Re: Howard McGhee

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Für Contemporary entstanden im Juni 1961 zwei sehr schöne Alben, das erste davon brachte die beiden alten Kumpanen Teddy Edwards und McGhee wieder einmal zusammen:

This album’s title refers back to the 1945-47 pairing of Edwards and McGhee in the latter’s sextet. At that time, McGhee, twenty-seven, was a leading figure in the bebop movement, and Edwards a promising alto player of twenty one. McGhee and Coleman Hawkins had brought a group to Los Angeles, and when Hawkins returned East, a tenor player was needed. Teddy recalls, „They had a library, and Howard wanted to use most of that. he couldn’t find anybody he liked, so he persuaded me to give the tenor a try.“ After tow years of playing in Los Angeles and San Francisco (musicians in the group from time to time included Charlie Parker, Sonny Criss, Hampton Hawes, Roy Porter, Gene Montgomery, Vernon Biddle), McGhee went on the road in 1947 with Norman Granz’s „Jazz at the Philharmonic,“ and that ended the first get-together.

~ Lester Koenig, Liner Notes zu „Teddy Edwards & Howard McGhee – Together Again!“, Contemporary S-7588

McGhee war anscheinend kaum je länger weg oder im Gefängnis, hat anscheinend die ganze Zeit über für sich selber gespielt und geübt. Mit James Moodys Band kam er dann zurück nach Kalifornien. Auch Edwards war in den 50ern wenig sichtbar und sein Comeback startete wie das von McGhee um 1960, als er für Contemporary (und Pacific Jazz) eine Reihe schöner Alben aufnahm. Sein Ton ist mit den Jahren noch individueller geworden, sehr körnig und stark, ohne jedoch allzu sperrig zu sein.
Begleitet werden die beiden von Phineas Newborn, Ray Brown und Ed Thigpen. Edwards steuerte extra für die Session das Titelstück bei, eine für ihn typische, in langen Linien gehaltene Melodie, die gewissermassen daherschleicht über den Stakkato-Rhythmen des Pianos und der Rhythmusgruppe. McGhee steht auf „I’ve Stepped out of a Dream“ im Mittelpunkt, präsentiert das Thema mit Dämpfer und einer stellenweise fast beissenden Schärfe im Ton – während die Rhythmusgruppe die übliche Latin-Begleitung mit Wechsel in 4/4 spielt.
„Up There“ stammt von Ray Brown und wurde auch speziell für die Session geschrieben. Edwards spielt das erste Solo – sein kerniger Ton ist schön zu hören – für mich einer der tollsten Tenorsaxer jener Jahre, und glücklicherweise hat er länger durchgehalten als Wardell Gray… mit Dexter Gordon mag ich ihn nicht so recht vergleichen, Gordons Temperament war von anfang an ein ganz anderes, zudem war er lange Jahre in Europa und auch davor schon keineswegs nur nach der Westküste orientiert.
Charlie Parkers „Perhaps“ erinnert an die Bebop-Jahre – auch hier soliert Edwards zuerst. Nach Koenig war es McGhees Idee, die Blues-Struktur ein wenig aufzupeppen und für die Soli noch zwei Tonartwechsel einzubauen (alle Soli umfassen sechs Chorusse, jeweils zwei in C, zwei in F und zwei in Bb).
Teddy Edwards hat sich als Balladen-Feature „Misty“ von Erroll Garner ausgesucht. Zum Abschluss folgt „Sandy“, ein neues Original von McGhee, der auf der offenen Trompete das erste Solo bläst.
Ein gutes Wort für die exzellten Rhythmusgruppe ist wohl kaum nötig, aber sei hiermit dennoch eingelegt. Brown überzeugt mit seinem fliessenden Spiel und grossem Ton, Thigpen zählt für mich sowieso zu den grossen Unterschätzten, und Newborn ist für einmal erfreulich zurückhaltend zeigt sich als toller Begleiter und legt in seinen Soli auch mal richtig los. Ingesamt ein schönes Album, das manchmal etwas zu leicht an einem vorbeizuziehen scheint, das aber grössere Aufmerksamkeit durchaus lohnt.
Ein Wort noch zur Aufnahme: wie üblich wenn Roy DuNann am Werk war klingt diese Aufnahme hervorragend – warm, natürlich, die Musik hat Raum zum Atmen, ist aber doch satt und voll eingefangen. Bei allem Hype um den guten RvG ist DuNann wohl der am meisten unterbewertete Ton-Ingenieur jener Jahre.

Einen Monat später trafen sich McGhee und Phineas Newborn erneut im Contemporary-Studio, dieses mal, um das Quartett-Album Maggie’s Back in Town aufzunehmen. An ihrer Seite waren wieder zwei exzellente Rhythmiker: Leroy Vinnegar und Shelly Manne. McGhee hat sich eine Setlist aus Originals und Standards zusammegestellt: sein „Demon Chase“ stammt aus der Zeit, vor er nach Kalifornien zurückkehrte, dann spielt er das Titelstück und das tolle „Sunset Eyes“ von Teddy Edwards, Clifford Browns „Brownie Speaks“, Ann Ronells „Willow Weep for Me“, sowie die Standards „Softly, as in a Morning Sunrise“ und „Summertime“.
Gleich zu Beginn, auf „Demon Chase“, wird klar, dass McGhee zum spielen gekommen ist. Sein Solo mit Dämpfer ist lyrisch aber vorwärtsdrängend, höchst konzentriert. Newborn folgt mit einem zugleich ziemlich virtuosen aber auch ziemlich ausgesparten Solo, Vinnegars Bass ist äusserst präsent, wunderschön abgemischt. Manne swingt wie immer leicht aber keineswegs ziellos, er greift immer wieder mit kleinen Fills ein – grosse Klasse! Nach McGhees zweitem Solo kriegt Vinnegar eins und spielt wie immer down to earth – wenn es je einen no-bullshit Bassisten gab, dann ihn!
Auf „Willow Weep for Me“ wird deutlich, was McGhee Nat Hentoff über sein neues Spiel erzählt hat:

„After I got myself together,“ McGhee explains, „I began listening t what all the guys were doing, and I decided to play like me. I don’t play like I used to play, running up and down the horn and hitting the high notes. Now I play what I feel.“ I prefer the „new“ McGhee but I also remember with pleasure the excitement I felt as a boy when I first heard the startling power and exhilarating speed of McGhee Special, a record Howard made with Andy Kirk in 1942. That power hasn’t diminished, but it’s now more thoughtfully and imaginatively controlled. The notes are selected more judiciously, and there is a melodic flow and remarkably supple rhythmic placement in McGhee’s work never as fully there before.

~ Nat Hentoff (August 15, 1961), Liner Notes zu „Maggie’s Back in Town“, Contemporary S-7596)

„Softly as in a Morning Sunrise“ öffnet mit Vinnegars schnellem Walking Bass, dann setzt McGhee mit dem Thema ein, wieder mit Dämpfer. Newborn begleitet nur ganz sparsam. McGhee hebt zu einem schnellen Solo ab – wunderbar wie er einen verlangenden Lyrizismus mit Energie und Lebenskraft verbindet und sein Solo mit grosser Logik thematisch entwickelt.
Es folgt Edwards‘ „Sunset Eyes“, ein äusserst charmantes Thema, das zum grossen Teil über einem rollenden Latin-Beat gespielt wird, auch während der Soli. Newborn überzeugt auch hier wieder – er hatte 1961 gelernt, seine Virtuosität zu zügeln und spielt erdig, sparsam, aber zugleich lässt er sein Können hie und da aufblitzen.
„Maggie’s Back in Town“ ist mit über zehn Minuten das längste Stück des Album, ein Stück in Moll, das in einem gelassenen mittelschnellen Tempo präsentiert wird. Auch hier wird McGhees Kraft spürbar, ohne dass er sie je wirklich ausspielen muss. Ein sehr tolles Solo, das wieder motivisch konstruiert ist. Newborn übernimmt und folgt mit einem sehr ähnlich aufgebauten Solo. McGhee folgt dann mit einem zweiten Solo, danach Vinnegar, und dann ein paar Exchanges von McGhee und der Band, bevor das Thema folgt – das fast wie eine Improvisation klingt, bis in der Bridge die Stoptime-Begleitung kommt.
„Summertime“ mit Dämpfer ist dann die kurze, intensive Nummer der zweiten Seite – McGhees Solo ist… poised. Das Stück gehört ihm ganz alleine, bis zum tollen Vamp am Ende.
Zum Abschluss folgt „Brownie Speaks“, nochmal ein längeres Stück. McGhee spielt auch hier ein langes Solo, das sich motivisch entwickelt, ist aber sprunghafter, verspielter, lässt sein technisches Können nochmal richtig aufscheinen, derweil Manne ihn vorantreibt. McGhee erzählte Hentoff über Brown:

„He had that big, fat sound and he was one of the very few guys who had everything figured out. He not only knew what he wanted to do, but he was fully capable of doing it all. I selected this original of his because I’d been struck by the fact that while Brownie wrote a number of first-rate tunes, hardly anyone plays them any more. I wanted to show his writing oughtn’t to be forgotten.“

~ Nat Hentoff (August 15, 1961), Liner Notes zu „Maggie’s Back in Town“, Contemporary S-7596)

Newborn folgt mit einem weiteren tollen Solo, vielleicht seinem glänzendsten, – und das nicht bloss in technischer Hinsicht – auf diesem schönen Album.
Maggie’s Back in Town ist vielleicht am Ende das schönste Album, das es von McGhee zu hören gibt – es hat Charme, McGhee überzeugt mit seinem verspielten, lyrischen und zugleich hart swingendem Spiel, seinen logisch konstruierten Soli, und er wird darüber hinaus von einer vorzüglichen Band begleitet.
Das tragische war bloss, dass sich 1961 niemand mehr für diese Art von Bebop erwärmen konnte und McGhees Comeback kein grosser Erfolg beschert war.

Im Dezember 1961 nahm McGhee noch ein weiteres Album auf, bekannt unter den Titeln The Sharp Edge und Artistry in Jazz – es wurde von Chris Albertson in Eigenregie produziert und ist u.a. auf Fontana und Black Lion erschienen. Ich kenne es leider nicht, aber es sieht von der Besetzung her toll aus: George Coleman, Junior Mance, George Tucker und Jimmy Cobb spielten mit McGhee.

Vielleicht mag redbeans uns dazu etwas berichten?

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