Antwort auf: Jazzbücher

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gypsy-tail-wind
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Ein paar Gedanken:

1. Die Beobachtung (bzw. Tatsachenschilderung), dass die Jazzkritik lange Zeit völlig weiss dominiert war – sie war ja zunächst sogar stark europäisch dominiert (Hugues Panassié quasi der primitive Anfang, André Hodeir mit seiner Stilentwicklungshyptothese das neue Testament, aber gedanklich auch noch nicht viel weiter als im 19. Jahrhundert angekommen … Tom Perchards Buch „After Django“ ist sehr lesenswert) – ist schon bemerkenswert. Da entstand quasi parallel zu den massgeblichen Künstlern eine eigene Welt oder Szene, die quasi mit dem Studienobjekt nur indirekt (Platten) in Kontakt stand … aber das änderte sich mit der Akademisierung des Jazz in den Siebzigern (und gerade da werden ja auch weisse Szenen bedeutender, die ganzen Berklee-Kreise, die New Yorker Loft-Gentrizierer, von denen wir es neulich hatten usw. – das sind alles keine Statements über die künstlerische Qualität).

2. Wann beginnt „oral history“ im Jazz? Und wer betrieb sie? Ich habe das nicht abrufbereit, aber Ralph Gleason mit seiner TV-Sendung „Jazz Casual“ hatte für mein Empfinden immer eine sehr gute Art, mit den Musikern in lockerer Atmosphäre zu reden – und ihnen eben nicht irgendwelche Konstrukte überzustülpen, sondern einfach ein paar (richtige) Fragen zu stellen (nicht „die richtigen“, dazu waren die Gespräche nicht ambitioniert und ausführlich genug … das mit „ambitioniert“ führt ja bei ähnlichen europäischen Sendungen oft zu fast humoristischen Szenen, Berendt und andere Erklärer, die natürlich auf der Grundlage von Hodeir argumentieren – und die oft den Eindruck machen, als bräuchten sie dringen ein intellektuelles Konstrukt, an dem sie sich überhaupt orientieren, sich festhalten können). Aber Gleason war weiss, klar … auch weiss war Gunther Schuller, vermutlich der US-Grosskritiker, der quasi nach Hodeir die Jazzkritik in den USA etablierte?

3. Wann beginnt die schwarze „oral history“ im Jazz? Mit Art Taylor? Dessen Buch „Notes and Tones“ hat natürlich auch eine Agenda – aber das sollte man ja gerade nicht betrachten, ohne das Umfeld zur berücksichtigen. Da wird eine Gegenposition eingenommen, die praktizierenden Künstler (Frauen sind glaub ich eher nicht mitgemeint?) kommen zu Wort, es wird auch mit Seitenhieben nicht geizig umgegangen … und das ist auch gut so, denn die „offizielle“ Kritik (die ja nur offiziell ist, insofern sie sich selbst dazu erklärt und ihre eigene Tradition erfunden – und dann institutionalisiert – hat) braucht dieses Korrektiv. Eine Fortschreibung dieses Ansatzes von Taylor sehe ich z.B. in den Büchern, die William Parker bei RogueArt herausgebracht hat (ich habe aus allen dreien einzelne Gespräche gelesen und fand sie super, muss mich da wieder mehr drein vertiefen) … aber wo fängt das an? Hat sich das in der akademischen Forschung (die ganzen oral history Projekte, die wir ja manchmal hier auch finden und verlinken, jüngst die Interviews mit Dave Liebman oder Elvin Jones) irgendwann dahingehend geöffnet, dass auch Platz für andere als weisse Kritiker (und allenfalls Diplom-Jazzer – auch das keine Aussage über deren künstlerischen Rang) ist?

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba