Antwort auf: Jahresrückblick 2020

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gypsy-tail-wind
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: : KAMMERMUSIK : :

Kitgut Quartet – ‚Tis too late to be wise: String Quartets Before the String Quartet
Aisha Orazbayeva – Music for Violin Alone
Leonore Piano Trio – Litolff: Piano Trios
Nicolas Altstaedt/Alexander Lonquich – Beethoven: Complete Works for Fortepiano and Violoncello
Judith Ingolfsson – The Happiest Years: Sonatas for Violin Solo by Artur Schnabel and Eduard Erdmann
Chiara Zanisi/Giovanni Sollima – The Lady from the Sea: Duos for Violin and Cello from Vivaldi to Sollima
Plamena Nikitassova – Westhoff: Suites for Solo Violin
Thomas Dunford/Jean Rondeau – Barricades
Emmanuel Pahud/Paul Meyer/Daishin Kashimoto/Zvi Plesser/Eric Le Sage – Vienne 1900
Eric Hoeprich/London Haydn Quartet – Weber/Krommer: Clarinet Quintets

Isabelle Faust/Alexander Melnikov – Mozart: Sonatas for fortepiano & violin, vol. 2
Mario Brunello/Accademia dell’Annunciata/Riccardo Doni – Tartini: Concerti e Sonate per violoncello piccolo
Robert Oberaigner/Michael Schöch/Dresden Chamber Soloist/Michail Jurowski – Weinberg: Clarinet Music
Daniel Weissmann/Peter Petrov – The Romantic Viola II: Vierne, Chausson, Tournemire, Berlioz
Astrig Siranossian/Nathanël Gouin/Daniel Barenboim – „Dear Mademoielle“: A Tribute to Nadia Boulanger
Maia Cabeza – Folk Roots: Works by Janácek, Veress, Holliger, Enescu, Schulhoff and Bartók
Viviane Spanoghe/Jan Michiels – Galina Ustvolskaja & Alfred Schnittke: Works for Cello & Piano
Alisa Weilerstein – Bach (Cello Suites)
Tabea Zimmermann/Javier Perianes – Cantilena: Piazzolla, Falla, Granados, Villa-Lobos

Meret Lüthi/Sonoko Asabuki/Alexandre Foster/Leonardo Miucci – Young Beethoven: The Piano Quartets WoO 36
Mario Brunello/Gidon Kremer/Kremerata Baltica – Searching for Ludwig: Beethoven, Sollima, Ferré
Goldner String Quartet/Piers Lane – D’Erlanger/Dunhill: Piano Quintets
Barrucand & Geoffroy – Les Caractères d’Ulysse: Rebel & Boismortier, Suites poour deux clavecins
Raffaele La Ragione/Marrco Crosetto – Beethoven and His Contemporaries: Music for Brescian Mandolin and Fortepiano

Das Kitgut Quartet konnte ich Anfangs der Saison noch bei einem wunderbaren, semi-distanzierten Konzert erleben. Damals waren die Zahlen noch relativ tief und die Bedenken eher gering – doch das änderte sich danach leider rasant. Jedenfalls ist das eine tolle CD, vornehmlich mit Zwischenstücken und – in aller Regel vierstimmigen – Instrumentalsätzen aus Bühnenwerken, zudem eins von Haydns späten Konzerten. Das funktioniert sehr gut, ist abwechslungsreich, und demonstriert, wie gekonnt Komponisten wie Purcell oder Locke solche instrumental Miniaturen zu komponieren wussten.

Meine wohl grösste Entdeckung dieses Jahres ist die Geigerin Aisha Orazbayeva, die von Telemann bis Cage so ziemlich alles spielt, dabei eingreift und z.B. Spieltechniken aus der neuen Musik auf die alte überträgt. Nebst dieser neuen CD, die tatsächlich im Frühling im vergleichsweise harten Lockdown in Frankreich entstand, kaufte ich von ihr dann noch diverse weitere CDs, auf denen sie auch ein Stück von John Cale interpretiert oder „Harbour Lights“ singt, das mir v.a. von Elvis Presley bekannt war. Eine wie ich finde sehr faszinierende Musikern, an deren Schaffen ich dran bleiben werde!

Weitere Entdeckungen waren die superben Klaviertrios von Litolff (Hyperion at its best!), die Suiten für unbegleitete Violine von Westhoff in der Aufnahme von Plamena Nikitassova, die Solo-CD der Geigerin Judith Ingolfsson (Schnabel/Erdmman – zwei Pianisten, die auch komponierten, und die beide in meinen persönlichen Olymp gehören), dann die CD „Lady from the Sea“, die ich bei StoneFM (wie Orazbayeva und Nikitassova) präsentiert habe.

Giovanni Sollima, der Cellist der „Lady“, ist auch eine Entdeckung von 2020. Als Komponist ist er auf der Vivaldi-CD von Kopatchinskaja (oben) vertreten, aber auch auf „The Lady from Sea“ ebenso wie der vorhergehenden CD der Geigerin Chiara Zanisi (im Duo mit Stefano Barneschi, auch an der Geige), „Suite Case“, zudem auch auf der Kremerata-CD (wo Mario Brunello am Cello zu hören ist) mit einem interessanten Werk auf der Basis von Skizzen von Beethoven … womit wir wieder zum Beethoven-Jubiläum überleiten können.

Die Cello-Sonaten Beethovens sind allesamt bezaubernde Werke. Ich hörte sie vor einiger Zeit schon im Konzert mit den beiden, die sie 2020 bei alpha auch auf CD herausgebracht haben: Nicolas Altstaedt und Alexander Lonquich. Das Konzert fand ich noch eindrücklicher, aber auch die CD-Einspielung ist hervorragend. Auch zum Beethoven-Jubiläum gehört die CD von Raffaele La Ragione und Marrco Crosetto, „Beethoven and His Contemporaries: Music for Brescian Mandolin and Fortepiano“, auf der die vier bekannten Stücke für Mandoline von Beethoven mit zeitgenössischem Repertoire (v.a. der Sonate von Hummel) gepaart wird – sehr charmant, aber nichts Grosses. Zum Beethoven-Jubiläum gehört auch die Einspielung von dessen frühen Klavierquartetten (Meret Lüthi/Sonoko Asabuki/Alexandre Foster/Leonardo Miucci). Das hat mich vom ersten Eindruck her aber nicht umgehauen, auch wenn es schön ist, Beethovens Beitrag zu diesem Genre in einer vermutlich mehr als adäquaten Sichtweise hören zu können. Ebenfalls nicht umgehauen hat mich „Searching for Ludwig“, auf der Mario Brunello und Gidon Kremer mit der Kremerata Baltica Streichorchester-Fassungen zweier später Streichquartette spielen. Für meine Ohren klingt das hier dann auch etwas, wie soll ich sagen, russifziert/kremeratisiert? Ich höre das kaum noch als Beethoven, was dann aber auch wieder zu einem neuen Reiz führt. Und Sollimas auf der CD zu hörendes Stück erwähnte ich ja gerade, vielleicht mein Highlight hier.

Eine schöne Überraschung gegen Ende des Jahres war die CD „Barricades“ von Thomas Dunford und Jean Rondeau. Die beiden spielen Solostücke für Laute oder Cembalo im Duo, was ganz wunderbar klappt, ohne dass sie offenlegen würden, was sie mit der Musik genau anstellen. (Auf die Duo-CD von Dunford mit dem Geiger Théotime Langlois de Swarte warte ich noch.)

Den Klarinettisten Eric Hoeprich erwähnte ich bereits … sehr schön ist auch seine Einspielung des Klarinettenkonzertes von Mozart – und ich erwähnte das oben noch nicht: Hoeprich spielt (wie das London Haydn Quartet) auf alten Instrumenten. Auch Brunello erwähnte ich bereits, der sich ebenfalls am Tartini-Jubiläumsjahr beteiligt hat – mit einer schönen CD mit Sonaten/Konzerten (die Übergänge sind in der Zeit fliessend, ich hätte die beiden Tartini-CDs mit Violinkonzerten wohl auch hier listen können).

Auf „Vienne 1900“ haben Emmanuel Pahud (fl), Paul Meyer (cl), Daishin Kashimoto (v), Zvi Plesser (vc) und Eric Le Sage (p) ein schönes Programm mit Musik von Berg, Schönberg, Mahler, Zemlinsky und Korngold zusammengestellt. Die Besetzungen wechseln stets, alle zusammen sind sie nur am Ende zu hören, in der Webern-Transkription von Schönbergs erster Kammersinfonie).

Isabelle Faust und Alexander Melnikov haben die zweite Folger ihrer entstehenden Einspielung der Violionsaten Mozarts vorgelegt – wobei ich mich manchmal beim Gedanken ertappe: warum nicht Faust/Bezuidenhout? Aber schön ist das auch so!

Eine weitere CD für Violine solo hat Maia Cabeza vorgelegt, mit Werken, die einen Bezug zu Folklore haben, natürlich von Bartók, aber auch von Enescu, Veress, dessen Schüler Holliger, sowie von Janácek und Schulhoff. Sehr hörenswert.

Auch Astrig Siranossian erwähnte ich schon – sie hat mit dem Pianisten Nathanël Gouin (und einmal Daniel Barenboim) eine Tribute-CD für Nadia Boulanger aufgenommen (von der Eloquence Australia auch eine kleine Box vorlegte, die ihre fünf Decca-Alben neu vorlegt – habe ich noch nicht zu hören angefangen). Die Scheibe von Siranossian gefällt, aber das ist leichte Kost (darf man da schon – fast? – von Salonmusik schreiben?). Schön auch die zweite Folge von „The Romantic Viola“ von Daniel Weissmann, der hauptberuflich (kaufmännischer) Direktor der Orchesters von Liège ist. Das Hauptstück auf der CD ist ein Arrangement von Berlioz‘ „Harold en Italie“ für Viola und Klavier, was mir wohl sogar besser gefällt, als die Orchesterfassung … die Suite von Tournemire ist vermutlich mein Highlight. Leichtere Kost gibt es auch auf der CD „Cantilena“ von Tabea Zimmermann – aber sehr schön! (Seltsamerweise fehlt Nils Mönkemeyer dieses Jahr in meiner Liste, hat er gar nichts Neues herausgebracht?)

Schwere Kost haben Viviane Spanoghe und Jan Michiels vorgelegt, eine schöne Einspielung von Musik von Galina Ustvolskaja und Alfred Schnittke. Auch die CD mit Klarinettenmusik von Weinberg gefällt mir wieder sehr gut. Sie öffnet mit dem Klarinettenkonzert und hätte daher auch schon oben stehen können, zudem die Klarinettensonate und die vierte Kammersymphonie.

Alisa Weilersteins Einspielung der Cello-Suiten von Bach ist interessant, ich kriege sie bisher noch nicht wirklich gefasst. Einerseits muskulös, altmodisch in der Hinsicht, aber zugleich eben doch sehr beweglich und vor allem enorm musikalsich.

Etwas enttäuschend (Hyperion nicht ganz at its best) fand ich dann die CD des Goldner String Quartet mit dem Pianisten Piers Lane und Klavierquintetten von zwei weiteren mir bisher völlig unbekannten Komponisten (D’Erlanger/Dunhill) – wie bei Swiss Orchestra oben ist halt nicht jede Ausgrabung Gold, manche sind nur Silber oder Bronze, aber das nimmt ihnen nicht den Wert.

Eine letzte hübsche CD mit leichter Kost kommt schliesslich vom Cembalo-Duo Barrucand & Geoffroy, sie haben unter dem Titel „Les Caractères d’Ulysse“ Suiten aus Musik von Rebel und Boismortier zusammengestellt – hört sich super an, aber ist auch kein grosser Wurf, finde ich.

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