Nick Cave, 10.11.2006 Stuttgart

Startseite Foren Das Konzert-Forum: Wann, wer und wie Und so war es dann Nick Cave, 10.11.2006 Stuttgart

Ansicht von 5 Beiträgen - 1 bis 5 (von insgesamt 5)
  • Autor
    Beiträge
  • #39099  | PERMALINK

    frankie-lee

    Registriert seit: 27.04.2006

    Beiträge: 574

    Nick Cave, 10.11.2006 Stuttgart, Liederhalle, Hegel-Saal

    Seit über 10 Jahren begleitet mich seine Musik in vielen Lebenslagen und gibt mir Kraft. Ohne “The Boatman’s Call” würde ich vermutlich keinen Winter überstehen. Nach über 10 Jahren war ich am Freitag bei meinem ersten Nick Cave Konzert, ein rundum perfekter Abend! Der wunderschöne Hegel-Saal in der Liederhalle bot den perfekten Rahmen für eine wirklich intime Show, bestuhlt hätte es wegen mir nicht sein müssen, aber aus der fünften Reihe hatte ich doch eine ziemlich gute Sicht auf die Bühne.
    Da ich die etwas ruhigeren Nick Cave Songs eigentlich immer lieber mochte als die “experimentellen Soundkollagen” seiner Frühphase, dachte ich, ich wäre bei einem “Solo-Konzert” ohne die Bad Seeds genau richtig aufgehoben. Allerdings war es dann doch nicht so ruhig wie ich erwartet hatte und komischerweise waren es sogar eher die schnelleren, manchmal fast schon bedrohlichen Momente, in denen Nick stehend auf sein Piano einhämmerte und Warren Ellis seine Violine vergewaltigte, die mich beeindruckt haben. Trotz den fehlenden Gospelsängerinnen war “Hiding All Away” für mich so ein Highlight.
    Aber hauptsächlich gab es natürlich ruhigere Songs. Stellenweise war die Darbietung so intim und ergreifend, dass ich Tränen in den Augen hatte. “God Is In The House” und “People Ain’t No Good” waren, trotz seiner zum Teil etwas heißeren Stimme, solche Stücke. Über “Sad Waters” habe ich mich besonders gefreut. Ein weiteres Highlight war für mich “The Lyre Of Orpheus” mit “Oh Mama”- Publikums-Chor! Herrlich!
    Was die Konzerte mit Warren Ellis, Martyn P. Casey (Bass) und Jim Sclavunos (Drums) im Vergleich zu denen mit den Bad Seeds zu etwas besonderen macht, ist die Neuinterpretierung der Songs, einige Stücke wurden komplett neu arrangiert. In den meisten Fällen war diese Veränderung sehr ansprechend wie beim Opener “West Country Girl” oder bei “Henry Lee“, die beide zu eher rockigen Songs mutierten. Den „Weeping Song“ (for my friend Blixa Bargeld!) hätte mir allerdings in der Original Bad Seeds Version besser gefallen.
    Manchmal hatte ich das Gefühl, das diese kleine Band mehr als die Bad Seeds in der Lage ist das komplette Potential eines Songs auszuschöpfen. “Mercy Seat” und “Cannibal Hymn”, zum Beispiel, entfalten sich mit eher spärlicher Instrumentierung zu neuer Größe.
    Noch ein paar Worte zum Publikum, das zwar während des Hauptteils brav auf den Stühlen sitzen blieb, aber während der ziemlich langen Pause zum ersten Zugabenblock Standing Ovations gab. Als die Band dann endlich wieder die Bühne betrat war der Beifall ohrenbetäubend. Die Sitzplatzordnung ist, wie erhofft, zu den Zugaben komplett zusammengebrochen, so dass ich doch noch direkt an die Bühne konnte und direkt zu Nicks Füßen stand …und was soll ich sagen… er sieht wirklich gut aus, soweit ich das als Hetero-Mann beurteilen kann. Der Bart steht im wirklich gut, außerdem ist er vermutlich der am besten gekleidete Musiker ever, sehr coole Schuhe! Irgendwie komplett Italo- Gangster-mäßig! Natürlich hat er auch das verordnete Rauchverbot ignoriert!
    Leider gab es nach den ersten Songs einen sehr wüsten Zwischenruf von einem Zuschauer der oberen Empore, der offenbar ein anderes Konzert erwartet hatte. Seiner Meinung nach würden Nick’s Musiker klingen wie eine Schülerband. Leider wurde der Zwischenfall weder von Nick noch von der Band kommentiert, aber ich bilde mir ein, dass die folgenden Songs noch kraftvoller waren… auch eine Art Antwort! Natürlich besteht die Band, ohne Gitarre, nicht aus der klassischen Rock n’ Roll Besetzung, aber durch Warren Ellis Violinenspiel wurde die Musik zu einer Einheit und definitiv zu etwas Besonderen.
    Schön eine Strophe, wie die über seinen Sohn bei “Right Now, I’m Roaming” von jemandem wie Nick Cave zu hören. Er ist scheinbar wirklich an einem Punkt im Leben angekommen, an dem er glücklich ist. Während des ganzen Abends war er freundlich, regierte auf Zwischenrufe vom Publikum, schüttelte Hände und schrieb sogar Autogramme …echt schön! Ich überlege mir ernsthaft, ob ich nächsten Freitag noch nach Zürich fahren soll!
    Liebe Grüße an guenterdudda, ich freue mich auf Deine Fotos! Leider haben wir irgendwie immer weniger Zeit miteinander zu reden wenn wir uns mal zufällig über den Weg laufen aber ich wollte mich noch unbedingt von meiner sehr netten Nebensitzerin verabschieden. Aber wir sehen und bestimmt nächstes Frühjahr zu Bob Dylan.

    --

    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #5384705  | PERMALINK

    e-l

    Registriert seit: 25.05.2004

    Beiträge: 10,249

    Danke für die Grüße und natürlich sehen wir uns wieder. :bis_bald:
    Schöner Bericht. Ich dachte, er hatte Schwierigkeiten die mehreren Zwischenrufe akustisch zu verstehen und so fragte er: What? Es war auch mein erstes Konzert und ich war nach der ganzen Aktion glücklich den Antritt meiner Besuchsreise auf nach dem Konzert zu verlegen. Der Server auf dem ich bisher die Bilder uploaden durfte, funktioniert nicht mehr, aber es gibt ja andere Möglichkeiten. Bin in Reihe drei gesessen und stand zur Zugabe ebenfalls ganz vorne. Wunderbare Performance, besser als erwartet. Neben seiner ausdrucksstarken Stimme beeindruckte mich auch Warren Ellis an Violine und Gitarre; auch Nick spielte Gitarre. Deanna (Oh Happy Day) war eins der vielen Highlights für mich. Bin auf den Mitschnitt gespannt.

    --

    Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.
    #5384707  | PERMALINK

    frankie-lee

    Registriert seit: 27.04.2006

    Beiträge: 574

    guenterduddaBin auf den Mitschnitt gespannt.

    Hast Du selbst mitgeschnitten?

    --

    #5384709  | PERMALINK

    masureneagle

    Registriert seit: 05.11.2004

    Beiträge: 1,562

    Nick CAVE – Solo performances
    10. November 2006 Stuttgart KKL Liederhalle Hegelsaal

    Warren ELLIS – g, mand
    Jim SCLAVUNOS – dr
    Martyn P. CASEY – b

    Beginn: 20:17 Uhr

    Setlist

    1. West Country Girl
    2. Let the bells ring
    3. Red right hand
    4. Ship song
    5. Deanna
    6. Baby, you turn me on
    7. The Weeping song
    8. Cannibal`s hymn
    9. Rock of Gibraltar
    10. Tupelo
    11. Messiah Word
    12. Henry Lee
    13. The mercy seat
    14. Hiding all away (fading in)
    15. God is in the house
    16. People ain`t no good

    Zugaben

    17. Right out of your hand
    18. The lyre of Orpheus
    19. Love letter
    20. Sad waters
    21. Nobody`s baby now
    22. Jack the ripper
    23. Lime tree arbour
    24. Right now I am aroaming

    Ende: 22:37 Uhr

    --

    #5384711  | PERMALINK

    masureneagle

    Registriert seit: 05.11.2004

    Beiträge: 1,562

    Musik, die vor Spannung schier zerbirst: Nick Cave begeistert im Hegelsaal
    Furor und wilde Rosen

    KULTURMAGAZIN
    Stuttgarter Nachrichten 13. November 2006

    Mit Jubelschreien wurde Nick Cave am Freitagabend im Hegelsaal empfangen – gebührende Begrüßung für die charismatische Bühnenfigur, den Fürst der Finsternis, der folglich auch Dämmerlicht auf der Bühne schätzte. Die ausgezeichnete Performance des herausragenden Songschreibers und Sängers begeisterte die Fans. Foto: Jörg Becker

    Mit stoischem Gleichmut hämmert der Drummer auf die Trommelfelle. Er entfacht einen höllischen Lärm. Die Lichtregie inszeniert dazu auf dem blutroten Bühnenvorhang ein loderndes Feuer. Ein bärtiger Wahnsinnsgeiger arbeitet mit Rückkopplungen, bis man die Zahnplomben spürt. Der E-Bass unterdessen dröhnt abgrundtief. Die Show kann beginnen.

    VON THOMAS STAIBER

    Ein schmächtiger Mann in Schwarz mit weit geöffnetem weißem Hemd betritt die Bühne. Spitze Jubelschreie der zahlreichen Fans im Stuttgarter Hegelsaal übertönen am Freitag das Rock-Gewitter der Bad Seeds: die gebührende Begrüßung für Nick Cave, den aufregenden Songschreiber, die charismatische Bühnenfigur, den Fürst der Finsternis. Mit der lässigen Attitüde eines Weltstars nimmt er den Applaus entgegen.

    Als „Nick Cave Solo Performance“ wurde das Programm verkauft, obwohl der 49-jährige Australier im Quartett auftritt. Es ist seine Show, er ist der Zeremonienmeister. Der Mann am Klavier (und manchmal an der E-Gitarre) bestimmt den Takt. Mit sonorer Baritonstimme, die auch einem angriffslustigeren Leonard Cohen gehören könnte, singt er das Lied vom „West Country Girl“. Schon bei langsamen Nummern ist der Tonfall dunkel, die Stimmung unterschwellig bedrohlich. Als der beschworene Geist aus „Red Right Hand“ erscheint, bricht jedoch ein krachender Musikdonner los. Cave springt vom Klavierstuhl auf, bearbeitet den Flügel mit Ellbogen und Fäusten, schreit mit verzerrten Gesichtszügen zu den Clusters ins Mikrofon, während Drummer Jim Sclavunos ihn nach Leibeskräften unterstützt. Da will man der ruhigen Stimmung des süßen „Ship Song“ kaum trauen, man ahnt: Es ist die Stille vor dem Sturm.

    Doch auch Dämonen scheinen sich zu besänftigen. Der nächste Song „Deanna“ kommt wie eine harmlose Rock’n’Roll-Ballade aus den 50er Jahren daher – allerdings zusehends auseinander genommen von einem Rudel zorniger Punks. Als Nick Cave erzählt, dass er das erotisch knisternde „You Turn Me On“ für seine Frau geschrieben hat (noch bevor sie ihm Zwillinge schenkte), geben einige weibliche Fans hörbar Laute des Bedauerns von sich. Cave quittiert das mit gespielter Verlegenheit und zündet sich eine Zigarette an. Seiner Stimme ist anzuhören, dass es nicht seine Erste ist. Mancher Cognac ist durch diese Kehle geflossen, Heroin durch die Venen geschossen: lauter Zerreißproben für den gottesfürchtigen, streng anglikanisch erzogenen Mann. Nicht Triebverzicht, den einst Sigmund Freud als für die Produktion von Kultur verantwortlich machte, sondern Caves Zerrissenheit zwischen unstillbarem Verlangen nach schnellem Glück und heftigsten Selbstvorwürfen, Süchte und Sehnsüchte sind die Quellen, aus denen sich diese dunkle künstlerische Energie speist. Das verbindet ihn mit Rimbaud, Dylan Thomas und Dostojewski.

    Kein Wunder, dass Caves Musik vor Spannung schier zerbirst, dass sie finster ist und aggressiv, eben dadurch wirkt sie so glaubhaft. Doch unter dem Furor des Wanderpredigers Cave, der sich die Seele aus dem Leib brüllt, blühen auch wilde Rosen.

    Gewalt und Zärtlichkeit prägen die Songs. Einen der stärksten widmet Nick Cave einem Freund, der vor wenigen Jahren die Band verlassen hat, damit er sich ganz um den Einsturz von Neubauten kümmern kann: Der „Weeping Song“ ist für Blixa Bargeld, der bei den Bad Seeds eine kratzige Blues- und Krachgitarre gespielt hatte. Auch ohne ihn schleudert Nick Cave seine Sätze weiter wie Fackeln in düstere Klangräume, sendet Unterweltbotschaften von Orpheus, aber er entzückt auch immer wieder mit dem zärtlichen Schmelz seiner Liebeslieder die aufgewühlten Herzen der Fans.

    --

Ansicht von 5 Beiträgen - 1 bis 5 (von insgesamt 5)

Schlagwörter: ,

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.