Re: Dylan Tour 2005

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Es war gestern im Münchener Zenith für heuer mein 3. und insgesamt mein 30. Dylan-Konzert-Live-Erlebnis. Somit für mich, nach Studium vielfältigster Reviews, ein guter Zeitpunkt, auch mal meine eigenen Impressionen preiszugeben.

Es ist schon etwas ganz außergewöhnliches, die Akteure 2 Minuten vor 20.00 Uhr an der Hallenlängsseite hoch über den Fans auf einem Balkonsteg zur Bühne schwadronieren zu sehen, wo sie sich noch knapp 5 Minuten hinten dem Vorhang verschanzen, um dann mit Drifters Escape die Flucht nach vorne anzutreten. Dylans Stimme klingt von Beginn an klar und kräftig und sofort stellt sich der Eindruck ein, er ist wieder bester Laune. Nach meinen Beobachtungen präsentiert sich Dylan auf der Bühne seit 1996 überwiegend locker und gelöst mit einem Lächeln da und einem Lachen dort, aber auch konzentriert und mit z.T. unbändiger Spielfreude, während er die Jahre zuvor entweder zu ernsthaft seriös mit versteinerter Miene oder einfach besoffen wirkte. Ich erinnere mich an die Schmach, die er bei seinem 91er Konzert in Bad Mergentheim erlitt, als er etwa nach dem kurzen schönen Instrumentalintro vokalistisch in Lay Lady Lay einstieg und die Menge nicht – wie normalerweise zu erwarten – jubelte sondern sich in Lachsalven erging, angesichts der blöckenden Geißbockstimme Dylans. Es war wohl hauptsächlich Anfang der 90er Jahre öfters der Fall, daß Dylan unter Strom stand und auch grottenschlechte Shows gab. Gut Bad Mergentheim entwickelte sich noch als sehr akzeptabel, aber ich war mir damals eigentlich ziemlich sicher, ihn nach meinem Konzertdebuet 1978 beim denkwürdigen Open Air auf dem Nürnberger Zeppelinfeld und einem weiteren Nürnberger Konzert 1987 mit den Heartbreakers zum letzten Mal live im hübschen Schloßgarten der württembergischen Kleinstadt gesehen zu haben.
Inzwischen stellt sich die Dylan-Fangemeinde angesichts des fortgeschrittenen Alters ihres Idols schon mal die Frage, ob diese Never-Ending-Tour nun doch eher bald zu Ende gehen könnte. So wie er sich in München präsentiert, müsste man eigentlich sehr zuversichtlich sein. Dylan macht einen vitalen Eindruck und wirkt auch optisch jünger als vor 5 Jahren.

Meine heurige kleine Tour begann in Oberhausen mit Killerversionen von Highway 61, High Water und Watchtower sowie einem wunderschönen mit 70er Stimme gesungenen Tangled Up In Blue und einer Reihe weiterer mehr als soliden Darbietungen, leider auch teilweise mit Dylans sog. Upsinging. Dieses penetrante Hochziehen der Stimme zerstörte ausgerechnet die Ballade von Hollis Brown zur Gänze und trübte damit den Gesamteindruck eines ansonsten sehr guten Konzertes. Tags drauf in Wetzlar war von diesem „Hochgesang“ erfreulicherweise kaum mehr etwas zu vernehmen. Das Set wirkte wie aus einem Guß. Als Schmankerl wurde das rare New Morning serviert. Weiter standen im Vordergrund dezente Balladen wie Just Like A Woman, Shooting Star oder Hard Rain, das meine Begleiter besonders toll fanden. Ich fand die Version des letzteren Songs in Wetzlar höchstens durchschnittlich, vor allem im Vergleich zu den feurigen Darbietungen vom Vorjahr. Wenn man allerdings bei Dylan Vergleiche einzelner Interpretationen anstellen will, steht man eigentlich auf verlorenem Posten. Dennoch kann man gerade bei Dylan nicht darauf verzichten. Ob mit angezogener Handbremse oder in fliegendem Galopp, dies hängt weniger von der Tagesform als vom Gusto des Performers ab. Lustlosigkeit soll bei Dylan ja auch mal vorkommen und war besonders in den 80er Jahren bei ihm weit verbreitet. Allerdings kommt mancher Zuhörer oft in Versuchung, Dylan schon dann Unlust zu unterstellen, wenn er einen radikal umarrangierten bzw. verlangsamten Song gegenübersteht, der nicht gleich seinem Geschmack entspricht.

Nicht auf die Idee wäre ich gekommen, bei meinen drei Konzertbesuchen jeweils Times They Are A-Chancing präsentiert zu bekommen. War Stu Kimball in Wetzlar noch selbst überrascht und ließ sich schnell noch die Akustikgitarre umhängen so bleibt er in München bei der elektrischen. So bekomme ich binnen 11 Tagen drei relativ unterschiedliche Versionen zu hören, allesamt besser klingend als in den Vorjahren, obwohl ich Larry Campbells Bouzouki- bzw. Citternspiel schon etwas vermisse.

Nach dem Lonesome Day Blues kommt mit Positively 4th Street eine der stärksten Aufführungen des Abends. Kurz vor dem Münchener Konzert habe ich einige Aufnahmen von der Oslo-Show drei Wochen zuvor gehört. Dylans Upgesang richtet dort den Song zugrunde. Wie glücklich bin ich, daß diesmal gar keine Andeutungen dieser Oktavensprünge zu hören sind. Vor zwei Jahren führte Dylan Down Along The Cove als Partyüberraschung ein, wobei der Song sich sehr rasch zum Partyfeger mit genialem Ensemblespiel entwickelte; in München keine Ausnahme. Als Debütant der Euro-Tour kommt This Wheel’s On Fire in gewohnt kraftvollem Outfit zum Einsatz. Überraschend frisch klingt die in Hardcore-Fankreisen ungeliebte Ballade von den Tweedles, da vermeintlich schon zu Tode gespielt. 50 Minuten schon vorbei ohne das geringste Upsinging! Hoppla, bei Just Like A Woman wird es an diesem Tage uraufgeführt, allerdings in so geringem Maße, daß nichts kaputtgemacht wird. Die Band rast den Highway 61 im atemberaubenden Tempo hinab. Lieb, wie hier Dylans Pianosolo-Geklimpere von Denny Freeman unterstützt wird. Mit verschmitzter Miene steuert der Gitarrist so hohe Klänge bei, daß sie wie Pianoakkorde wirken. Wer sich im Voraus mit den Setlists beschäftigt hat, wird nicht überrascht sein, daß, so wie sonntags das ein oder andere christliche Lied auf dem Programm steht, irgendwann –warum auch immer – im zurückliegenden Frühjahr der Dienstag zum Anti-Kriegstag ausgerufen wurde. In der Regel gibt es dann John Brown im Doppelpack mit Masters Of War zu hören. Schon hat sich Donnie Herron das Banjo umgehängt. Es wird eine Standardversion dieses Protestsongs geliefert. Als Kontrast gibt es Countryfeeling pur mit I’ll Be Your Baby Tonight. Klangen zurückliegende Versionen dieses Songs manchmal gequält, so hat Dylan nun den Dreh gefunden – die vielleicht beste Gesangsdarbietung des Abends. Honest With Me folgt und man bewundert wieder mal Wirbelwind George Recile am Schlagzeug. Den zweiten Song aus dem Osloer Konzert vom Dienstag, den 18.10.05, den ich mir anhören konnte, war Masters Of War. Es ist eine schlichtweg umwerfende Darbietung mit zwei elektrischen Gitarren und irgendwann mischen sich wie aus höheren Sphären vereinzelte Violinestriche dazu. Heute ist wieder Dienstag und der vorletzte Song vor den Zugaben steht an. John Brown hat es schon gegeben, was sollte denn nun schon anderes kommen als Masters Of War? Ich freue mich wahnsinnig auf diesen Titel und bin doch etwas irritiert, als sich Stu Kimball die akustische umhängt. Dann kommen sie, diese altbekannten Akkorde, also wieder Kehrtwendung in Sachen Arrangement. Der Song klingt ganz anders als der Oslo-Mitschnitt – dennoch perfekt! Summer Days beschließen das Set. In Oberhausen enttäuschend kurz gehalten, in Wetzlar voll abgeswingt, in München von ähnlichem Kaliber wie in Wetzlar. Die Pause kommt mir überraschend kurz vor, naja es gibt wohl im Zenith nur die kleine Stellfläche hinter dem Vorhang.

Kalkulierbar die erste Zugabe mit Like A Rolling Stone – business as usual, doch erwähnenswert das grandiose Gitarrensolo von Denny Freeman. Er erinnert etwas an die gute Seite von Freddie Koella und hat wohl auch Jerry Garcia-mäßiges drauf. All Along The Watchtower, in Oberhausen im fantastischen Gitarrengewitter dargeboten, in Wetzlar in abgespeckter Form noch sehr audibel, scheint in München weiter an Format verloren zu haben.

Fazit: Nach dem ersten Europakonzert in Stockholm schrieb ein Pressefritze von dem schlechtesten Konzert, das er je erlebt habe (vielleicht war es ja auch sein einziges, dann wäre es immerhin auch sein bestes gewesen). Ein anderer schrieb in einem Forum, daß er unter gnädiger Betrachtungsweise vielleicht ein einziges akzeptables Gitarrensolo herausgehört habe. Dylan-Fans diskutierten in Foren über eine der lausigsten Bands.
Für mich absolut nicht nachvollziehbar. Ich finde die Band einfach toll. Sie lässt sich in kein Korsett pressen und die Gitarrenparts variieren wesentlich häufiger als bei den früheren Begleitgruppen Dylans. Dies wird erst so richtig augenscheinlich nach mehreren Konzertbesuchen. Von den drei Konzerten war Dylan eindeutig in München stimmlich am besten drauf und sang dort auch am besten. Die Chemie zwischen Dylan und der Band stimmt. Ich glaube Dylan hatte mit Campbell und Sexton die besten Gitarristen, jedoch schien mir das Verhältnis speziell zwischen dem Chef und Larry Campbell schon lange nicht mehr gestimmt zu haben. Ich denke an das Open Air 2001 in Schwäbisch Gmünd zurück, wie Dylan seine Band auf der Bühne offen brüskierte, sich kopfschüttelnd abwandte und auf seiner Gitarre wie wild gegen den trägen Rhythmus zu schrammeln begann und den Song (Times..) mit einem extensiven, wütenden Mundharmonikasolo abschloß. Folglich verliefen nicht alle Konzerte trotz Topbesetzung in Topleistung. In Denny Freeman hat Dylan einen Mann in seiner Band, der den beiden Vorgängern in nichts nachsteht. Mir kam es so vor, als habe er von Show zu Show regelrechte Leistungssprünge absolviert. Stu Kimball halte ich für einen soliden, sicher keinen außergewöhnlichen Player und an Donnie Herron gefällt mir nicht nur seine diebische Freude, mit Dylan auf der Bühne kommunizieren zu können. Eine Band, wie man sie sich eigentlich nicht besser wünschen kann.

Vielen Dank für das sehr schöne persönliche Review an meinen Namensvetter!
Freue mich schon sehr auf die Fortsetzung unserer Konzertreisen.
Schade das Mrs. Garthi und GL in Zürich fehlen.

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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.