Re: FSK-Einstufung, Zensur und Indizierung

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sonic-juice
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Man darf sich mal wieder wundern und sorgen über die bundesdeutschen Ambitionen, Erwachsene vorm schlimmen Film zu schützen.
„Funny Games“ und „Clockwork Orange“: ja (weil „künstlerisch anerkannt“), „Saw“ und „Hostel“: nein (weil denen ja eh kaum einer „eine Träne nachweint“), so einfach geht das.
Und bei Tarantino je nach dem, ob er Regie führt (Pulp Fiction!) oder produziert (Hostel!), nehme ich an…

Frankfurter Rundschau v. 23.4.2008
URL: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1324092


Wo Gewalt anfängt

VON TILMANN P. GANGLOFF

Professionelle Jugendschützer sind um ihre Arbeit nicht zu beneiden. Das gilt vor allem für den Filmbereich. Wie soll man etwa Laien begreiflich machen, wo eine „einfache Jugendgefährdung“ aufhört und eine „schwere Jugendgefährdung“ beginnt? Nun beabsichtigt die Bundesregierung, die Grauzone noch zu erweitern. Eine geplante Gesetzesänderung sieht vor, einen neuen Begriff einzuführen: Videospiele oder Filme sollen keine Kennzeichnung bekommen, wenn die Gewaltdarstellungen „das Geschehen beherrschen“.

Für die betroffenen Bildmedien wäre dies fatal. Die Verweigerung eines Kennzeichens darf nicht verwechselt werden mit dem Urteil „Keine Jugendfreigabe“, das dem früheren „Nicht freigegeben unter 18 Jahren“ entspricht. Erhält etwa ein Film hingegen keine Kennzeichnung, darf er auch nicht beworben werden. Das Werk dürfte zwar öffentlich gezeigt werden, aber jeder Hinweis auf die Vorführung wäre strafbar.

Faktisch kommt das Verdikt somit einer Zensur gleich. Aus Sicht der Filmwirtschaft bewegt sich die geplante Verschärfung daher in der Nähe zum Verfassungsverstoß. Denn so lange ein Film nicht gegen das Strafgesetzbuch verstößt, also nicht zu Rassenhass aufruft, NS- oder Kriegs-Propaganda betreibt oder zu Straftaten auffordert, ist er nicht verboten.

„Es kann nicht sein“, kritisiert Christiane von Wahlert, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) und der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (Spio), „dass ein Film aus Gründen des Jugendschutzes auch Erwachsenen nicht zugänglich ist. Das ist ein Konstruktionsfehler. So etwas gibt es nur in Deutschland.“

Man könnte mit einem Achselzucken über die Sache hinweggehen: Die Politik mag bei ihrer Verschärfung des Jugendmedienschutzes übers Ziel hinausschießen, doch die Maßnahme wird vor allem Filme wie „Hostel“ oder „Saw“ treffen, in denen munter gemetzelt wird – die weitaus überwiegende Mehrheit der Kinofans hat keinerlei Interesse an diesen Splatter-Filmen und wird ihnen keine Träne nachweinen.

Doch es geht ums Prinzip, wie Christiane von Wahlert klarstellt: „Jugendschutz darf nicht zur Geschmackszensur werden.“ Die FSK-Geschäftsführerin mag solche Filme auch nicht. Sie macht sich trotzdem für sie stark, getreu der Maxime von Rosa Luxemburg, dass Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden sei.

Ziel des Entwurfs für eine Neufassung des Jugendschutzgesetzes, der noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll, sind eigentlich die so genannten Killerspiele; dass es auch die Filmwirtschaft treffen wird, ist gewissermaßen ein Kollateralschaden.

Dabei gibt es nach Meinung ausgewiesener Jugendschützer keinerlei Handlungsbedarf, im Gegenteil. Bereits jetzt bekommen „jugendgefährdende Trägermedien“ (also Spiele und Filme) keine Freigabekennzeichnung, wenn sie „besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten“. Schon diesen Vorgang findet Christiane von Wahlert fragwürdig, denn streng genommen dürften dann auch künstlerisch anerkannte Werke wie „Funny Games“ von Michael Haneke, Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ oder Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“ keine Kennzeichnung erhalten.

Die Einführung „eines weiteren unbestimmten Rechtsbegriffs“, nämlich den der „Gewaltbeherrschtheit“, heißt es in einer Stellungnahme der Spio, „würde lediglich ein zusätzliches auslegungsbedürftiges Kriterium schaffen“. Strafnormen, belehrt von Wahlert, müssten aber „bestimmt sein.Ein weiteres interpretationsfähiges Kriterium führt in der Praxis zu erheblicher Rechtsunsicherheit: Wo zieht man die Grenze zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm? Und ab wie viel Minuten Gewaltdarstellung ist ein Film überhaupt ‚gewaltbeherrscht‘?“ Den Begriff findet die FSK-Leiterin ohnehin problematisch, denn er stammt aus der Debatte um Killerspiele. Aber „Spiele und Filme kann man nicht in einen Topf werfen“.

Joachim von Gottberg, Leiter der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) in Berlin, hält Jugendschutzverschärfungen aller Art als Präventivmaßnahme gegen Amokläufe ohnehin für Unfug: „Das ist ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt. Für potenzielle Amokläufer ist die Berichterstattung über frühere Taten dieser Art viel relevanter als dargestellte Gewalt.“

Nach Ansicht des FSF-Chefs gibt es nur eine wirksame Maßnahme: „Die Aussicht auf schlagartige Beachtung ist ein ganz starkes Motiv für Amokläufer. Also sollte man Amokläufe am besten totschweigen.“ Auf anderem Gebiet hat sich hat sich die Methode bereits bewährt: In mehreren Großstädten ist die Zahl der U-Bahn-Selbstmorde deutlich zurückgegangen, seit die Medien nicht mehr darüber berichten.

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