Antwort auf: Miles Davis und Karlheinz Stockhausen – wechselseitige Beeinflussungen?

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Danke fürs Zusammentragen der ganzen Informationen @mr-badlands – ich schätze sowas ja bekanntlich, aber in diesem Fall habe ich ein kleines Problem, will sagen: mich stört in diesem ganzen Faden ein wenig das Framing. Als würde Davis‘ Musik besser dadurch, dass sie in einen Kontext gesetzt wird, der auf Englisch (und aus westlichem Standpunkt) als „legitimate“ bezeichnet wird. Davis‘ Musik gewinnt dadurch aber in meinen Augen gar nichts – auch wenn Davis selbst mit sowas natürlich liebäugelte … aber in seinem Name-Dropping taucht Stockhausen im Absatz direkt nach James Brown, Sly Stone und The Last Poets auf – und im gleichen Absatz wie Paul Buckmaster, Johann Sebastian Bach und Ornette Coleman:

I had gotten into the musical theories of Karlheinz Stockhausen, a German avant-garde composer, and an English composer who I had met in London in 1969, Paul Buckmaster. I was into both of them before I did On the Corner and, as a matter of fact, Paul stayed with me during the time I was recording. He was also in the studio. Paul was into Bach and so I started paying attention to Bach while Paul was around. I had begun to realize that some of the things Ornette Coleman had said about things being played three or four ways, independently of each other, were true because Bach had also composed that way. And it could be real funky and down. What I was playing on On the Corner had no label although people thought it was funk because thy didn’t know what else to call it. It was actually a combination of some of the concepts of Paul Buckmaster, Sly Stone, James Brown, and Stockhausen, some of the concepts I had absorbed from Ornette’s music, as well as my own. The music was about spacing, about free association of musical ideas to a core kind of rhythm and vamps of the bass line. I liked the way Paul Buckmaster used rhythm and space; the same thing with Stockhausen.

(Miles Davis with Quincy Troupe: Miles. The Autobiography. Picador/Macmillan, London 1990, S. 312)

Das ist ein buntes Name-Dropping, das sicher nicht an den Haaren herbeigezogen ist, aber auch mit mehr als einem „grain of salt“ genossen werden muss. Ein paar Seiten später (S. 319 in meiner Ausgabe) kommt Stockhausen zum zweiten und letzten mal vor (kurz nachdem „and watching the way Headhunters sold just pissed me off even more“ fällt):

Through Stockhausen I understood music as a process of elimination and addition. Like „yes“ only means something after you have said „no.“ I was experimenting a lot, for example, telling a band to play rhythm and hold it and not react to what was going on; let me do the reacting. In a way I was becoming the lead singer in my band, and I felt that I had earned that right. The critics were getting on my nerves, saying that I had lost it, that I wanted to be young, that I didn’t know what I was doing, that I wanted to be like Jimi Hendrix, or Sly Stone, or James Brown.

Und in der Tat, wenn ich die Sätze drei und vier im obigen Zitat lese, denke ich sofort an James Brown – den Miles direkt danach nennt. Stockhausen braucht es nicht, um solche Vorgehensweisen herzuleiten … aber es macht sich natürlich gut.

Wenn ich Paul Buckmasters Liner Notes für die „The Complete On the Corner Sessions“-Box lese, dann scheint mir, dass Stockhausen v.a. in der Vermittlung von Buckmaster angekommen ist … der hatte „Gruppen“ mit (und klar, das finde ich auch ein faszinierendes Stück Musik, ich hatte vor gut zwei Jahren die Gelegenheit, es beim Stockhausen-Schwerpunkt am Lucerne Festival gleich zweimal zu hören, schrieb hier auch einen Bericht):

… it was that Stockhausen which so totally caught his attention that he placed that disc on the auto-changer, and, since he had speakers installed throughout his house, had Gruppen playing, loud, over and over again. At one point, perhaps a couple of hours later, he had me turn the record over and play, repeatedly, Mixtur. The music, both pieces, filled his house for the better part of the day, and also on the other subsequent days. He later told me that he had obtained a cassette copy of Stockhausen’s Hymnen, and found that piece most intriguing. I was in fact that he had that cassette in his Lamborghini Miura.

(Paul Buckmaster: Remembering Miles and On the Corner, in: Miles Davis, The Complete On the Corner Sessions, 6 CD, Sony, 2007, S. 64)

Was ich hier aber ins Feld führen möchte ist eine Binsenweisheit unter Künstlern (sie begegnete mir gerade wieder in der aktuellen, wunderbaren Ausstellung über den Bildhauer Hans Josephsohn im MASI in Lugano, in einem dort gezeigten Dokumentarfilm aus den Nullerjahren, als Josephsohn noch lebte und sich an seinen frühen Jahre erinnerte): nicht zu genau hinschauen/hören, um nicht das Eigene bzw. überhaupt die eigene Schaffenskraft zu verlieren. Das schliesst natürlich nicht eine tiefschürfende Beschäftigung mit dem Werk von anderen aus – aber eben: um Davis‘ Musik der Siebziger als vollkommen einzigartig und eigen – und ja: grossartig! – zu charakterisieren, brauche ich alle diese Querverbindungen überhaupt nicht. Davis mag alle diese Sachen gehört haben: Bach, James Brown, Sly Stone, Jimi Hendrix, Ornette Coleman, Stockhausen usw., aber er wäre nicht zu dem genialen Ergebnis gekommen, wenn er nicht selbst schon lange auf einem künstlerischen Weg gewesen wäre, der ihm auch half dabei, zu filtern und von den genannten diejenigen Elemente in seine eigene Kunst einzufügen, die ihn wirklich weiterbrachten. Und diese Leistung liegt nun natürlich wieder bei Davis – und die Rolle von Vermittlern wie Betty Davis und eben Paul Buckmaster scheint mir dabei nicht unwichtig (und bei Stockhausen gab es ja auch so einen Vermittler: den Sohn Markus, seines Zeichens ein die Genregrenzen ignorierender, sehr beeindruckender Trompeter, den ich zwei Mal im Konzert erleben konnte, einmal im Rahmen eines „neue Musik“-Konzertes, das andere Mal in der Band von Dhafer Youssef, mit Jojo Mayer am Schlagzeug – sehr beeindruckend, auch wenn er beim zweiteren mehr den „In a Silent Way“-Kolorist/Impressionist gab; beim ersten spielte er diverse verschiedenen Trompeten, es ist sehr lange her, meine Erinnerung daran vage, aber ich denke es war auch eine Vierteltontrompete dabei, wie Don Ellis sie im Jazz vermutlich als erster eingesetzt hat – ganz auf dem Holzweg bin ich wohl nicht, hier steht, Markus Stockhausen hätte sich ein Flügelhorn mit viertem Ventil bauen lassen).

Aber nochmal zurück zu meinem Hauptpunkt – der vielleicht auch nur daraus besteht, dass ich das Rätsel nicht entschlüsseln will, das im Jazz steckt, wer weiss … dieses Aufsaugen, absorbieren und anverwandeln von Einflüssen gehört zum Jazz, seit Anbeginn (in New Orleans wurden ja z.B. schon in den Anfangszeiten populäre Opernarien verwurstet, um es mal gerade nicht im Intellektuellen-Jargon zu formulieren). Zudem scheinen mir viele der für die „legitime“ europäische Musik so wahnsinnig speziellen, schwierigen, besonderen, spannenden usw. Verfahrensweisen ebenfalls beim Jazz einfach dazuzugehören. Und das, ohne dass darum gross Worte gemacht werden müssen. Jemand reagiert auf wen, oder auch nicht? Die Kunst des Interplays (und nein, die hat nicht das Bill Evans Trio mit Scott LaFaro erfunden, die beherrschten schon die Hot Five). Musik ohne Anfang und Ende? Das ist ja eh ein Topos, der überbewertet wird, denn es gibt doch immer einen Anfang und auch ein Ende, und liegt es nur darin, dass wir als Zuhörer dazukommen und wieder verschwinden, oder nicht? Ein Head Arrangement von Count Basie, in dem der Leader mal anfängt, die Rhythmusgruppe dazukommt, dann die Bläser zu riffen anfangen … und am Ende? Vielleicht ein Fade-Out? Den gab es auch längst, bevor er in den Fünfzigern und Sechzigern bei Plattenaufnahmen populär wurde, handgemacht … ein Ausklingen, das halt gerade nicht wie bei vielen europäischen Komponisten im Auftürmen, Schichten, Modulieren, noch eine Runde, noch einen Dreh weiter, noch lauter, noch irrer, noch überraschender – und Finis … nicht so funktioniert, sondern: es hört halt einfach auf, eine kleine Coda, die letzten Takte leise nochmal wiederholt, bis zum Ende des Atems – und Finis.

Was ich damit sagen will, und ich greife das jetzt heraus, weil es gerade am Ende des Fadens stand, als ich beschloss, endlich zu reagieren:

mr-badlands
Was ich besonders interessant finde, ist der gemeinsame Ansatz von Davis und Stockhausen in Bezug zu “process composition”.
Die Philosophie, dass Musik aus dem Zeit Kontinuum herausgelöst wird. Ein Musikstück wird erst durch den Prozess des Spielens kreiert, ein Zusammenspiel zwischen Musiker, Komponist und Dirigent. Es gibt keinen Anfang, kein Ende.
Das erinnert mich an Brian Eno und seine Arbeit mit “Generativer Musik”.

Das ist im Jazz doch ganz normal, ich verstehe die ganze Aufregung nicht!

Nimm mir meinen etwas polemischen Ton bitte nicht übel @mr-badlands – ich finde solche Überlegungen wie gesagt auch interessant, aber eher als Steinbrüche des Denkens (oder Handelns) denn dafür, direkte Einflüsse zu begründen. Ich halte letzteres auch für ein heikles Gebiet, würde zudem dazu tendieren, den Beteiligten nicht einfach zu glauben, sondern stets mit einer kritisch Distanz hinzuhören (Arthur Schnitzler, der grosse Erforscher der Seele, prägte im Hinblick auf Freud, dem er eben gerade nicht näher bekannt werden wollte, das schöne Wort der „Doppelgängerscheu“, wenn mich nicht alles täuscht, ist das auch in „Jugend in Wien“ Thema, Schnitzlers Autobiographie, die nur den Zeitraum bis hin zu seinem Durchbruch als Schriftsteller abdeckt). Was das kritische Hinterfragen angeht: auf die Schnelle finde ich keine Stockhausen-LP, auf der „Gruppen“ und „Mixtur“ gekoppelt sind (Dicogs bietet Gruppen und Mixtur auf separaten DG-LPs von 1968 bzw. 1969) – kann ein trivialer Gedächtnis-Lapsus von Buckmaster sein oder ein blöder Eingriff eines übereifrigen Lektors … aber auch ein möglicher Hinweis darauf, dass er sich in dem Text auch etwas zu wichtig nimmt und die ganze Begegnung mit Miles etwas ausschmückt?

In diesem Sinn trage ich auch gerne noch ein wenig mehr zum Materialsteinbruch bei. Bei Paul Tingen taucht der Name Stockhausen erstmals auf, als um das Aufnahmestudio als Instrument geht, da werden Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und Pet Sounds hervorgehoben – und dann fallen die Namen Les Paul und Frank Zappa, sowie Edgard Varèse, Klarheinz Stockhausen und Pierre Henry, die bereits die Studiotechnologie auf kreative Weise genutzt hätten (Paul Tingen: Miles Beyond. The Electric Explorations of Miles Davis, 1967–1991, New York, 2003, S. 43).

Die nächste Nennung von Stockhausen folgt im Rahmen einer steilen These über die europäische Avantgarde des 20. Jahrhunderts (S. 96), die ich hier nicht zusammenfassen mag, da sie keinen direkten Davis-Bezug hat. Im Kapitel zu „On the Corner“ fällt der Name dann wieder mehrfach, und natürlich kommt auch Buckmaster wieder zu Wort. Der erwähnt, dass er in der Zeit, als er bei Davis gewohnt hat, die „Prélude“ der ersten Cello-Suite von Bach geübt habe, und dass Davis vom Stück, das auf einen Orgelpunkt-Bass aufbaue, fasziniert gewesen sei und es jeden Tag hörten wollte: „Listen, make a piece like that. Use that as the basis for a piece“ soll Davis zu ihm gesagt haben (ein Davis-Zitat im Rahmen eines längeren Buckmaster-Zitates, Tingen, S. 132). Und über Bach läuft gemäss Tingen dann auch die Ornette-Verbindung, wobei er hier auch nur vermutet (sich aber wieder auf S. 312 der Autobiographie bezieht, wo Ornette halt im Satz nach Bach/Buckmaster erwähnt wird). Weiter geht es:

„I asked for tablas and sitar, two drummers, and electronic organ,“ said Buckmaster. „I wanted to have a Stockhausen-like thing from the organs. Chick Corea was playing a monophonic synthesizer called the ARP Axxe. I also introduced Miles to the Yamaha YC45 electronic organ, which he incorporated in his music from then on. You can hear it particularly well on ‚Rated X,‘ and I think Herbie Hancock played it on the beginning of ‚Ife.‘ I myself played electric cello through a wah-wah pedal, although you wouldn’t be able to identify as such.“

(Tingen, S. 133)

Dazu muss gesagt werden, dass die Sitar und die Tabla schon davor in Davis-Sessions auftauchten … ob Buckmaster davon wusste etc., keine Ahnung … aber das ist ja damals alles nicht sooo einzigartig und die hörten natürlich alle mit offenen Ohren, was die Konkurrenz so machte. Buckmasters für „On the Corner“ wichtige Rolle wird in Tingens Buch aber auch auf den nächsten Seiten recht klar. Auf S. 136 fällt Stockhausens Name dann nochmal in einer Zusammenfassung einer Liste all der Ingredienzen von „On the Corner“. Ein paar Seiten später geht es dann um das Verhältnis von Musik zur Qualität des „consumer playback equipment“: während Mozart oder die Beatles auch auf einem „small transistor radio or a bad vinyl record“ gut funktioniere, gelte dies eben für „music by Stockhausen, Brian Eno’s ambient music, or most of Miles’s ’70s music“ nicht: „As a rule of thumb, the more abstract the music is, the better the playback equipment needs to be.“ (S. 142).

Weiter geht es bei Tingen „during the course of 1972, influenced by the ideas of Stockhausen and Buckmaster and the discovery of the Yamaha YC45 organ, Miles increasingly wanted his keyboardists to play abstract and textural sounds.“ (S. 146) – da wird dann das Konzert in der Philharmonic Hall erwähnt, das auch bei Columbia erschien und „marked the electric piano’s swan song“. Cedric Lawson spielte auf den folgenden Sessions im November/Dezember Orgel und Synthesizer. Eine weitere Erwähnung findet Stockhausen im Zusammenhang mit der Musik, die ich beim Schreiben gerade höre: „Dark Magus“: „The Stockhausen influence can be heard in Miles’s dissonant organ at 05:16 and in the drum machine passing by out of time at 13:02, purely to textural effect“ – die Rede ist hier von „Wili (Part 1)“ – nachzutragen ist aber auch, dass Tingen das Album nicht sonderlich mag. Auf eine Passage, in der er Davis‘ „Dirigier-Methode“ beschreibt: „Perhaps to try to bring some structure into the jumbled mess“, schon das wirkt wenig verständnisvoll, hätte Davis mit einer Fingerbewegung oder einem Kopfnicken die Band hinter Solisten „ausgeknipst“: „But in this case the effect doesn’t make much difference. The band won’t fly, and the music is heavy, clumsy, and far from funky.“ (S. 156) – I beg to differ!

Eine letzte Erwähnung von Stockhausen folgt im Buch von Tingen dann im Zusammenhang mit „Aura“, dem Album, das Palle Mikkelborg arrangierte. Dieser habe weite Teile des Albums nach der Methode des Serialismus aufgebaut und versucht, Davis das Konzept zu erklären, doch der hätte schnell sein Interesse verloren – Tingen zitiert Mikkelborg:

„He was interest in how it sounded, not in how I got there. I also told him that some of the music was based on Messiaen, and asked him whether he was familiar with the composer. He said he wasn’t, and asked me to play him some of his music. He listened, but never mentioned it again. I know that Miles did not really understand Stockhausen either. He called him, ‚That guy Steakhausen.‘ I think he understood the energy, but not the method, and I think this was a conscious choice. He wanted his relationship to music to be entirely intuitive.“

(Tingen, S. 223)

Im Buch von George Cole wird die angeblich Session von Davis mit Stockhausen erwähnt (von der ich hier im Faden heute zum ersten Mal gehört habe):

In his book Milestones, writer Jack Chambers has suggested that, during this period [Sommer 1980, Sessions zu „The Man with the Horn“], Miles went into the studio with Karlheinz Stockhausen, Paul Buckmaster and others (see Chambers, Milestones, p. 301). Yet Chambers provides no reference for this momentous event and, what is more, Stockhausen’s son Markus says his father never met Miles (see Carr, Miles Davis, p. 350).
Buckmaster says he wasn’t there. „I don’t know where Jack Chambers got the story of Miles, Wayne Shorter, Karlheinz Stockhausen and me being present together for recording sessions around 1980, or at any other time. I can aver that if there were any such sessions I certainly was not present. I heard a rumour somewhere that there had been sessions with Miles and Karlheinz Stockhausen, but although the idea is very exciting to me I don’t believe that this ever happened. I’m sure that this would have been widely known and, even if there were no official releases, I’m sure something would have got out, maybe one of the engineers or the musicians would have leaked something – hell, Miles would have talked about it! In this case Columbia [Records] too – what about the PR value of such an event!“

(George Cole: The Last Miles. The Music of Miles Davis, 1980–1991, University of Michigan Press, Ann Arbor, 2005, S. 490f.)

Cole erwähnt am Anfang des Buches auch nochmal Buckmasters ROlle bei der Entstehung von „On the Corner“ und erwähnt:

„I don’t know if Miles was looking for what he got on On the Corner. In fact, I’m convinced he didn’t know what he was looking for,“ says Buckmaster. It was through Buckmaster that Miles became interested in the music of the avant-garde composer Karlheinz Stockhausen. „I related to Miles some of the thoughts and ideas of Stockhausen I had read in articles like ‚play something next to what you hear,‘ and ‚think of what comes before what you’re playing and what comes after it.‘ We live in this ’now‘ moment and there’s this flow of continuity from the future to the past or from the past to the future – which way does it go? Perhaps this is why music is the most sublime of the arts is because it has this dynamic, living, temporal moment-to-moment thing. Music connects us to the simultaneity of eternity,“ says Buckmaster.
But the resulting music on On the Corner is not „Stockhausen meets Sly Stone,“ says Buckmaster. „I don’t think it sounds like that for a minute. I had brought a couple of Stockhausen albums with me when I visited Miles and the reason I brought them is that on one of them was a trumpet statement like a little motif that reminded me so much of what Miles might have played that I thought ‚I’ve got to let Miles hear this.‘ I never had any intention of writing music that was Stockhausen-like.“

(Cole, S. 25)

Das Gespann Buckmaster/Stockhausen taucht auf S. 206 nochmal auf, im Zusammenhang mit einer Anfrage, die bei ersterem einging, als Davis am ersten Warner Bros.-Album arbeitete (das sollte „Tutu“ werden, ohne Beitrag von Buckmaster – der ebenfalls angefragte Bill Laswell sagte ab, weil er ein ganzes Album machen wollte, nicht nur ein, zwei Stücke).

Und gut, zuletzt noch John Szwed – und siehe da: er scheibt dann, dass Buckmaster zwei Stockhausen-LPs mitgebracht hätte, auf denen (u.a.) „Mixturen“, „Gruppen“ und „Telemusik“ enthalten gewesen seien – also ziemlich sicher die beiden, die ich oben verlinkte. Und er erwähnt auch, dass Stockhausen auf dem Cover von „Sgt. Pepper’s“ abgebildet ist …

The two records included „Mixture,“ [sic] „Gruppen,“ and „Telemusik,“ three long compositions completely free of conventional song structure, all of which existed only in the electronics of the studio. „Mixture“ calls for four groups of musicians to play into microphones, and four engineers to balance the parts and feed them to ring modulators, which in turn are „played“ by four more musicians–all of it against another group of musicians, the percussionists. The goal of the work, Stockhausen said, was to develop new kinds of musical textures and compositional methods. „Gruppen“ was a piece for three separate orchestras that either play against each other or come together, often in different tempos. „Telemusik,“ according to Stockhausen, was inspired by Varèse’s Poème électronique and was kind of abstract „world music,“ incorporating „found“ musics from Japan, Bali, North Africa, Spain, Hungary, Vietnam, and elsewhere on tape that were overlapped with manipulated electronics. Like jazz, it was music that could be thought of as ancient and modern at the same time. All three were long pieces built up from small, identifiable cells of music, each involving dense textures of sound–sound used for its own sake–and all of them edited either during the performance or afterward or both. There was a strong spatial component to Stockhausen’s music, allowing players to move in spirals, in effect composing as they played within his own composition. Miles said that what impressed him most about Stockhausen was the „idea of music as a continuous process.“

(John Szwed: So What. The Life of Miles Davis, Arrow Books, UK, 2003, S. 322)

Die Passage bezieht sich auf Tingen („From a Whisper“, S. 131f. – leider fehlt im Buch eine schlaue Bibliographie und den vollständigen Erstbeleg in den Fussnoten mag ich nicht suchen, eine rasche Google-Suche ergab auch nichts), und von da kommt auch die folgende Passage, in der Buckmaster sich über seine Ideen äussert, die er Miles schilderte – bei Szwed zitiert:

„The whole idea was based on creating a kind of ‚cosmic pulse‘ with great abstractions going on around it. I said something to Miles like, ‚Things are either off or on. Reality is made of a consequence of on and offness.‘ A crazy idea. But what I meant was that a sound doesn’t mean anything unless it has a silence preceding it or coming after it, or next to it. Silence makes up part of the music, it is in music, and that’s what I was trying to get at. Like Stockhausen once said, ‚Play something next to what you hear.“ SO here I was talking to Miles about ’street music, with the cosmic pulse going on or off.‘ Miles took that idea and used it for the title and the cover, with the front saying ‚On‘ and the other side ‚off.'“

(Szwed, S. 323)

Die zweite Nennung von Stockhausen bei Szwed (S. 339) bezieht sich auf einen Absatz der Autobiographie, den ich übersah, obwohl ich oben die betreffende Seite (319) zitiere. In der Genesungsphase nach dem Autounfalls (der Miura war geschrottet, Davis brach sich zum Glück nur die beiden Knöchel – wobei das ja ein verdammt mühseliger Bruch ist) hätte er sich weiter in Stockhausens Konzepte vertieft:

I got further and further into the idea of performance as a process. I had always written in a circular way and through Stockhausen I could see that I didn’t want to ever play again from eight bars to eight bars, because I never end songs; they just keep going on.

(Davis/Troupe, S. 319)
Bei Szwed folgt unmittelbar auf dieses Zitat: „This mean that live recordings would replace those done in the studio and that editing would become less important.“ (Szwed, S. 339).

Ist das korrekt? Oder eher so in groben Zügen korrekt?

Dieser ganze Zitat-Steinbruch an sich sagt noch nicht sehr viel aus. Einer der Gedanken, die mir in den letzten Stunden beim Tippen durch den Kopf gingen, ist der hier: meinte Buckmaster allen Ernstes, dass er Davis das Verhältnis von Tönen zu ihrem Umfeld, vom Ton zum Davor und zum Danach, erklären musste? Was für eine Anmassung*! Hatte Buckmaster überhaupt eine Ahnung davon, wer dieser Miles Davis ist, bei dem er unterkam und an dessen Album er mitwirken würde? Er scheint sehr gerne Stories zu erzählen, aber dabei taucht nie ein „Wahnsinn, ich durfte an einem Album von Davis mitwirken, und – Pisse aus meinem Arsch!, wie es bei „South Park“ heissen würde – ich durfte auch noch bei ihm pennen!“ – Dass viele dieser Statements Episodisch wirken, dieser Aspekt aber völlig fehlt, wundert mich etwas. Vielleicht steckt am Ende in der lapidaren Aussage von Palle Mikkelborg mehr Wahrheit als in den vielen Worten, die Buckmaster machte? Auch der erzählt ja nichts über einen tiefer schürfenden Austausch mit Davis sondern berichtet v.a. einfach da, was er damals Davis so gesagt haben soll (und ich stelle mir gerne vor, wie dieser innerlich – oder hinter den Gläsern seiner Sonnenbrille – auch mal die Augen rollte über das, was dieser seltsame Besucher da wieder laberte).

Also wie gesagt: alles interessant, ich lese das auch alles gerne – aber die Frage, wie viel das zu bedeuten hat, ist für mich nicht annähernd geklärt bzw. ich tendiere dazu, das alles nicht überzubewerten und als einen von vielen Fäden zu betrachten, die Teil eines Netzes sind, aus dem Davis‘ Musik sich zusammensetzt. Zellen? „So What“! Zirkuläre Musik? „Somethin‘ Else“! Offene Formen ohne Anfang und Ende? „Flamenco Sketches“! Dafür war Stockhausen nicht notwendig, auch wenn die indirekte Begegnung offensichtlich einiges ausgelöst hat und in die faszinierende Musik einfloss, die Davis in den Jahren bis zu seinem Rückzug machte.

Noch ein kleiner Nachtrag, weil ich vorhin „Dark Magus“ hörte: da kam das ja wieder zusammen, also: Live-Aufnahme und nachträgliches Editieren – darum meine Frage, ob das Statement von Szwed denn so pauschal überhaupt sinnvoll ist.


*) Die andere, noch viel gewaltigere Anmassung ist natürlich das Gerede von der „found“ Musik … „found“ ist die nur für uns weisse Langnasen in unser glorreichen Ignoranz, für die Menschen in Japan, Bali usw. ist die Musik schon dort, die braucht nicht erst von jemandem gefunden zu werden.

PS: Ich hasse diese ganzen innerhalb der Anführungszeichen gefangenen Satzeichen im Englischen! Die sollten endlich mal Interpunktion lernen!

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