Re: Stoiber: Killerspiele animieren zum Töten

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mikko
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Aus der Berliner Zeitung von heute, 23.11.06

Killerinstinkte
Wie gefährlich sind Computerspiele? Ein Selbstversuch

VON HARALD JÄHNER

Man lernt viel über den Menschen, wenn man ein Kind beim Spielen beobachtet. Da errichtet so ein süßer Bub liebevoll Legohäuser, stellt Legomännchen zu kommunikativen Gruppen zusammen. Eine ganze heimelige Straße wird nachgebaut. Der Junge nimmt ein Auto in die Hand und fährt hinab in seine kleine Welt. Mit verzerrtem Gesicht formt er Gewehrgeräusche nach und walzt mit seinem Auto alles nieder, was er zu fassen kriegt. Kein Passant bleibt ungemetzelt; wieder und wieder rast das Auto in die zuvor geschaffenen Werte, reißt die Wände ein, zerstört die Dächer.

Jegliches hat seine Zeit, die Identifikation mit Gott und die mit dem Teufel, das Weltenbauen und das -zerstören.

Nun sage einer von uns Gerechten, so war er als Kind weiß Gott nicht; nur Konstruktives entströmte seinem holden Wesen. Die Software-Industrie hat die spielerischen Urszenen der Aggression maschinisiert. Wer einmal versuchshalber sich auf Ballerspiele wie „Counterstrike“ oder „Alien vs. Predator“ einlässt, wird die Erfahrung machen, wie rasch sich der zivilisierte Vernunftmensch in eine reflexgesteuerte Killermaschine verwandelt. Im Spiel.

Beim Ego-Shooter schaut man in ein unheilschwangeres Ambiente mit den Augen eines Kämpfers. Wenn man nach unten blickt, sieht man seine Hände, seine Waffen. Das Ballerspiel funktioniert wie ein begehbarer Action-Film. In der Ich-Perspektive begibt man sich selbst auf das Kampffeld, versetzt sich in aller Verletzbarkeit in den Krieg. Die Grundsituation ist Angst.

Permanent wird man angegriffen. Innerhalb von Sekunden fährt das Computerspiel die Zutaten eines perfekten Horrorfilms auf. Die düsteren Spielräume sind fallenreich und beklemmend, die Gegner melden sich zunächst nur durch ein unheimliches Zischeln, sofern es sich um Bestien und Aliens handelt. Oder man hört Flüstern, heiser gebellte Kommandos. Dann taucht der Feind leibhaftig auf, das Mündungsfeuer blitzt, die Monsterzunge langt nach einem. Und schon ist man tot. Wenn man nicht ballert und trifft.

Über den archaischen Selbsterhaltungsdrang funktioniert die Identifikation mit dem Kämpfer, aus dessen Augen man per Tastendruck in alle Richtungen blicken kann – ein 360-Grad-Blickfeld, das den Identitätentausch visuell geradezu erzwingt. Archaisch auch die verrinnende Zeit: Ein abnehmender Balken verbildlicht die schwindenden Kräfte. Es ist erstaunlich, wie sehr man sich dabei gruseln kann, wie rasch man in Panik gerät. Computerspielen heißt, sich größtem Stress auszuliefern.

Beim Spielen befindet man sich im Ausnahmezustand. Die Reiz-Reaktionssysteme sind zum Zerreißen gespannt. Das Herz rast, der Atem stockt. Schweiß bricht aus. Schon kognitiv wird man so beansprucht, dass es bei labilen Konstitutionen zu epileptischen Anfällen kommen kann, wovor auf jeder Packung gewarnt wird. Man sitzt gekrümmt vor Anspannung an der Tastatur, die Augen zusammengekniffen, dann vor Schreck geweitet, vermutlich wie bei einem Soldaten im Kampf. Das Ende ist unausweichlich: Die Überforderung ist Ziel und Endpunkt des Spiels; die Anforderungen an Geschick und Reaktionsschnelligkeit steigen, bis man sich nicht mehr gegen die Angriffe wehren kann und seinen eigenen Tod erlebt. Das erlöst natürlich und stumpft ab, beides gleichzeitig.

Manch ausgestiegener Dauerspieler muss drauf sein wie ein Kriegsveteran. Für andere ist das Spiel schließlich nur noch Reaktionsakrobatik und Technik: Das Gemetzel wird zur Benutzeroberfläche für ihre Tastenvirtuosität.

Wer diesen Selbstversuch als Neuling macht, wird erschrocken darüber sein, wie der friedliche Bürger, für den man sich bisher gehalten hat, sich selbst bejubelt, wenn ein Gegner mit glattem Kopfschuss hingestreckt ist. Aber ganz neu ist dieses Erschrecken nicht. Es stellte sich auch früher schon ein, wenn man beobachtete, mit welchem Hass manche Leute die Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Figuren ihrer Liebsten vom Brett fegten.

Das berühmt-berüchtigtste Ballerspiel, „Counterstrike“, soll nun nach dem Willen von CDU-Politikern verboten werden, weil es das Lieblingsspiel des Amokläufers von Emsdetten, Sebastian B., war. Bei „Counterstrike“ handelt es sich aber um ein Mannschaftsspiel, in dem sich Terroristen und eine Anti-Terroreinheit das Leben zur Hölle machen. Es ist die Hightech-Variante der uralten Konstellation „Räuber und Gendarm“. Wie man aus dieser Kampfstellung zweier Teams eine ursächliche Beziehung zu einem Amoklauf ableiten will, ohne die besondere Lebenssituation des Täters zu berücksichtigen, ist rätselhaft.

Strukturelle Ähnlichkeiten mit einem Amoklauf weisen viel eher Harmlosigkeiten wie das Moorhuhnspiel auf. Bei diesem kinderfreien PC-Familienspiel wird zur allgemeinen Gaudi mit der Flinte jedes arme Huhn Mores gelehrt, das sich aus dem Stall traut. Ganze Bürogemeinschaften waren nach dem Erscheinen vor fünf Jahren für Wochen lahmgelegt, weil sie nur noch Hühner ins Jenseits beförderten. Das suchterzeugende Spiel – eine Erfindung der Whiskey-Marke „Johnny Walker“, die mit der kostenlosen Shareware dem Konkurrenzschnaps „The Famous Grouse“ (Das berühmte Moorhuhn) eins auswischen wollte – gibt es längst als offen üble, rassistische Variante.

Vom Spaß der guten Bürger bis zum rohen Ulk ist es nur ein kleiner Schritt. Von den düsteren, paranoiden Welten der Egoshooter bis zum Amoklauf ist es ein großer. Es muss eine Menge psychischer Desaster hinzukommen, um aus einem Spieler einen Mörder zu machen. Diese enorme Spanne kleinzureden, läuft auf ein Menschenbild hinaus, das noch viel gruseliger ist als „Counterstrike“.

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