Re: Birdseys Rezensionen

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dominick-birdsey
Birdcore

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Sven Regeners neuer Roman –
„Wie bei Luis Trenker im Rucksack“

Weil er vergessen hat zu verweigern, ist Frank Lehmann bei der Bundeswehr gelandet. Und genauso ungeplant steht er plötzlich inmitten des Berliner Mauerfalls. Eine Konstante, die sich durch Lehmanns Leben zieht: Plötzlich ist er unfreiwillig mittendrin. Dass zwischen den beiden Ereignissen noch die Erzählung fehlt, wie es Herrn Lehmann nach Berlin verschlagen hat und wie er sich dort einlebt, ist der Veröffentlichungspolitik seines Autors Sven Regener geschuldet. „Der kleine Bruder“ ist der Mittelteil der nun vollständigen Trilogie um „Neue Vahr Süd“ und „Herr Lehmann“.

November 1980: Nachdem Lehmann seine Entlassung vom Wehrdienst erwirkt hat, fährt er mit seinem Punk-Freund Wolli über die Transit-Strecke nach West-Berlin, um seinen Bruder zu besuchen. Den findet er zwar nicht vor, dafür aber dessen Wohngemeinschaft: Ein skurriles Sammelsurium an Typen, die umziehen müssen, weil ihr Vermieter Eigenbedarf angemeldet hat. Zwischen Kunstszene, Kneipengesprächen und Kreuzberger Lokalkolorit entwickelt sich die komische Suche nach Lehmanns älterem Bruder Manni, den in Kreuzberg alle Freddie nennen. Und ebenso unfreiwillig findet sich Frank Lehmann plötzlich arbeitend in der Kreuzberger Kneipe (deren Name er ständig vergisst) namens „Einfall“ wieder, hinter deren Tresen es aussieht „wie bei Luis Trenker im Rucksack“.

Auf knapp 300 Seiten widmet sich der Sänger und Schriftsteller Sven Regener einer Erzählzeit von zweieinhalb Tagen. „Der kleine Bruder“ bietet all das, was Regeners Romane auszeichnet: Eine Handlung, die in wenigen Sätzen zusammenzufassen ist und amüsante Dialoge, die auf der Stelle treten und die Erzählung überhaupt nicht vorantreiben. Regners Schreibstil ist eine Mischung aus Thomas Bernhard und Frank Schulz. „Kaum hat man eine Meinung, schon ist man in die Falle gegangen“, denkt Frank Lehmann und greift damit ein typisches Motiv des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard auf.

Auch wenn der dritte Teil der Trilogie der schwächste ist, ist Regeners Roman dank der Dialoge, der wunderbar komischen Einfälle („Hausbesetzungssimulation“) und Namensgebungen („ArschArt“, „H.R. Ledigt und E.D.K. Markt“), sowohl literarisch ansprechend als auch unterhaltend. Wohl nur dem zeitgenössischen hamburger Schriftsteller Frank Schulz gelingen die Kneipengespräche noch pointierter und authentischer.

(Nachzulesen auch hier und dpa-Interview auch noch unten dran)

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