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Cecil Taylor 1966
Seit gestern bin ich bei den 1966er-Aufnahmen von Cecil Taylor – unfassbare Musik, die mich immer wieder durchrüttelt. Auf dem Photo von Jacques Biscgelia (einem der drei Halbgauner von BYG, dem „B“), sehen wir ein Treffen von Albert Ayler und Taylor in Paris, 13. November 1966.
Unit Structures (Blue Note BST-84237, 1966) – Aufgenommen am 19. Mai 1966 im Studio von Rudy Van Gelder, Taylors erstes von leider nur zwei Blue Note-Alben – er kam etwas zu spät bzw. für Lion war er wohl auch etwas zuviel, und als Lion sich zurückzog, ging das wohl erst recht nicht mehr. Aber als es ging, ging die Post auch richtig ab, das wird schon im Opener „Steps“ klar. Die Gruppe ist als solche toll, sehr dicht, die Vermutung drängt sich auf, dass es auch hier einen Plan gab, vielleicht sogar konkrete Patterns, mit denen gearbeitet wurde.
Die fünf Jahre, die seit den letzten Studio-Aufnahmen verflossen sind, haben einiges geändert im Jazz. Taylor selbst hat mit seinem Trio 1962 so etwas wie den Rosetta-Stein des Free Jazz geschaffen, rätselhaft und doch betörend, von unendlicher und ewigwährender Frische. In den Jahren dazwischen war eine ganze Generation neuer Fire-Musiker herangewachsen, Bill Dixon oder Archie Shepp hatten die Szene betreten, John Coltrane sich den jungen Musikern angenommen, sich vor den Karren spannen lassen und dann auch gleich haufenweise frische Impulse gegeben. Jimmy Lyons ist wieder dabei, er sollte es ja bleiben, bis zu seinem frühen Tod, ansonsten aber kann Taylor inzwischen auf weitere Musiker zurückgreifen, die in der Lage sind, seine komplexen Stücke mit Überzeugungskraft umzusetzen.
Eddie Gale Stevens Jr. (t)
Jimmy Lyons (as)
Ken McIntyre (as, ob, bcl)
Cecil Taylor (p, bells)
Henry Grimes (b)
Alan Silva (b)
Andrew Cyrille (d)Der Schlüsselmusiker neben Lyons ist Andrew Cyrille, mit dem ein gutes Jahrzehnt nach den Aufnahmen in Kopenhagen weitere fabelhafte Trio-Aufnahmen entstehen sollten („Akisakila“, 1973). Henry Grimes ist ebenfalls wieder an Bord, zudem ein neuer Bassist, Alan Silva, der wenigstens 1966 fest zur Gruppe gehören sollte (die nächste Welle von Aufnahmen stammt von 1969, da ist es zwar wieder/immer noch ein Quartett, aber ohne Bass und stattdessen mit Sam Rivers als zweitem Bläser). Mit Eddie Gale und Ken McIntyre sind zwei zusätzliche Bläser dabei, die erstmals – vom einzigen grösser besetzten Stück auf der Impulse-Session abgesehen – eine fast schon orchestrale Palette in die Musik von Taylor bringen. McIntyre tritt dabei nicht nur mit seinem seltsam trägen aber doch kaum zu fassenden Altsaxophon auf („Steps“, das zweite Solo nach Lyons) aber auch mit der Oboe („Enter, Evening (Soft Line Structure)“) und der Bassklarinette („Unit Structures/As of a Now/Section“) auf und vergrössert die Klangpalette ganz entscheidend, während Gale den lyrischen Touch (Harmon Mute) und verspielte Linien beisteuert (toll in „Enter Evening“). Der zweite Bass erlaubt auch da Ausflüge ins Flageolett und in ungewöhnliche Klangwelten (etwa in „Enter, Evening“, hinter dem kurzen Solo von Lyons). Ich vermute, Grimes übernimmt im Allgemeinen den „Boden“ und Silva den ausschmückenden, solistischen Part (das schreibt Bob Blumenthal auch so in seinen Liner Notes zum 2004er Reissue von „Conquistador!“, s.u.). Bemerkenswert ist auch, wie stark Jimmy Lyons sich entwickelt hat, sein Ton rauher, schwerer, aber ohne etwas von seiner Agilität verloren zu haben, ohne im grösseren Ton die Beweglichkeit und die stupende Fähigkeit zur prägnanten Phrasierung zu verlieren.
Taylor schreibt hier auch seine Liner Notes erstmals selbst und wenn man sich von seiner ungewöhnlichen Stilistik nicht gleich abschrecken lässt, sind sie auch durchaus aufschlussreich und erklärender Natur – sogar einen Titel gab er seinem Text:
Cecil Taylor
Sound Structure of Subculture Becoming
Major Breath/Naked Fire GestureTHE first level or statement of three an opening field of question, how large it ought or ought not to be. From Anacrusis to Plain patterns and possibility converge, mountain sides to dry rock beds, a fountain spread before prairie, form is possibility; content, quality and change growth in addition to direction found. 3rd part is area where intuition and given material mix group interaction. Simultaneous invention heard which these words describe. The paths of harmonic and melodic light, give architecture sound structures acts creating flight. Each instrument has strata. Physiognomy, inherent matter-calling-stretched into sound (Layers) in rhythms regular and irregular measuring coexisting bodies of sound. Measurement of sound is its silences. Acknowledging silence its definition in absence. Reactive occult, in action unknowable – detached – rationalization of inaction and detachment mathematical series, permutation and row-underlying premise = idea precedes experience.
Das ist noch nicht einmal eine halbe der vier Seiten, den der Text in meiner alten CD-Ausgabe (1987 – seither wurde das Album von Blue Note nie mehr im grossen Stil aufgelegt, nur in Japan gab es ein paar kurzlebige Reissues, was für eine Idiotie!) einnimmt. Taylor beschreibt seine Musik in einer Art Morphologie, mit physikalischen Regeln und chemischen Reaktionen, in die der Mensch, der Musiker, eingreifen kann, sich verhalten muss – Sätze wie „idea precedes experience“ oder noch mehr „Measurement of sound is its silences“ klingen nach. Taylor, der zornige Mann, der seine Ellbogen auf die Klaviatur rammt, seine Musiker zu unglaublichen Verdichtungen anspornt – ein Mann der Stille, ein Mann der Idee? Mais bien sûr!
Die drei Blöcke in Taylors Modell kann man (frei nach Jost, Angaben s.u., hier S. 88f.) ungefähr so interpretieren:
– Anacrusis: Auftakt (der Begriff kommt aus der antiken Verslehre), eine Art Programm, das noch nicht verbindlich ist für das, was danach folgt;
– Plain: hier wird das motivische Material ausgebreitet und entwickelt, Patterns entstehen, Strukturen werden vorgestellt, neben- und übereinandergestellt usw.;
– Area: im dritten Teil sollen dann Intuition und das vorgegebene Material zu einer Entwicklung führen, hier setzt die eigentliche Improvisation ein.Das ist natürlich kein fertiges Programm, das man so auf Taylors Musik direkt anwenden könnte, eher geben diese drei Phasen eine Art Rahmen vor, in dem die Musik sich entfaltet und entwickelt, ohne klare Abgrenzungen zwischen den drei Bereichen – das ganze ist auf einen Prozess ausgerichtet. Taylors Stücke setzen sich aus verschiedenen Motiven und Patterns zusammen, aus Melodien und Rhythmen, die übereinandergelegt werden, die wichtiger oder weniger wichtig sind oder gemacht werden, „statements with changing consecutives“, wie er über „Enter Evening“ (das Komma lässt er – oder der Text-Redigierer für die CD? – weg), das sicherlich zu den faszinierendsten Werken Taylors zählt. Es hört sich an wie eine Ereigniskette, eine Schichtung von Energien. Dass Taylor sein Album „Unit Structures“ nennt und seine Band inzwischen als „Cecil Taylor Unit“ unterwegs ist – das ist natürlich kein Zufall.
Taylors Musik lässt sich kaum noch in Kategorien einpassen, sie lässt sich auch nicht in herkömmlicher Notation abbilden – ihr Umgang mit Zeiteinheiten, mit Amplituden, Intervallen, verschiedenen Dichtegraden – das alles erinnert auch stark an die „Neue Musik“ jener Zeit. Gerade „Enter Evening“ ist dafür ein Beispiel, das auch deutlich über den Vorläufer „Cell Walk for Celeste“ (siehe oben – Candid, Januar 1961) hinausgeht in seiner Radikalität. Motive sind zwar notierbar, aber die Phrasen, die Trompete, Oboe, Altsax und Piano völlig unabhängig voneinander spielen, sind von unterschiedlicher Dauer und rhythmisch kaum übereinander zu legen. Ekkehard Jost zitiert in seinem Buch „Free Jazz. Stilkritische Untersuchungen zum Jazz der 60er Jahre“, Mainz, 1975, S. 88) den Saxophonisten Jimmy Lyons nach A.B. Spellmann („Four Lives in the Bebop Business“, 1967, S. 70):
Jimmy Lyons
Manchmal schreibt Cecil seine Partituren aus, manchmal nicht. Ich mag es lieber, wenn er es nicht tut. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll – wenn er uns seine Stücke vom Klavier aus beibringt, fangen wir irgendwie an zu singen. Es hat sicher viel mit der Art zu tun, wie Cecil begleitet. Er spielt Skalen, Patterns und Melodien und erwartet vom Solisten, daß dieser sie verwendet. Aber Du kannst es auch lassen – wenn Du Deinen eigenen Ideen nachgehen willst, folgt Cecil Dir. Natürlich mußt Du wissen, w o h i n das Stück gehen soll; wenn Du dorthin auf einem anderen Weg gelangst als dem, den Cecil vorgeschlagen hat, ist alles in Ordnung für ihn. Das ist das Wichtigste, was ich von Cecil gelernt habe, daß Musik von innen kommen muß und nicht von irgendeiner Partitur.In einem Stück wie „Enter, Evening“ steht denn auch der Swing nicht mehr im Mittelpunkt, den Taylor im Allgemeinen aber aus dem traditionell Jazz übernahm und in etwas eigenes, neues umformulierte, eine Art Energie-Puls, den zuvor Sunny Murray und nun Andrew Cyrille exemplarisch umsetzen. War das Spiel Murrays intuitiv und spontan, so wirkt Cyrille schon hier als Grossmeister, der in jeder Situation die passende Lösung findet und dennoch völlig unvorhersehbar und auch sehr spontan bleibt. Über das wellenartige An- und Abschwellen, das Murray im Montmartre 1962 so grossartig umsetzte, sein gelegentliches Stocken im unwiderstehlichen Vorwärtsdrang, geht Cyrilles Spiel weit hinaus und ist oft noch da, wo es Kontinuität zu geben scheint, eher ein Stillstand, eine Meditation. Dieser Widerspruch macht wohl sein Spiel gerade aus, wenigstens in diesen Jahren mit Taylor (er blieb bis in die Siebziger, wobei Taylor ja auch da kaum je konstante Gigs hatte, die Band immer wieder auseinanderging und neu zusammengerufen wurde). Der Swing von Taylors Musik ist ein unregelmässiger, ein stockender, ein nach vorn und nach hinten laufender zugleich – und so bleibt das Klavier der Mittelpunkt, um den herum die Musik sich entwickelt – das wird passenderweise im Closer des Albums „Tales (8 Whispers)“ noch einmal sehr deutlich, wenn Taylor zu einem seiner grossen Soli ansetzt, von den Bässen recht sparsam begleitet, während Cyrille dazu sehr solistisch spielt. Der äusserst perkussive Charakter von Taylors Klavier („88 tuned drums“, das kennt man ja) wird hier wieder einmal überdeutlich. Im langen Titelstück des Albums geht die Musik durch so viele Passagen und Episoden, das erzählerisch irgendwie nachzuvollziehen scheint mir kaum möglich. Unbedingt erwähnen möchte ich aber, wie toll Ken McIntyre hier an der Bassklarinette ist – das ist vielleicht der überzeugendste Auftritt, den ich von ihm überhaupt kenne. Doch ist das Stück vielleicht in seiner Verbindung aller Aspekte der anderen drei – dem enorm verdichteten Energielevel von „Steps“, den offenen Klangmalereien von „Enter, Evening“, dem rumpelnden Swing und dem Piano-Fokus von „Tales“ – vielleicht wirklich der grosse Kulminationspunkt, in dem alles zusammenfindet. Jedenfalls sind das knappe 18 Minuten, in denen einem immer wieder der Atem stockt.
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Conquistador! (Blue Note BST-84260, 1966) – Am 6. Oktober 1966 fand Cecil Taylor sich zum zweiten Mal im Studio von Rudy Van Gelder ein. Ob „Conquistador“ noch 1966 oder erst 1967 erschien, ist nicht ganz klar.
Bill Dixon (t)
Jimmy Lyons (as)
Cecil Taylor (p)
Henry Grimes (b)
Alan Silva (b)
Andrew Cyrille (d)Der zweite Holzbläser fällt weg (leider, möchte ich sagen: ich wünschte mir, es gäbe mehr Aufnahmen von Ken McIntyre in so forderndem und fruchtbarem Rahmen!), an der Trompete übernimmt der grosse Poet Bill Dixon, eine zentrale Figur hinter den Kulissen der New York Avantgarde-Szene dieser Zeit. Das Album besteht aus zwei seitenfüllenden Stücken, dem Titelstück auf der ersten und „With (Exit)“ auf der zweiten Seite, von letzterem ist auf der CD (2004 kam das Album als Teil der RVG Edition neu heraus) zudem ein Alternate Take zu finden.
Was das „Singen“ betrifft, das Lyons bei Spellmann anspricht, so zitiert Nat Hentoff in seinen Liner Notes Taylor selbst, wieder nach Spellmanns Buch – was er von Ellington gelernt habe, so Taylor, sei, „dass Du die Gruppe, mit der man spielt, zum Singen bringen kann, wenn Du die unterschiedliche Persönlichkeit jedes der Instrumente begreifst; Du kannst den Aspekt des Singens hervorheben, wenn Du bei jedem Instrument das richtige Timbre verwendest“ (meine Übersetzung nach dem CD-Booklet, den ganzen Text von Spellmann habe ich bis heute nie gelesen, das wird bald mal nachgeholt).
Das zweite Blue Note-Album bewegt sich jedenfalls auf derselben olympischen Höhe wie „Unit Structures“, auch wenn es – allein schon wegen des anderen Personals – wiederum sehr eigenständig ausfällt. In „Conquistador“ gibt es wieder den flirrenden gestrichenen Bass (ich vermute wie gesagt Silva) über dem beweglichen Fundament von Cyrille/Grimes, darüber tonale Zentren, Motive, die gemeinsam gespielt werden, Stapelungen, Verdichtungen, Momente der Ruhe (Dixons Solo ist grossartig!), des Innehaltens, des Vorwärtsdrängen, manchmal so scheint es, alles zur gleichen Zeit. Wie Cyrille hinter Taylors-Solo – nach einer klagenden Überleitung vom Trompetensolo – mit Rim-Shots lange eine Art Latin-Beat klöppelt und dann mit der zunehmenden Verdichtung davon abkommt und Felle und Becken immer intensiver bearbeitet, während der Bass bedrohlich grummelt, zwar ein Tempo, ein Metrum vorgibt, das jedoch immer in Bewegung ist.
Ich muss diese Alben mehrmals hören, am Stück, gleich wieder von vorn … und dennoch dünkt mich kaum, dass ich wirklich erfasse, was hier alles geschieht. Die Metapher von den Wellen – seien es welche aus Klang oder welche aus Energie – greift jedenfalls an diesem Punkt wesentlich zu kurz. Es überlagern sich so viele Stränge, Flächen, Patterns, Motive, Stimmungen, über enorm dichten Schlagzeug/Bass/Piano-Getrommel kann zum Beispiel Dixon mit einem einzigen Ton so vieles auslösen, was alles wieder verändert – und doch fliesst und zuckt und ruckelt und reisst das auch weiter … das ist eben Haut-und-Haar-Musik.
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The Great Paris Concert/Student Studies (BYG, Affinity etc., rec. 1966) – Im Herbst 1966 tourte Taylor im Quartett durch Europa und wurde u.a. auch in der Villa Berg in Stuttgart auf, lustigerweise im Rahmen der „Woche der leichten Musik“. Dort hörte auch Irène Schweizer ihn erstmals persönlich: „Als ich Cecil Taylor nachstrebte und ihn dann 1966 live in Stuttgart hörte, war ich völlig fertig. Ich habe ernsthaft erwogen, mit dem Klavierspielen aufzuhören“ (gemäss der Biographie auf der Intakt-Website).In Paris blieb die Gruppe wohl über mehrere Wochen (oder kehrte dahin zurück), probte und gab Konzerte im Oktober und im November und filmte im Dezember „Les Grandes Répétitions“ und gab weitere Konzerte – siehe Photos unten. Am bekanntesten ist sicherlich „Student Sudies“ (Affinity), bei BYG hiess die Doppel-LP zunächst nur „Cecil Taylor“ (auf CD erschien der Mitschnitt u.a. bei Black Lion als „The Great Paris Concert“). Klanglich muss man im Vergleich mit den Blue Notes (die auch nicht sonderlich gut klingen – das war nicht RVGs Musik) gewisse Einbussen in Kauf nehmen, es klingt alles etwas hallig, die Tiefen etwas dumpf, die Höhen etwas spitz (meine CD ist die von Fuel 2000, 2003 erschienen) – aber man kann auch fast immer alles hören. Den Bass manchmal nicht, aber Silva – er war noch ganz jung und über seinen Lehrer Bill Dixon dazugestossen – setzt manchmal auch aus. Hier hören wir wohl so etwas wie den Kern der kommenden Trios (mit Lyons und Cyrille) und Quartette (mit Lyons, Cyrille und Rivers) der folgenden Dekade. Taylor trat auch solo und in anderen Besetzungen auf, aber das hier ist der Kern der reifen Taylor-Musik, wenn man so will, hier geht es los. Die zwei Teile des Titeltracks sind zusammen fast 27 Minuten lang und nahmen die erste LP der Veröffentlichung ein (die wohl immer ein Bootleg war), es folgen „Amplitude“ (20 min) und „Niggle Feuigle“ (12 min). Nicht veröffentlicht wurden zwei weitere Titel des Konzertes, „Over There“ (17 min) und „Bread, Wine, Lover and Love“ (19 min) – damit wächst die knappe Stunde Musik auf über 95 Minuten an, ein eindrückliches Zeugnis.
Im Vergleich zum Urknall in Kopenhagen, vier Jahre davor, wirkt die Musik jetzt etwas weicher, voller, der oft gestrichene Bass bringt eher eine solistische Klangfarbe dazu (es war tatsächlich Silva, der die ganzen Arco-Sachen ausprobierte – das las ich vorhin irgendwo: er wusste zunächst nicht, was er in dieser Musik überhaupt tun sollte, fand dann Wege, mit Arco-Techniken sich einzufinden, während Grimes – der bis 1966 wohl der reguläre Bassist war, wenn Taylor denn mal einen Gig organisieren konnte) als dass er zum Teil des Fundaments würde. Cyrille spielt viel luftiger als Murray, auch weniger druckvoll, aber das ist bei Taylor nun wirklich kein Problem, denn in Sachen Druck macht dem Leader so leicht ja keiner was vor. Auf jeden Fall nimmt die Musik hier wieder eher wellenförmigen Charakter an, droht jedenfalls immer wieder, einen unter sich zu begraben. Das ist einmal mehr wahnsinnig dicht und wird mich für den Rest des Nachmittags beschäftigen.
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Guy Kopelowicz, ich schätze mich glücklich, ihn einen Freund zu nennen, hat für die Jimmy Lyons Sessionography von Jan Ström vor ein paar Jahren sein Archiv durchforstet und Bilder von Konzerten und Proben der Jahre 1966 und 1969 in Paris zur Verfügung gestellt, darunter auch Aufnahmen, die während der Arbeit an Luc Ferraris „Les Grandes Répétitions“ (1966) entstanden sind.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deSo klingen die größten Schlagzeuger ohne ihre Band
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Zwischendurch ein großer Dank an Dich, @gypsy-tail-wind, für all diese Beiträge zu Taylor, danke für die sorgfältige Arbeit, die Du Dir hier einmal mehr machst. Und die immer wieder feinen, anregenden Bemerkungen dabei.
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Danke für Deine Rückmeldung @clasjaz. Ich habe gestern die StoneFM-Sendung vom 3. Mai zu Faden geschlagen. Ich stelle Aufnahmen von 1956 bis 1962 vor – also nichts von den wirklich „schwierigen“ Dingen, zumal für den Teil der Hörerschaft, die mit Jazz weniger am Hut hat … die Live-Aufnahme von 1962 ist schon ein harter Brocken, auch wenn es davon nur ein Stück gibt, aber davon abgesehen finde ich diese Aufnahmen heute allesamt erstaunlich zugänglich (also die Alben auf Transition, United Artists, Verve, Contemporary, Candid und das halbe bei Impulse!).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind… StoneFM-Sendung vom 3. Mai … Ich stelle Aufnahmen von 1956 bis 1962 vor – also nichts von den wirklich „schwierigen“ Dingen, zumal für den Teil der Hörerschaft, die mit Jazz weniger am Hut hat … die Live-Aufnahme von 1962 ist schon ein harter Brocken, auch wenn es davon nur ein Stück gibt, aber davon abgesehen finde ich diese Aufnahmen heute allesamt erstaunlich zugänglich (also die Alben auf Transition, United Artists, Verve, Contemporary, Candid und das halbe bei Impulse!).
http://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/4848-180503-ggj-70
Hoffe natürlich, dass ein paar der Jazzinteressierten hier dabei sein werden! Die Sendung wird etwas länger als üblich dauern (70-75 Min), weil ich es einfach nicht übers Herz bringe, noch ein Stück wegzulassen – es ist so schon viel zu wenig Zeit!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaThe prevailing orthodoxy of mainstream jazz was, and remains, for the pianist’s hands to be deployed in some form of ‘melody and accompaniment’ texture. Taylor not only looked back to Tatum, Earl Hines and others by reasserting a two-handed approach, but also brought a patterned beauty to the relationship between the hands. Symmetry was one concern, as when they would simultaneously trace outwards towards the extremes of the keyboard; but parallelism was also reinstated, as when his two hands harnessed together would construct lines out of volleys of shifting clusters, distant cousins of the block chords of Garner and the comets which streaked throughout Tatum’s universe.
schöner text von alexander hawkins über taylor in the wire.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
gypsy-tail-windDie Sendung wird etwas länger als üblich dauern (70-75 Min), weil ich es einfach nicht übers Herz bringe, noch ein Stück wegzulassen – es ist so schon viel zu wenig Zeit!
Wenn Du bitte auf 226-271 Minuten erhöhen könntest.
Nach Pullen mit McPartland bin ich jetzt gerade bei der Sendung mit Taylor. Hört sich nicht so an, als habe er sich unwohl gefühlt.
Und Hawkins, a patterned beauty to the relationship between the hands, das ist sehr fein gesagt. Die Spanne zwischen den Händen ist nicht zu unterschätzen.
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Der Tod von Cecil Taylor und die anschließende Rezeption hier im Forum und in den Magazinen hat mich aufmerksam gemacht und mein Interesse geweckt, mich mal mit ihm zu beschäftigen. Ich konnte mich noch an eine Titelstory über ihn in der Wire erinnern, wo er auch ein bisschen unfaires Zeug zu Mick Jagger und den Stones gesagt hatte, aber ich fand es schon erstaunlich genug, dass so ein freier Jazz-Mann wie Taylor überhaupt Lust hatte, sich die Stones auf ihrer ersten US-Tour anzusehen. Ich las etwas über „Conquistador!“, Taylors Band-Platte von 1966, und beschloss, mir die mal zu besorgen. Bei Discogs gab es sie recht günstig bei einem Händler, bei dem ich eh noch andere LPs zu bestellen hatte, nämlich ausgerechnet was von den Stones („Black And Blue“) und weniger ausgerechnet was von Poly Styrene („Translucent“). Ich erwischte ein merkwürdiges Exemplar von „Conquistador!“, das aus einer deutschen tadellosen Pressung 70er-Jahre-Teldec-Pressung bestand, die aber in einer originalen US-Hülle steckte. Diese Version ist auf Discogs dokumentiert, offenbar ist da also jemand aus Deutschland an die Originalhüllen gekommen und hat sie einfach für diese Press-Version benutzt.
Ich hatte ein bisschen Angst vor den atonalen Clustern, von denen öfters im Zusammenhang mit Cecil Taylor geschrieben wird und war überrascht, wie direkt einen die Musik mitreisst, wie sie immer wieder den Hunger antreibt wissen zu wollen, wie es weitergeht. Cecil Taylos knallige Tastenkaskaden kamen mir schon beim ersten Hören unmittelbar gut, folgerichtig und vertraut vor. Vielleicht mein Rückhören seines Einflusses auf die Musik im allgemeinen? So weit von -ichsachma- Jerry Lee Lewis scheint mir das gar nicht entfernt zu sein.
Wenn man vom Rockgetöse kommt, leuchtet es unmittelbar ein, wenn einfach mal in die Tasten gebrüllt wird. Bammbamm bamm bammbammbamm. Ansonsten kann Taylor natürlich weitaus mehr, seine Klavierläufe können Lichtjahre überbrücken und gleichzeitig so subtil sein wie ein geladenes Elektron. Der Sound hat eine anthrazidene Färbung – ähnlich dem geheimnisvollen Coverbild – ist dunkel und etwas unscharf und verbasst. Mir gefällt das, weil eben dadurch nicht der Eindruck entsteht, als würde hier unter technisch optimalen Bedingungen einfach eine weitere Blue Note-Platte von Van Gelder routiniert in glanzvollem Sound bei einer gepflegten Tasse Kaffee serviert. Stattdessen legt sich feiner hartnäckiger Schmutz auf die Instrumente, wie auf die Umgebung eines stark befahrenen Zubringerknotens. Der Bass wirkt teilweise wie ein noch etwas bassigerer Ausschlag allgemeinen Gegrummels, das sich weigert, einen festen Ort einzunehmen. Sowas zieht magisch an. Cecil Taylor selbst hätte gerne noch etwas lauter abgemischt werden können.
Cecil Taylor und Andrew Cyrille würde man in „Pacific Rim“ einen Jaeger anvertrauen, so sehr handeln sie in ständigem Kontakt zueinander. Die Soli der Mitstreiter nehme ich nicht als Soli wahr. Sie sind eher sowas wie Motivfinder, Handlungsvorschläge, Strukturreformen und Kommentare. Sie werden oft aufgenommen oder wohlwollend toleriert und ermutigt. Immer werden sie respektiert. Schön sind auch die ruhigen Stellen, wenn es weniger dicht zugeht, ohne das ein allgemeines Energiebritzeln, das über der gesamten Platte liegt, an Intensität verliert. Saxophone und Trompete haben immer mal wieder richtig schöne Melodieteile in ihrem Spiel. Die zweite Seite dann hat eine andere Färbung, ist fordender, zerriger. Immer in einem dichten, enorm attraktiven Gruppensound. Exzellente intensive, erstaunlich unnervige Platte.
@wahr Interessante Eindrücke – und schön, dass Taylor bei Dir klappt! RVG aber offensichtlich etwas überfordert mit der Musik, die zwei Alben (das erste war „Unit Structures“, ich finde es eher noch toller) gehören nicht gerade zu besten, was er klanglich hingekriegt hat.
Ich erlaube mir nochmal den Hinweis auf meine Sendung heute Abend, ich stelle Musik der Jahre 1956 bis 1962 vor, also von den allerersten Sessions mit Musik von Monk und Cole Porter, die aber schon eine ganz klare Handschrift zeigt, aber noch mit nur halb adäquaten Begleitern auskommen mussten, bis hin zum Durchbruch in den frühen Sechzigern, als mit Jimmy Lyons der wichtigste Sideman zu Taylors Gruppe stiess und er auch sonst allmählich Musiker fand, die mit seinen Ideen und seinen anspruchsvollen Kompositionen umgehen konnten.
Die Sendung beginnt um ca. 22:05 und dauert bis ca. 23:15
http://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/4848-180503-ggj-70--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaIch hole das hier mal rüber aus dem Thread zur Taylor-Sendung, die kleine anschliessende Diskusson zwischen @clasjaz und mir:
clasjaz
gypsy-tail-wind
Vermutlich schon … wobei Charles, wenn man die Aufnahmen komplett durchhört, da und dort schon etwas hilflos wirkt (und Neidlinger einfach langweilig=solide) – aber ich gab mir ja Mühe, für heute Abend nur Highlights auszuwählenAlso dann hast Du zumindest mich gut übers Ohr gehauen! Ich werde sie also „am Stück“ hören. Bei „Conquistador!“ und „Unit Structures“ ist Grimes vielleicht anders, aber da ist ja auch Alan Silva dabei. Und Cyrille. Die Beruhigung von Bill Dixon in „Conquistador!“ fand ich auch nicht so übel.
Aber Neidlinger = langweilig = solide? Also Cameron Brown? Den ich auch gern höre mit Don Pullen.
Danke Dir für diese schöne Sendung und ich wünsche allen eine gute Nacht.
gypsy-tail-wind
Hm, das ist jetzt grad etwas viel aufs Mal (von Taylors 1000 Ideen inspiriert? ) – Brown ist viel offener, der ist quasi Post- … d.h. sein langweilig=solide enthält all das, was Neidlinger noch nicht hatte, das nämlich was Grimes, Garrison, Haden, Peacock etc. (und Mingus nicht zu vergessen!) in den Jahren danach an Territorium erst eroberten (weshalb diese Bassisten wie Brown auch in „gepflegterem“ Rahmen manchmal unglaublich toll wirken können, was allein schon ein „langweilig“ verbiete, finde ich) … quasi der Post-Coltrane-Mainstream, wie ihn später auch ein Shepp oder ein Sanders oder eben ein Pullen pflegten (wobei es von Pullen ja auch heisst, dass er spielen konnte, wie er es auf keiner Platte tut, dass das alles braver, geordneter, das böse Wörtchen heisst dann noch „kommerzieller“ sei, dass er sein Können quasi verschenkt habe, um halbwegs über die Runden kommen zu können … was ja – das gehört zur Faszination durchaus – ein Taylor nie tat, der arbeitete lieber als Abwascher in der Küche eines Hotels, um keine Kompromisse eingehen zu müssen …Und mit „komplett durchhören“ meinte ich wirklich Album für Album, Stück für Stück, wie ich es bis anhin bis und mit „Student Studies“ getan habe, nach Taylors Tod. In der Masse finde ich die Trios (und gelegentlichen Quartette mit Lacy, Shepp, Griffith bzw. Quintette mit Curson und Barron) schon etwas, wie soll ich sagen: ermüdend? Aber eben, andererseits ist da soviel toller Stoff, dass sich durchaus die Überlegung aufdrängt: wenn Taylor nach den Candid-Sessions gestorben wäre – wie würde man ihn heute sehen/hören? Wie Herbie Nichols als sehr eigenwilligen/ständigen Giganten, der „es“ nie „geschafft“ hat? Als nie eingelöstes Versprechen (da kommt mir Ernie Henry in den Sinn, der auch um 1957 seine besten Sachen machte und dann starb – allerdings tauchte er schon deutlich früher auf Platten auf und war ein Hardbopper, der keinesfalls so eigenständige Sachen machte wie Taylor oder Nichols, aber eben: ein nie eingelöstes Versprechen halt, bei dem auch die besten Aufnahmen – „Seven Standards and a Blue“, Monks „Brilliant Corners“ – immer den Eindruck von viel Potential hinterlassen, das aber nie wirklich voll zur Entfaltung kommt).
Cyrille war wohl die perfekte Ergänzung zu Taylor – später war vielleicht Tony Oxley der würdige Nachfolger (und dazwischen war Ronald Shannon Jackson ziemlich verdammt phantastisch), wie es Murray möglicherweise nie hätte werden können, auch wenn er länger geblieben wäre (er hat sich ja später in absurden Äusserungen sehr geringschätzig geäussert, seine Zeit mit Taylor quasi als den grössten Fehler seines Lebens bezeichnet, weil ihn das daran gehindert habe, einfach „normalen“ Jazz zu spielen und damit gut bzw. besser, als es eben der Fall war, über die Runden zu kommen … da sind wir wieder beim Thema von Pullen, allerdings frage ich mich, ob Murray das „Normale“ überhaupt gekonnt hätte, der Typ war ein so starker „Bauch“-Spieler und war so eigenwillig, den hätte man nicht einfach in eine Horace Silver-Session der zweiten Hälfte der Sechziger oder neben Larry Young oder so verpflanzen können … Jackie McLean hätte vielleicht gepasst, so 1967-72, aber damit wäre Murray auch nicht wohlhabender geworden).Silva, das ist ja auch wieder interessant, kam als Dixon-Schüler zu Taylor – und war überfordert. Er musste erst einen Weg finden, neben Grimes, dessen Spiel damals ja schon ziemlich verdammt toll war, überhaupt Platz zu haben – der „Ausweg“, der musikalisch äusserst fruchtbar war, waren ja dann seine Flageolett-Sachen (die er aber 1966 in Europa durchaus auch ablegen konnte, als er der einzige Bassist war). Und klar, Dixon, der grosse Meister, ist auf „Conquistador“ eine tolle Stimme mit unglaublicher Präsenz gerade in der Zurückhaltung, der Reduktion – ein ruhender Pol im Maelström, den Taylor fast pausenlos anrührt. Dass dieses Zusammenspiel möglich war – auch später, im Trio mit Oxley – ist ja schon sehr toll und zeigt wohl auch, wie sehr Taylor zuhören und auch gelten lassen konnte, wenn denn da jemand war, der etwas zu sagen hatte (das kann man bei Lyons wohl auch so sehen, den spätestens in den frühen Siebzigern ist Lyons eine unglaublich grossartige Stimme, ein Saxophonist, wie ich keinen anderen kenne … als ich neulich in St. Johann erstmals Dave Rempis live hörte, dachte ich ab und zu an Lyons, aber Rempis bringt eine viel stärkere Hochdruck-Komponente rein, während bei Lyons eine Differenziertheit da ist, die über Charlie Parker hinaus zu Warne Marsh führt und das ganze dann in ein freies Idiom überführt – maximale Kontrolle bei maximaler Freiheit. Das ist wohl das, was Taylor auch suchte, und das gab ihm Lyons quasi aus eigener Warte wieder zurück (und das kann man in Ansätzen schon bei den famosen 1962er-Sessions aus Kopenhagen hören, wo Lyons Wurzeln im Bebop Parkers noch sehr deutlich zu spüren sind).
clasjaz
Beinahe hätte ich Deine Antwort übersehen, herzlichen Dank. Aber komm‘, in meiner Frage stecken allenfalls drei weitere, die Du mit so vielen Anknüpfungen beantwortest. Ich weiß da auch immer noch nicht recht etwas zu sagen, heute „Jazz Advance“ und „Air“ gehört. Und mir fällt immer noch nicht auf, dass Neidlinger oder Charles im Hintertreffen seien.Etwas anderes ist die anachronistische (oder auch historische-aus-dem-Rückblick-) Sortierung – was wäre, was hätte sein können. Das dachte ich übrigens auch gestern beim Ugorski-Thread drüben zu Ugorski. Das dürfte alles sehr offen sein, was wäre mit Herbie Nichols später? Keine Ahnung, vielleicht nichts, vielleicht noch viel mehr. Das, was ist, genügt doch – ist zu jedem Zeitpunkt jeweils vollendet, auch wenn diese Haltung Einschränkungen in Sachen Hoffnung usw. bedeutet.
Andererseits ändern sich die Zeiten und Cameron Brown hat eben nicht mit Taylor in den Fünfzigern gespielt; meine Frage kam nur von der Gleichsetzung von Langeweile und solide. Das hat mich überrascht, da fielen mir eher deutsche Bassisten ein (Dieter Ilg zum Beispiel).
Auch noch einmal „Conquistador!“ – ich höre viel mehr Verbindung von Charles zu Cyrille als von Murray zu Cyrille. Woran liegt das, an ihrer „Intonation“? – Und Lacy – ich irre mich gewiss, aber ihn finde ich für Taylor völlig unpassend, mag auch am Sopransax liegen, das mir eh nicht sehr nah ist. Shepp hingegen ist auf „Air“ eine lebendige Vogelstimme, klar, Lyons „stört“ ihn da nicht. Zu Silva weiß ich gar nicht so viel, außer dass ihn Dixon in Verona an Andrew Hill vermittelt hat, für die „Strange Serenade“. Und da finde ich ihn beide Male sehr präsentamente. Und überhaupt das Zuhörenkönnen von Taylor, das Du bei Dixon nennst: Das ist doch Voraussetzung für die Exzesse, die Taylor dann später mit Oxley und Parker ausgetrabbelt hat, und dieses Zuhörenkönnen haben wir bei den Stücken, die Du vorgestellt hast, doch auch gehört. Große Soloexzentriker sind meist gute Zuhörer. Zumindest in der Musik.
Nochmal zu Neidlinger und auch zu Charles: Sie sind halt einfach sehr konventionell. Das ist ja das allgemeine Bass-„Dilemma“, das wohl mit Mingus (und davor ansatzweise mit Jimmie Blanton oder Oscar Pettiford) aufbricht, aber sich im Mainstream bis heute mehr oder weniger hält: der Bass ist der Taktgeber, spielt „four to the bar“ und hat nicht in den Weg zu geraten … im Bebop im weitesten Sinn hat der Bass diese Rolle einzunehmen, und klar, das kann man so toll machen wie Wilbur Ware oder Doug Watkins oder Paul Chambers, aber viele kriegten das nicht hin: Sound, Wahl der Töne, Phrasierung … da finde ich Neidlinger einfach recht flach, da und dort gefällt er mir dann aber plötzlich schon wieder ganz gut. Aber generell wird dieses Rollenverständnis der Musik Taylors einfach nicht gerecht, schon 1956 nicht mehr. Die Parallele zu Herbie Nichols (bei dem, vermute ich, nichts „Weiteres“ gekommen wäre sondern wie bei Monk mehr Ähnliches, allerdings wäre es schon interessant, ihn selbst mit Bläsern hören zu können, es gab ja viel später das Herbie Nichols Project und davor schon andere – Mengelberg/Lacy/etc. z.B. – die seiner Musik ganze Alben widmeten, mal freier, mal eher Post-Bop) funktioniert auch allein deshalb, weil Taylors frühe Aufnahmen in einem solchen recht starren rhythmischen Korsett daherkommen (Al McKibbon, der eine der zwei Bassisten auf den Blue Note-Sessions von Nichols, ist übrigens unter den älteren Beboppern wohl der interessanteste, was Tongebung, Beat, Linien betrifft, da können Curly Russell, Tommy Potter etc. einpacken). Aber eben: dieses Korsett höre ich als von Anfang an nicht adäquat zu dem, was Taylor am Klavier macht, ein beweglicheres Fundament, das auch stärker aus der Funktionsharmonik ausbricht, wäre interessanter, aber das lieferte dann erst die nächste Generation von Musikern.
Charles mag ich von dieser Kritik wenigstens teils ausnehmen, denn sein „Feeling“ ist schon phantastisch und der Sound seiner Drums ebenso. Dass Cyrille in mancher Hinsicht viel eher dort anknüpft oder zu vergleichen ist, höre ich übrigens genauso. Murray ist eher sowas wie Roach in frei, sehr trommellastig, schwerer, mehr Bass und weniger Höhen, aber vor allem ist er viel ruppiger, intensiver, eruptiver. Das war für den „Urknall“ 1962 genau das Richtige, dass Taylor später, als er seine Konzeptionen vollständig ausbreiten konnte und Leute um sich hatte – Lyons, Cyrille, aber auch Dixon, Silva, McIntyre, Grimes, Rivers – die der Herausforderung gewachsen waren – nicht mehr Murray dabei hatte, kann man im Nachhinein als Folgerichtig ansehen, denn Cyrille ist wohl wirklich der perfekte Drummer für diese Musik.
Was Shepp und Lacy betrifft, ich weiss nicht genau, was ich dazu sagen soll … ich mag Lacy tausendmal lieber als Shepp, manche seiner Sachen sind mir wirklich sehr nahe (auch übrigens „School Days“ von 1963 mit Roswell Rudd, Henry Grimes und Denis Charles, und „N.Y. Capers and Quirks“ von 1979 mit Ronnie Boykins und Charles – wie gesagt: später entwickelte sich Charles zu einem umwerfenden Drummer, das bei Taylor waren halt wirklich die Anfänge und man hört da durchaus auch schon, wie die Entwicklung beginnt), bei Shepp ist es eher so, dass ich seine „grossen“ Impulse-Alben sehr gerne mag (am liebsten von allen wohl „Mama Too Tight“), dass ich einen höllischen Respekt vor dem habe, was er in jenen Jahren alles erreicht hat, dass er mir aber insgesamt – auch wegen der späteren Entwicklung, die mich nicht mehr so interessiert und späten Sachen, die mich fast schon abstossen (ich komme z.B. ja allein schon mit seinem Ton auf dem Duo mit Waldron überhaupt nicht klar, das ist wie Fingernägel auf einer Wandtafel, eine physische Reaktion, die ich nicht austricksen kann). Lacy hingegen passt mir über all die Jahre und Jahrzehnte fast immer bzw. immer wieder, er steht auch als grosser Solitär da und fasziniert mich wohl auch deswegen. Aber gut, es ging ja um ihre Arbeit mit Taylor – da ist Shepp im Vorteil, weil er öfter dabei war und auch da eine Entwicklung zu hören ist. Auf dem Debut „Jazz Advance“ finde ich Lacy in der Tat überhaupt nicht überzeugend, aber da muss man wohl auch dran denken, dass Taylor ihn kurz davor aus einer Dixieland-Kapelle geholt hatte und Lacy wohl noch dabei war, seinen Kompass neu auszurichten. Das Set aus Newport, Sommer 1957, finde ich dann aber möglicherweise das beste, was Taylor mit Bläsern bis vor der Impulse-Session überhaupt gemacht hat … aber gut, wenn ich ein Stück mit Bläsern aus dieser Zeit (1956-Candid 1961) nenne müsste, wäre es „Cell Walk for Celeste“ und da ist wieder Shepp dabei. So besonders ist das Ding aber wegen Taylors Komposition, nicht wegen Shepps Beitrag – allerdings merkt man dort eben, wie weit sich die Gruppe – mit Neidlinger/Charles – bis dahin entwickelt hat. Ein überaus gelungener Schlusspunkt der frühen Jahre, wenn man so will. Und die Impulse-Session ist dann quasi das Scharnier, mit dem die nächste Phase losgeht.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Danke für diese weiteren Auskünfte, mein Überblick geht en détail nicht so weit, ich muss mir immer die kleinen Punkte heraussuchen, die ich kenne, und mich einstweilen von da aus orientieren. Sofern es die Fülle der Musiker, Einspielungen usw. betrifft.
gypsy-tail-wind Charles mag ich von dieser Kritik wenigstens teils ausnehmen, denn sein „Feeling“ ist schon phantastisch und der Sound seiner Drums ebenso.
Genau das war es, was mich für ihn sehr einnimmt. Ich höre gerade „At Newport“ und – das stimmt dann eben schon – Neidlinger zupft da einfach rauf und runter, obwohl Charles mächtige Angebote macht, Taylor ja ohnehin. Jetzt bei Newport verstehe ich Deine Kritik an Neidlinger besser. Lacy indes bei Newport gibt mir auch wieder zu denken: Das ist von einem irren Erfindungssinn, was er da macht und da hat er ein großes Solo und Taylor spielt das gleich mal im Anschluss zu und mit seinem eigenen Solo nochmal. Was hätte Neidlinger, andererseits, da noch machen sollen?
Shepp und Waldron – da haben wir völlig andere Idiosynkrasien oder Sympathien. Die Holiday-Hommage kann bei mir jederzeit vom Nachttisch abgespielt werden. Auch wenn das eher an Waldron liegt.
Danke Dir nochmals für die weiteren Verflechtungen!
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clasjazWas hätte Neidlinger, andererseits, da noch machen sollen?
Entschuldige die unfertigen Sätze – dass jener zu Shepp dabei ist, ist wohl kein Zufall, denn ich rang auch mit mir, überhaupt so eine Aussage zu machen, und so bleibe sie also unfertig.
Was hätte Neidlinger anders machen sollen? Das ist ja immer die Frage, man ist irgendwo „drin“ und sieht aus der Perspektive gar nicht, was „draussen“ noch möglich wäre. Das ist auch nichts, was man jemandem vorwerfen muss … ich weiss auch nicht, welche Wege es gab bzw. welche Neidlinger damals kannte und welche im Rahmen von Taylors Musik überhaupt möglich oder willkommen gewesen wären – eine Reduktion vielleicht (Wilbur Ware), eine Erhöhung der rhythmischen und melodischen Agilität (Charles Mingus, wobei man den wohl nur im Gesamtpaket kriegen kann und das wiederum wäre bei Taylor nicht gut gegangen, vermute ich), oder auch – aber das geht dann wohl schon fast zum Anachronismus – eine Erweiterung der Spieltechniken. Bei letzterem denke ich natürlich an Alan Silva und sein Dilemma: da ist ja schon Henry Grimes (der diese ganzen Öffnungen brachte, ohne den „Fundament“-Job zu vernachlässigen), was mache ich hier überhaupt? Und dann spielte er all diese wunderbaren Flageolett-Sachen, die melodischen Einwürfe, sorgte für Erweiterungen der Klangskala usw. Aber vielleicht brauchte es dazu eben gerade das Hindernis (Grimes‘ Schon-da-sein) und dieses hatte Neidlinger ja auch nicht. Wie dem auch sei, ich will ihn niemand madig machen, ich mag ihn auch ganz gerne, auf den Master Takes der Candid Trios/Quartette hat er auch sehr feine Momente (die Jam-Session dort finde ich gerade angesichts der grossartigen Tracks, die Mingus und Dolphy mit Jo Jones und Roy Eldridge und Tommy Flanagan gemacht haben, ziemlich enttäuschend … letztere als Referenz dafür, dass so eine Kombination durchaus klappen kann, mit Taylor wäre das wohl auch möglich gewesen, aber da fehlt einfach das Feuer, irgendwie sind alle zu nett, und das betrifft dann eben auch wieder die Rhythmusgruppe, wobei Billy Higgins am Schlagzeug schon toll ist, aber halt die Dinge auch nicht so richtig ins Rollen bringt).
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http://www.nybooks.com/daily/2018/05/16/the-world-of-cecil-taylor/--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind@wahr Interessante Eindrücke – und schön, dass Taylor bei Dir klappt! RVG aber offensichtlich etwas überfordert mit der Musik, die zwei Alben (das erste war „Unit Structures“, ich finde es eher noch toller) gehören nicht gerade zu besten, was er klanglich hingekriegt hat.
Jetzt erst deinen Kommentar wahrgenommen. Ja, Cecil Taylor klappt bei mir. Auch dank dieses Threads und deiner Beiträge. „Uni5 Structures“ ist bestellt und schon auf dem Weg. Ich mag die Produktion von Conquistador! ganz gerne, weil sie eben manchmal etwas wischig ist. Ich finde, sie ist ziemlich exakt so wie das Foto von Cecil Taylor auf dem Cover: Etwas anthrazident, etwas irrisierend. Mit Charakter. Wenn auch möglicherweise unbeabsichtigt.
Zu „Conquistador“ passt der Sound wohl besser, ja … aber ein solches („wischig“) Statement zu „Unit Structures“ wäre eine Beleidigung – denn die Musik verdiente es, dass man sie in grösstmöglicher Transparenz ud Durchsichtigkeit präsentierte (wie bei Varèse oder Nono, wo auch niemand einen „dreckigen“ Sound guthiesse – man geht auch als Jazzfan gar zu oft und zu leicht in die Falle) – und da ist Van Gelder leider klar gescheitert. Die Kompositionen der beiden Alben und damit ihr Charakter sind schon ordentlich verschieden.
Edit; @wahr, nicht dass das wieder untergeht – und freut mich wenn ich beim Vermitteln helfen konnte
zuletzt geändert von gypsy-tail-wind--
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Zur Produktion: Ich freue mich schon sehr auf „Unit Structures“, und auch darauf, beim Hören deinen tollen obigen Text zur Platte mitzulesen. Verstehe ich das richtig: Die Produktionen von Unit und Conquistador siehst du beide als relativ gescheitert an, aber bei Unit ist das besonders bedauernswert, weil dort eine klare Produktion noch mehr Sinn gemacht hätte?
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Schlagwörter: Avantgarde, Cecil Taylor, Free Jazz, Jazz
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