Antwort auf: Miles Davis

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vorgarten

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1. november 1973, berlin, philharmonie.

formvollendet von ronnie scott angekündigt, bricht die hölle los. der auf-die-glocke-einstieg „turnaroundphrase“ mit der nicht ernstzunehmenden kinderliedmelodie fließt völlig verzerrt ins mischpult, cosey und henderson scheinen komplett falsch eingestellt zu sein, mtume dagegen überhaupt nicht zu hören. miles‘ effektanlage funktioniert diesmal reibungslos. und spätestens aber dem zweiten stück (?) ergibt das alles einen sinn. das effektgewirr ordnet sich, wird zu gut formuliertem krawall. dann federt die band leicht aus, cosey spielt ein paar blues-linien (von ashley kahn fälschlicherwiese lucas zugeordnet), kurze orientierungslosigkeit, nur mtume hat sich gefangen. ein orgelakkord deutet „ife“ an, das geister-haus-mittel. liebmans verschattete flöte übernimmt, die rhythm section fällt in den sexy verschleppten funk, miles baut langsam und ungehetzt sein solo auf. wenn’s lauter wird, sind die verzerrungen im mix wieder unüberhörbar und unüberhörbar nicht beabsichtigt. während cosey’s solo (wieder eine spur abstrakter geworden) dirigiert miles wieder den stop-and-go-wechsel. liebman spielt dann noch ein unerwartes lyrisches sopransaxsolo, das zwar nur dezent mit der angeschlossenen elektronik umgeht, im mix trotzdem verzerrt ist. es nervt, weil man gerade bei dieser band einen transparenten klang braucht, um die feinheiten hinter der großen geste mitzubekommen.
nach einer schönen coda kommt das thema eines immer wieder in die live-sets eingebauten stücks, das niemals einen anderen titel als „untitled original 730424c“ bekommen hat (die diskografen haben in dieser phase sowieso die größten schwierigkeiten, nachzuvollziehen, in welchem komponierten material die band gerade unterwegs ist, die frei grooves mit themenkürzeln durcheinanderwirft). jetzt ist die band im fluss, soli, breaks, kollektiver ausbruch und aufmerksamkeitsverlagerungen gehen organisch zusammen. miles spielt ziemlich viel, hat offensichtlich spaß. am ende bekommt mtume immer mehr solo-raum, hat sogar das letzte wort. in der abmoderation wirkt ronnie scott etwas erschüttert. vereinzelte buh-rufe.

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