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Musik, die vor Spannung schier zerbirst: Nick Cave begeistert im Hegelsaal
Furor und wilde Rosen
KULTURMAGAZIN
Stuttgarter Nachrichten 13. November 2006
Mit Jubelschreien wurde Nick Cave am Freitagabend im Hegelsaal empfangen – gebührende Begrüßung für die charismatische Bühnenfigur, den Fürst der Finsternis, der folglich auch Dämmerlicht auf der Bühne schätzte. Die ausgezeichnete Performance des herausragenden Songschreibers und Sängers begeisterte die Fans. Foto: Jörg Becker
Mit stoischem Gleichmut hämmert der Drummer auf die Trommelfelle. Er entfacht einen höllischen Lärm. Die Lichtregie inszeniert dazu auf dem blutroten Bühnenvorhang ein loderndes Feuer. Ein bärtiger Wahnsinnsgeiger arbeitet mit Rückkopplungen, bis man die Zahnplomben spürt. Der E-Bass unterdessen dröhnt abgrundtief. Die Show kann beginnen.
VON THOMAS STAIBER
Ein schmächtiger Mann in Schwarz mit weit geöffnetem weißem Hemd betritt die Bühne. Spitze Jubelschreie der zahlreichen Fans im Stuttgarter Hegelsaal übertönen am Freitag das Rock-Gewitter der Bad Seeds: die gebührende Begrüßung für Nick Cave, den aufregenden Songschreiber, die charismatische Bühnenfigur, den Fürst der Finsternis. Mit der lässigen Attitüde eines Weltstars nimmt er den Applaus entgegen.
Als „Nick Cave Solo Performance“ wurde das Programm verkauft, obwohl der 49-jährige Australier im Quartett auftritt. Es ist seine Show, er ist der Zeremonienmeister. Der Mann am Klavier (und manchmal an der E-Gitarre) bestimmt den Takt. Mit sonorer Baritonstimme, die auch einem angriffslustigeren Leonard Cohen gehören könnte, singt er das Lied vom „West Country Girl“. Schon bei langsamen Nummern ist der Tonfall dunkel, die Stimmung unterschwellig bedrohlich. Als der beschworene Geist aus „Red Right Hand“ erscheint, bricht jedoch ein krachender Musikdonner los. Cave springt vom Klavierstuhl auf, bearbeitet den Flügel mit Ellbogen und Fäusten, schreit mit verzerrten Gesichtszügen zu den Clusters ins Mikrofon, während Drummer Jim Sclavunos ihn nach Leibeskräften unterstützt. Da will man der ruhigen Stimmung des süßen „Ship Song“ kaum trauen, man ahnt: Es ist die Stille vor dem Sturm.
Doch auch Dämonen scheinen sich zu besänftigen. Der nächste Song „Deanna“ kommt wie eine harmlose Rock’n’Roll-Ballade aus den 50er Jahren daher – allerdings zusehends auseinander genommen von einem Rudel zorniger Punks. Als Nick Cave erzählt, dass er das erotisch knisternde „You Turn Me On“ für seine Frau geschrieben hat (noch bevor sie ihm Zwillinge schenkte), geben einige weibliche Fans hörbar Laute des Bedauerns von sich. Cave quittiert das mit gespielter Verlegenheit und zündet sich eine Zigarette an. Seiner Stimme ist anzuhören, dass es nicht seine Erste ist. Mancher Cognac ist durch diese Kehle geflossen, Heroin durch die Venen geschossen: lauter Zerreißproben für den gottesfürchtigen, streng anglikanisch erzogenen Mann. Nicht Triebverzicht, den einst Sigmund Freud als für die Produktion von Kultur verantwortlich machte, sondern Caves Zerrissenheit zwischen unstillbarem Verlangen nach schnellem Glück und heftigsten Selbstvorwürfen, Süchte und Sehnsüchte sind die Quellen, aus denen sich diese dunkle künstlerische Energie speist. Das verbindet ihn mit Rimbaud, Dylan Thomas und Dostojewski.
Kein Wunder, dass Caves Musik vor Spannung schier zerbirst, dass sie finster ist und aggressiv, eben dadurch wirkt sie so glaubhaft. Doch unter dem Furor des Wanderpredigers Cave, der sich die Seele aus dem Leib brüllt, blühen auch wilde Rosen.
Gewalt und Zärtlichkeit prägen die Songs. Einen der stärksten widmet Nick Cave einem Freund, der vor wenigen Jahren die Band verlassen hat, damit er sich ganz um den Einsturz von Neubauten kümmern kann: Der „Weeping Song“ ist für Blixa Bargeld, der bei den Bad Seeds eine kratzige Blues- und Krachgitarre gespielt hatte. Auch ohne ihn schleudert Nick Cave seine Sätze weiter wie Fackeln in düstere Klangräume, sendet Unterweltbotschaften von Orpheus, aber er entzückt auch immer wieder mit dem zärtlichen Schmelz seiner Liebeslieder die aufgewühlten Herzen der Fans.
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