Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Ambrose Akinmusire Quartet – Zürich, Moods – 22.1.

Ambrose Akinmusire (t), Sam Harris (p, fender rhodes, synth), Harish Raghavan (b), Justin Brown (d)

Ein phänomenaler Auftakt in das Jazzjahr bot Ambrose Akinmsires Quartet im Moods vor ein paar Wochen. Die Band ist deutlich mehr als die Summer seiner vier Mitglieder. Harris am Klavier (mit einem eher selten eingesetzten Rhodes daneben und etwas Elektronik auf dem Flügel) schafft Räume und öffnet Flächen, Raghavan und Brown sorgen für einen unwiderstehlichen Groove, egal ob das Tempo schnell oder langsam ist. Akinmusire glänzt an der Trompete mit einer Lässigkeit, die nie ins Unverbindliche, nie ins Gepose kippt (mich natürlich in vielem unweigerlich an Lee Morgan erinnert, auch wenn sein Spiel doch ganz anders ist … obwohl, die eine oder andere „half valve“-Passage gab es auch bei ihm). Das Quartett spielte zwei lange Sets (beide über eine Stunde), hatte an dem Abend ganz offensichtlich Lust darauf, zu spielen. Das erste war brennend intensiv, mehr schnelle, teils ordentlich komplexe Stücke, durche die aber mit einer beeindruckenden Sicherheit navigiert wurde – es wurde schon in den ersten Stücken klar, dass die vier sich blind aufeinander verlassen können. Im zweiten Set gab es dann mehr ruhige Momente, in die Akinmusires Ton sich noch natürlicher einfügt als ins schnelle Spiel – es bleibt ja, obwohl man längst weiss, von Lester Young etwa, oder von Joe Henderson, dass „leise“ Musiker intensiv „projizieren“ können (in der Klassik ist das ja nicht anders, mit einem ganz leisen Geigenton eine ganze Halle zu füllen muss man erst mal hinkriegen) – einigermassen erstaunlich, wie der stille, so lyrische Ton von Akinmusire in all den unterschiedlichen Stimmungen seiner Kompositionen immer bestens passt. Einer der schönsten unter den leisen Momenten war auf jeden Fall die Hommage an Roy Hargrove. Brown am Schlagzeug war unglaublich beeindruckend, sein Spiel voller Kanten, permament Haken schlagend aber dennoch flüssig. Raghavan sorgte für den passenden Boden, war immer aufmerksam dabei und setzte auch seinerseits einige Akzente, solistisch kam er jedoch nur wenig zum Zug. Das galt irgenwdie auch für Harris – machte die Sache aber überhaupt nicht bedauernswert, denn die Momente, in denen da eine Band spielte überwiegten oft auch dann, wenn man beim oberflächlichen Hinhören gedacht hätte: ah, Trompetensolo oder aha, Klaviersolo. Ein total beglückender Abend, der mal wieder das beste vorführte, was guter Jazz (und ich meine Jazz, nicht Improvisation) immer noch kann, was Jazz gerade im Konzert so unvergleichlich macht. Ein Tanz im Augenblick, ohne Sicherheitsnetz, in alle Richtungen offen und doch nie beliebig, in der Interaktion, die nie überfrachtet wirkte, stets schlüssig, ein dichtes Netz an Ideen aufspannend, in dem man manchmal fast nicht mehr folgen konnte beim Zuhören …

Werkstattkonzert – Zürich, WIM – 25.1.

Manuel Mengis – Trompete / Philipp Schaufelberger – Gitarre / Christian Weber – Bass / Marcel Papaux – Schlagzeug

Das erste der freitäglichen Werkstattkonzerte in der WIM, der Werkstatt für improvisierte Musik Zürich, das mich interessiert hätte, verpasste ich leider, weil ich an dem Abend in der Tonhalle war – das Trio Gabriela Friedli-Christian Weber-Michael Griener wäre zu hören gewesen. Doch zwei Wochen später war ich da und hörte zwei Sets eines Quartetts, das wohl früher mit vorbestimmtem Material (aus der Renaissance?) arbeitete, dieses zum Ausgangspunkt für seine Erkundungen nahm, dann aber ganz zur freien Improvisation fand. Die Musik fiel alles in allem ruhig, ja etwas verhalten aus, entfaltete aber gerade in ihrer Stille immer wieder einen feinen Zauber, eine Wärme, die berührte. Christian Weber und Marcel Papaux schienen sehr eng zu sein, ebenso Schaufelberger und Weber sich blind zu verstehen. Mengis sass dagegen so gekrümmt auf seinem Barhocker, dass ich mich schon wunderte, wie er überhaupt Luft in die Trompete hineinkriegte. Allzu viel Luft war wohl für das meist sehr leise Spiel (oft mit Dämpfer) auch gar nicht nötig … aber gerade von ihm hätte ich gerne manchmal etwas mehr gehört. Egal, der Besuch von Konzerten in der WIM lohnt fast immer, allein wegen der Nähe, der Unmittelbarkeit. Und Christian Weber kriegte ich die letzten Monaten leider viel zu selten zu hören.

Werkstattkonzert – Zürich, WIM – 1.2.

1. Set: Elisabeth Coudoux – Cello
2. Set: Rough: Cave Beat Keller – Gitarre / Oliver Roth – Analog Synthesizer

Diesen Freitag war ich dann bereits wieder in der WIM, zwei Sets standen an, das erste ein Solo der in Köln lebenden Cellistin Elisabeth Coudoux (geb. Fügemann). Auf sie hatte mich einst @nicht_vom_forum aufmerksam gemacht, eine ältere CD (eine neue wird demnächst eingespielt) ihrer Gruppe Emißatett und ihre Solo-CD auf Leo Records sind seit einer Weile da und so war ich gespannt auf den Auftritt. Sie spielte ein relativ kurzes (35-40 Minuten wohl, ich guckte nicht auf die Uhr) Set, das sehr abwechslungsreich war. Ein paar Effekte (ein Mikro an der Rückseite des Cellos, ein Motörchen mit Propeller, das auf den Steg geklemmt wurde und dessen Drehgeschwindigkeit mit einem Pedal gesteuert wurde), vor allem aber eine vielseitige Spieltechnik, die wohl an der Neuen Musik geschult wurde, gezupft und gestrichen, rein und „dreckig“ intoniert, mal voll klingend, dann wieder dünn, kratzig. Der kleine Propeller wurde mal ergänzend eingesetzt: er stiess rhythmisch an eine Saite oder auch an zwei oder mühte sich stotternd an einer Saite ab, irgendwann entfernte Coudoux ihn aus der Halterung und hielt ihn mit einer Hand von oben gegen die Saiten. Das Ding kam mir natürlich sofort bekannt vor und als ich Coudoux nach dem Konzert drauf ansprach, dass ich diese Dinger schon mal gesehen hätte und woher die eigentlich kämen, kam die Auflösung: die Idee stammt von Pascal Niggenkemper und wird von seiner Gruppe mit zwei Bässen und zwei Celli eingesetzt. Moment, die hörte ich doch, aber da gab es nur ein Cello (klick) – ja, an dem Abend hätte sie einen Gig gehabt (mit Zeitkratzer) und darum sei die Gruppe in Zürich nur als Trio aufgetreten und sie hole heute ihren Auftritt ja nach … sehr schön, denn unter dem Strich gefiel mir ihr Solo-Set wohl etwas besser als jenes des Trios um Niggenkemper.

Nach der Pause waren ein paar BesucherInnen schon wieder gegangen und die Musik von Keller/Roth vertrieb dann noch ein paar weitere. Keller hat seine Gitarre so umgebaut, dass er direkt Feedback erzeugen, Töne abnehmen und wieder einspeisen kann, die üblichen Gitarrentöne erwartet man denn auch vergebens, er braucht sein Instrument als Klanglabor, das manchmal bis an die Schmerzgrenze aufheulte. Roth am Syntzesizer schien mir eher geerdet, wusste, was er tat, während Keller etwas Wundertütenhaftes hatte – was ich ja schon im Dezember bei einem Duo mit Jason Kahn hörte. Das Duo mit Kahn war vielleicht etwas vielseitiger, aber das Duo mit Roth schien mir stimmiger, etwas konsistenter – aber vielleicht auch eine Spur zu lang (obwohl es wohl auch nur um die 40 Minuten dauerte).

Die weiteren geplanten Februar-Termine:

Marc Ribot „Songs of Resistance“ – Moods, Mo 11.2.
Jacques Demierre/Louis Schild/Paul Lovens – WIM, Fr 15.2.
Tamriko Kordzaia/Tobias Gerber/Tomas Korber – WIM, Fr 22.2. (*)
Bill Frisell Trio – Moods, Di 26.2.

(ja, das Programm hier ist gerade wirklich recht dürftig, es gäbe noch einen Sonntag mit den dreien von Koch-Schütz-Studer in jeweils eigenen Projekten, aber an dem Wochenende habe ich schon zuviel vor – und natürlich kein Wunder, dass Akinmusire, Ribot und Frisell alle an „off-nights“ spielen … gut möglich, dass ich denn auch mal was sausen lasse, weil es mir zuviel wird, schon am Montag Schlafmangel anzuhäufen …)

*) Kordzaia spielte beim Konzert des Collegium Novum Zürich mit, das ich vor ein paar Tagen hörte, der andere Pianist an dem Abend war Gilles Grimaître, den ich letzten Sommer am Lucerne Festival mit einem kleinen elektronischen/improvisierten Duo-Auftritt gehört habe … schon interessant, wie sich da die Grenzen vermischen (und nein, „Jazz“ ist das alles nicht, dort sind wohl in vielen Fällen die Grenzen auch noch etwas dichter und wenn sie sich öffnen dann nicht unbedingt zu „Musik der Gegenwart“ oder wie immer man das nennen will)

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