Antwort auf: Miles Davis

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vorgarten

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1. februar 1975. osaka. abendkonzert.

wozu rafft sich diese band jetzt noch auf, nach dem irrlichtern am nachmittag? der meist abwertende vergleich von PANGAEA mit AGHARTA in der musikjournalistischen fachwelt nervt etwas, ich hätte gerne die möglichkeit gehabt, mich auf PANGAEA einzulassen, bevor ich AGHARTA entdeckt hätte. war aber natürlich nicht so. AGHARTA gab es zu studienzeiten in der stadtbibliothek, PANGAEA nicht. es gibt erinnerungen an lange nächtliche autobahnfahrten mit den feedback-soundscapes von cosey, wo ich sofort verstanden habe, wo diese schwarzen 90er-jahre-gitarristen herkamen, vernon reid, bourelly, fiuczynski. hier verstehe ich gerade, wie sich dieser sound über zumindest 6 jahre bei miles zusammengebaut hat.

auf PANGAEA gibt es, nach dem schnell angespielten „turnaroundphrase“, einem abgekämpften solo von miles, einem wieder sehr schlüssigen von fortune und einem noise-lastigen von cosey, an dessen ende die band plötzlich das riff von „willie nelson“ vorschlägt, einen ersten breakdown nach 12 minuten; und einen weiteren nach dem versuch, zum powerplay von „turnaroundphrase“ zurückzukehren, nach 20 minuten. danach verdunkelt sich die atmosphäre. die band bleibt zunächst auf dem langsamen funk von „zimbabwe“ hängen, dann folgt ein viel weniger aufwendig abstrahiertes „ife“, schließlich das melancholische „mr foster“ auf fast 30 minuten. auch die postproduktiven überarbeitungen von macero sind quasi auf ein minimum zurückgefahren.

„zimbabwe“ wird von leisen, fast flehenden linien von miles eingeleitet, der schleppende funk intensiviert sich unwesentlich während des sopransax-solos von fortune, etwas mehr, wenn lucas zu einem unspektakulären solo einsetzt, dessen ende von zirpenden, leisen sounds von cosey kommentiert wird – woraufhin miles erneut existentielle melancholie im pianissimo einwirft. danach setzen foster und henderson mehrfach ganz aus, öffnen den raum für mtumes leisen holzblöcke, miles‘ verschattete orgel – die performance franst aus, ratlosigkeit, schließlich summen mtume und henderson eine leise melodie. nach kurzer stille wird der einsetzende applaus des publikums ausgeblendet.

das riff von „ife“, das danach einsetzt, wird im mitspiel von cosey von anfang an ins melancholische verschoben, was lucas mit verminderten akkorden über den rest der zeit unterstützt. fortunes flötensolo fühlt sich spürbar wohl in dieser balladen-lesart, miles sowieso. es folgt ein daumenklavier-solo von cosey, in dem erneut das trademark-feedback vom nachmittag auftaucht. die gesamte band spielt nur noch auf zehenspitzen. henderson schlägt plötzlich nach mtumes holzblock-solo eine soulgeprüfte basslinie vor, die zu einem schönen, müden, ungewöhnlichen solo von miles führt.

„mr foster“ danach bleibt auf dem gleichen verschatteten atmosphäre-level. etwas heißer wird es natürlich während eines (allerdings etwas ausgebrannten) cosey-solos, aber danach übernimmt miles, sich selbst auf der orgel anmoderierend. ein abgrundtief trauriges solo am rande der möglichkeit, überhaupt einen ausdruck zu finden (mtume begleitet ihn sehr sensibel). dann kommt lucas zuhilfe und spielt eine völlig neue akkordabfolge zur losen struktur der komposition, die miles toll aufgreift. vermindertes ausglühen, mit walking bass von henderson, schließlich ride-becken-begleitung von foster. das alles aber immer noch unfassbar leise. mit den kräften haushalten. das eindringen der nacht zulassen. am ende ist es fast ein spiel: wie leise können wir noch werden, bevor man uns nicht mehr hört? cosey bietet ein paar unaufdringliche blues-licks an, miles ein paar orgelsounds. am ende geräuschklimax, vom pianissimo ins piano gehend, letzte entladungen der geräte. PANGAEA, das nachtschattengewächs in der live-diskografie von miles, findet zu seiner ganz eigenen schönheit.

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