Re: Pop Crimes: Jan Lustiger denkt laut über Platten nach.

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jan-lustiger

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Lana Del Rey – Born to Die [2012]

Sommer 2011. Mit langen Wimpern und Schmollmund sitzt ein Mädchen vor der Kamera. Sie singt schwermütige Lieder, deren retrospektive Ästhetik durch Bildmaterial aus den – gefühlt – letzten sechzig Jahren verstärkt wird. Das YouTube-Phänomen Lana Del Rey ist geboren, das dazugehörige Pop-Phänomen steht in den Startlöchern, die Blogosphäre steht Kopf. Es dauert nicht lange, da wird die Glaubwürdigkeit der jungen Künstlerin in Frage gestellt. Ein gescheiterter erster Durchbruchsversuch als Lana Del Ray a.k.a. Lizzy Grant sowie ein millionenschwerer Vater werden zu Tage befördert und dem Schmollmund Betrug durch Chirurgie vorgeworfen.

Von all den Pop-Figuren, die aus dem Internet an die Oberfläche gespült wurden, ist Lana Del Rey die vielleicht polarisierendste. Am Anfang noch als „Indie“-Sängerin wahrgenommen, schaffte sie den Sprung von den Blogs ins Formatradio schnell, mehr als eine handvoll Songs ihres Albums wurden Hits. Seitdem wird die Frage hin- und hergereicht: Ist Lana Del Rey der in Erfüllung gegangene Traum eines Self-Made-Girls oder ein ausgeklügeltes Marketingkonzept ihrer Plattenfirma? Steckt Lana hinter Lana oder geldgierige alte Säcke, die an notgeile alte Säcke und Mädchen mit geringem Selbstbewusstsein vermarkten wollen?

Der Vorwurf, eine junge, allgemein als attraktiv wahrgenommene Künstlerin sei nur eine Marionette der von Männern bestimmten Plattenindustrie, ist ein Klassiker der Pop-Diskussion, und noch dazu einer mit einer sehr zweischneidigen Pointe. Dem Kunstprodukt wird Sexismus vorgeworfen, indem der Künstlerin aufgrund ihres vermeintlich falschen Hintergrundes die Selbstbestimmung abgesprochen wird, die stattdessen ja bei raffinierten Geschäftsmännern liegen müsse, womit das entsprechende Kunstwerk als irrelevant weil unglaubwürdig abgetan wird. Dieser reflexartige Mechanismus ist der Versuch, einen weiblichen Beitrag zur Popkultur von vornherein zu deklassieren, indem er zum männlichen, oppressiven Beitrag deklariert wird. Es ist Sexismuskritik, die von einer sexistischen Rezeption der Frauenrolle im Pop zehrt, und dazu ein immenses Unverständnis dafür offenbart, wie Popmusik funktioniert, indem sie die Authentizitätsfrage der Qualitätsfrage vorzieht. Denn wichtig ist nicht, ob inszeniert wird, sondern ob gut inszeniert wird. Für einen ernstnehmbaren Popdiskurs ist diese Gleichung unverzichtbar.

Born to Die hat keine leichte Rolle. Es folgt einem Trend, der bereits vor Veröffentlichung des Albums zig-mal gedreht und gewendet wurde. Es konnte mit dem bereits etablierten Bild der Künstlerin brechen, es bedienen, es erweitern oder entzaubern. „Bild“ ist ohnehin ein gutes Stichwort, weil die wichtigsten Stilmittel in Del Reys Referenzkatalog filmisch sind. Sie schwärmt von David Lynch, streut Twin Peaks-Gitarren ebenso über das Album wie Badalamenti-artige Streicher, versucht so, Mystik und Pathos verschmelzen zu lassen, wie es Lynch und Badalamenti einst meisterhaft in Blue Velvet getan hatten. Und so verwundert es nicht, dass Born to Die in erster Linie Geschichten erzählt. Zumindest eine. Und die dann immer wieder

Als Einstieg wählt Del Rey den in dieser Hinsicht noch zurückhaltenden Titeltrack, zugleich das beste Stück der LP. Born to Die ist eine Bestandsaufnahme einer Person am Scheideweg, dabei ein seltenes Beispiel für tatsächliche Selbstreflexion in den Lyrics und die Zeile „Is it by mistake or design?“ gleich in den ersten Song zu packen mit Hinblick auf die bereits angesprochene Authentizitätsdebatte der cleverste Moment der ganzen Platte. Die zaghaft eingesetzten Beats im Einklang mit der melancholischen Melodie wecken nicht die letzte Trip-Hop-Assoziation und die Streicher-Wand gibt dem Stück eine Dramatik, die die zahlreichen Vergleiche mit Nancy Sinatra tatsächlich ein Stück weit rechtfertigen.

Nach dem vielversprechenden Einstieg kommt aber bereits der Einbruch. Schon dramaturgisch wirkt der Übergang vom in sich brodelnden Opener zu den Hip-Hop-Anleihen in Off to the Races holprig. Was hier aber noch viel mehr anfängt zu bröckeln als der Flow der LP, ist die Qualität der Charakterzeichnung im Songwriting: „My old man is a bad man / but I can’t deny the way he holds my hand“ beginnt die Sängerin das Stück und liefert damit leider die Inhaltszusammenfassung von etwa zehn der zwölf Titel des Albums. Die Love Interest eines Lana Del Rey-Songs ist immer ein Bad Boy, der nicht gut für die Protagonistin ist, ohne den sie jedoch unmöglich leben kann. Gerne würde sie ihn als Außenseiter inszenieren, als jemanden, der Regeln bricht und gefährlich ist. Das Bild, das sie stattdessen vermittelt, ist das eines verzogenen Pseudo-Gangsters mit einem Frauenbild, das in den Sechzigerjahren hängengeblieben ist. Das ist auch eine Form von „Retro“. Und irgendwie sogar eine passendere als die plattgetretene Bob Dylan-Referenz im gleichen Stück. (Jepp, die mit dem rollenden Stein.)

Um ihrem Mann zu gefallen, schlüpft Del Rey in ihren Texten immer wieder in die passenden Accessoires, um der von ihm geforderten Geschlechterrolle gerecht zu werden. Sie stolziert in seinem Lieblingskleid herum, trägt sein Lieblingsperfüm auf, während er in seinem schnellen Auto sitzt und Bier trinkt (Video Games). Natürlich schwört sie ihm auch ewige Treue und das kompromisslos, was immer auch er tut („You went our every night / And baby, that’s alright / I told you that no matter what you did / I’d be by your side“ aus Blue Jeans). Ihre Nummer-Eins-Priorität ist es, stets bei ihm zu sein und ihm zu gefallen. In Dark Paradise geht diese Selbstaufgabe sogar über den Tod hinaus und in This Is What Makes Us Girls definiert sich Weiblichkeit durch die oberste Priorisierung von Liebe, für die man notfalls auch sterben würde. Das Bild vom Draufgängertypen und seinem geradezu devoten Mädchen zieht sich durch das ganze Album. Es wäre nicht ganz so ermüdend, wenn es dabei nicht die ganze Zeit über so furchtbar flach bleiben würde.

Denn natürlich sind hoffnungslose Romantik und Hilflosigkeit ohne den Partner wiederkehrende Themen im Pop, die nicht prinzipiell zu verdammen sind. Nicht einmal das konservative Frauenbild, das hier gezeichnet wird, muss das per se sein. Das Problem ist aber, dass Born to Die keinerlei Anhaltspunkte bietet, die das so inszenierte Umfeld auch nur im Ansatz hinterfragen. Lana Del Reys Welt ist schwarz-weiß, im Gegensatz zu etwa der der Shangri-Las, bei denen mit ähnlichen Bildern gearbeitet wurde und die sich auch auf krumme Typen einließen. Die Musik der Shangri-Las war jedoch unterfüttert mit der naiven Unschuld der jungen Mädchen, ihre Mentalität ein Ausdruck von Unsicherheit und Teenage Angst. Lana Del Rey hingegen gibt sich als selbstsichere Frau und ist sich ihrer Stellung bewusst. Sie stellt sie nicht in Frage, eine Sehnsucht nach Veränderung verspürt sie nur dann, wenn sie ihren Partner gerade nicht bei sich haben kann. Ihre kleine Welt von bösen Jungs und ihren Gangster-Lolitas wird dadurch eindimensional, ermüdend und ewiggestrig, eine subversive Ebene hat sie nicht. Statt mit den Klischees zu spielen, wird Born to Die selbst zu einem und wer sich ein geschicktes Spiel mit der Ambivalenz von Pop und Glamour erhofft hatte, muss anderswo weitersuchen.

Das Frustrierendste an Born to Die ist, dass es sonst so viel richtig macht. Blendet man die inhaltlichen Aspekte aus, gibt es hier durchaus gutes Songwriting, kaum einer der Songs hat keine brillante Pop-Hook, manch einer sogar mehrere. Im zweitbesten Song des Albums, Carmen, dem einzigen Stück, das eine andere Protagonistin hat als die Erzählerin selbst, schimmert sogar das einzige Mal kurz eine kritische Distanz durch. Die Anklänge an die neue Langsamkeit, die vor drei Jahren von The xx in den Ring geworfen wurde, sind gelungen mit moderneren Sounds und nostalgischen Elementen verschmolzen (Auch The xx sind mit ihrem neuen Album Coexist kürzlich in die Top 3 der deutschen Album-Charts eingestiegen.) und Video Games war ein angenehm ungewöhnlicher Hit, der die Aufmerksamkeit der Mainstream-Charts einen Augenblick lang raus aus den Clubs lenkte. Die Sängerin hat eine charismatische Stimme, mit der sie sehr variabel umgehen kann. Ihr Konzept – und das schließt auch ihre Kunstfigur mitsamt falscher Lippen mit ein – hatte sicherlich Potenzial, mehr zu werden als die bloße Projektion eines einfarbigen Abziehbildes, das auf jeden Song immer wieder neu angewendet wird.

Inzwischen machen Nachrichten die Runde, Lana Del Rey würde sich aus dem Pop-Business zurückziehen und stattdessen als Drehbuchautorin in die Filmbranche wechseln. An ihrer Charakterzeichnung sollte sie vorher aber vielleicht noch etwas arbeiten. Denn nicht zuletzt dieser ist es zu verdanken, dass ein paar vielversprechenden Trailern ein Spielfilm folgte, der diesen rein gar nichts mehr hinzuzufügen hatte – und sich durch die ständige Wiederholung der immergleichen fragwürdigen Bilder selbst entzauberte.

**½

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