Re: Gustav Mahler

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Ja, dass nicht alle Sinfonien zu jeder Zeit gleich, und manche vielleicht nie, eingehen, kann ich nachvollziehen. Bei mir sind das eher die Wunderhorn-Sinfonien – da glaube ich zwar zu verstehen, welchen Weg er nimmt, aber es ist nicht der Weg, der mich wirklich interessiert, bisher jedenfalls nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich die darauf folgenden Sinfonien aggressiver finden soll – ich würde da eher so etwas wie »zugespitzter« und – im schlichten, nicht moralischen Sinn – »reiner« sagen. Das Romantische, wie satiee es nennt, der früheren Sinfonien – die erste würde ich da ausnehmen – kommt mir im Augenblick noch allzu sehr wie das »wilde Dreinfahren« (das Mahler, zugegeben, ja auch intendiert) vor. Und ich finde es richtig, dass in VI aus den anfänglich geplanten drei Hammerschlägen dann zwei wurden. Diese Reduktion scheint mir weit aussagekräftiger zu sein als das Beharren auf der ominösen Dreizahl. Das Plakative droht ja leider überall, wo Pathos, gerne auch der Distanz, gemeint sein soll.

Will auch nicht unnötig auf meinen Zweifeln gegenüber manchen schriftlichen Äußerungen zu Mahlers Musik beharren, drum das Folgende nur als Nuance: Ich kann die Äußerung Bergs schon schätzen, frage mich aber doch, über welche Voraussetzungen, die Schreiber und Leser da machen, man von vornherein »einig in der Sache« ist? Andererseits stimmt es auch, dass es sinnlos ist, jemandem, dem die Musik Mahlers nichts sagt, die »Erklärung« Bergs auf den Teller zu legen. Mir persönlich sagt sie inzwischen nicht mehr soooo viel. Ad Ratz: Er mag als Mahler-Gesellschafts-Präsident Verdienste, wie man so sagt, gehabt haben, und auch sonst: aber dieser typische 60er Jahre-Stil behagt mir nicht. Naturgemäß? Das Wort hat Thomas Bernhard, genau da ansetzend, zu Recht erledigt, wenn nicht gar erlegt (gut, er hat es ein bisschen übertrieben mit der Jagdlust). Aber das nur nebenbei.

Verwirrender kann ja wirklich sein, dass Mahler sich als »Metaphysiker« bezeichnet hat. Das Wort hat Gewicht (bitte ironisch zu verstehen). Aber was sollte er auch sonst sagen? Der Mann hat noch mit 50 Eduard Hartmann (einen Tertiärphilosophen der Zeit) mit Freude gelesen. Warum, andererseits, auch nicht – sein Artikulationsfeld war ein anderes, es gibt haufenweise Belege dafür, dass ein Künstler sich alles Mögliche zusammensucht, um daraus etwas ganz, ganz anderes zu machen. – Mit dem dramatischen Hinweis, dass kurz nach Mahlers Tod der Erste Weltkrieg ausbrach, kann ich dann aber tatsächlich wenig anfangen. Wie mit allen solchen anachronistischen Parallelen, das geht mir z. B. auch so mit der Behauptung, Kafka hätte mit der »Strafkolonie«, na ja, was wohl, vorweggenommen.

Aber noch etwas anderes: Ihr erwähnt so oft Schostakowitsch – wer gehört denn noch zu den Sinfonikern des 20. Jahrhunderts? Würdest Du, katharsis, auch Rachmaninov nennen – oder ist das eine für Dich uninteressante Frage? Ich selbst habe da weniger Kenntnis, da mich – außer bei Mahler, und dann auch wegen Mahler – eher die kleineren Formen interessieren. Mir fällt Karl Amadeus Hartmann ein, dessen erste Sinfonie einen für den von satiee stark gemachten Kontext recht programmatischen Titel hat: »Versuch eines Requiems«, gefolgt von Nr. II, einem großen Adagio mit Bariton-Sax. – Oder Allan Pettersson? Und was meint Ihr zu den Sinfonien – ich kenne nur ihre Kammermusik – von Galina Ustwolskaja, der Schostakowitsch-Schülerin?

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