Pop Crimes: Jan Lustiger denkt laut über Platten nach.

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    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 11,159

    Ich eröffne sehr bald einen neuen Blog, den ich nach meiner Sendereihe auf StoneFM (die wiederum nach einem Album von Rowland S. Howard benannt ist) Pop Crimes getauft habe. Hauptstandbein dieses Blogs werden längere Besprechungen von Platten sein.

    Ich möchte diese Texte auch hier einstellen. In seiner Art ist das Thema den „xxxxx stellt seine Faves vor“-Threads also ähnlich, nur dass ich mich nicht auf Faves (und auch nicht auf Alben) beschränken werde, weshalb es auch nicht in die „Die besten Alben“-Kategorie passt. Herr Rossi schlug mir stattdessen das Philosophicum vor, darum steht es jetzt hier. Einen eigenen Bereich für Blogs gibt es ja leider nicht.

    Wer möchte, kann das ganze auch über Facebook verfolgen.

    Index

    Essays:
    Die ÄrzteIst das noch Punkrock? [Single]
    David BowieThe Next Day
    Lana Del ReyBorn to Die
    Marina and the DiamondsElectra Heart
    Marina and the DiamondsFroot
    Perfume GeniusLearning
    Pet Shop BoysBeing Boring [Single]
    St. VincentStrange Mercy
    StarsYour Ex-Lover Is Dead [Single]

    Rubrik „Original und Fälschung“:
    Oasis / Cat PowerWonderwall

    Reviews:
    Beach HouseDevotion
    PJ HarveyShaker Aamer [Track]

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    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #8636759  | PERMALINK

    hello_skinny

    Registriert seit: 11.12.2010

    Beiträge: 2,305

    Da freue ich mich schon sehr drauf!

    #8636761  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 11,159

    Lana Del Rey – Born to Die [2012]

    Sommer 2011. Mit langen Wimpern und Schmollmund sitzt ein Mädchen vor der Kamera. Sie singt schwermütige Lieder, deren retrospektive Ästhetik durch Bildmaterial aus den – gefühlt – letzten sechzig Jahren verstärkt wird. Das YouTube-Phänomen Lana Del Rey ist geboren, das dazugehörige Pop-Phänomen steht in den Startlöchern, die Blogosphäre steht Kopf. Es dauert nicht lange, da wird die Glaubwürdigkeit der jungen Künstlerin in Frage gestellt. Ein gescheiterter erster Durchbruchsversuch als Lana Del Ray a.k.a. Lizzy Grant sowie ein millionenschwerer Vater werden zu Tage befördert und dem Schmollmund Betrug durch Chirurgie vorgeworfen.

    Von all den Pop-Figuren, die aus dem Internet an die Oberfläche gespült wurden, ist Lana Del Rey die vielleicht polarisierendste. Am Anfang noch als „Indie“-Sängerin wahrgenommen, schaffte sie den Sprung von den Blogs ins Formatradio schnell, mehr als eine handvoll Songs ihres Albums wurden Hits. Seitdem wird die Frage hin- und hergereicht: Ist Lana Del Rey der in Erfüllung gegangene Traum eines Self-Made-Girls oder ein ausgeklügeltes Marketingkonzept ihrer Plattenfirma? Steckt Lana hinter Lana oder geldgierige alte Säcke, die an notgeile alte Säcke und Mädchen mit geringem Selbstbewusstsein vermarkten wollen?

    Der Vorwurf, eine junge, allgemein als attraktiv wahrgenommene Künstlerin sei nur eine Marionette der von Männern bestimmten Plattenindustrie, ist ein Klassiker der Pop-Diskussion, und noch dazu einer mit einer sehr zweischneidigen Pointe. Dem Kunstprodukt wird Sexismus vorgeworfen, indem der Künstlerin aufgrund ihres vermeintlich falschen Hintergrundes die Selbstbestimmung abgesprochen wird, die stattdessen ja bei raffinierten Geschäftsmännern liegen müsse, womit das entsprechende Kunstwerk als irrelevant weil unglaubwürdig abgetan wird. Dieser reflexartige Mechanismus ist der Versuch, einen weiblichen Beitrag zur Popkultur von vornherein zu deklassieren, indem er zum männlichen, oppressiven Beitrag deklariert wird. Es ist Sexismuskritik, die von einer sexistischen Rezeption der Frauenrolle im Pop zehrt, und dazu ein immenses Unverständnis dafür offenbart, wie Popmusik funktioniert, indem sie die Authentizitätsfrage der Qualitätsfrage vorzieht. Denn wichtig ist nicht, ob inszeniert wird, sondern ob gut inszeniert wird. Für einen ernstnehmbaren Popdiskurs ist diese Gleichung unverzichtbar.

    Born to Die hat keine leichte Rolle. Es folgt einem Trend, der bereits vor Veröffentlichung des Albums zig-mal gedreht und gewendet wurde. Es konnte mit dem bereits etablierten Bild der Künstlerin brechen, es bedienen, es erweitern oder entzaubern. „Bild“ ist ohnehin ein gutes Stichwort, weil die wichtigsten Stilmittel in Del Reys Referenzkatalog filmisch sind. Sie schwärmt von David Lynch, streut Twin Peaks-Gitarren ebenso über das Album wie Badalamenti-artige Streicher, versucht so, Mystik und Pathos verschmelzen zu lassen, wie es Lynch und Badalamenti einst meisterhaft in Blue Velvet getan hatten. Und so verwundert es nicht, dass Born to Die in erster Linie Geschichten erzählt. Zumindest eine. Und die dann immer wieder

    Als Einstieg wählt Del Rey den in dieser Hinsicht noch zurückhaltenden Titeltrack, zugleich das beste Stück der LP. Born to Die ist eine Bestandsaufnahme einer Person am Scheideweg, dabei ein seltenes Beispiel für tatsächliche Selbstreflexion in den Lyrics und die Zeile „Is it by mistake or design?“ gleich in den ersten Song zu packen mit Hinblick auf die bereits angesprochene Authentizitätsdebatte der cleverste Moment der ganzen Platte. Die zaghaft eingesetzten Beats im Einklang mit der melancholischen Melodie wecken nicht die letzte Trip-Hop-Assoziation und die Streicher-Wand gibt dem Stück eine Dramatik, die die zahlreichen Vergleiche mit Nancy Sinatra tatsächlich ein Stück weit rechtfertigen.

    Nach dem vielversprechenden Einstieg kommt aber bereits der Einbruch. Schon dramaturgisch wirkt der Übergang vom in sich brodelnden Opener zu den Hip-Hop-Anleihen in Off to the Races holprig. Was hier aber noch viel mehr anfängt zu bröckeln als der Flow der LP, ist die Qualität der Charakterzeichnung im Songwriting: „My old man is a bad man / but I can’t deny the way he holds my hand“ beginnt die Sängerin das Stück und liefert damit leider die Inhaltszusammenfassung von etwa zehn der zwölf Titel des Albums. Die Love Interest eines Lana Del Rey-Songs ist immer ein Bad Boy, der nicht gut für die Protagonistin ist, ohne den sie jedoch unmöglich leben kann. Gerne würde sie ihn als Außenseiter inszenieren, als jemanden, der Regeln bricht und gefährlich ist. Das Bild, das sie stattdessen vermittelt, ist das eines verzogenen Pseudo-Gangsters mit einem Frauenbild, das in den Sechzigerjahren hängengeblieben ist. Das ist auch eine Form von „Retro“. Und irgendwie sogar eine passendere als die plattgetretene Bob Dylan-Referenz im gleichen Stück. (Jepp, die mit dem rollenden Stein.)

    Um ihrem Mann zu gefallen, schlüpft Del Rey in ihren Texten immer wieder in die passenden Accessoires, um der von ihm geforderten Geschlechterrolle gerecht zu werden. Sie stolziert in seinem Lieblingskleid herum, trägt sein Lieblingsperfüm auf, während er in seinem schnellen Auto sitzt und Bier trinkt (Video Games). Natürlich schwört sie ihm auch ewige Treue und das kompromisslos, was immer auch er tut („You went our every night / And baby, that’s alright / I told you that no matter what you did / I’d be by your side“ aus Blue Jeans). Ihre Nummer-Eins-Priorität ist es, stets bei ihm zu sein und ihm zu gefallen. In Dark Paradise geht diese Selbstaufgabe sogar über den Tod hinaus und in This Is What Makes Us Girls definiert sich Weiblichkeit durch die oberste Priorisierung von Liebe, für die man notfalls auch sterben würde. Das Bild vom Draufgängertypen und seinem geradezu devoten Mädchen zieht sich durch das ganze Album. Es wäre nicht ganz so ermüdend, wenn es dabei nicht die ganze Zeit über so furchtbar flach bleiben würde.

    Denn natürlich sind hoffnungslose Romantik und Hilflosigkeit ohne den Partner wiederkehrende Themen im Pop, die nicht prinzipiell zu verdammen sind. Nicht einmal das konservative Frauenbild, das hier gezeichnet wird, muss das per se sein. Das Problem ist aber, dass Born to Die keinerlei Anhaltspunkte bietet, die das so inszenierte Umfeld auch nur im Ansatz hinterfragen. Lana Del Reys Welt ist schwarz-weiß, im Gegensatz zu etwa der der Shangri-Las, bei denen mit ähnlichen Bildern gearbeitet wurde und die sich auch auf krumme Typen einließen. Die Musik der Shangri-Las war jedoch unterfüttert mit der naiven Unschuld der jungen Mädchen, ihre Mentalität ein Ausdruck von Unsicherheit und Teenage Angst. Lana Del Rey hingegen gibt sich als selbstsichere Frau und ist sich ihrer Stellung bewusst. Sie stellt sie nicht in Frage, eine Sehnsucht nach Veränderung verspürt sie nur dann, wenn sie ihren Partner gerade nicht bei sich haben kann. Ihre kleine Welt von bösen Jungs und ihren Gangster-Lolitas wird dadurch eindimensional, ermüdend und ewiggestrig, eine subversive Ebene hat sie nicht. Statt mit den Klischees zu spielen, wird Born to Die selbst zu einem und wer sich ein geschicktes Spiel mit der Ambivalenz von Pop und Glamour erhofft hatte, muss anderswo weitersuchen.

    Das Frustrierendste an Born to Die ist, dass es sonst so viel richtig macht. Blendet man die inhaltlichen Aspekte aus, gibt es hier durchaus gutes Songwriting, kaum einer der Songs hat keine brillante Pop-Hook, manch einer sogar mehrere. Im zweitbesten Song des Albums, Carmen, dem einzigen Stück, das eine andere Protagonistin hat als die Erzählerin selbst, schimmert sogar das einzige Mal kurz eine kritische Distanz durch. Die Anklänge an die neue Langsamkeit, die vor drei Jahren von The xx in den Ring geworfen wurde, sind gelungen mit moderneren Sounds und nostalgischen Elementen verschmolzen (Auch The xx sind mit ihrem neuen Album Coexist kürzlich in die Top 3 der deutschen Album-Charts eingestiegen.) und Video Games war ein angenehm ungewöhnlicher Hit, der die Aufmerksamkeit der Mainstream-Charts einen Augenblick lang raus aus den Clubs lenkte. Die Sängerin hat eine charismatische Stimme, mit der sie sehr variabel umgehen kann. Ihr Konzept – und das schließt auch ihre Kunstfigur mitsamt falscher Lippen mit ein – hatte sicherlich Potenzial, mehr zu werden als die bloße Projektion eines einfarbigen Abziehbildes, das auf jeden Song immer wieder neu angewendet wird.

    Inzwischen machen Nachrichten die Runde, Lana Del Rey würde sich aus dem Pop-Business zurückziehen und stattdessen als Drehbuchautorin in die Filmbranche wechseln. An ihrer Charakterzeichnung sollte sie vorher aber vielleicht noch etwas arbeiten. Denn nicht zuletzt dieser ist es zu verdanken, dass ein paar vielversprechenden Trailern ein Spielfilm folgte, der diesen rein gar nichts mehr hinzuzufügen hatte – und sich durch die ständige Wiederholung der immergleichen fragwürdigen Bilder selbst entzauberte.

    **½

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    #8636763  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,607

    Prima Text, Jan!

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #8636765  | PERMALINK

    brundlefly

    Registriert seit: 27.12.2008

    Beiträge: 4,766

    Schöne Sache, Jan! Planst Du nur Texte zu ausgewählten Alben oder auch allgemeiner zu Bands/Popkultur?

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    http://hyphish.wordpress.com "Every generation has its one defining moment. We are yours."
    #8636767  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 11,159

    Danke euch!

    BrundleflyPlanst Du nur Texte zu ausgewählten Alben oder auch allgemeiner zu Bands/Popkultur?

    Ich werde sicher auch Texte schreiben, die sich mit bestimmten Aspekten von Popkultur oder mit einem Interpreten auseinandersetzen, aber der Schwerpunkt liegt klar bei den Platten (bei denen ich mich aber auch nicht nur auf Alben beschränken werde, die eine oder andere Single oder EP wird da sicher auch mal reinrutschen).

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    #8636769  | PERMALINK

    hipecac

    Registriert seit: 18.09.2006

    Beiträge: 1,020

    Sehr guter Text, Jan. Bin gespannt auf die Folgenden.

    #8636771  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 86,957

    Für Deinen Thread wünsche ich Dir einen langen Atem! Mit dem ersten Text hast Du Dir einiges vorgenommen, denn über kein Album wurde in diesem Jahr wohl so viel geschrieben wie über dieses. Es ist eine eingehende und differenzierte Auseinandersetzung, was es von vielen anderen unterscheidet. Ich kann auch das meiste „unterschreiben“ und den Kernpunkt Deiner Kritik, die stereotypen Texte, nicht von der Hand weisen. Aber es gibt manchmal Musik, da kann man (ich) auch über deutliche textliche Schwächen hinweghören, wenn das Ganze musikalisch inspiriert ist. Ich denke da etwa an den „G-Funk“ von Dr. Dre & Co., und Lana ist nach eigener Aussage mit 90s-Rap aufgewachsen. Wie ungeheuer produktiv Lana Del Rey ist, zeigen die zahlreichen „Born To Die“-Outtakes, die im Netz herumgereicht werden und mich häufig ebenso überzeugen wie die Tracks, die es auf das Album geschafft haben. Wie es mit Lana weitergehen wird, kann ich mir auch noch nicht recht vorstellen. Vielleicht bleibt es tatsächlich bei „Born To Die“. Das würde das Monolithische und Konzeptuelle dieses Werkes unterstreichen und Lana Del Rey könnte die Margaret Mitchell des Gangsta-Pop werden, vom Winde verweht …

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    #8636773  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 11,159

    hipecacSehr guter Text, Jan. Bin gespannt auf die Folgenden.

    Danke, freut mich!

    Herr RossiFür Deinen Thread wünsche ich Dir einen langen Atem! Mit dem ersten Text hast Du Dir einiges vorgenommen, denn über kein Album wurde in diesem Jahr wohl so viel geschrieben wie über dieses.

    Die Entscheidung, über ein Album zu schreiben, das sehr stark und vor allem auch breit diskutiert wurde, ist bewusst erfolgt. Zum einen wollte ich nicht mit einem eher obskuren Album in den neuen Blog starten, weil das gleich mal die Hälfte der potentiellen Leserschaft (eher außerhalb des Forums, klar) ausschließen würde. Zum anderen aber weil mir die Auseinandersetzung mit Born to Die vor allem in den deutschen Medien ziemlich negativ aufgefallen ist. Es wurde viel kritisiert, aber meistens aus den falschen Beweggründen heraus. Deswegen gliedert sich der Text auch in zwei Teile: Kritik an der Kritik, eigene Kritik.

    Herr RossiEs ist eine eingehende und differenzierte Auseinandersetzung, was es von vielen anderen unterscheidet. Ich kann auch das meiste „unterschreiben“ und den Kernpunkt Deiner Kritik, die stereotypen Texte, nicht von der Hand weisen. Aber es gibt manchmal Musik, da kann man (ich) auch über deutliche textliche Schwächen hinweghören, wenn das Ganze musikalisch inspiriert ist. Ich denke da etwa an den „G-Funk“ von Dr. Dre & Co., und Lana ist nach eigener Aussage mit 90s-Rap aufgewachsen.

    Wie geschrieben: Gerade im Musikalischen sehe ich so einige Stärken des Albums. Aber dafür, dass ich über die offenkundigen Schwächen des Songwritings hinwegsehen könnte, ist mir das ganze Del-Rey-Konzept eben viel zu sehr auf Charakterinszenierung und Storytelling ausgelegt. Und wenn es genau da dann hakt, stolpere ich unweigerlich darüber.

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    #8636775  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    Sehr schöner und auch stichhaltiger Text, der mich über die Gesamtstrecke bei Interesse gehalten hat. Und auch durchaus zum Phänomen Lana Del Rey und meiner eigenen Einschätzugen noch ein paar Tupfer hinzugefügt haben dürfte. Sehr fein, Danke, Jan. Bitte weitermachen, derartige Befassungen gibt es im Forum derzeit noch erkennbar zu wenig.

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8636777  | PERMALINK

    rob-fleming

    Registriert seit: 08.12.2008

    Beiträge: 12,838

    Irrlicht Bitter weitermachen…

    Gerne auch mit Freude. ;-)

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    Living Well Is The Best Revenge.
    #8636779  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    Rob FlemingGerne auch mit Freude. ;-)

    Ach, gute Verrisse sind mir bisweilen die Karamellsauce schlechthin. (Danke!)

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8636781  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Sehr guter Einstand, Jan.

    Ich kann Dir weitgehend folgen, jedoch höre ich das Album dennoch – wie Herr Rossi – deutlich näher an ****.

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    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #8636783  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 11,159

    Danke auch, Irrlicht und Mikko, für eure Einschätzungen. Dass der Text Gedankenanstöße geben kann, freut mich genauso sehr, wie dass ihn auch Leute wertschätzen, die das Album anders bewerten als ich.

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    #8636785  | PERMALINK

    jan-lustiger

    Registriert seit: 24.08.2008

    Beiträge: 11,159

    Perfume Genius – Learning [2010]

    “The love that dare not speak its name” is beautiful, it is fine, it is the noblest form of affection. There is nothing unnatural about it. It is intellectual, and it repeatedly exists between an older and a younger man, when the older man has intellect, and the younger man has all the joy, hope and glamour of life before him. That it should be so, the world does not understand. The world mocks at it, and sometimes puts one in the pillory for it.
    Oscar Wilde vor Gericht, 1895.

    115 Jahre nachdem Oscar Wilde sich für das Betreiben von „Unzucht“ verantworten musste und mit seiner Verurteilung der Niedergang des Schriftstellers, dessen Werk im folgenden einen großen Einfluss gerade auch auf den Pop ausüben sollte, eingeleitet wurde, erscheint die Debüt-Single des jungen, schwulen Songwriters Mike Hadreas, der unter dem Alias Perfume Genius auftritt. Der autobiographische Text der A-Seite Mr. Peterson erzählt von einer Liebesaffäre zwischen Schüler und Lehrer, also einer Form von jener „love that dare not speak ist name“, die zu beschreiben Wilde damals vom Staatsanwalt aufgetragen wurde. (Der Begriff entstammt allerdings nicht einem Werk Wildes, sondern einem Gedicht seines Liebhabers, Alfred Douglas) Die von Wilde schon damals eingeforderte Anerkennung der Natürlichkeit (und zu einem gewissen Grad sogar Überlegenheit) dieses alternativen Beziehungsmodels ist auch im 21. Jahrhundert noch fernab ihrer Verwirklichung und auch die Geschichte des Mr. Peterson endet tragisch: mit dem Selbstmord der Titelfigur.

    Mr. Peterson

    Homosexualität ist neben Adoleszenz eines von zwei Kernthemen des der Single folgenden ersten Longplayers von Perfume Genius, Learning. Beides steht in enger Verbindung zueinander. Der homosexuelle Unterton gibt dabei gerade den adoleszenten Themen einen deutlich bedrückenderen Subtext, als ihn die mit dem Heranwachsen einhergehenden Probleme für sich allein stehend hätten entwickeln können. Unterfüttert werden diese Inhalte von einer Isolierungsthematik, die sich – mal mehr, mal weniger subtil – durch die ganze Platte zieht.

    Im Grunde genommen ist Learning eine Kurzgeschichtensammlung. Hadreas holt nicht weit aus, er verzichtet auf großes Ausschmücken. Stattdessen erzählt er. Im Opener und Titeltrack vom Depressiven, der nicht beachtet wird, mit Ausnahme des ebenfalls nach Aufmerksamkeit suchenden Erzählers („No one will answer your prayers / until you take off that dress / No one will hear your crying / until you take your last breath / And you will learn to mind me”), in Lookout, Lookout von der Kindsmörderin [B]Mary Bell, die im Alter von zehn und elf Jahren zwei Morde beging („Mary Mary Bell with an uppercase M / all the neighbors know what your mother sells / but you carved out a name for yourself“ – Der aufmerksame Beobachter populärer Singer/Songwriter in den Nullerjahren fühlt sich hier an Sufjan StevensJohn Wayne Gacy Jr. erinnert), in Write to Your Brother von einer funktionsgestörten Familie, deren Mutter die Tochter wie den Partner behandelt, den sie nicht hat, und deren Sohn aus nicht weiter offengelegten Gründen im Krankenhaus liegt.

    Lookout, Lookout

    Verbunden werden diese Geschichten von einer Tragik, die aus der Einsamkeit und dem Unverständnis, mit denen ihre Figuren ringen, resultiert. Doch Hadreas nutzt sie nicht zum Overstatement. Stattdessen werden ihre Motive von der Klangästhetik des Albums unterstützt. Alle zehn Tracks sind sehr lo-fi gehalten, zuweilen klingt Hadreas’ Gesang, als würde er aus einem Diktiergerät abgespielt. So erhält die Platte einen Kellercharakter, der im Gegensatz zum Garagencharakter diverser Rock-Genres die Isolierung des Künstlers unterstreicht, statt aus ihr auszubrechen. Hadreas’ Stimme ist jungenhaft und in höheren Stimmlagen androgyn, beides steht im Einklang mit sowohl der adoleszenten als auch der homosexuellen Thematik des Albums. Sein zitternder Gesang transportiert die Melancholie der Stücke ebenso direkt wie die karge Instrumentierung, die keine Ablenkung von ihren Inhalten zulässt, dafür aber eine Charakterisierung der Arrangements als skizzenhaft.

    Das tragende Instrument ist das Klavier, das in seiner spärlichen und hastigen Staccato-Spielweise einem initiierten Dilettantismus frönt. Sporadisch auftretende, ätherische Synthesizer kreieren in Kombination mit den in die Distanz gerückten Backing Vocals vor allem in den Interludes Gay Angels und No Problem eine trance-artige Atmosphäre, die an das Halb-Genre Chillwave erinnert, weshalb der Guardian auf die Idee kam, Perfume Genius als „Illwave“ zu bezeichnen. Der Kern dessen ist, dass der Künstler hier auf die nackte Erzählweise des Folk und die ausschmückenden Atmosphären des Chillwave-Vorvaters Ethereal Wave zurückgreift und ihnen einen LoFi-Anstrich gibt, womit er durch die Popularität verschiedener Folk- sowie Dream-Pop-Revival-Acts von den Fleet Foxes bis zu Beach House innerhalb und durch die Allgegenwärtigkeit des Bombast-Indie-Pops von Arcade Fire außerhalb aktueller Trends liegt.

    Gay Angels

    Im Gesamten könnte Learning konsistenter sein. Nach dem grandiosen 4-Song-Run zu Beginn gibt es einen Einbruch in der Qualität des Songwritings und einen Abnutzeffekt der Stilistik des Albums, die mit diesem Einbruch einhergeht. Ihre größte Stärke verteilt die Platte jedoch über ihre gesamte 28-minütige Spieldauer. Immer wieder werden Wendungen in die Songs eingestreut, die ihren Inhalten einen neuen Dreh geben. Wenn Hadreas singt „No one will answer your prayer / until you take off that dress” kann mit dem „dress” auch eine Verkleidung gemeint sein. Durch die Doppeldeutigkeit wird aus der aussichtslosen Existenzkrise eine Kampfaufforderung ohne ermüdende Moralisierung, den schwulen Subtext sollte man hier nicht aus den Augen verlieren.

    Auch Mr. Peterson ist kein tragischer Held mit eigentlich reiner Weste. Wenn Hadreas singt „He let me smoke weed in his truck / if I convinced him I loved him enough” wiederholt er das Wort „enough” danach in einer herabfallenden Stimmlage, die nahelegt, dass nicht jedes Detail der Liebesbeziehung auf beidseitigem Einverständnis beruhte. Doch natürlich ist der depressive Mr. Peterson („He made me a tape of Joy Division / He told me there was part of him missing“) nicht der Antagonist, sein Verhalten Ausdruck der eigenen Unsicherheit und Entfremdung von dem, was die Gesellschaft von einem Mann seines Standes erwartet. Der Ich-Erzähler des Stückes fühlt sich trotzdem zu ihm hingezogen, die unverklärte Realität kann Oscar Wildes Ideal von der „noblest form of affection“ jedoch nicht gerecht werden. Mit der letzten Zeile „I know you were ready to go / I hope there’s room for you / up above or down below“ wird diese Zerrissenheit ebenso ausgedrückt wie die Inakzeptanz von Homosexualität in konservativ-christlich geprägten Weltanschauungen widergespiegelt. Diese greift Hadreas im Closer Never Did – wohl nicht zufällig auch auf der B-Seite der Mr. Peterson-Single zu finden – wieder auf: „It’s all in his hands / It’s all part of his plan / but I never asked for it“ Hier spricht nicht der erhobene Zeigefinger, sondern bloße Ohnmacht.

    Mike Hadreas verschwendet keine Zeit damit, dem Hörer auszuformulieren, was er aus den Geschichten von Mr. Peterson oder Mary Bell zu lernen habe oder zu welcher Schlussfolgerung ihn selbst die Situationen in Never Did oder Learning gebracht haben. Der Diskurs, der seinen Geschichten folgt, wird vom Künstler offen gelassen. So entkommt Learning trotz seines zum Teil autobiographischen Gehalts und der ungefilterten Vortragsweise emotionaler Texte den Klischees des „persönlichen ehrlichen Albums“. Es lässt den Hörer aufgerüttelt aber ohne Antworten zurück. Den Rest muss dieser sich selbst ausmalen. „And [he] will learn to mind [it]“

    Learning

    ***½

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