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Tschuldi, wenn ich mich hier einmische, aber …
Ich hatte im Neil Young Top 20-Thread ausladend von meiner musikalischen Sozialisation als Teenager geplaudert. Neil Youngs American Stars N Bars und Joni Mitchells The Hissing Of Summer Lawns waren zwei der Platten, die dabei ihren Weg aus dem Plattenregal meiner älteren Schwester auf meinen Plattenteller fanden. Viel beindruckender war damals aber noch eine andere Platte: Desire von Bob Dylan.
Wenn man mich damals gefragt hätte, was mich daran so beeindruckt, hätte ich wahrscheinlich was dahergeredet von echter handgemachter Musik, von tollem songwriting mit sozialkritischen Themen und literarischen Qualitäten – also „anspruchsvoller“ Musik. Jedenfalls kein „kommerzieller“ Pop! Gott bewahre! Ist ja auch nicht falsch. Waren halt die 70er und als introvertierter Teenager, der schlecht in Sport war, schmückte man sich gerne mit sowas.
Jahrzehnte später bekenne ich, dass die Wahrheit etwas ganz anderes war: Mich faszinierte einfach die Stimme, die da aus meinen billigen Lautsprechern schallte. Selbstbewusst, trotzig, unterschwellig aggressiv und – ja – auch etwas arrogant. Diesem Mann schien es völlig egal zu sein, was man von ihm hält und er zeigt das auch.Und es schert ihn offenbar einen Dreck, dass seine Stimme wie Sandpapier und Klebe klingt. Scheint sogar noch stolz darauf zu sein.
Natürlich habe ich mit meinem spärlichen Schul-Englisch damals gar nicht verstanden, wovon Dylan sang und mit Ausnahme von Hurricane, vielleicht Isis, Joey und Sara weiß ich es bis heute nicht. Und mal ehrlich: Muss man das verstehen? Kann man das überhaupt? Will man das? Damals reichte es jedenfalls völlig aus, zu wissen oder auch nur zu ahnen, dass Hurricane ein Protestsong ist (Rassismus! Pfui!) und Joey von einem gesellschaftlichem Außenseiter handelt (der anständige Outlaw! Cool!). Damit war man schon auf der richtigen Seite. Begeisternd war aber die Stimme, die das sang, die mal im Staccato meckerte, mal quengelte, mal nuschelte und Vokale nöhlend dehnte und Konsonanten halb verschluckte. Immer etwas rotzig, bissig und sogar ein wenig schlampig. Das wäre man ja gerne selber gewesen. „Always on the outside, or whatever side there was / When they asked him why it had to be that way / Weeeeell he answered „Just because“. Genau so fühlte sich das an.
Wenn mir heute jemand sagt, er oder sie mag die Stimme von Bob Dylan nicht, entgegne ich: Ich mag seine Stimme, gerade weil du sie nicht magst!
Meine aktive Bob Dylan-Phase ist aber schon lange vorbei. Aus Nostalgie und alter Liebe habe ich aber vor inzwischen immerhin schon etwa 20 Jahren ein damals aktuelles Dylan-Album erworben. War okay. Aber der alte Zauber damals im Jugendzimmer ist unwiederbringlich dahin.
Unbestritten hat Dylan aber auch noch andere Qualitäten.
zuletzt geändert von friedrich--
„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)