Re: alt. country oder wie man es auch nennen mag …

#592015  | PERMALINK

anne-pohl

Registriert seit: 12.07.2002

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Hi Urban,
ich hab mal aufgeschrieben, wie ich zu der Musik kam. Ist sicher nicht ganz untypisch für die ganze Entwicklung.

Bei mir fing’s 1987 an. Ich war 26 und hatte einen ziemlich… ääähhh… komischen Musikgeschmack: Ich ging zu Konzerten von Depeche Mode und Henry Rollins, hörte George Clinton und Parliament genauso gern wie Hüsker Dü oder die Dead Kennedys, dazu noch Neil Young, Little Feat und Lynyrd Skynyrd. Hauptsache amerikanisch.
Und dann erschien „Trio“ von Emmylou Harris, Dolly Parton und Linda Ronstadt – das war mein erstes Erweckungserlebnis. Emmylou Harris kannte ich: Das war doch die mit der zittrigen Stimme. Dolly Parton: die blonde Countrysängerin mit den großen Ohren. Linda Ronstadt: die „Rockröhre“ (so wurde sie in den Medien immer tituliert). Ohne sie zu kennen, fand ich alle drei scheiße und musikalisch völlig unkorrekt.
Naja, ein Freund hatte das Album bekommen, ich hab’s einmal gehört und ihm sofort weggenommen – er hat es erst zwei Jahre später wiederbekommen. Das war meine erste bewußte Begegnung mit a) Countrymusik und B) tollen Frauenstimmen.
Ich hab dann trotzdem weiter andere Musik gehört, hab aber irgendwie gleichzeitig Sehnsucht gehabt nach Musik, die mir richtig gut gefällt. Hab Melissa Etheridge probiert und die Indigo Girls u.a. (Tori Amos… uaaahhh), aber das war’s irgendwie nicht. Und an richtigen Country hab‘ ich mich damals nicht rangetraut. Es wäre mir echt peinlich gewesen, mit einer Platte von Dolly Parton erwischt zu werden, und von Hank Williams hatte ich zwar schon mal was gehört, aber der war ja genauso tot wie Elvis Presley.
Mein zweites Erweckungserlebnis hatte ich 1990/91, als mir ein anderer Freund „Happy Woman Blues“ von Lucinda Williams schenkte. Das war meine Musik – endlich… Diese Stimme! Diese Songs! Ich habe dann zunächst in den Plattenläden einfach geguckt, was noch im gleichen Fach wie Lucinda Williams stand. Das waren zum Beispiel Freakwater, Mary Chapin Carpenter oder Iris DeMent. Auch gut. Und auch Cajun- und Zydeco-Scheiben. Bitte sehr, warum nicht? Und dann immer auf die Cover geguckt: Wer hat das produziert? Wer spielt da mit? Wer hat die Stücke geschrieben? Und diese Musik auch besorgt. So lernte ich endlich Hank Williams, Johnny Cash und Merle Haggard besser kennen. Und mein Freund hat mich mit Gram Parsons, John Hiatt, Nick Lowe and the likes bekanntgemacht. Das paßte ganz gut.
Na, und dann kam 1994 Johnny Cashs „American Recordings“. Von da an gab’s plötzlich viele Leute, mit denen ich über „solche“ Musik reden konnte und die die auch schon längst gut fanden – und so hab ich durch Tips von Freunden dann endlich auch Uncle Tupelo, Son Volt, Wilco, Whiskeytown, die Jayhawks, Townes, Lyle Lovett u.a entdeckt. Und viele tolle Konzerte gesehen. Die „American Recordings“ war auch der Anlaß für meine bewußte Entscheidung, mich zukünftig auf Country, alt.country, Folk und Artverwandtes zu konzentrieren. Da gibt’s sooo viel zu entdecken, damit bin ich sicher noch lange beschäftigt.
Ich höre natürlich auch gern andere Musik, aber das ist nie was Ernsthaftes, das sind höchstens Seitensprünge. :lol: Und ich habe eine sehr große Abneigung gegen Nashville- und Mainstream-Country, obwohl oder weil ich einige Mißkäufe im Regal stehen habe. Garth Brooks ist verlogene Mistscheiße.

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