Antwort auf: Simon Joyner ranked & rated

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jackofh

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Ich glaube nicht, dass die Schüchternheit eine Masche von Joyner ist. Wieso sollte er sich absichtlich unsicherer geben auf der Bühne? Um bloß keine zu große Zuhörerschaft zu gewinnen oder Fans zu verprellen, die eine Show erwarten? Wäre er hauptberuflicher Musiker, würde mich die fehlende Profi-Attitüde trotz Konzertroutine auch wundern. So finde ich sie absolut authentisch, seiner Kunst sogar förderlich. Es macht schließlich auch einen Teil der Spannung bei Konzerten aus, mitzuerleben, wie der Künstler gerade drauf ist. Zumal im Singer/Songwriter-Bereich. Ich habe Joyner die vergangenen Jahre recht häufig live gesehen – die Auftritte haben sich keineswegs geglichen.

Die beiden Berliner Konzerte 2022 z.B. waren sehr unterschiedlich. Im Privatclub im Mai war das Publikum größtenteils nicht seinetwegen gekommen, der Barbetrieb sorgte für einen konstant erhöhten Geräuschpegel und auf der Bühne war es sehr heiß, da die Lüftung erst für den Main Act eingeschaltet wurde. Joyner fühlte sich v.a. anfangs sichtlich unwohl, verspielte sich öfters und musste „The Actor“ sogar abbrechen. Hinzu kamen vermutlich auch die privaten Sorgen um seinen Sohn, der kurz zuvor wieder rückfällig geworden war (und Ende August an einer Überdosis starb). Das war also sicher keine Inszenierung als unverstandenes Genie oder so. Es war Ausdruck seiner seelischen Verfassung zu diesem Zeitpunkt. Und das ist mir lieber als ein Künstler, der sein Programm als Crowdpleaser routiniert abspult, egal unter welchen Umständen. Im Dezember im Schokoladen war Joyner dann wieder ganz bei sich – und auf der Bühne für seine Verhältnisse fast redselig. Ich vermute, die intime(re) Atmosphäre kam ihm entgegen, so dass er gelöster und selbstsicherer spielte. Es kam auch einiger Zuspruch aus dem Publikum. Zudem begleitete seine Tochter ihn auf der Tour.

Ja, voll emo und ja, total psychologisierend meinerseits (wobei er mir sein Unwohlsein im Privatclub selbst schilderte) – aber für mich absolut stimmig. Ich kaufe ihm das ab. So kann er gerne die nächsten 20 Jahre auch noch Konzerte geben.

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