Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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latho
No pretty face

Registriert seit: 04.05.2003

Beiträge: 37,712

herr-rossi[…]
Du hast recht @latho, dass „Neger“ im Deutschen nicht denselben hassvoll-beleidigenden Charakter wie „nigger“ hatte, sondern noch in den 1950ern ein normaler Begriff war, allerdings ist auch „nigger“ zunächst als „neutrale“ Bezeichnung aus lateinisch „niger“ abgeleitet worden und wurde erst im Laufe der Zeit zum slur. Die dt. Sprache steht aber auch nicht losgelöst aus größeren Zusammenhängen, es ist völlig klar, dass die Debatten um den rassistischen Charakter des Wortes „nigger“ seit den 1960ern an uns nicht spurlos vorbeigehen konnte. Zudem ist das Wort „Neger“ bei uns stark mit kulturellem Ballast des Kolonialzeitalters belastet. Für die Deutschen waren „Neger“ immer etwas Exotisches, Wildes, Jahrmarktsattraktionen, Phantasiegestalten aus der Kinderwelt zwischen „Negerkuss“ und „zehn kleine Negerlein“, und wenn man nicht brav ist, dann tunkt einen der Nikolaus ins Tintenfass. Daneben gab es auch bei uns das „white saviour“-Syndrom, „Neger“ waren arme Menschen, denen man in ihrer Not helfen und ihnen den Weg in die Zivilisation weisen muss, alleine sind sie dazu nicht in der Lage. „Neger“ ist bei uns exotisierend und verkindlichend und als Wort verbraucht, und jeder weiß das auch. Sprachgebrauch ist nicht rational. Ich kann mich z.B. darüber ärgern, wie einem das Wort „nett“ madig gemacht wird – es wird immer einen Schlauberger geben, der einem was von „kleinen Schwestern“ erzählt, wenn man es verwendet, um etwas zu beschreiben. Für mich bleibt „nett“ ein positives Wort, aber wenn die Sprechergemeinschaft mehrheitlich zu der Auffassung gelangt ist, dass „nett“ ein vergiftetes Lob ist, dann ist es halt so, und ich verwende es immer seltener.[…]

Zumeist Zustimmung:
Das englische „Negro“ kommt wie das deutsche „Neger“ aus dem Spanischen/Lateinischen, wohl ganz einfach, weil die Südeuropäer wesentlich früher Kontakt zu Afrikanern hatten. Das englische „Nigger“ ist einfach eine phonetische Aneignung, es ließ sich einfacher sagen und wurde deswegen in Zeiten vor der Rechtschreibung analog zu „negro“ gebraucht. Das ändert sich erst im 19. Jhd, wo das Wort zu einem Tabu wird, es rangiert in ähnlichen Gefilden wie „shit“ etc (nicht wie „damn“ oder „hell“, die waren so schlimm, dass man sich noch nicht mal traute, sie aufzuschreiben, d**n!). Also etwas, was man in feiner Gesellschaft (und wer will da nicht hin) nicht benutzt, weil low class. Mark Twain hat das in seinem Meisterwerk Huckleberry Finn ja vorgeführt. Erst Ende des 19. Jds,/Anfang des 20 Jhds. wurde das Wort dann zu einem Schimpfwort, erst in diesem Jhd. nimmt es Dimensionen wie „d**n“ im 18./19. Jhd. an, das auch aus Aberglaube nicht ausgesprochen wurde und passt damit ja gut in unsere Zeit. Es gab kürzlich in den USA Diskussionen um die Ächtung des Wörtchens „negro“, aber da haben selbst die analphabetischen US-Bachelors eingesehen, dass es unklug wäre, das Wort zu ächten, weil es einfach noch in zu vielen Kontexten benutzt wird. Bleibt das „N-word“ und darauf bzw. dessen Gebrauch stürzt man sich mit so großer Freude, dass es auch in Forschungskontexten nicht benutzt werden darf (J. McWorter hat die englische Etymilogie in einem tollen Artikel erklärt – und wurde daraufhin trotzt schwarzer Hautfarbe zum enemy of the people erklärt).
In Deutschland wurde das Wort „nigger“ meines Wissens im 19. und 20. benutzt, ganz klar parallel zur englischen Benutzung und deren negativer Konnotation. Das Wort Neger dagegen ist mir in neutraler Benutzung untergekommen. Dass das negativ verknüpft ist, bleibt nicht aus, war Afrika doch gerade im 19. Jhd ein Synonym für Primitivität und „Wildheit“. Dass „Neger“ damit zum Schimpfwort wurde, stimmt aber nicht, man sehe sich andere Worte an, die ähnlich benutzt wurden: „Zigeuner“ etwa, oder „Jude“ (letzteres immer noch im Umlauf, ein Schelm, wer Böses dabei denkt). Die Worte waren nicht per se negativ, sie waren teilweise negativ verknüpft, aber Alternativen dazu, wie „fahrendes Volk“, „Hebräer“ waren es auch.
Das Wort „Neger“ ist aus dem Sprachgebrauch gefallen und hat sich wie das Zigeunerschnitzel nur noch in Kombinationen gehalten, ich habe das Wort, wenn ich mich richtig erinnere, nie benutzt, das war ein „Alte-Leute-Wort“. Ja, es wurde
in den 80ern/90ern sogar von der Neuen Frankfurter Schule benutzt, um rassistische Stereotypen aufs Korn zu nehmen. Man hätte es dabei belassen können, wahrscheinlich wäre der Negerkuss irgendwann, wenn das Wort „Neger“ gar nicht mehr bekannt gewesen wäre, zu so etwas wie „Nerkuss“ geworden. Aber nein, neidisch auf den US-„Nigger“ sind studentische „Aktivisten“ mit wie üblich schwachen Englisch-Kenntnisse darauf gekommen, den deutschen „Neger“ zum englischen „Nigger“ zu machen. Heißt: ab sofort ist der Gebrauch unwiderlegbarer Nachweis von „Rassismus“ und es ist ein großes Geschrei auf Twitter bzw den angeschlossenen deutschen Online-Medien zu machen. Nachdem „Neger“ aber ein ganz anderes Wort ist und in einem anderen Zusammenhang gebraucht wird als das englische „nigger“, gibt es dementsprechend Probleme und Widerstand, den man nur dann zum „Rassismus“ erklären kann, wenn man nicht diskutieren will oder kann.
Wie gesagt, ich finde die Seiten sind da nicht weit auseinander. Ich habe etwas gegen die „Tabuisierung“ des Wortes (und natürlich gegen die ganzen Dummheiten, die dahinter stecken) und gegen den „Nachweis“ einer „rassistischen“ Grundhaltung durch (eventuell einmaligen) Gebrauch dieses Wortes. Dass es nicht mehr benutzt wird, ist unstreitig, und dass der bewusste Gebrauch (in rechten Kreisen, vor allem als Trollerei gegen die „Linke“) rassistisch gemeint sein kann, ist für mich unstreitig.
It’s context, baby.

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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.