Antwort auf: Bill Frisell

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friedrich

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Flohmarkt, in der „Jede CD nur € 2,00-Kiste“ zwischen Milli Vanilli und den Flippers gefunden.

Bill Frisell – Disfarmer (2009)

Man zeigte sich hier gelegentlich enttäuscht davon, dass Bill Frisell in den letzten Jahren etwas gemütlich geworden ist. Das ist nicht von der Hand zu weisen und so sehr mich BF früher fasziniert hatte, so hatte ich seit fast 10 Jahren auch nicht mehr das Bedürfnis, eine neue BF-Platte zu kaufen, mit Ausnahme von „Music Is“ von 2018. Die finde ich auch sehr gut, wenngleich auch nicht sehr überraschend. Da rekapituliert BF sich halt selbst. Aber was erwarte ich von einem Musiker, der schon längst im Rentenalter ist und dessen wilde Jahre lange zurückliegen?

Bei einem Schnäppchen für € 2,00 konnte ich dann aber doch nicht Nein sagen.

Disfarmer ist der Soundtrack zu einer Retrospektive und Filmdoku über den geheimnisvollen amerikanischen Fotografen Mike Disfarmer, der in den 20er – 50er Jahren in seinem Heimatort, einem Kaff in Arkansas, unzählige Porträtaufnahmen von ganz gewöhnlichen Menschen machte. Völlig lakonisch aber ganz genau, so wie sie eben aussahen. Erst in den 70er Jahren wurden diese Aufnahmen „entdeckt“ – heute betrachtet man sie als ein Kulturerbe zwischen Archäologie, Folklore und Kunst.

Bill Frisells Soundtrack (mit git, steel guitar + mandolin, violin und bass) besteht aus – ich sag mal: 26 musikalischen Athmosphären. Das bedient sich aus dem Fundus von Country und Folk, eine der wenigen Fremdkompositionen „That‘s All Right, Mama“ kratzt auch mal am frühen Rock‘n‘Roll. Das klingt nostalgisch, mal naiv, mal komisch, mal verträumt, mal tieftraurig, mal unheimlich und bitter – wohl so, wie die Menschen waren, die Disfarmer fotografierte. Man bekommt ein Gefühl von ihrer kleinen Welt und großen Träumen, dem Staub von Arkansas, den kauzigen Nachbarn, den gruseligen Verwandten, der Hornhaut an ihren Händen und dem Bedürfnis, am Freitagabend einen draufzumachen und am nächsten Tag bitterlich bereuend verkatert aufzuwachen.

Keine Musik, die sich aufdrängt. Das soll sie wohl auch nicht als Begleitung der Retrospektive. Habe ich in den letzen Wochen gerne nebenher gehört. Aber dann und wann gibt es Momente, wo ich aufhorche und denke „Puuh, das ist lustig, das ist tieftraurig und das ist unheimlich schön!“

Auch Disfarmer ist bei Bill Frisell nicht überraschend. Eher reif, würde ich sagen, und das passt dann ja auch für einen Mann im Rentenalter – auch wenn er 2009 noch etwas davor stand.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)