Re: Musikmythos 60s – Einer, der dabei war, sagt:

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otis
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jörg, das unterstreiche ich sehr.

jan, das mit den 50s stimmt in deutschland nicht!!! in usa wohl. in d für winzigste prozent der halbstarken-jugend vielleicht.
aber mehr warens nicht. und die studenten und gymnasiasten zog es zu jazz. der hatte eine ähnliche bedeutung und wird von vielen ja auch mythifiziert. und literatur und filme warens (existenzialismus, die frühen französischen filme, die italienischen).
entscheidender unterschied zu den 60s: es waren minderheiten.

man kann es sich heute vielleicht nicht mehr vorstellen in zeiten von mtv, viva….
anfang bis mitte der 60er wurden der popmusik auf deutschen radiosendern an einer hand abzählbare sendestunden gegönnt: pro woche!!!! wenn überhaupt.
und hören durfte man das ohnehin nicht in den meisten elternhäusern. (es war so!!! nicht nur bei mir zu hause, sondern bei millionen anderen)
damals warst du kind oder erwachsener, eine jugend gab es nicht. schau dir abschlussklassenfotos von damals an (egal, ob 14 jährige volksschulabgänger oder abiturienten), es waren alles erwachsene. wir trugen sonntags anzüge, wie die väter. anzüge mit krawatte!!! mit 12 jahren!
eine jugendkultur gab es nur rudimentär. die zeit war also mit der heutigen, in der jugend alles ist, überhaupt nicht vergleichbar. das heißt nicht, dass wir und die älteren nicht versucht hätten auszubrechen, unsere nischen zu haben. aber die „tanztees“ (mit bands) waren nachmittags, fingen um 16 uhr an. und nach 10 war tote hose. und wir tranken eine coole cola. eine einzige am abend oder nachmittag.

wir hörten, um überhaupt was zu hören, radio luxemburg (dank an frank (ja der elstner!) und camillo und und und), stark verrauscht oft, weil mittelwelle. und wir hörten bei uns bfbs, anderswo hörten sie afn.
oft genug heimlich, nachts mit dem transistorradio unter der bettdecke. erinnere mich noch, dass die bfbs-top twenty abends später kam.
dass der beatclub aufsehen erregte und was für eins, war wirklich so, und beileibe keine nachträgliche mythifizierung.

und wenn dann am ende der 60er der jugendboom anfing, jugend plötzlich alles war und alles plötzlich erlaubt war, so war das nicht auf ein privates aufbrechen, ein privates erwachsenwerden (was heute alles noch genauso schwer und spannend ist wie früher , keine frage) zurückzuführen, nein, da war eine ganze generation gemeinsam aufgebrochen, und deshalb war es schon eine form von revolution, die man nicht umsonst mythifiziert hat.
und man kann 60s musik vielleicht wirklich nicht gerecht werden, ohne dies alles und ohne vietnam, 67, 68, pariser straßenkämpfe, berliner randale, ohnesorg, schwabing, kommunen, ostermarsch-randale, gammler etc pp im kopf zu haben.

was falsch am mythos wäre, wäre die behauptung, dass es eine „schöne“ zeit war. (obwohl natürlich eine zeit des aufbruchs, eine zeit des inneren wie äußeren kampfes, im nachhinein immer irgendwie eine schöne zeit war. da weiß man, wofür man gelebt hat. )

mir liegt i.ü. aber nichts an dem mythos 60s. obwohl ich mythen mag, wenn man sie ironisch kritisch als heiligenbildchen sieht.

ein typischer mythos scheinen mir dagegen die mods zu sein. oder die deutschen halbstarken. oder das bill haley konzert in der waldbühne. oder der mythos der freien liebe in den 60s. oder oder oder.
wie gesagt, ich mag mythen.

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