Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Kammermusik-Soiree mit dem Kuss Quartett und der Sopranistin Mojca Erdmann – Zürich, Tonhalle-Maag – 13.05.2018
 
Mojca Erdmann Sopran
Kuss Quartett
Jana Kuss Violine
Oliver Wille Violine
William Coleman Viola
Mikayel Hakhnazaryan Violoncello

Theodor Kirchner „Die schönen Augen der Frühlingsnacht“ Sechs Lieder nach Gedichten von Heinrich Heine für Sopran und Streichquartett bearbeitet und verbunden mit sieben Bagatellen von Aribert Reimann, Schweizer Erstaufführung
Ludwig van Beethoven Streichquartett Nr. 9 C-Dur op. 59 Nr. 3 „Rasumowsky“

Ludwig van Beethoven Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135
Felix Mendelssohn Bartholdy „…oder soll es Tod bedeuten?“ Acht Lieder und ein Fragment nach Gedichten von Heinrich Heine für Sopran und Streichquartett bearbeitet und verbunden mit sechs Intermezzi von Aribert Reimann
 
Gestern gab es im leider wie so oft bei Kammermusik schlecht gefüllten Saal der Tonhalle-Maag ein äusserst stimmiges und anregendes Programm mit dem Kuss Quartett und Mojca Erdmann zu hören. Zwei Lied-Zyklen auf Texte von Heinrich Heine umrahmten zwei Streichquartette von Beethoven, die Spieldauer war mit ungefähr zwei Stunden ordentlich ambitioniert, aber eben: enorm anregend. Aribert Reimann schrieb Arrangements für Streichquartett und im einen Fall Bagatellen als Vor-, Zwischen- und Nachspiele, im anderen Fall verwebte er die Lieder nahtlos mit Intermezzi zu einem Ganzen.

Los ging es mit der Bearbeitung von Theodor Kirchners «Die schönen Augen der Frühlingsnacht», Sechs Lieder nach Gedichten von Heinrich Heine, die in der selben Besetzung letztes Jahr uraufgeführt worden sind. Den „schönen Augen“ – „Sie schauen so tröstend nieder“ – wohnt in Reimanns Sichtweise etwas Unheimliches inne, er verkehrt die Illusion der Liebe (Kirchner, der Schüler Schumanns, machte sich nach dessen Tod anscheinend Hoffnung auf eine Liebe mit Clara, ein Ansinnen, das diese deutlich ablehnte) in das Gegenteil. Die kargen Bagatellen, die den Zyklus umrahmen und als Zwischenspiele zwischen den Liedern erklingen, erweisen sich als Bindeglieder aber auch als Kommentar zu den romantischen Liedern, denen allerdings – Heine sei Dank – schon eine ordentliche Ambivalenz eingeschrieben ist, eine manchmal beissende Ironie. Dass die Textverständlichkeit nicht immer gegeben ist in den Arrangements, passt gar nicht so schlecht zum Ansinnen. Die Tonsprache Kirchners hat Reimann nicht wesentlich verändert, aber seine Bagatellen setzen sie in einen bruchlosen Dialog mit der Gegenwart.

An zweiter Stelle folgte das dritte Quartett, das Beethoven für den Grafen Rasumowsky schrieb. Es ist, so schreibt Thomas Meyer im ausführlichen Programmheft, kein Werk, das mit „revolutionärer Gestik“ glänzt, das „Neuartige“ darin zeige sich vielmehr „darin, dass Beethoven musikalisch über Tradition nachdenkt“. Der nahezu statische Auftakt funktionierte denn auch blendend als Bindeglied zur Musik Reimanns – und demonstrierte ganz konkret, weshalb Beethovens Musiksprache bis in die Gegenwart nachwirkt und anregt. Das brilliante fugenhafte Finale sorgte für einen Höhepunkt vor der Pause (die dank des kleinen Publikumsandranges zum Glück kurz gehalten wurde … ich hatte mir beim Eingang das neue Saisonprogramm geschnappt und genügend Lektüre, die Zwischensaison ohne Chefdirigent – Järvi ist schon einige Male da und übernimmt auch die Leitung der geplanten Tournee – verspricht, toll zu werden, Janine Jansen ist artist in residence, Matthias Pintscher wirkt als creative chair, unter den Gästen finden sich diverse Leute, die ich sehr gerne (wieder) hören möchte und auch das Repertoire kann sich sehen lassen, finde ich).

Nach der Pause ging es weiter mit dem letzten Quartett, ja dem letzten abgeschlossenen Werk Beethovens – „Muss es sein?“ Ja, klar! Schon der erste Satz ist bei aller Leichtigkeit sehr raffiniert. Ein tolles Werk, das ich gewiss noch nicht richtig verstanden habe – das aber im Vergleich zu den Quartetten direkt davor wenigstens oberflächlich recht zugänglich wirkt (ich hörte im Konzert bisher erst Op. 131 mit dem Takács Quartet, habe aber noch Karten für das Chiaroscuro Quartett Ende Mai mit Op. 18/2 und Anfang Juli für das Armida Quartett, das mit Auszügen aus BWV 1080 öffnet, dann Mozarts gnadenloses KV 546 anschliesst und mit Op. 130/133 endet – darauf freue ich mich sehr).

Den Ausklang machte dann ein älterer Liederzyklus «… oder soll es Tod bedeuten?», Heine-Vertonungen von Felix Mendelssohn, einmal mehr von Reimann für Stimme und Streichquartett bearbeitet, die Texte Heines diesmal eher herbstlich eingefärbt. Hier nun verwebt Reimann seine Intermezzi direkt zwischen die Lieder, fast immer wurde nahtlos weitergespielt, was den Effekt des Dialoges noch verstärkte. Wieder liess Reimann die romantische Musikwelt intakt und tritt ins Gesprach mit ihr. Den Zyklus schuf erst Reimann durch die Auswahl von acht Liedern und einem Fragment. Das Lied „Was will die einsame Träne“ unterbricht er zwischen der zweiten und der letzten, dritten Strophe mit „In dem Mondenschein im Walde“ – den Tränen der (über die?) Liebe wird so der Tod eingeschrieben, dem Reimann den Untertitel seines Zyklus entnahm.

Der Applaus vor der Pause war grösser, was wohl an der tollen Darbietung von Op. 59/3 lag – aber es gab am Ende sogar noch eine Zugabe, ein Schumann-Lieder, wieder von Reimann für Sopran und Streichquartett eingerichtet. Wenn ich die Ansage von Oliver Wille richtig verstand, handelte es sich um das „Abendlied“.

Hier noch der Link zum Programmheft mit ausführlichen Kommentaren zu allen vier Werken sowie den Texte Heines:
https://www.tonhalle-orchester.ch/media/dokumente/ph/1718/k-07_kuss/

Als Folge des Konzertes werde ich wohl die CD von Christine Schäfer und dem Petersen Quartett kaufen, auf der der Mendelssohn-Zyklus, Schumanns drittes Streichquartet sowie der Reimann/Schumann-Zyklus (Sechs Gesänge Op. 117) zu hören ist (Capriccio, 2008). Und die ältere Tudor-CD mit Banse/Cherubini werde ich wohl auch noch suchen (sie ist vergriffen), da ich Banse sehr schätze (… sie wird demnächst bei @clasjaz eintreffen, hoffe ich :bye: ). Oelze/Leipzig bei MDG gibt es auch noch, hmmmm …

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