Re: Lesefrüchte

#8674513  | PERMALINK

hal-croves
אור

Registriert seit: 05.09.2012

Beiträge: 4,617

Schon heute gilt in der konformistischen Gesellschaft Schamlosigkeit als Offenheit, also als Tugend, und diese Tugend als Loyalitätszeugnis. Unter den Aussprüchen unserer Zeitgenossen wüßte ich keinen, der für unsere Epoche so repräsentativ wäre wie Eisenhowers berühmtes (natürlich vor der gesamten Fernsehnation abgelegtes) seinen kranken Leib betreffendes Geständnis „I have nothing to hide“. Gerade durch die Unbefangenheit, mit der er diese Worte aussprach (und aussprechen durfte), machte er sie zu einem klassischen Dokument der konformistischen Gesellschaft. Geben wir uns keinen Illusionen hin. Die Exhibitionsbereitschaft, die wir unter dem „sanften Terror“, also in der konformistischen Gesellschaft, ausgebildet haben, ist für uns genau so charakteristisch, wie es die Selbstbezichtigungsmanie für die unter blutigem Terror, also in totalitären Diktaturen, lebenden Menschen ist.

(Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Bd. 2, 1980)

--

"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=