Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Saisonauftakt 2019/20 (Teil 3)

 

Zürich, Tonhalle-Maag – 17.10.2019

Tonhalle-Orchester Zürich
Philippe Herreweghe
Leitung
Isabelle Faust Violine

Ludwig van Beethoven Violinkonzert D-Dur op. 61

Robert Schumann Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61

Letzte Woche bereits das zweite Konzert mit dem Tonhalle-Orchester, das ich in mein Wahl-Abo aufgenommen hatte: Isabelle Faust habe ich schon mehrmals im Konzert erlebt, Philippe Herreweghe dafür bisher noch gar nie. Das Programm bot natürlich Repertoire, aber mit den beiden versprach es doch, spannend zu werden – und so war es denn auch. Ich sass wie meist in der ersten Reihe, nicht ganz am Mittelgang und damit direkt vor der Nase von Faust (und in der zweiten Konzerthälfte an der Seite des Konzertmeisters). Die Herangehensweise bei Beethoven war ungewöhnlich, da wurde kein monumentales Titanenwerk gespielt sondern oft fast kammermusikalisch zusammengewirkt (was mich an das Konzert mit Janine Jansen und Paavo Järvi mit einem Mozart-Konzert im Januar erinnerte). Doch bei Herreweghe klang das Orchester wohl wärmer und auf andere Art wenig, nicht unbedingt schlank, aber doch sehr kompakt. Immer wieder wurde es fast bis zum Verschwinden leise, von meinem Platz aus hörte ich auch mehrmals das Geräusch, wenn Faust die Finger vom Griffbrett entfernte … da wurde stellenweise, so schien es, fast schon gemeinsam geatmet. Faust spielte – so erfuhr ich in der Konzerteinführung – die Kadenz, die Wolfgang Schneiderhan basierend auf der Kadenz schrieb, die Beethoven für seine Klavierfassung des Violinkonzertes komponiert hat. Schneiderhan hat sie angepasst, Faust hat wohl weitere eigene Anpassungen vorgenommen (zu hören ist sie auf Schneiderhans 1962er DG-Aufnahme mit den Berlinern unter Jochum). Diese Kadenz klang auf jeden Fall ungewöhnlich, ich habe die Schneiderhan-Aufnahme noch nicht hervorgekramt, will das aber die nächsten Tage mal machen. Ich fand Faust insgesamt sehr faszinierend, im kleinen, in vielen Passagen überraschend, wie ruppig, wie direkt, aber doch auch wie zart und präzise sie spielte. Manchmal schienen mir aber vor lauter Fokus auf die Details die grossen Bögen etwas zu sehr in den Hintergrund zu treten. Als Zugabe spielte sie ein kurzes Stück, das zeitgenössisch klang (frühestens 60er oder 70er), aber leider habe ich keine Ahnung, was für ein Stück das war.

Nach der Pause folgte dann Schumann, und ich fand diese Symphonie in der Herreweghe/TOZ-Fassung wirklich super. Auch hier wieder ein sehr atmendes, lebendiges Musizieren, eine Leichtigkeit und Wärme, die auch etwas Bescheidenes hatte – so als täte man gerade etwas vom Leichtesten auf der Welt. Ganz präzis (wie Järvi es einforderte und wie es beim verlinkten Konzert mit Jansen auch gelang) war das selten, aber das spielte keine so grosse Rolle, denn es schien hier für mich alles zu stimmen. Auch die Schumann-Symphonien, mit denen ich erst partiell warm wurde, muss ich mir bald wieder vorknöpfen (Holliger, und wohl Gardiner als Ergänzung … oder auch Szell oder Karajan).
 

 

Zürich, Opernhaus – 18.10.2019

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Musik mit Bildern von Helmut Lachenmann (*1935)

Schweizerische Erstaufführung

Choreografie und Inszenierung Christian Spuck
Musikalische Leitung Matthias Hermann
Bühnenbild Rufus Didwiszus
Kostüme Emma Ryott
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Video-Design Tieni Burkhalter
Choreinstudierung Raphael Immoos
Dramaturgie Claus Spahn, Michael Küster

Sprecher Helmut Lachenmann
Sopran 1 Alina Adamski
Sopran 2 Yuko Kakuta
Erstes Klavier Yukiko Sugawara
Zweites Klavier Tomoko Hemmi
Shō Mayumi Miyata

Ballett Zürich
Junior Ballett
Philharmonia Zürich
Basler Madrigalisten

Letzten Freitag ging es – Ritsch! – dann ins nach Nono erwwart/erhoffte zweite grosse zeitgenössische Highlight – und so eines war das auch. Dass Lachenmanns mir davor unbekanntes, auf Andersens finsterem Märchen beruhendes Stück, das keine Oper ist (und im Gegensatz zu Nono auch nicht wie eine Oper inszeniert werden kann), als Ballett aufgeführt werden sollte, hatte ich im Vorfeld gar nicht so richtig realisiert. Aber dann trudelten Probenberichte ein, ein Gespräch mit Spuck, das die Neugierde nur noch wachsen liess (eine Karte hatte ich längst, die Vorstellungen sind – das ist beim Zürcher Ballett wohl die Regel – alle ausverkauft). Spuck machte daraus denn auch kein Handlungsballett sondern versuchte, Bilder zu finden, die die Musik umsetzen, kommentieren, ergänzen. Das Mädchen war meist doppelt (und in der Regel synchron – eine einmal leicht versetzt getanzte Passage war wohl eine Ungenauigkeit?) vorhanden, manchmal aber auch sechsfach, die Bühne war in ein Halbdunkel getaucht, das die Kälte von Lachenmanns Musik – in der das Klirren, das Knirschen, die schneidende Kälte des Winters förmlich greifbar scheint – wiederspiegelte.

Dass Lachenmann selbst den Text von Leonardo sprach, allein auf der Bühne und als einzige Begleit“musik“ für ein paar MitgliederInnen des Balletts, diese Szene, die wie ein Innehalten vor dem bittere Ende wirkt, eine Art retardierendes Moment, war natürlich auch schön. Hier, wo ausser dieser Stimme nichts zu hören war, der Geräuschteppich des gross besetzten, teils in den vordersten Logen und in den seitlichen obersten Reihen verteilten Orchesters für einmal verstummte, wurde deutlich, wie der Umgang mit dem Text – und wohl auch jener mit musikalischen Fragmenten, Versatzstücken funktioniert: alles wird zerlegt, teils bis hin zu einzelnen Phonemen, die wiederum so stark rhythmisiert werden, dass höchstens die Hälfte des Gesprochenen als sinnhafte Sprache erkenntlich wird. Als Chor traten die Basler Madrigalisten auf, die einen phänomenalen Job machten. Dasselbe gilt für das Orchester unter der kundigen Leitung von Matthias Hermann, der stets den Überblick bewahrte. Wie die Tänzerinnen und Tänzer das alles memorisieren konnten, ist mir ein Rätsel, anscheinend wurde die komplette Partitur mit Taktnummern versehen und so, Takt für Takt, die ganze Choreographie einstudiert, in der nichts fehlt, vom Solo über den Pas-de-deux (auch der gerne wieder vervielfacht) bis hin zu grossen Gruppenszenen. Die zwei Sopransängerinnen sassen zeitweise auf der Bühne, meist am Rand, aber auch mal zu zweit vorn in der Mitte, auch die Sho-Spielerin gegen Ende trat auf der Bühne auf, der Chor war hinegen in die Logen und den zweiten Rang verteilt (ein paar Sängerinnnen und Sänger direkt hinter/über mir – ich hatte zum Glück einen Platz, von dem aus ich auch in den Graben gucken konnte und den Dirigenten sah – wenn ich weiter mittig sitze, fehlt mir das immer in der Oper, auch in Basel bei Nono übrigens, wo das leider gar nicht möglich ist).

Ein eisiger, schier nicht enden wollender Totentanz, der mich völlig in seinen Bann zog. Allein die Musik hätte mir wohl auch schon genügt, aber die Umsetzung scheint mir – als völligem Tanzlaien – doch sehr gelungen zu sein. Leider habe ich wohl vor Monaten die beiden Einspielungen des Werks (Kairos und ECM) hervorgekramt und an einem so blöden Ort hingelegt, dass ich sie bisher noch nicht wiederfinden konnte – im Voraus wollte ich das Werk nicht anhören, jetzt aber würde ich es umso lieber Wiederhören. Doch das ist natürlich auch Musik, die ihre Zeit braucht, denn sie ist von solcher Reichhaltigkeit, dass mir schien, man können sie unmöglich in einem Mal durchdringen – und so hatte ich auch, bei aller Stimmigkeit des zweistündigen Abends (ohne Pause) manchmal das Bedürfnis, die Augen zu schliessen und einfach nur all den unerwarteten Klängen zu lauschen, die auch einen unglaublichen Sog entwickeln. Grossartig!

Die Rezensionen der Tagespresse (andere fand ich bisher nicht):
https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/mit-hoerenden-augen-und-sehenden-ohren/story/18451595
https://www.nzz.ch/feuilleton/helmut-lachenmanns-maedchen-mit-den-schwefelhoelzern-am-opernhaus-zuerich-ld.1515094?reduced=true

 

 
Winterthur, Stadthaus – 20.10.2019

Emmanuel Pahud Flöte
Eric Le Sage Klavier

Carl Reinecke Sonate für Flöte und Klavier h-Moll, op. 167 „Undine“
Ludwig van Beethoven Serenade für Flöte und Klavier D-Dur, op. 41

Henri Dutilleux Sonatine für Flöte und Klavier
Sergej Prokofieff Sonate für Flöte und Klavier Nr. 2 D-Dur, op. 94
Zugabe: Gabriel Fauré Fantaisie für Flöte und Klavier, op. 79

Auch für das Musikkollegium in Winterthur, das von Thomas Zehetmair geleitet wird, habe ich mir für die Saison 2019/20 ein kleines Wahlabo zusammengestellt (letzte Saison gab es nur zwei Konzerte, zu denen ich es schaffte, ab dreien gibt es ein Wahlabo und damit eine Ermässigung). Los ging es am späten Sonntagnachmittag mit einem Duo von Emmanuel Pahud, hauptberuflich Solo-Flötist der Berliner Philharmoniker, geboren in Genf, und in der laufenden Saison „Artist in Resonance“, wie das in Winterthur heisst.

Los ging es sehr beschwingt mit einer Sonate des mir bisher völlig unbekannten Carl Reinecke, inspiriert von Friedrich de la Motte Fouqués 1811 erschienener Erzählung „Undine“. Dann folgte Beethovens eigene Bearbeitung seiner Serenade Op. 25 für Flöte, Violine und Viola. Pahud und Le Sage spielten das beherzt, Pahud mit sehr grossem Reichtum, was die Tongestaltung betrifft, von stechender Klarheit bis hin zu fast vokalisierten Momenten. Beide Stücke waren von der Art, dass manche Dame im Publikum gar entzückt in die Pause ging … und mir kam das alles etwas gar harmlos vor.

Das änderte sich nach der Pause, als die einsätzige, etwa zwölfminütige Sonatine von Dutilleux erklang. Später vom Komponisten als Gebrauchsmusik halbwegs abgelehnt war das Stück doch ein schöner Kontrast zur Romantik bzw. Klassik davor. Und noch besser wurde es dann mit der grossen zweiten Flötensonate (von der David Oistrakh, man versteht es sofort, um eine Version für Violine bat). Wie hier zwei der Hauptstränge von Prokofiev, das Klassische und das Moderne, den zeitgemässen Ausdruck suchende, zusammenfinden, wie hinter der doch recht freundlichen Fassade Abgründe lauern, die da durch eine leise Dissonanz, dort durch einen kleinen Bruch angetönt werden, das fand ich in dieser Darbietung sehr beeindruckend.

Mich dünkte auch, dass die Schattierungskunst von Eric Le Sage am Flügel in der zweiten Konzerthälfte stärker zum Vorschein kam, aber das mag an meiner eigenen Vorliebe oder Achtsamkeit liegen. Das Publikum war für Kammermusikverhältnisse recht zahlreich erschienen und dankte den Künstlern mit grossem Applaus. Es folgte dann als Zugabe noch Faurés wunderbare Fantaisie, die von der Stimmung her wieder den Bogen zum ersten Konzertteil schloss – wobei ich mich schon fragte, wieviel von den dunkleren Seiten der Musik Prokofievs auch wirklich angekommen sind … egal, das Konzert gefiel, und auch da gibt es Anfang November noch einen Nachfolge-Termin, den ich in der Auflistung unten vergass: Pahud spielt dann mit Streichern des Musikkollegiums die ersten zwei Flötenquartette von Mozart, dazwischen ein Solostück von Elliott Carter und danach eine Bearbeitung von Dvoráks „amerikanischem“ Streichquartett Nr. 12 (siehe oben, Pavel Haas Quartet) für Flötenquartett (also Flöte, Violine, Viola und Cello). Das ist dann im Gegensatz zum günstigen Konzert von letztem Sonntag (Einheitspreis, unnumerierte Plätze) gratis, es gibt aber Platzreservationen für ein paar Franken, was ich sicherheitshalber mal genutzt habe …
 

 

Weiter geht es heute Abend mit dem Saisonauftakt des Zürcher Kammerorchesters. Daniel Hope spielt das Mendelssohn-Konzert, davor gibt es KV 546, in der zweiten Hälfte Rutters Suite für Streichorchester und die Streicherserenade von Tschaikovsky.

Tschaikovsky kommt diese Saison auch in der Tonhalle zu seinen Ehren: die sechs Symphonien werden aufgeführt und auch gleich eingespielt. Das ausgewachsene Konzert mit Nr. 4 (und Martin Fröst, der das Klarinettenkonzert von Copeland spielt) lasse ich aus, habe aber vor ein paar Tagen für das Feierabendkonzert (nur Tschaiko 4) übermorgen eine Karte gekauft, um die sechs doch alle zu hören (Nr. 4 hörte ich vor ein paar Jahren mal mit Dutoit und konnte bisher nicht wahnsinnig viel damit anfangen – Fröst höre ich dann im Dezember noch in einem Kammermusik-Programm).

Am Sonntag gibt es dann eine Matinee mit Tonhalle-Musikerinnen und Kammermusik von Gubaidulina, Ustwolskaja und Tabakova sowie einer Lesung von Hannelore Hoger, und nächste Woche dann das erste grosse Tschaikosky-Konzert mit Nr. 6, einer ersten Begegnung mit Musik des diesjährigen „creative chair“ Erkki-Sven Tüür sowie Pekka Kuusisto als Solist in konzertanten Werken von Sibelius (nicht das Violinkonzert).

Und Anfang November gehe ich an ein Gesprächskonzert mit Lachenmann in der Studiobühne der Oper, sowie am folgenden Tag wohl ans Lachenmann-Symposium an der Hochschule für angewandte Künste sowie abends ans Konzert des Studierendenorchester mit je einem Werk von Lachenmann und von Morton Feldman.

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