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Anonym
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Danke zunächst, @hurley, dass Du nachgelegt und deinen Standpunkt präzisiert hast!
hurley Mit Verboten für Märchen und für Kunst an sich habe ich da aber so meine Probleme.
Ich auch. Und zwar gewaltige.
Und wenn ich persönlich werden darf habe ich auch kein Zerrbild meiner Kindheit und auch null schlechtes Gewissen mich damals als „Indianer“ verkleidet zu haben und davon geträumt zu haben in einem Tipi zu schlafen.
Aus meiner Sicht musst Du da auch ganz gewiss kein schlechtes Gewissen haben. Das habe ich – bei ähnlichen Kindheitserinnerungen – ebenfalls überhaupt nicht.
Niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen jemand zu beleidigen weil ich in meiner Jugend Dreadlocks getragen und viel Reggae gehört habe.
Da bin ich sowieso ganz bei Dir. „Du darfst nur bei uns auftreten, wenn Du Dir die Dreadlocks abschneidest“, finde ich ziemlich barbarisch. Bei der Übernahme der Dreadlock-Frisur ging es, soweit ich das sehe, ja auch um eine identifikatorische Übernahme eines bestimmten Haltung zum Leben. Für viele verband sich das Tragen von Dreadlocks auch damit, sich näher mit der Rastafari-Kultur zu befassen. Und das ist, finde ich, eine sehr sympathische Haltung.
Eigentlich habe ich ja die ganze Zeit in diesem Thread immer eher gegen den „Kulturelle Aneignung“-Vorwurf argumentiert. Und ich bleibe auch dabei, dass ich mit dem Konzept ernsthafte Schwierigkeiten habe.
Ich bin prinzipiell sehr stark FÜR kulturelle Aneignung – ich glaube, es geht gar nicht ohne in der Kunst. Jede Kultur, die auf Sorten- oder gar Rasse-Reinheit, auf Ausgrenzung des Anderen und auf Exklusivität zielt, ist mir zutiefst suspekt. Letztlich geht es bei Kultur doch immer darum, sich in andere hineinzuversetzen, mit anderen in Kontakt zu treten und so die eigene Beschränktheit zu überwinden. Oder um es mal ein bisschen provokativ auszudrücken: Das Wort Kultur kann es eigentlich gar nicht geben ohne die Vorsilbe Multi-.
Ich finde nur, man kann „jede kulturelle Hervorbringung“ (um mal den Ausdruck „jedes Kunstwerk“ zu umgehen im Zusammenhang mit dem „Jungen Häuptling Winnetou“ …) dahingehend anschauen, wie respektvoll oder wie achtlos, wie differenziert oder wie oberflächlich, wie rücksichtsvoll oder wie ausbeuterisch, wie liebevoll oder wie zynisch, wie interessiert an der fremden Kultur oder wie kommerziell abgebrüht und abgestumpft es mit fremden Einflüssen umgeht. Und darauf kann man dann eine Kritik gründen.
Der entscheidende Unterschied zwischen „Verbot“ und „Kritik“ ist dabei: Verbot gehorcht einer on/off-Logik, ist ein letztinstanzliches Ex-kathedra-Urteil, folgt dem Prinzip der Tabuisierung – Kritik bleibt immer offen für Einwände, Widersprüche, Debatte, Neubewertung. Ich bin sehr stark gegen Ersteres und unbedingt für Letzteres.
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