Antwort auf: Das Kinojahr 2022 aus meiner Sicht

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motoerwolf

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À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen (Délicieux, Éric Besnard, 2021, F/B)

In Frankreich, relativ kurz vor der Revolution, wird der begabte Koch Manceron von seinem Arbeitgeber, einem Fürsten, entlassen, weil er bei einem Bankett zusammen mit edlen Zutaten Kartoffeln serviert hat. Daraufhin eröffnet er auf einem alten Hof eine Gaststätte, wo er billiges, einfaches Essen an Reisende verkauft. Erst als die geheimnisvolle Louise ihn darum bittet, bei ihm arbeiten und lernen zu dürfen, ändert sich die Situation langsam wieder. Denn neben der menschlichen Annäherung, die Manceron und Louise bald erfahren, stellt sich eine berufliche Harmonie ein. Mancerons Leidenschaft für gutes Essen wird neu belebt, Louise nimmt sein Wissen begeistert auf, und gemeinsam entwickeln die beiden das moderne Konzept des Restaurants. Damals ist das schon deswegen revolutionär, weil hierin Bürger und Adlige gleichzeitig qualitativ hochwertige Speisen in einem Raum genießen konnten. Über allem jedoch schwebt die Frage, was es denn eigentlich mit Louise auf sich hat. Warum ist sie zu Manceron gekommen? Und woher?
Besnards Film spielt zwar vage vor dem Hintergrund der Revolution, soziale und politische Themen spielen daher auch eine Rolle. Der deutsche Titel spielt ja schon darauf an. Man darf hier aber trotzdem keinen wirklich politischen Film oder ein Revolutionsdrama erwarten. Klar im Zentrum des Films steht der Genuss. Manceron und Louise wollen als Köche ihre Gäste kulinarisch betören, und Besnard versucht das gleiche emotional, optisch und akustisch mit dem Zuschauer. Neben dem kulinarischen und dem revolutionären Aspekt des Films greift der deutsche Titel durch die Abwandlung des bekannten geflügelten Wortes auch noch die dritte wichtige Komponente der Erzählung auf, die Liebe. Die Liebesgeschichte ist warmherzig erzählt, passend zu den wunderschönen Bildern, die noch Staub, Spinnweben und Ruß (von den Köstlichkeiten ganz zu schweigen) ins rechte, warme Licht zu rücken vermögen, ohne völlig zu verkitschen. So manche Aufnahme könnte in Öl auf Leinwand auch neben einem alten Meister im Museum hängen ohne aufzufallen. Auch der Ton ist sehr gelungen, sehr plastisch und die Bilder stark unterstützend. Geräusche gehören halt zum Kochen dazu.
À la Carte! ist ein purer Feelgood-Film mit starkem französischem Flair. Genuss und Sinnlichkeit sind seine Themen, sein Ziel nicht unbedingt das Hirn, sondern das Herz. Mir hat er sehr gefallen. Der perfekte Film für einen schönen Abend zu zweit auf der Couch, mit etwas Rotwein und ein paar kleinen Köstlichkeiten. Wer daran dann gefallen gefunden hat, kann den nächsten Themen-Kuschelabend ja mit Master Cheng in Pohjanjoki (Mestari Cheng, Mika Kaurismäki, 2019) mit angepassten Speisen und Getränken veranstalten.

zuletzt geändert von motoerwolf

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And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame