Re: Bob Dylan – Hamburg 17.10.03

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fifteenjugglers
war mit Benno Fürmann in Afghanistan

Registriert seit: 08.07.2002

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Fürchterliches Geschreibsel.

Ja, scheußlich. Mal sehen, ob ich’s besser hingriege :D:

Widrigen Umständen trotzend standen mein Bruder und ich pünktlich um 18 Uhr 55 vor dem Docks auf dem Spielbudenplatz. Für eine der vorderen Reihen reichte es im brechend vollen Club natürlich nicht mehr, aber wir fanden dann doch noch zwei akzeptable Plätze in annehmbarer Distanz zur Bühne. Bob eröffnete um kurz nach Sieben mit „Maggie’s Farm“, gefolgt von „Señor (Tales Of Yankee Power)“ (yes! yesss!) und dem Neuling „Cry A While“.
Es folgte mit „If You See Her, Say Hello“ eine angenehme Überraschung, obendrein in einer sehr guten Fassung. Danach einer der allerbesten Dylan-Songs, „It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)“, gefolgt vom wesentlich jüngeren „Moonlight“. Danach, noch eine Nummer düsterer als die ohnehin nicht gerade sonnige Albumversion, „Cold Irons Bound“.
Dann mit „Most Likely You Go Your Way (And I’ll Go Mine)“ ein weiterer, möglicherweise DER Höhepunkt des Konzerts, ein ebenfalls formidables „Boots Of Spanish Leather“ (das erste mal, daß ich diesen schönen Song live erleben durfte) und das unvermeidliche „Dignity“. Darauf folgte mit „Man In The Long Black Coat“ wieder eine Überraschung, düster und würdevoll, bevor es mit zwei Stücken von „Love And Theft“ („Honest With Me“ und „Summer Days“) in den Endspurt ging. Dazwischen noch eine persönliche Live-Premiere, das wunderbare „Love Minus Zero“.
Es folgte die Zugabe mit dem mir unbekannten „Cat’s In The Well“, dann „Like A Rolling Stone“ – eine holprige Version, die sich aber immerhin wohltuend vom Schunkelrhythmus der letzten Tour abhob – und zum Schluß eine überdurchschnittlich gute Version von „All Along The Watchtower“, das ja inzwischen wieder mehr nach Jimi Hendrix als nach „John Wesley Harding“ klingt (die Formulierung habe ich geklaut, aber ich weiß nicht mehr wo).
Was Mrs. Garthis Sorge betrifft, das Fehlen von Charlie Sexton würde sich negativ bemerkbar machen, kann ich sie beruhigen: Die Band klingt ohne ihn zweifelsfrei anders, aber sicher nicht schlechter. Wenn ich das als gitarrenmäßiger Laie mal so sagen darf: Das Spiel von Charlie war sicher etwas klarer, perlender, paßte besser zum (heuer eingemotteten) weißen Stetson. Freddie Koella, der neue Mann, bringt dafür einen Schuß mehr Rock’n’Roll ins Spiel, spielt etwas dreckiger, bratziger.
Kleine Rüge noch an Sparch: Die Gleichung „Ausfallschritt = gute Laune“ bei Dylan ist, ob „straight“ oder ironisch gemeint, wirklich etwas abgegriffen und gehört in die Mottenkiste. Wie die Laune von His Bobness nun wirklich war: Schwer zu sagen, aber ich meine, die Schlechteste war sie nicht. Zwar hatte Bob, wie es mein Bruder formulierte, „keinen Clown gefrühstückt“, und ich meine, eine auffällige Häufung an Liebesliedern mit dem Inhalt „Time to say tschüß“ festgestellt zu haben („If You See Her, Say Hello“, „Boots Of Spanish Leather“ etc.). Und auch die übrige Songauswahl machte – trotz hohem „Love And Theft“-Anteil – nicht gerade einen sonnigen Eindruck. Aber ich meine auch, zwei- oder dreimal so etwas wie ein Grinsen gesehen zu haben – oder war das nur dann der Fall, wenn Bob gerade das sonst meist hervorragende Zusammenspiel der Band mit einem seiner Querschüsse torpediert hatte? Aber eigentlich ist die Diskussion um Bobs Befinden ja auch völlig überflüssig, zeigen Künstler doch oft die überzeugendste Leistung, wenn ihr Seelenleben gerade NICHT aufgeräumt ist wie eine Reihenhaussiedlung. (So betrachtet muß Bob so einiges auf der Seele gelegen haben … :D)
Fazit: Ein sehr gelungenes Konzert – mit für mich persönlich immerhin neun Live-Premieren (nach meinem vierten Dylan-Konzert habe ich jetzt angefangen, Statistik zu führen), darunter Song-Monumente wie „It’s Alright, Ma“, „Boots Of Spanish Leather“ und „Love Minus Zero“. Ich wünschte nur, ich hätte das Geld, um mir vielleicht noch ein Konzert gegen Ende der Tour anzusehen. Aber über den weiteren Verlauf von Bobs Formkurve wird uns ja sicherlich Mrs. Garthi auf dem Laufenden halten :D.
Nur eins noch, Bob: Diese Nummer mit dem Mit-der-Stimme-nach-oben-gehen am Versende („Like a rolling steuuun“) ist mittlerweile doch ziemlich ausgelutscht, und wenn das Ganze jemals einen Sinn gehabt haben sollte, so hat sich dieser inzwischen längst verflüchtigt. Ein nervtötender Manierismus – bitte abstellen! Ansonsten, um’s mit Kollege Neil zu sagen: Long may you run!

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"Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"