Re: BOB DYLAN Bootleg Series 5 !!!

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captain-kidd

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Bob Dylan – Live 1975

1975. Ein Jahr vor meiner Geburt und Bob Dylans zweites hyperaktives Jahr nach 1965. Blood on the tracks und die Basement Tapes erscheinen, Desire wird aufgenommen und die Rolling Thunder Revue startet. Wirklich mehr Revue als Konzert. 70 Leute, über 3 Stunden Musik und Maskerade (so spielt Dylan zeitweise mit weissgeschminktem Gesicht). Dabei Dylans beste Konzerte seit 1966. Die CD enthält nun keine einzelne Show sondern einen Zusammenschnitt aus 4 verschiedenen „Revuekonzerten“. Führt direkt zum einzigen Minuspunkt: Zwischen den einzelnen Stücken gibt es Pausen, für Liveaufnahmen ja eher unüblich. Ist aber zu verschmerzen. Ansonsten gibt es nichts auszusetzen. Der Sound ist klasse. Jedes Instrument klar zu hören (allerdings nicht jede der zeitweise 5 (!!!) Gitarren), Dylans Gesang sehr nah und das Publikum nicht zu laut. Das Booklet toll wie immer. 56 Seiten mit einem Essay von Larry ‚Ratso‘ Sloman, raren Fotos und vor allem der Ankündigung „Sony will soon be releasing more music from the vaults in the bootleg series“. Und es wird das Philharmonic Hall Konzert von 1964. Der Nachteil hier: Das Warten geht also schon wieder los.
Aber jetzt hat man ja erstmal Live 1975. Und die rockt mit “Tonight i’ll be staying here with you” gleich so los, dass man sich nur noch fragt “wie geil ist das denn???”. Diese Stimme, dieser Sound, dieser Song. Wow. Get ready! Dann folgt “It ain’t me, Babe”. Und es wird sogar noch besser. Keine Ahnung, ob dies die beste Version dieses Titels ist. Besser als das Orginal? Hier verliert der Song an Strenge und wirkt variabler. Das Orginal hat seine eigene Qualität. Sie ist schmerzhaft. Hier erscheint der Song spielerischer. Und das abschliessende Harmonikasolo ist ein erster echter Höhepunkt. “A hard rain’s a-gonna fall” erscheint dann in einer stark überarbeiteten Version. Ginsberg spricht von einem ‚dance of joy‘. Nagel, Kopf. Man kennt das. Shufflebeat, Mitsingrefrain und tolle Soli. Kaum zu glauben. Errinnert ein wenig an ‚Absolutely sweet mary‘. Dann “The lonesome death of Hattie Carroll” eins meiner 10 Lieblingslieder von Dylan in einer noch nie gehörten Liveversion. Er schafft auch hier etwas neues. Besonders die Gitarrenlinien sind sehr gelungen. Es folgen zwei Stücke von Desire, die sich kaum von den LP-Versionen unterscheiden. Die endgültige Version von “Isis” ist für mich auf Biograph. Hier fehlt etwas das Tempo. Aber schöne Instrumentals. Nun hört man Dylan solo. “Mr. Tambourine man” singt er mit heisere Stimme. Schöne Version. Dieses Lob wäre für “Simple twist of fate” ne riesige Untertreibung. Blood on this track. Und zwar Herzblood. Schöne Verzögerungen und toller neuer Refrain mit einem tiefen ‚fate‘. You know what i mean. Beste Version die ich je hörte. “Blowin‘ in the wind” featured dann Joan Baez. Ihre saubere klare Stimme lässt Dylans Gesang noch zerbrochener erscheinen. Etwas formelhafte Version. Aber gut gesungen (von beiden). Es folgt “Mama, you been on my mind”. Der Song, der sich anhört wie ‚Don’t think twice‘. Ich mag beide. Und den hier liebe ich sogar. Der Refrain ist so nah und, äh, ehrlich. Die Version hier ist etwas schneller. Country und so. Sogar Joan Baez ist hier grossartig. Wie auch bei “I shall be released”. Keine Ahnung, ob dieser Song den Weltfrieden bringen kann. Aber warum nicht. Die schönste Version, die ich kenne. Meinetwegen ist das alberner Idealistenscheiss. Aber er ist toll. Wieder eindrucksvolle Verzögerungen im Refrain. Durchatmen. Die erste CD hat keinen Aussetzer. Nicht mal nen Hänger. Die Tracks sind sehr gut augewählt. Kompliment.
Die zweite CD startet mit “It’s all over now, Baby Blue” in einer sehr ruhigen Version von Dylan solo. Sehr warme und nahe Stimme. “Love minus zero/no limit” bietet die gleiche Stimmfärbung wie zuvor. Klingt irgendwie heiser, scheint aber wirklich direkt in dein Ohr zu singen. Grossartige Version eines wunderschönen Liedes. Muss ja sagen, dass mir “Tangled pu in blue” gar nicht so gefällt. Die Studioversion swingt aber allgemein fehlt mir die Spannung im Song. “The water is wide” ist dann wider ein schönes Duett mit Baez. Mit “It takes a lot to laugh, it takes a train to cry” folgt das einzige Lied von Highway 61. Gespielt als Blues Shuffle. Grandiose Vocals mal wieder. Energiereiche und spassige Version. Tolle Soli. “Oh sister” ist dann wieder von Desire. Und viel besser als die Studioversion. Gänsehaut und all das. Besonders die Bridge. Wunderbar traurige Stimmung. Nicht schlecht für einen Protestsong… Wo wir gerade bei Protestsongs sind: “Hurricane” erklingt nun in einer wegblasenden Version. Hier stimmt alles. Was soll man da noch sagen? Bleibt einer der 10 besten Tracks vom Meister. „We love you Bobby“ ruft ein Zuschauer/Zuhörer am Anfang des nächsten Tracks. Man möchte zustimmen und denkt dabei an andere Zwischenrufe von früher. Die folgende Version von “One more cup of coffee” ist wieder sehr sehr eindringlich. Dylans Stimme ist allerdings ziemlich im, äh, Eimer. Klingt aber irgendwie, äh, geil.
“Bobby” singt dann mit “Sara” eine Ode an seine Ex-Frau. Keine Ahnung, ob er sie zurückhaben wollte aber mit diesem Lied hatte er sicherlich gute Chancen. Erwähnte ich schon den eindringlichen Gesang? Herzerweichend. Der nachfolgende ‘Versuch’ von “Just like a woman” bietet vor allem einen wunderbaren (leicht veränderten) Refrain. Schöne Gitarrenlinie auch. Die Bridge ist mal wieder unglaublich. Errinnert mich an die Budokanversion. Nur etwas langsamer und (natürlich) besser. Die CD endet mit “Knockin‘ on heaven’s door” in einer unglaublichen Version. Guns ’n‘ Roses sind ja zu recht nach ihrem Verbrechen an diesem Lied verstorben. Der Track hier ist atemraubend. Besonders gelungen: Der Instrumentalteil vor dem letzten Refrain. Wunderschön.
Noch was?
Nein. Ist aber schon traurig, dass die zwei besten Veröffentlichungen diesen Jahres aus älterem Material bestehen. Neben diesem wundervollen Album muss unbedingt die Deluxe Edition von “A love supreme” genannt werden, die ich nun sicherlich zu meinen 10 liebsten Alben zähle. Live 1975 schafft das nicht ganz. Noch nicht. Und: Paul Simon hat keine Ahnung.

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