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Jazzfestival Willisau, Samstag 3. September
In Mülhausen schautemei ein enger Freund des einen Bekannten vorbei, den ich ebenfalls seit einigen Jahren kenne und mit dem ich einige tolle Konzerterlebnisse teile (die anderen beiden gehen bis in die Siebzigerjahre zurück). Der fragte mich (das war vor dem Solokonzert von Clayton Thomas), ob ich denn am darauffolgenden Samstag nach Willisau ginge, da gäbe es einen John Zorn-Marathon … ich sah zunächst nur den Konzertblock um 14 Uhr und war noch viel zu absorbiert vom Météo (das ja noch nicht einmal zu Ende war). Auf dem Zug heim, am Sonntagmittag, buchte ich dann ein Zimmer und kaufte Tickets für die beiden Hauptkonzerte am Samstag, das Schlusskonzert am Sonntagnachmittag und für John Edwards, der am Samstag um 11 Uhr im Rathaus solo spielen würde. Letzteres war sehr passend, denn Edwards ist nicht nur zweifelsfrei jener Musiker, den ich dieses Jahr am häufigsten gehört habe, er ist wohl auch mein derzeitiger Lieblingsbassist (nicht dass ich sowas wirklich habe, aber …) – und wir unterhielten uns in Mülhausen nach den Solo-Sets von Majkowski und Thomas (und Parker, der ja solo kaum Bass spielte) darüber, dass es doch toll wäre, nun auch noch John Edwards solo zu hören.
Es galt also, früh aufzustehen, um acht Uhr einen von Wandergruppen, Rotwein saufenden Senioren eines Männerturnvereins auf Wochenendausflug etc. völlig überfüllten Zug zu besteigen, in Luzern am Bahnhof mich durch die alle diese in Funktionskleidung gehüllten Stadtflüchtlinge und Landverklärer zu kämpfen und den Bummelzug ins Hinterland nach Willisau zu nehmen. Dort rein ins hübsche alte Städtchen (eine breite Gasse, Samstagmorgen mit Bauernmarkt … und Strassencafés, bei denen die örtlichen Rentner ihren Frühschoppen tranken … ich lief direkt in John Edwards rein, der mit einer roten Plastic-Sonnenbrille aus dem Rathaus kam und mich erkannte, wir quatschen ein wenig, er ging dann in ein anderes Café, wo die vom Festival sassen, ich trank einen doppelten Espresso …
Erst kurz vor 11 füllte sich der Theatersaal im Dachstock des Rathauses – drei Treppen hoch (für den Kontrabass gibt es einen Lift), ein witziger Saal mit naiven Trompe-l’oeil-Malereien (die natürlich kein Auge zu täuschen vermögen), Helvetia in Stein aufs Holz gemalt. Edwards spielte ein Solo-Set, das so ziemlich alles in den Schatten stellte, was ich an Bass-Solo bisher gehört habe (die Ausnahme ist Christian Weber) – und das frühe Aufstehen und leiden im Zug hatte sich schon einmal gelohnt. Unter den anderen Frühankömmlingen fand sich auch der Herr, der die Fabrikjazz-Konzerte und das Taktlos organisiert sowie seine Frau (Partnerin, das weiss ich so genau nicht, aber Frau an seiner Seite jedenfalls, das ist es ja worum es geht) und als wir herausfanden, dass ich im selben „B&B“ ein Zimmer hätte, erzählten sie mir belustigt vom Weg dahin … ca. ein Kilometer aus dem Dorf heraus, der Landstrasse entlang (zum Glück heute mit Fahrradweg auf beiden Seiten – in der Gegend ging ich auch schon mitten in der Nacht direkt am Strassenrand, wo die Autos 80 fahren dürfen, aber wenn es gerade aus geht auch gerne etwas tiefer drücken – selbstmörderisch, aber als Soldat nach einigen Bieren und einem guten Abend mit Kollegen, was tut man da nicht alles für besagte Helvetia? In der Wiese gehen? Bestimmt nicht, dann müsste man die Schuhe putzen …). Also: Supermarkt rechts, Bahnübergang, Solarium links, Aldi links, nächster Supermarkt links, dann nichts und schliesslich rechts ein Komplex in dem gerade irgendwelche „ladies“ angefeuert werden, die vor dem Fitness-Studio einer tumben Samstagnachmittagsbeschäftigung nachgehen … dahinter ein Laden für Biker, darüber das Hotel, und noch weiter hinten, wie könnte es anders sein, nicht nur ein Bauernhof sondern gut Schweizerisch auch das Schützenhaus. (Zimmer war aber völlig okay, Service nett, Sonntagsbrunch spitze, Preis insgesamt völlig im Rahmen.)
Gut, dann wieder an der prallen Sonne (dafür hatte ich ja in Mulhouse schon geübt) zurück zum Festivalgelände gehetzt, das etwas ausserhalb des Dorfzentrums, natürlich auf der anderen Seite, liegt. Auf den Tickets stand schliesslich was von Türöffnung 12:30. Konzertbeginn war auf 14 Uhr angesetzt, bald klebten da Zettel, dass Türöffnung um 13:30 sei, man sich für den Fehler auf den Print-at-home-Tickets entschuldige. Ebenfalls hingen da Zettel, auf denen im Namen von John Zorn jegliches Photographieren und Mitschneiden untersagt wurde: man sei schliesslich hier, genau um zusammen hier zu sein, jetzt, und zu erleben, was man erlebt. Gut. Das hat dann auch geklappt, nicht einmal die Pressephotographen durften tätig werden, bloss einer vom Festival schlich am Bühnenrand herum und auch mal kurz vor dem Publikum. Wäre schön, wenn das immer so zurückhaltend wäre und v.a. wenn die Leute ihr zwanghaften Handy-Filmen ausschalten könnten (klar, ich habe oben auch ein paar Photos eingestellt, ich nerve mich wenn ich welche mache und ich nerve mich wenn ich keine mache, im Normalfall zücke ich das Ding, drücke fünfmal, stecke es wieder ein, eine Sache von 10 Sekunden, redbeans hatte z.B. nicht mal mitgekriegt als ich neulich in Brüssel bei Rhoda Scott ein paar Photos machte – geht also).
Beide Konzertblöcke dauerten ca. zwei Stunden, es gab je drei etwa 40minütige Sets, die Instrumente waren allesamt nebeneinander aufgestellt (was beim ersten Block mit zwei Drum-Kits und Cyro Baptistas riesigem Percussion-Arsenal ziemlich eindrücklich war, auch die B3 stand schon da und der Leslie drehte, obwohl sie erst am Abend zum Einsatz kam).
Masada Quartet
John Zorn (as), Dave Douglas (t), Greg Cohen (b), Joey Baron (d)
Den Auftakt machte die Kernformation des Zorn’schen Universums, Masada. Diese Gruppe spielte in den späten Neunzigern in Willisau ein etwa doppelt so langes Set, das meine erste Begegnung mit Zorn und seiner „Radical Jewish Culture“ war – und nachhaltig einschlug. Dave Douglas hörte ich wenige Jahre später im Konzert mit seinem elektrischen Projekt mit Craig Taborn und Jamie Saft an Fender bzw. Wurlitzer, Chris Speed, Ikue Mori etc., später auch mit seinem eher langweiligen Quintett mit Donny McCaslin und Uri Caine. Aber mit Zorn hat es tatsächlich erst jetzt geklappt. Ebenfalls mit Greg Cohen, der ja wohl, so gefragt wie er ist, kaum je auf Tour gehen dürfte. Joey Baron hingegen war neulich ja etwas enttäuschend, im Duo mit Irène Schweizer eigentlich eine Fehlbesetzung (auch wenn das wohl beide nicht so sehen würden) und im Quartett mit Copland, Alessi und Gress zwar mit letzterem eine tolle Rhythmusgruppe bildend, aber insgesamt klappte auch das nur halb. Aber mit Masada war nun alles so perfekt wie erhofft. Das Quartett spielte druckvoll und präzise, gerade so, wie man es von den Aufnahmen her kennt. Dabei gab es genügend Raum für Soli von allen vieren und keiner gab sich eine Blösse. Da passte einfach alles. Etwas schade nur, dass es so kurz war, dass es auch diesen Höhepunkt gleich zum Auftakt gab.
Banquet of the Spirits plays Masada — The Book Beriah
Shanir Blumenkranz (b) Tim Keiper (d) Brian Marsella (keys) Cyro Baptista (perc)
Doch auch das zweite Set war toll. Blumenkranz am Bass war das eigentliche Zentrum der Musik, der jugendliche Keiper spielte ausgespaarte aber druckvolle Beats, die sich sehr schön mit Baptistas Spiel – das von Glockenklängen über Berimbau bis hin zu heftigen Timbales-Passagen alles zu bot, was die Latin Percussion hergibt – verzahnte. Marsella (der primär den grossen Flügel spielte, der links auf der Bühne stand und im ganzen Zorn-Teil nur hier zum Einsatz kam) glänzte mit Soli, die haarscharf an den üblichen Latin-Klischees vorbeidonnerten, ohne je in die Falle zu tappen. Im Gegenteil, er brach immer wieder aus, spielte dichte Cluster, schichtete Arpeggios übereinander. Eine durchaus melodieselige Musik, die aber sehr überzeugend dargeboten wurde, in der sich Melancholie und Freiheitswille gewissermassen ausglichen.
Cleric plays Masada – The Book Beriah
Matt Hollenberg (g) Nick Shellenberger (keys, voc) Dan Kennedy (b) Larry Kwartowitz (d)
Alles andere als melodieselig war dann das letzte Set des Nachmittags. Zorn scheint an Metal-Band Cleric einen Narren gefressen zu haben. So ganz begreife ich nicht, warum. Hollenberg ist als Gitarrist zwar durchaus ordentlich, aber sein Spiel war eben auch wieder von solcher Harmlosigkeit, dass ich nicht umhinkam, mir vorzustellen, wie lustig es wäre, wenn ihm jemand den Strom abdrehen würde … der Widerspruch, der sich bei mir so oft einstellt, wenn „harte“ Musik gespielt wird: das ist Kinderkram, Sandkastenspielen für grosse Jungs. Shellenberger schrie und brüllte und grochste sich, hinter seinem Plastic-Clavier stehend, die Seele aus dem Leib, schwang die langen Haare, während Kennedys Bass in den Magen ging und Kwartowitz für starre Beats sorgte. Zorn sass derweil die ganze Zeit links am Bühnenrand (versteckt, aber im ersten Teil sass ich in der Mitte und konnte ihn gerade noch sehen) und grinste sich einen ab. Es gab dann die, nennen wir sie mal „Masada-Momente“, in denen das Plastic-Metall-Strom-Gewitter kurz aufhellte und Hollenberg eine dieser auf leicht fremd klingenden Skalen beruhende Zorn-Melodie spielte … aber das fiel völlig aus den Stücken heraus, die so gesehen in meinen Augen nicht erfolgreich waren.
Das „Book Beriah“ ist übrigens wie es scheint das dritte Buch Masada. Das zweite, das „Book of Angels“, scheint demnächst mit der dreissigsten Veröffentlichung abgeschlossen zu sein. Auch bei Baptista sass Zorn am Bühnenrand (und am Abend wohl auch wieder, aber da sass ich etwas weit auf der linken Seite und konnte ihn nicht sehen), aber er schien nur zuzuhören, wie die Musiker sein Material umsetzten, ohne einzugreifen.
Ich unterhielt mich nach dem Konzert noch eine Weile mit meinem Sitznachbarn, einem Zorn-Fan aus Freiburg, der davor auch schon am Festival in Saalfelden gewesen ist und zu Zorn (und wohl dem Jazz) eher vom Rock her gekommen ist. War aber sehr interessant, sich ein wenig auszutauschen (wir sassen am Abend erneut nebeneinander in der vordersten Reihe, waren aber im Gegensatz zu vielen anderen nicht so frech, nach 16 Uhr was auf den Stühlen liegen zu lassen, so waren die Plätze in der Mitte denn bis dahin vergeben. Typisch schweizerisch das (aber in Mulhouse sass auch mal eine impertinente Dame – „je m’en fous, je m’en fous, je m’en fous“ auf einem Platz, den wir sogar noch mit Wasserflasche und anderem Kram besetzt hatten, da gab es ja auch nur kurze Pausen zwischen den Konzerten … Höflichkeit ist kein alemannisch Ding und anstellen können die Schweizer sich nun gar nicht, pöbelhaftes Bauernvolk).
Asmodeus plays The Bagatelles
Marc Ribot (g) Trevor Dunn (b) Tyshawn Sorey (d) John Zorn (cond)
Beim zweiten Block gab es eine Umstellung, bei deren Ansage Zorn einen Blödsinn erzählte (er hätte gehört, viele wollten Simulacrum nicht hören, daher spielten die jetzt am Schluss und alle müssten sie hören, hä hä hä … ich weiss nicht, ob er Asmodeus meinte, denn dazu sassen nun alle drin, sie spielten statt Simulacrum das erste Set, doch mit Ribot und Sorey, wer wollte sie Gruppe denn nicht hören, sie versprach doch – wenn man nicht dank redbeans um Julian Lage gewusst hätte – am meisten). Egal, es ging also gleich wieder verdammt laut und intensiv los. Leider stand die Orgel zwischen mir und Sorey, doch dieser entpuppte sich als echte Naturgewalt, dabei all den Sinn für Differenzierung mitbringend, der den Drummern der anderen beiden „lauten“ Gruppen etwas abging. Wahnsinn! Zorn sass rechts vorn, auf einem Stuhl direkt neben Ribot, hatte ein Notenpult vor sich, gab Einsätze und Anweisungen – manchmal sagte er was, manchmal fuchtelte er herum, ein paar Male zupfte er Ribot am Ärmel, wenn dieser völlig versunken solierte und Zorn die Musik wieder in eine andere Richtung lenken wollte. Das klappte alles erstaunlich gut, Zorn griff zwar dosierend ein, aber er tat das so, dass am Ende alles passte, dass die Ribot zwar viel solistischen Raum kriegte, dass das Set aber nie ausuferte. Dunn gelang dabei das Kunststück, direkt in der Magengrube zu landen, völlig verzerrte dröhnende Klänge zu produzieren und dabei doch immer auch melodisch ins Geschehen einzugreifen.
Gyan Riley and Julian Lage play The Bagatelles
Gyan Riley (g) Julian Lage (g)
Der Höhepunkt des zweiten Teiles war dann aber das zweite Set – zwei Jungs mit akustischen Gitarren, zwei Stühle, zwei Mikrophone (die Gitarren selbst unverstärkt – der Sound in der Halle war übrigens hervorragend, bei allen Sets, auch da wo es mächtig laut wurde). Gemäss Programmheft spielt Riley (Sohn von Terry Riley) auf Nylon-, Lage auf Metallsaiten. Die beiden hatten sichtlich Freude am gemeinsamen Spiel, spornten sich an, wechselten sich ab, traten in einen dichten Dialog, gewährten einander aber auch immer wieder Freiräume zur eigenen Gestaltung. Das Repertoire stammt dabei wie bei Asmodeus aus „The Bagatelles“, einer Gruppe von Miniaturen, die Zorn gemäss dem Zorn-Fan aus Freiburg nicht aufgenommen haben will. Sowohl Riley als auch Lage sind phantastische Gitarristen, es wäre schon ein Ereignis gewesen, einen von ihnen zu erleben, aber sie beide zusammen zu hören – und dann auch noch zu sehen, wie perfekt sie aufeinander abgestimmt sind – war wirklich phantastisch. Am Ende für mich noch vor dem Masada-Set das Highlight des Zorn-Programmes.
Simulacrum John Medeski (org) Matt Hollenberg (g) Kenny Grohowski (d)
Den Abschluss machte dann das Orgeltrio Simulacrum mit John Medeski, erneut Matt Hollenberg an der Gitarre und Kenny Gohowski am Schlagzeug. Da ging es einmal mehr ordentlich zur Sache, Gohowski war aber ordentlich nuanciert bei aller rohen Kraft, Hollenberg entpuppte sich jetzt als durchaus hörenswerter Musiker und Improvisator, auch wenn er natürlich nicht ohne einige der üblichen Stromgitarren-Rock-Klischees auskam. Medeski jedoch war eine echte Überraschung. Ich fand Medeski-Martin-Wood immer todlangweilig, auch wegen des Basses (ein Organist mit Selbstachtung braucht keinen Bass, verdammt! – gut, es gibt wenige Ausnahmen wie Freddie Roach, oft aber nicht immer Shirley Scott … aber andere mag ich kaum gelten lassen). Einen Bass statt einer Gitarre in ein Orgeltrio zu packen halte ich für keine gute Idee, aber der Erfolg mag ihnen Recht geben. Entsprechend jedoch war mir Medeski nur schlecht vertraut, u.a. von der phantastischen Scheibe mit Nova Express auf Tzadik von ein paar Jahren – aber Orgel auf Konserve (edit: er spielt eh Klavier auf dem Album, daher hatte ich auch keine Erinnerung an seine Orgel dort…) und Orgel live ist ja wirklich nicht vergleichbar und so war ich aus schönste überrascht davon, wie toll Medeski seine unförmige Kommode zu bedienen wusste und wie toll das Trio insgesamt funktionierte. Das Set war allerdings kurz (eher 30 Minuten, das Gitarrenduo hatte wohl etwas länger gedauert) – und es entpuppte sich auch als sehr gute Idee von Zorn, die Sets ohne Unterbruch zu programmieren und kurz zu halten. Denn nach sechs Gruppen in vier Stunden war man doch ganz ordentlich mit Musik gefüllt (mit knapp vier Stunden Pause dazwischen, die „ladies“ waren mit den Hanteln und dem anderem Foltergerät durch als ich mich nachmittags eine Stunden hinlegen ging).
Ich blieb dann noch zum „Late Spot“, der im ersten Stock der Festhalle stattfindet, in einem kleinen Saal mit Bar. Da spielte das Duo Qoniak (aka Cognac), zwei Romands, von denen ich schon als sie beim Soundcheck waren ein Ohr voll nahm. Vincent Membrez machte sich an Synthesizern zu schaffen während der phantastische Drummer Lionel Friedli für tolle Beats sorgte. Das ganze war einigermassen tanzbar und ziemlich gut. Als sie dann den finalen Rausschmeisser anstimmten, machte ich mich auf den Heimweg, vorbei an Aldi und dem Solarium, in der Hoffnung die Biker würde in der Nacht und die Schützen am Sonntagmorgen ruhen – so war es denn zum Glück auch. (John Edwards hatte übrigens am Vorabend beim Spätkonzert mit Phall Fatale gespielt, einer Band, die ich nicht wirklich verstehe, habe sie mal in Zürich gehört vor ein paar Jahren – andernfalls hätte sich seine Anreise für das Solo-Konzert kaum gelohnt.)
Jazzfestival Willisau, Sonntag 4. September
Am nächsten Morgen war ich früh genug auf, als dass ich auch wieder zum Konzert um 11 Uhr ging, es spielte Im Wald, die Gruppe um den Altsaxophonisten Tobias Meier, die ich vor einigen Monaten bei einem Stubenkonzert eines Freundes gehört hatte. In der Rathausbühne in Willisau – trotz merklicher Abkühlung draussen unter dem Dach noch unerträglich heiss – spielte das Quintett allerdings vergleichsweise befreit auf, warf die Kontrolle, die mir bei Meier manchmal etwas zu stark schien, über Bord. Es gab eine Art zeitgenössische, improvisierte Kammermusik mit Meier, dem Trompeter Matthias Spillmann, Frantz Loriot an der Bratche, Nicola Romanò am Cello und Raffaele Bossard am Kontrabass – im Halbkreis links das Saxophon, rechts die Trompete, dazwischen die drei Streicher. Ein sehr schönes, ziemlich langes Konzert. Gut, dass ich hin bin (hätte eh um 11 oder 12 auschecken müssen, aber wach war ich dann sowieso schon längst, obwohl keine Schützen zugange waren).
Auf dem Festivalgelände gibt es auch in Willisau Stände mit Essen und Getränken (richtiges Bier und sogar von einer unabhängigen kleinen Brauerei aus der Schweiz – so macht man das) und in einem Zelt auch Bands, die zwischen den Haupt-Sets aufspielen. Am Samstagmittag war das Gabriela Krapf & Horns, die Pianistin/Sängerin Krapf mit drei Bläsern (t, tb, ts) – das war mir etwas zu harmlos-hübsch, aber es hat wohl seinen Zweck erfüllt … musique d’ameublement, wie man mit der Formulierung eines anderen Jubilars sagen könnte. Am Samstagabend gab es (vor dem zweiten Zorn-Konzert) dann einen jungen Singer/Songwriter, der sich Long Tall Jefferson nennt – nicht für mich, pardon. Sonntag spielte dann eine Gypsy Jazz-Kapelle auf, Vendredi Soir Swing (mit Gitarre/Gesang, Gitarre, Kontrabass, Tenorsax/Klarinette) – das war zwar kompetent gemacht, der Frontmann hat eine gute Stimme, aber rhythmisch passte für mich so einiges nicht (sowohl beim Spiel wie auch beim Gesang) – irgendwie für mein Empfinden falsch phrasiert, keine Ahnung – kam mir jedenfalls leider ziemlich swingfrei vor, obwohl die Jungs einen sympathischen Eindruck hinterliessen und fraglos was konnten.
Das Hauptkonzert begann dann um 14 Uhr, ich schaffte es wieder in die erste Reihe. Von aufgeschnappten Gesprächsfetzen wurde klar, dass die meisten wegen Joachim Kühn da waren – ich nicht. Ich wollte mir, wenn ich schon in Willisau war, die Chance nicht entgehen lassen, das Duo Mat Maneri/Randy Peterson zu hören. Maneri kenne ich – ab CD – schon sehr lange, es gibt ja einige Hat-Veröffentlichungen von und mit ihm und denen steige ich schon seit dem Ende meiner Gymnasiastenjahre hinterher (von „The Long March“ habe ich sogar noch die alten harART-CD-Ausgaben, nie durch irgendein Remaster ersetzt). Maneri sass mit seiner elektrischen Geige auf einem Stuhl, schräg rechts hinter ihm Randy Peterson am Schlagzeug (am Vortag gab es ein Rock- und ein Jazz-Kit für die Zorn-Gruppen, Peterson spielte glaube ich einen Hybrid von beiden, wohl mit weiteren Teilen ergänzt, Eric Schaefer spielte dann ein eigenes, das auf einem separaten Bühnenelement stand, er war also leicht erhöht neben dem Bass). Peterson langte heftig zu, doch die Musik des Duos hatte etwas Impressionistisches, etwas Verspielt-Introvertiertes. Einmal intonierte Maneri – wie durch Zufall im freien Ideenfluss dahin gelangt – die Melodie eines Standards (ich hatte gedacht, es sei „Body and Soul“, aber in der Zeitung stand es sei „Ain’t Misbehavin'“ gewesen, bin mir nicht mehr sicher, das Flüchtige des Augenblickes in der Improvisation lässt sich ja schwer festhalten). Jedenfalls war das ein intimes Set, schnörkellos, direkt, aber auch nebelverhangen – dass es draussen grau und regnerisch wurde, passte sehr gut.
Danach folgte eine längere Umbaupause, der grosse Flügel musste in die Mitte, das andere Schlagzeug aufgebaut oder hingeschoben werden, ein grosser Bass-Verstärker … und wie es dann weiterging (oder auch nicht) steht ja bereits ein paar Posts weiter oben. Schlecht war das Kühn-Set nicht gerade, aber nach all der feinen Musik, auch am Sonntag mit „Im Wald“ und Maneri/Peterson war es halt doch ein Antiklimax zum Ausklang – und das ist natürlich sehr, sehr schade.
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Das nächste Konzert steht übrigens in exakt einer Woche an: Barry Guys Blue Shroud Band spielt hier um die Ecke, CD-Taufe, dasselbe Programm wie im letzten Herbst am Unerhört. Ich gehe wieder hin, Barry Guy ist eine Bank. Und ein Freund, der auch mit will, war im November nicht dabei.
zuletzt geändert von gypsy-tail-wind--
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