Antwort auf: Miles Davis

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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vorgarten (…)
für mich ist es nach wie vor ein rätsel, warum sie die finale schnittversion von „go ahead john“ nicht auch noch auf die box gepackt haben. also müssen wir sie woanders nachhören:

BIG FUN kam 1974 heraus, mit stücken aus früheren sessions von ende 1969 und „ife“, das erst 1972 während der on-the-corner-sessions entstand. „go ahead john“ füllt mit fast 29 minuten die dritte seite der originalen doppel-lp. was macero aus dem session-material gemacht hat, führt hier zu etwas völlig neuem und ist sicherlich das abgefahrenste, was er jemals mit miles zusammengeschraubt hat. es sind nicht nur teile von allen fünf einzeltakes montiert worden, sondern er hat verschiedene soli von miles und mclaughlin auch noch geloopt und zusammengeführt, so dass die gleichen musiker quasi dialoge mit sich selbst führen. drittens lässt macero aufnahmen von dejohnette und mclaughlin zwischen den kanälen hin- und herswitchen, was ein völlig verrückter effekt ist und einem jegliche orientierung nimmt, weil sich nicht en bloc wandern, sondern einzelne schläge und akzente (von verschiedenen aufnahmen) – in mclaughlins solo wandern sogar einzelne töne in verschiedenen lautstärken, sie werden dabei komplett skelletiert. und letztens jagt macero das ganze noch mal durch einen artifiziellen raum und schafft echo- und hall-räume, die die musik subtil von hinten nach vorne und zurück bewegen lässt. ein postproduktions-exzess – und dass alles, obwohl die originale schon ziemlich gelungen waren und als solche sicherlich veröffentlichungswürdig. für mich ist diese version von „go ahead john“ einer der größten höhepunkte der miles-diskografie. (und es ist tatsächlich nur auf BIG FUN zu haben.)

Die habe ich mir heute mal aufgelegt. Darauf ist ja auch Ife enthalten, das ich gestern von der On The Corner Box gehört habe. Ein dicker Brocken, ursprünglich als Doppel-LP mit nur vier Stücken veröffentlicht, von denen jedes locker die 20-Minutenmarke überspringt. Die CD-Re-Issue added 4 weitere Tracks. Allein die beiden Stücke Ife und das 28-minütige Go Ahead John lohnen den Kauf. Zu Ife äußerte ich mich bereits, Go Ahead John ist in der ersten Hälfte ein irre groovender Rocker mit einem toll fetzenden John McLaughlin. Auch Jack DeJohnette ist hier mitreißend! In der Mitte verwandelt sich das Stück, wird ruhiger und mäandriert etwas suchend herum bis es zum Ende hin wieder anzieht. Eigentlich zwei verschiedene Stücke, aber Teo hat das ja auch aus verschiedenen Aufnahmen zusammengeklebt.

Klingt wie der Probelauf zu Jack Johnson, vielleicht noch nicht mit so viel Zug und nicht so prägnant. Hat man deshalb wohl auch vorerst zurückgehalten und erst Jahre später 1974 mit anderen Aufnahmen aus anderen Sessions veröffentlicht und es flog deshalb wohl fast unbemerkt unter dem Radar durch. Eigentlich ja auch outtakes, B-Ware, aber selbst die ist bei Miles in dieser Periode auf sehr hohem Niveau.

Edit: Hier ist ein eigenartiges, nur gut 20-sekündiges Video, das versucht, diesen abgefahrenen Stereoeffekt, den Teo John McLaughlin auf Go Ahead John verpasst hat, zu visualisieren:

zuletzt geändert von friedrich

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)