Antwort auf: Ich höre gerade: Disco

#11930017  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Ich tu das mal hier hin:

@zoji

friedrichDisco habe ich selbst nur nebenbei in der Kindheit und frühen Jugend miterlebt. (…)Ich habe Disco eigentlich erst im Nachhinein besser kennengelernt. In den 80ern habe ich z.B. eine billige George McCrae Best Of gekauft, auf der die hypnotische 6:00-Version von Rock Your Baby drauf war. Das war auf Partys der Knaller! Und dann war da auch noch diese trashige 3-LP-Box. Da war auch noch Dancing Machine von den Jacksons, Rock The Boat, You Sexy Thing und einiges anderes drauf (…) Anita Ward mit Ring My Bell hatte ich mal als 2nd-Hand Single. Vielleicht liegt die sogar noch irgendwo im Schrank.

Na ja, ich selbst wünsche mir doch eine schön gemachte Disco-Compi. Eine trashige Verpackung lässt auch den Inhalt trashig erscheinen. Dabei ist Disco doch glitzernd und glamourös! (…) Ich habe noch einen funky Disco-Track anzubieten. Kenne ich von dem amüsanten Soundtrack des haarsträubenden P. T. Anderson-Films Boogie Nights. Der Titel Boogie Nights ist mindestens zweideutig. Commodores – Machine Gun (1974)(…)

Oje, so groß wollte ich das Thema gar nicht aufziehen. Freue mich aber natürlich, dazu noch einmal etwas von Dir zu lesen.

Linguistisch vielleicht nicht korrekt, aber gerade „glitzernd und glamourös“ verbinde ich mit Vordergründig- bis Trashigkeit, jedenfalls nicht mit gehobenen Stilempfinden und Eleganz. Und auch, wenn ich das nicht live erlebt habe, ging es vermutlich in den Dorfdiscos bei mir alles andere als glitzernd und glamourös zu. Da passt für mich so eine, bzw. zwei, Billig-Compis dann gerade wieder gut. Tatsächlich ist mir die Darreichungsform nicht einmal bei Musik, die mir mehr bedeutet sonderlich wichtig, hochwertige und -preisige Boxen habe ich praktisch gar nicht, bin sehr auf die Musik selbst fixiert, ausgerechnet bei Disco damit zu beginnen wäre in meinem Fall schon ziemlich ironisch.

Du dürftest ein paar wenige Jahre älter sein als ich, das prägt vermutlich gerade in diesem speziellem Fall auch den Blick darauf. Als Musik für mich identitätsstiftend wurde war die Discowelle weitgehend ausgeschwappt. Trotzdem habe auch ich dann in den ersten Jahren keine Gelegenheit der Verächtlichmachung ausgelassen, das gehörte halt dazu, sich in der selbst gewählten und als relevant erachteten peergroup eine Reputation aufzubauen. Ganz aufrichtig war ich dabei nicht, vor allem habe ich das abgelehnt, wofür Disco stand, also meine jugendliche, mittlerweile überarbeitete Interpretation davon, während mir die Musik weiterhin ganz gut gefiel. (…) Ich war zu jung und auch zu desinteressiert, um mir Gedanken darüber zu machen, dass es auch etwas anderes geben könnte. Eigentlich war das nicht einmal der Soundtrack, sondern eben einfach nur die Hintergrundmusik meiner Kindheit, angenehm, aber nicht relevant. (…) Dass und warum ein nostalgischer, sentimentaler Zugang gar, zu Kunst von Musik-, bzw., ich würde erweitern, Kultur-Nerds abgelehnt wird ist mir bewusst, z.T. auch verständlich, wird von mir aber auch mit nonchalanten Schulterzucken quittiert. (…)

(…) Ring My Bell geht mir mehr auf die Nerven. Rock Your Baby finde ich super, erinnere mich, dass ich das in einer Derrick-Folge gehört habe und das in Zusammenhang mit den Bildern ziemlich beeindruckend und cool fand, was man eben so als ungefähr Siebenjähriger für ein Coolness-Verständnis hat. Und wenn man das Video sieht finde ich das schon witzig und charmant, ein bisschen Glitzer, ein wenig Glamour, aber eben auch ein bisschen schmierig. Insofern schließt sich da für mich der Kreis. Die Billig-Compis bleiben für mich adäquat. (…)

Sicher war Disco mehr Strass als Diamant und mehr Operette als Oper – und das ist auch gut so! Wir sprechen von Hedonismus und dem Rausch des Augenblicks, vielleicht einer ganzen Samstagnacht. Aber gerade darum muss es ja umso stärker strahlen und glitzern!

Ich selbst finde eine gegenseitig befruchtende Verbindung von Musik und Bild , eine schöne Rahmung sehr reizvoll. Aber das sieht / hört wohl jeder anders.

Disco habe ich wie gesagt auch erst im Nachhinein näher kennengelernt bzw. lerne es noch kennen. Zu Beginn der Discowelle – Mitte der 70er – war ich noch zu jung, Saturday Night Fever fiel vielleicht noch in die Phase, wo ich anfing mich „ernsthaft“ für Musk zu interessieren. Aber da waren wir viel zu verkopft, steif und snobistisch, um uns auf Disco einzulassen.

Ich frage mich, ob damals überhaupt irgendjemand Disco als relevant empfunden und darüber reflektiert hat? Dafür war diese Musik nicht gemacht. Aber das heißt ja nicht, dass man sie nicht aus der Distanz von einigen Jahren oder Jahrzehnten bewusst wertschätzen und darüber philosophieren kann. Hat in den 50ern jemand über Elvis philosophiert? Da galt R’n’R als Trash, Wegwerfware für Teenager. Später bezeichnete Leonard Bernstein Elvis als die stärkste kulturelle Kraft des 20. Jahrhunderts. Aber ich schweife ab … Ist doch oft so, dass der Schund der Gegenwart in der Zukunft als große Kunst erkannt wird. Was einen aber nicht daran hindern sollte, mit diesem Schund im Hier und Jetzt seinen Spaß zu haben. Vielleicht gehört zum Spaß auch mal ein bisschen billiger Glitzer und Zuckerguss, meinetwegen auch Schmiere dazu.

In diesem Sinne: Genug geschwätzt! Das hier hatte (vielleicht habe ich sogar noch) als gebrauchte Single für 50 Pfennig im Pattenregal stehen:

Tina Charles – I Love To Love (1976)

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)