Re: Mikkos LP Faves

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mikko
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Ismo Alanko – Kun Suomi Putos Puusta
(LP/CD, Seal On Velvet, 1990)

Es ist vermutlich fast unmöglich, die Bedeutung und Eindringlichkeit dieser Platte jemandem klar zu machen, der weder Finnisch versteht noch mit Finnland allgemein etwas vertrauter ist. Versuchen will ich es trotzdem. Ismo Alanko macht seit seinem 14. Lebensjahr Musik. Er stammt aus Kuopio in Ostfinnland. Seine erste Band war Hassisen Kone. 1978 gegründet und schnell vom Punk zu einer der besten New Wave Bands in Finnland geworden, löste Alanko die Band 1982 bereits wieder auf. In den 80er Jahren war er mit Sielun Veljet unterwegs, die von Industrial Rock über Funk Crossover bis zu Zappa affiner Psychedelia alles ausprobierten inklusive eher missglückter Ausflüge zu Klezmer und anderer jiddischer Musik. Das hier ist also Alankos erstes Solo Album, das zudem in einer Zeit großer politischer und gesellschaftlicher Umbrüche entstand. Um es kurz zu machen, es ist seine Reaktion auf diese Veränderungen, seine Beschreibung der Wende in Finnland. Denn Finnland war sehr stark betroffen von der Wende in Europa. Die sicheren wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion brachen über Nacht weg. Ganze Industriezweige brachen fast völlig zusammen. Tausende wurden in der Folge arbeitslos. Finnland musste sich – zum Teil wenigstens – vollkommen neu orientieren. Davon erzählen die Songs dieser Platte auf eine sehr poetische und zum Teil skurrile Weise. Zugleich ist es wohl auch eine Art persönliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Ismo Alankos Geschichte in erster Linie, aber auch die seiner Heimat. Kun Suomi Putos Puusta, als Finnland vom Baum fiel, so heißt das Album und auch der Titelsong, der sehr schön beschreibt, wie die Finnen mit der so unerwartet und plötzlich über sie kommenden Veränderung umgehen und wie sie – nicht fatalistisch – aber doch letztlich unaufgeregt ihr Schicksal annehmen und meistern. Musikalisch ist die Platte sehr abwechslungsreich. Während der Titeltrack eine leicht verschrobene Ballade zwischen altem Folksong und avantgardistischem Chanson ist, gibt es auch Polka, die in Finnland Humppa heißt, wie wir spätestens seit der Gruppe Eläkeläiset wissen. Es gibt Klangcollagen, die in Alankos Industrialzeit verweisen. Es gibt weitere Balladen, die zumindest oberflächlich betrachtet eine Nähe zum Gothic Rock à la The Cure vermuten lassen. Natürlich sind die Texte zum Verständnis des Ganzen eigentlich unverzichtbar. Aber erstens ist Alankos Stimme unvergleichlich beeindruckend in ihrem Ausdruck und zweitens vermittelt natürlich auch schon die Musik ein Gefühl, das zwischen Verdruss und Zweifel auf der einen sowie Hoffnung und Begeisterung auf der anderen Seite alle Facetten durchläuft. Einer der eindringlichsten Tracks ist Hetki Hautausmaalla (ein Moment auf dem Friedhof), den Alanko bereits 1978 am Grab eines verstorbenen Freundes live aufnahm. Nur seine sonore Stimme im schamanischen Singsang, im Hintergrund Donnergrollen eines nahenden Gewitters. Das Stück Meidän Isä (unser Vater) nimmt musikalisch einiges an zeitgenössischem Gothic Rock solcher Bands wie HIM vorweg. Und natürlich ist es viel überzeugender als jene später je waren. Eine altmodische fast traditionelle Humppa Melodie auf traditionellen Instrumenten gespielt beschließt dieses ungewöhnliche und großartige Album. Es wurde in Finnland mit Preisen ausgezeichnet und verkaufte sich ca. 30.000 mal (das entspräche einer halben Million in Deutschland). *****

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