksame Zuhörer verlangte.
Mit dem Schliessen der Clubs (Ende der Fünfziger gab es nur noch das Jimmy Ryan’s, das 1962 umzog aber bis 1983 weiterexistierte) suchten die Musiker andere Auftrittsmöglichkeiten, auch wenn diese sich in all year resorts in den Catskill oder so fanden. Als Bespiel mag Tiny Grimes dienen, über dessen Gang Ira Gitler in den Liner Notes zu „Blues Groove“ (Prestige P-7138) von 1958 berichtet: 1944 verliess er die Gruppe von Art Tatum und stieg in den nächsten drei Jahren an der 52nd Street zum bekannten Musiker auf, leitete Gruppe z.B. mit Trummy Young und John Hardee, tauchte an unzähligen Konzerten und Sessions auf, nahm für Blue Note mit Ike Quebec, Hardee und anderen auf, für Savoy die „Red Cross“-Session mit Charlie Parker – es war eigentlich Grimes‘ Session. Doch 1947 ging es für fast das ganze Jahr nach Cleveland, Grimes leitete dort in Gleason’s Bar eine Combo. 1949 kam er für sechs Monate zurück nach New York. In 1951 stellte er die „Rocking Highlanders“ zusammen, die in Kilts und Tam o’Shanter auftraten. 1953 bis 1955 spielte Grimes‘ Band sich durch Kanada und den mittlerwen Westen. Seither, so Gitler 1958, habe Grimes seine Basis in Philadelphia.
Auch für Coleman Hawkins sollten die folgenden Jahre, vor allem ab 1950, schwierige werden. Doch das Jahr 1948 begann mit einem Meilenstein, einem Meisterwerk, einem Stück, das in der Musik völlig einzigartig dastehnt: „Picasso“.
1948 | New York City | Coleman Hawkins (Clef) – Für Norman Granz’ Prestige-Projekt „The Jazz Scene“, ein Album von 78er-, später 10″-LPs mit Photographien von Gjon Mili (dem Regisseur des Films „Jammin‘ the Blues“ von 1944) steuerte Hawkins ein unbegleitetes Solo bei, benannt nach einem anderen Jahrhundertkünstler. (der Vergleich stammt von Harry Lim, dem Produzenten von Keynote Records, für den Hawkins 1944 eine lange Reihe toller Aufnahmen machte). Andere Beteiligte an „The Jazz Scene“ waren Charlie Parker, Lester Young, Duke Ellington (der zwei Features für Harry Carney mit Streichern komponierte), Willie Smith, Bud Powell, Machito, sowie die Komponisten/Arrangeure Neal Hefti, Ralph Burns und George Handy.
Hawkins‘ Stück ist die pièce de résistance das Albums. Er hatte schon ein paar Jahre davor ein unbegleitetes Solo aufgenommen, aber es war „Picasso“, das unter Saxophonisten für Aufsehen sorgte und zahllose Nachfolger fand – von Sonny Rollins bis Anthony Braxton. Doch es war ein hartes Stück Arbeit:
Norman GranzWhen we recorded this side, Hawkins sat down and for two hours worked it out on the piano. He then recorded it on the tenor for another two hours. Always the perfectionist, he still wasn’t satisfied; so a month later we recorded the piece again, and finally, after another four-hour session, got the take we wanted.
Nach Brian Priestleys „Reissuing The Jazz Scene„, Liner Notes zur abgebildeten 2-CD-Ausgabe von 1994.
Darüber, was Hawkins hier umgetrieben hat, gehen die Ansichten auseinander. So meinte Gunther Schuller, das Stück sei „a free-form, free-association continuity“, während John Chilton schrieb, es sei „unconnected by harmonic progression or tempo“. Was mit Sicherheit gesagt werden kann: Es ist grossartig!
Was über das Solo gesagt werden kann: Es wirkt absolut zwingend. Es swingt. Und Hawkins ist überhaupt, wie einst bei „Body and Soul“ oder „The Man I Love“, in bestechender Form. Er erkundet im Verlauf eine ganze Reihe abgelegener Tonarrten (fis-Moll, Gis-Dur) – es kann durchaus argumentiert werden, dass dieses Stück und nicht die 1949 entstandenen Aufnahmen von Lennie Tristano für Capitol („Intuition“, „Digression“) die ersten „atonalen“ Aufnahmen des Jazz sind.
Ich hörte das Stück – ebenso wie den wilden „Blues“ mit Illinois Jacquet, Nat Cole und Les Paul, der von einem frühen Jazz at the Philharmonic-Konzert (ohne Hawkins) stammt – erstmals in diesem 3-CD-Set, das zum fünfzigsten Geburtstag von Verve erschien und in einer Bibliothek stand, die ich damals frequentierte:
Im Jahr 1948 enstanden keine weiteren offiziellen Aufnahmen. Im Mai wurde Hawkins als Hauptattraktion von Charles Delaunay ans erste Jazzfestival von Paris nach dem Krieg eingeladen. Neben ihm traten auch Erroll Garner, Howard McGhee, John Lewis oder Kenny Clarke (der gleich in Paris bleiben sollte) auf. Hawkins‘ Konzert wurde zum Triumph, es kam auch zu Sessions mit jüngeren französischen Musikern – doch soweit ich weiss sind nur zwei Stücke (eins mit Garner, Percy Heath und Clarke, das zweite mit McGhee, Jimmy Heath, Garner und Slam Stewart) auf zweifelhaften Releases erschienen. Ich kenne sie leider nicht. Im November entstanden dann noch Aufnahmen für ein Just Jazz-Konzert in Hollywood, drei Stücke mit Al Haig, Tommy Potter und J.C. Heard – auch sie kenne ich leider nicht (sie sind auf einer Spotlite-LP zu finden, wie es scheint – oder auch nicht, jazzdisco.org und meine alte Ausgabe von Lord widersprechen sich da).
11. Februar 1949 | Carnegie Hall, New York City | Jazz at the Philharmonic (Clef/Pablo) – 2002 erschien auf Fantasy (das 1987 den Katalog von Pablo inklusive unveröffentlichter Live-Bänder aus Granz‘ Fundus übernahm) eine CD mit Musik, die am 11. Februar 1949 (nicht wie auf der CD angegeben am 2. November – deppertes US-Datenformat!) in der New Yorker Carnegie Hall entstand. Das Konzert bildete den Auftakt zur Frühlingstournee 1949, im All Star-Segment sind Fats Navarro, Tommy Turk, Charlie Parker, Sonny Criss, Flip Phillips, Hank Jones, Ray Brown und Shelly Manne zu hören, vier weitere Stücke präsentieren dann Hawkins und Navarro mit der Rhythmusgruppe. Jeder von ihnen erhält ein Balladenfeature – „Sophisticated Lady“ for Hawkins, „The Things We Did Last Summer“ für Navarro – eingerahmt von zwei Quintett-Titeln, „Rifftide“ und „Stuffy“. Letzteres ist mit zehn Minuten Dauer das weitaus längste Stück, doch Hawkins‘ Balladen-Feature ist wohl das Highlight. Navarros Balladen-Feature ist jedoch auch überaus hörenswert, erst recht da er auf Platte nur selten Gelegenheit bekam, seine Fähigkeiten in Balladen unter Beweis zu stellen. In „Stuffy“ spielt Hawkins wie in den kommenden Aufnahmen ein Solo, das ziemlich nahe beim Rhythm & Blues angesiedelt ist, honkt und repetiert – schlecht macht er das nicht, aber es ist auch nichts, was natürlich wirkt. Navarros schlankes Trompetensolo danach ist jedenfalls eine Wohltat und viel zu kurz und auch Hank Jones glänzt, wie man es inzwischen längst von ihm erwartet. Hawkins‘ zweites Solo öffnet dann ganz so, als sei Flip Phillips oder Illinois Jacquet zugange, es gibt sogar eine Phrase, die schwer an Jacquets klassisches „Flyin‘ Home“-Solo erinnert, bevor – als erster Teil des abschliessenden shout chorus, aber ohne Navarro – das hübsche Thema auftaucht, das Hawkins in der folgenden Studio-Session im Sommer als „Skippy“ aufnehmen sollte.
29. August 1949 | New York City | Coleman Hawkins and His All Stars (Clef) – Für Norman Granz folgte 1949 noch eine Studio-Session, dieses Mal mit einer kleinen Combo. Mit Al Haig, John Collins, Nelson Boyd und Shadow Wilson hat Hawkins die gleichen Musiker an seiner Seite, mit denen er im Sommer im Café Society in New York spielte. Auf „The Big Head“ – Hawkins zieht das Honken auch im Studio durch (siehe nächste Session), doch es wirkt ziemlich aufgesetzt und etwas lahm – und „Skippy“ (zwei Takes, keine Verbindung zu Monks gleichnamigen Stück) stossen J.J. Johnson und Cecil Payne dazu. Auf „Platinum Love“ (zwei Takes) dann Bennie Green, das abschliessende „There’s a Small Hotel“ präsentiert Hawkins nur mit der Rhythmusgruppe.
So nahe wie hier kam Hawkins bisher dem Spiel seiner Blues- und Rhythm & Blues-Schüler (Illinois Jacquet, Arnett Cobb, Al Sears, Hal Singer, Sam „The Man“ Taylor, Jimmy Forrest etc.) selten. „Skippy“ ist ein charmantes kleines Stück, eigentlich nur eine kleine Idee, Johnson spielt ein gutes Solo (mit einer bridge von Payne), Hawkins‘ Ton klingt flüssig und er rockt mit dem Beat … ein paar Wochen später taucht das Stück als Zitat in einem seiner Soli auf und klingt dort noch mehr nach Karibik. Hawkins ist in diesem Stück jedenfalls in guter Form, sein Solo klingt moderner als die Beiträge von Johnson und Payne. Beim zweiten Take handelt es sich um einen alternate take, während beide erhaltenen Takes von „Platinum Love“ auf verschiedenen Alben erschienen sind. Bennie Green erhält hier etwas Raum und nutzt ihn für ein tolles Balladensolo. Den Abschluss macht die obligate Ballade von Hawkins mit Begleitung über „There’s a Small Hotel“. Hawkins flicht auch hier wieder ein paar repetitive Phrasen ein, die gar nicht so weit weg von Rhythm & Blues sind.
18. September 1949 | Carnegie Hall, New York City | Jazz at the Philharmonic (Clef/Verve) – Hawkins trat auch Ende der Vierziger mehrmals mit Norman Granz‘ Jazz at the Philharmonic auf. Hawkins war allerdings im Herbst nicht dabei, stiess aber – wie auch Charlie Parker – für das Konzerte in New York dazu.
Bei diesem Konzert enstanden keine Aufnahmen, die ihn mit einer All Star-Band präsentieren – Charlie Parker, Lester Young, Roy Eldridge, Flip Philips und Tommy Turk spielten mit derselben Rhythmusgruppe, die dann auch Hawkins begleitete, einige lange Stücke ein, die zu den wichtigsten JATP-Aufnahmen gehören. Dafür hören wir von Hawkins ein längeres Set, in dem er von Hank Jones, Ray Brown und Buddy Rich begleitet wurde – direkt nachdem Norman Granz eine unangekündigte Überraschung aus dem Hut gezaubert hatte: den damals noch völlig unbekannten Pianisten aus Montréal, Oscar Peterson.
Hawkins öffnet sein Set mit „Body and Soul“ – eine sehr schöne Version, aber wie sollte er bei diesem Stück denn noch viel erreichen, wo doch mit der Studio-Aufnahme alles gesagt worden war? Weiter geht es boppend mit „Rifftide“. Nach einem Intro von Hank Jones präsentiert Hawkins das Thema, Brown walkt, Rich swingt ziemlich leicht und lässt anmerken, dass der moderne Jazz ihm keineswegs fremd ist. Hawkins bläst kantige, zuweilen schroffe Linien, rauht den Ton auf, streut in ein paar seiner liebsten Phrasen ein (ein Licks-Player war er nicht, aber seine pet licks hatte er schon). Rich legt unter ihm richtig los, und dann übernimmt Jones für ein kürzeres Solo, bevor Hawkins mit einem zweiten zurückkehrt, das erneut sehr zupackend gerät.
Weiter geht es mit dem Original „The Big Head“, das auch ins Repertoire von Al Sears gepasst hätte – doch vom R & B-Shuffle sieht man dann ab und rifft sich durch die Nummer, Rich trägt einiges an fills bei, man fragt sich wie schon bei der Session mit Sinatra, ob das teils als ironischer Kommentar gedacht ist. Doch Hawkins lässt sich, von Jones und Brown weich gebettet, nicht aus der Ruhe bringen, nach Jones‘ Solo lässt er sich in eine Art Schaukel(stuhl)-Rhythmus fallen, von Buddy Richs Backbeat angetrieben – dann legt er mit tiefen honks los, das Stück gewinnt in deren Repetition eine fast dadaistische Qualität, doch Hawkins bricht à la Illinois Jacquet kreischend in die hohe Lage aus – und findet schliesslich den den Weg zurück zum Riff des Themas (lustigerweise war es ja der „lyrische“ Lester Young, der im Rahmen von JATP regelmässig bewies, dass er jazz‘ original honker war, während der robuste Hawkins sich eher zurückhielt). in dieser Phase scheint bei Hawkins übrigens auch rhythmisch einiges zu gehen, er durchbricht den doch oft recht starren flow seiner Achtelnoten immer stärker, nähert sich dem Bebop neben den harmonischen und melodischen Aspekten nun auch rhythmisch zunehmend an.
Dann erklingt „Stuffy“, die zweite Monk/Hawkins-Nummer (siehe oben). Es gerät deutlich leichter, Hawkins spielt mit seiner typischen stark synkopierten Phrasierung, Rich kickt, Jones spielt ein Solo, Hawk fällt dann in eine charmante Calypso-Phrase – dieselbe, die er ein paar Wochen zuvor als „Skippy“ aufgenommen hat. Das Set endet dann mit der Zugabe „Sophisticated Lady“ – hier wirkt Hawkins erneut recht routiniert, doch sein Ton ist spitze und Hank Jones einmal mehr ein feiner Begleiter. (Vom Jones/Brown/Rich-Trio wie auch von denselben mit Ella Fitzgerald exisiteren weitere Aufnahmen von diesem Abend.)
3. Dezember 1949 | Maison du Peuple, Lausanne | Coleman Hawkins and His Orchestra (TCB) – Ende Jahr 1949 zog es Hawkins wieder nach Europa. Dieses Mal für etwas längere Zeit. In Paris stellte er eine Band zusammen, mit der er durch Europa touren sollte: Kenny Clarke sass am Schlagzeug, mit Pierre Michelot war ein exzellenter französischer Bassist dabei, Pianist Jean-Paul Mengeon ist allerdings höchstens adäquat. Dazu kommen die drei Bläser Nat Peck (tb), Hubert Fol (as), James Moody (ts), denen allerdings nicht sehr viel Raum zugestanden wurde. In Lausanne öffnen sie mit Charles Thompsons für Illinois Jacquet geschriebenem „Robbins‘ Nest“, alle drei spielen schöne Soli, doch irgendwie fehlt der Band im ganzen Konzert ein wenig die Spannung. Weiter geht es mit den Hawkins-Bop-Staples „Rifftide“, „Stuffy“ und „Disorder at the Border“, dazwischen Standards und Balladen wie „It’s the Talk of the Town“, „Sophisticated Lady“ (damals für kurze Zeit eine von Hawkins‘ Lieblingsballaden, so scheint es), „The Man I Love“, „Sweet Georgia Brown“, „Body and Soul“, auch „Hawk’s Blues“ darf nicht fehlen, der dem Leader Gelegenheit zum Honken à la Jacquet gibt. Nach Fols „Assy Panassy“ endet der Mitschnitt mit Charlie Parkers „Ornithology“. Leider ist der Klang – gerade im Vergleich mit den anderen, allerdings zumeist später entstandenen Veröffentlichungen von TCBs verdienstvoller „Swiss Radio Days Jazz Series“ deutlich schlechter, wird aber im Verlauf etwas besser und vor allem beständiger. Schlecht ist das Konzert nun gerade nicht, Clarke langt immer wieder zu, aber Hawkins‘ Ton kann man oft eher erahnen als hören. Wir kommen aber gleich zu einer Studio-Session, die das Potenzial zeigt, das diese Band bzw. Hawkins mit dieser Band barg.
In England gab es übrigens wieder Probleme mit der Auftrittsbewilligung. Hawkins reiste offiziell zur Taufe eines Kindes hin, ohne Saxophon. Bei der Ankunft gab er zudem an, ein Jazzkonzert besuchen zu wollen … erstmal ging es ins Pub, wo Hawkins mit einem von Londoner Freunden aufgetriebenen Selmer ein paar Stücke mitspielte, danach zum Konzert im Prince’s Theater. Die Rhythmusgruppe (Mengeon, Michelot, Clarke) war unabhängig von Hakwins nach London gereist und wartete bereits auf ihn – das Konzert wurde ein grosser Erfolg. Die Musiker blieben unbehelligt, aber der Veranstalter wurde später angeklagt und mit einer hohen Geldstrafe belegt.
21. Dezember 1949 | Paris | Coleman Hawkins and His Orchestra (TCB) – Zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen war die Band schon seit fast einem Monat zusammen unterwegs (das erste Konzert fand am 29.11. im Paris Théâtre Édouard VII statt). Moody wirkt an der Studio-Session nicht mit, doch seine Gemeinschaftskomposition mit Hawkins, „Sih-Sah“, steht auf dem Programm, ebenso wie das Hawkins und Tadd Dameron zugeschriebene „Bah-U-Bah“ und Hawkins-Clarkes „Bean’s Talking Again“. Dazu die Standards „It’s Only a Paper Moon“ und „I Surrender Dear“ sowie – erneut – Ellingtons „Sophisticated Lady“, jetzt in einer ordentlichen Studio-Aufnahme, die zugleich eine weitere Hawkins-Sternstunde wird.
Im öffnenden „Paper Moon“ erhalten auch Peck und Fol ihre Solo-Momente, ansonsten sind sie nur Teil der Kulisse. „Sih-Sah“ und „Bean’s Talking Again“ (später als „Bean Stalking“ bekannt) sind Blues-Themen, „Bah-U-Dah“ basiert auf „Sweet Georgia Brown“. Die Session präsentiert Hawkins und die Rhythmusgruppe (Michelot/Clarke – Mengeon bleibt farblos) in guter Form und mit ein paar ungewohnten Schattierungen wie einem Latin-Beat im Thema von „Bah-U-Bah“ – die Mambo-Craze wartete bereits, und Hawkins sollte 1951/52 weitere Aufnahmen für Decca machen, die in diese Richtung gehen (und auch später hie und da Stücke mit Latin-Rhythmen wie „Begin the Beguine“ aufnehmen). Das abschliessende „Sophisticated Lady“ beweist dan einmal mehr Hawkins‘ ungebrochene Kraft. Mit 45 Jahren war er noch immer absolut auf der Höhe seiner Kunst, seine physische Präsenz und emotionale Kraft sind beeindruckend, die Performance perfekt gestaltet über dem starken Bass Pierre Michelots. Hawkins‘ Ton klingt etwas luftiger als sonst – man denkt manchmal an Ben Webster, doch die Gesaltung der Linien ist unverwechselbar Hawkins.
Anfang 1950 ging die Tour weiter – Hawkins kam nun auch nach Deutschland, wo es diesmal für mehr als ein Bier im Bahnhofsrestaurant reichte. In München wurde er am 19. Januar im Deutschen Museum mitgeschnitten. Das einst auf Dime erhältliche Konzert liegt inzwischen auch auf einem Bootleg aus Spanien vor – sollte ich die Aufnahme finden (irgendwo liegt eine CD-R …) gibt es dazu vielleicht später auch noch einen kleinen Nachtrag.
Im Jahr 1950 nahm Hawkins wenig auf. Von Ende Januar gibt es noch vereinzelte Stücke aus Skandinavien, aus den USA vom August eine Session für Roost, die ich leider nicht kenne – sie sollte für einige Zeit seine letzte mit Musikern des modernen Jazz bleiben: Billy Taylor, John Collins, Percy Heath und Art Blakey spielten auf vier Stücken mit Hawkins. Im Herbst nahm dieser wieder an der JATP-Tour teil und drei Stücke wurden in der Carnegie Hall mitgeschnitten, wieder mit Hank Jones, Ray Brown, Buddy Rich (anscheinend routinierter, solider Hawk). Danach pausierte Hawkins bei Granz‘ Truppe, wenn mich nicht alles täuscht bis zur US-Tour vom Herbst 1957, die ihn mit Roy Eldridge zusammen präsentierte („At the Opera House“ – dazu später mehr).
Herbst 1950 | New York City | Jazz at the Philharmonic/Film Soundtrack (Clef) – Charlie Parker und Coleman Hawkins wirkten im Herbst 1950 an Dreharbeiten von Gjon Mili mit, dem Regisseur von „Jammin‘ the Blues“ (1944). Geplant war ein Kurzfilm über Jazz at the Philharmonic, natürlich hatte Norman Granz seine Finger im Spiel. Die Filmaufnahmen entstanden in Milis Studio, doch die Musiker taten nur so, als würden sie spielen (das war auch bei „Jammin‘ the Blues“ der Fall).
Parker, Hank Jones, Ray Brown und Buddy Rich (die Rhythmusgruppe, mit der Hawkins schon so gut harmoniert hatte) spielten „Celebrity“ ein, für „Ballade“ (eine Variation über Ellingtons „I Got It Bad and That Ain’t Good“) stiess Hawkins dazu. Die viereinhalb Minuten Musik (und Filmmaterial) sind leider alles, was von dem Projekt überlebt zu haben scheint. Im ersten Stück, gerade mal 1:33 kurz, hören wird zwischen zwei aufgeräumten Improvisationen Parkers (mit phantastischem Ton!) ein Schlagzeugsolo von Rich. Die „Ballade“ öffent mit einem Intro Hank Jones am Piano, dann übernimmt Hawkins und spielt mit leicht nebligem Ton – Parker fällt ihm fast ins Wort (auf den Filmaufnahmen wirkt der Moment sehr seltsam) und scheint seinen Ton dann dem Meister anzupassen, auch irgendwie mit Belag zu spielen. Hawkins übernimt dann noch einmal (nachdem Parker gegen Ende eine Phrase spielte, die später im Thema von James Moodys „Last Train from Overbrook“ pointierter herausgearbeitet werden sollte).
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaEine Vogue-Compilation mit einem Stück von Coleman Hawkins‘ Session („It’s Only a Paper Moon“).
Die 1941er Liste der Lieblingssaxophonisten von Colemans Hawkins:
1. Ben Webster
2. Chu Berry
3. Lester Young
4. George Auld
5. Charlie Barnet
6. Bud Freeman
7. Don Byas
8. Dexter Gordon
9. Vido Musso
10. Sam Donahue
11. Babe Russin
12. Eddie Miller--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaMorgen abend im Radio:
Samstag, 14. Januar 2023
22.03-23.00 Uhr
SWR2Jazztime
Coleman Hawkins – Der Vater des Tenorsaxophons
Von Hans-Jürgen SchaalDer SWR schreibt dazu in seiner Programmankündigung:
„Bevor er kam, galt das Saxophon noch als billige Zirkus- und Schmalztröte. Coleman Hawkins (1904 – 1969), der als Kind Violoncello gelernt hatte, war der Erste, der das Tenorsaxophon mit kraftvollem Vibrato und aggressiver Energie blies. „Einen größeren Ton konnte man nicht haben“, sagte der Pianist Billy Taylor über ihn. Kein Wunder, daß man Hawkins den „wahren“ Vater des Saxophons nannte. Coleman Hawkins improvisierte mit einem souveränen Flow und mit konzentrierter motivischer Entwicklung. „Improvisieren heißt Spielen mit viel gedanklicher Arbeit dabei“, sagte er.“
--
"Bird is not dead; he's hiding out somewhere, and will be back with some new shit that'll scare everybody to death." (Charles Mingus) -
Schlagwörter: Bean, Coleman Hawkins, Hawk, Tenor Sax, Tenorsaxophon
Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.