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bullitt Na klar, wer die Heilsbotschaft nicht goutiert, muss mit dem Teufel im Bunde sein. Klingt vertraut, aber keine Sorge, meine Verachtung reicht für ideologischen Aktivismus jeglicher Couleur. Meinem ausgeprägten Reaktanzverhalten geschuldet, war ich aber schon immer lieber Ketzer als Opportunist. Früher hat man dafür Punk gehört, heute reicht „Wetten dass…?“.
Ist man ernsthaft „Ketzer“, wenn man überall die „Wokies“ am Werke sieht? Das tun auch Trump-Wähler, QAnon-Sektierer, Querdenker und unendliche Heerscharen in den sozialen Netzwerken, wo an allen Ecken und Enden der gerechte Kampf gegen die drohende Gesinnungsdiktatur gefochten wird … Gegen „political correctness“ zu sein, ist wirklich kein Alleinstellungsmerkmalen. Ich respektiere, dass es Dir um die Freiheit der Kunst geht und nicht um eine rechte Agenda, und dass Du mit den Genannten nichts zu tun haben willst, aber man ist damit nun wirklich kein Nonkonformist. Umgekehrt möchte ich auch nicht mit irgendeinem Online-Mob in einen Topf geworfen werden, wenn ich Ansichten vertrete, die Dir „woke“ erscheinen – oder sie zumindest diskutieren möchte. Ich habe noch nie das „Canceln“ von wem auch immer gefordert.
Stimmt, mein Post war als Trigger ausgelegt, was ja auch – wenig überraschend – wunderbar funktioniert hat.
Moment, wir wollen mal nicht die Chronologie aus dem Spiel lassen: Deinen ersten Post habe ich überhaupt nicht kommentiert und hatte auch nicht vor, es zu tun. Mich interessierte an der Sendung einzig der Auftritt von Björn & Benny. Dass Gottschalk ein Parade-Boomer ist, ist schlicht ein Faktum, er bestätigt das doch freimütig in jedem Interview der letzten gefühlt 50 Jahre, darüber muss ich nicht diskutieren. Aber soll er doch auch sein, ich habe nichts gegen Boomer, einige meiner besten Freunde … ;) Erst als Du geschrieben hast: „Und die woke Twitter-Bubble zürnt über all den Boomercringe. Herrlich. Weiter so…“ hast Du selbst die Thematik aufs Tablett gebracht. Natürlich ist für Dich das Schauen von „Wetten, dass“ im Jahr 2021 ein performativer Akt der Nonkonfirmität.:) Was kritisiert wurde – dass Du bei so ziemlich jeden Thema in letzter Zeit den Bogen zur „Wokeness“ spannst.
Das Forum selbst ist ja inzwischen ein Boomer-Eldorado alter, weißer CIS-Männer mit „problematischen“ Inhalten, die zum aller größten Teil dem woken Zeitgeist in keinster Weise standhalten würden. Die Stones, Zappa oder ein Album wie Murder Ballads? Heute undenkbar.
Das wäre noch mal eine eigene Diskussion. ich halte das für Quatsch. Es gibt weiterhin so derart viele Musik, die sich alles traut, dass ich den angeblichen Puritanismus nicht einmal mit der Lupe finde. Merkst Du in Deiner musikalischen Filterblase vielleicht nur nicht.
Ich denke, dass der Zusammenhang hier ignoriert wird, ist alleine der Tatsache geschuldet, dass man halt – wie wir es alle gewohnt sind – „links“ sein und bleiben möchte und meint, das gehöre jetzt halt dazu. Hat was von „Bidermann und die Brandstifter“. Wer das Phänomen verharmlost und es sich selbst als „rechte Propaganda“ schön redet, sollte aber vielleicht mal Kathleen Stock oder Bari Weiss fragen, wie die das sehen, anstatt sich an Gottschalk abzuarbeiten, um ein bisschen im Rahmen der eigenen Möglichkeiten mitzumischen.
Ich war immer „im Zweifel links“ und gedenke, das auch für den Rest meines Lebens so zu halten. Man kann über viele Einzelfälle diskutieren und über linke Positionen in öffentliche Debatten, aber diese Engführung des Problems der öffentlichen Dauererregung und politischen Pressure und Cancel Groups auf „Wokies“, das verkennt bzw. verleugnet aus meiner Sicht, dass es sich um ein grundsätzlicheres Problem handelt. Das hat nichts mit Whataboutismus zu tun, sondern mit einer redlichen Sicht auf die politische Gesamtsituation. Dafür werde ich auch weiterhin Position beziehen.
Übrigens habe ich seit meiner Jugend immer Dinge getan, die für einen Linken von jeher „problematisch“ waren, ich habe schon in den 80ern „Ahnenforschung“ betrieben, engagiere mich seit 30 Jahren in der Heimatbewegung und hege eine seltsame Leidenschaft für die germanischen Altsachsen (nicht zu verwechseln mit den Pseudosachsen im Freistaat …). Als Historiker ist mir moralisierende Geschichtsschreibung zuwider, ich erwarte auch bei Themen wie Hexenverfolgung und NS-Zeit nüchterne und differenzierte Analyse. Gegenüber Antifas und Betroffenheits-Gedenkkultur-Protagonist:innen, mit denen man auch zu tun hat, habe ich mich immer distanziert gehalten. Ich erzähle das natürlich auch, um mir selbst mal auf die Schulter zu klopfen, tut ja sonst keiner. Aber vorrangig, um aus dieser Schwarz-Weiß-Malerei auszubrechen, wenn wir uns nun schon regelmäßig beharken.
Und wo ich gerade das Nähkästchen öffne, Storytime: Ich habe die „culture wars“ schon vor über 10 Jahren live vor Ort erlebt und erfahren, was heißt, wenn Leute versuchen, mich und Kolleg:innen aus der historischen und archäologischen Forschung zu „canceln“. Mit allem was dazu gehört, öffentlichen Schlagabtauschen bei Veranstaltungen, in der Presse und im Internet, seitenlangen Beleidigungen, Unterstellungen und Lügen in Veröffentlichungen, die auf Stapeln in den Buchhandlungen der Region lagen, Hinterzimmer-Mauscheleien mit politischen Verantwortungsträgern usw. Ich wurde selbst öffentlich verfolgt und sogar Familienmitglieder von mir belästigt.
Die Protagonisten – pensionierte Akademiker, Doktoren, Dipl.-Ings., Lehrer, alles ehrenwerte Leistungsträger unserer Gesellschaft – und im Ruhestand abgedrehte Laienforscher/“Grenzwissenschaftler“ und Verschwörungstheoretiker. Die waren nicht rechts, natürlich nicht, die veröffentlichten nur zufällig in einschlägigen rechten Verlagen, traten völlig unbedarft in entsprechenden Zirkeln auf und sagten einem auch schon mal am Telefon, ich könne ja nichts dafür, ich sei Produkt der alliierten Umerziehung. Und für die waren Schulwissenschaftler, die ihren wirren Theorien nicht nachgeben wollten und auf wissenschaftlichen Methoden beharrten, na, was wohl? „Politisch korrekt“ und „Repräsentanten des linken Mainstreams“! Die Politisierung der Archäologie und Frühgeschichtsforschung habe nämlich erst nach 1945 begonnen, vorher wurde noch ordentlich und neutral geforscht und daran müsse man nun endlich wieder anknüpfen. Man behielt sich den Klageweg vor, wenn man sie als rechts bezeichnete, klar. War auch ein gestandener Verfassungsjurist darunter, der wusste, wie Meinungsfreiheit funktioniert.
Dass ich seit jenen Tagen allergisch darauf reagiere, wenn Leute allzu freigiebig mit Begriffen wie „politisch korrekt“ und „woke“ um sich werfen, kannst Du jetzt möglicherweise verstehen.
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