Antwort auf: Gustav Mahler

#10458659  | PERMALINK

Anonym
Inaktiv

Registriert seit: 01.01.1970

Beiträge: 0

bullschuetz

clasjaz Die Tatsache, dass das verdammte Adagietto aus V das beliebteste seiner Stücke ist, zugleich aber man sich darüber belehren kann, dass dieses Ding eine werkimmanente Parodie ist, zeigt, dass etwas nicht stimmt mit Mahlers Schönheit. M., scheint mir, kämpft mit der Ironie – zu bändigen ist sie aber nicht, wenn man sie einmal entdeckt hat.

Entschuldige bitte die klassiklaienhafte Frage: An welchen melodischen, harmonischen, rhythmischen oder sonstigen musikimmanenten Gestaltungselementen machst du deinen Befund fest, dass das „verdammte Adagietto“ parodistisch und ironisch zu verstehen sei?

Klassiklaienhaft ist Deine Frage nicht, zumal ich kein „Experte“ bin. Du hast da übrigens eine Bemerkung ausgegraben, die schon einige Tage auf den Schultern hat. Ich versuche trotzdem, es zu erklären.

Melodie, Harmonie, Rhythmik – ich finde es gar nicht so einfach, sie auseinanderzuhalten, es sind drei Zahnräder, wobei die Melodie bei Mahler das unwichtigste ist, scheint mir. Es gibt eine Art Streit zwischen Rhythmik und womöglich beabsichtigter Melodie bei Mahler, dem er am ehesten in Sätzen beikommt, die keine „langsamen“ sind, obwohl sich auch diese Art Zeitgefühl bei Mahler völlig verschieben kann. Ich finde etwa den ersten Satz der Neunten von einer wunderbaren Melodie angeschoben, weitergetragen und zu Ende geführt. Das noch weitere Sätze folgen, ist ein eigenes Enigma.

Und da ist dieses Adagietto, der Beginn der „Dritten Abteilung“ in der Fünften, d. h. es ist kein geruhsames Intermezzo, sondern ein Vorspiel zum Rondo – eigenartig genug, allerdings. „Verdammt“ habe ich den Satz wohl genannt, weil er so gerne isoliert wird, zur Zurücklehnung – das melodische Fundament, die Rückert-Lieder, das zweite Kindertotenlied, dann das „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, ist auch einnehmend genug. Isoliert – ich spreche jetzt gar nicht von Viscontis Instrumentalisierung, das Missverständnis passt ja zu Aschenbach, auch wenn es mich nervt -, wie mich also die Isolierung dieses Adagettio überhaupt befremdet.

Und nicht nur wegen dieser Befremdung stellt sich Ironie ein – als Gedanke, als Idee. Nicht in dem einfachen, tradierten Sinn, etwas anderes zu sagen, als man meint. Sondern im Sinn des Vorbehalts. Und beides ergänzt sich für mich und stimmt für das Adagietto als Vorbereitung. Wie soll man, frage ich mich, gerade in der Instrumentalmusik etwas ironisieren, wenn nicht – werkimmanent – durch Themenbezüge und Verflechtungen und Herstellen von Zusammenhängen. Das geschieht zum Adagietto im folgenden Rondo. Die Ironie leugnet also nicht, aber sie äußert einen Vorbehalt, so verstehe ich sie.

Interessanterweise werden gerade das Adagietto und der dritte Satz der Sechsten (zum Glück ist es inzwischen der dritte) gerne gehört. Diese beiden langsamen Sätze sind mir – werkimmanent gesehen – die unverständlichsten, solange ich sie nicht mit dem ironischen Vorbehalt, der mir persönlich gerade durch ihre „Umgebung“ von teils destruierendem Maß, Erkenntnishilfe ist, höre. Ob ich ihn nun heraushöre, weil sie sich mir so erklären (siehe oben, Wunsch zur Melodie gegen die rhythmische Welt), oder ob ich mich irgendwann völlig geirrt habe, kann ich nicht sagen. Die langsamen Sätze, bei denen ich Mahler völlig folgen kann, sind der Schlusssatz der Dritten, obwohl er mich nicht mehr sehr reizt, und das Ende der Neunten. Beide stehen am Ende und beschließen tatsächlich die Werke. Das ist, nebenbei, womöglich ein großer Unterschied zu Bruckner, der tatsächlich, soweit ich das bisher sagen kann, immer große „langsame“ Sätze geschrieben hat, die „für sich“ stehen. Mahlers Adagietto aus der Fünften steht nicht für sich. Darin liegt die Ironie. Und womöglich die Parodie, zu einer gegebenen Zeit, die Mahler dann mit dem letzten Satz der Neunten und der völligen Absorbierung in den Entwürfen zur Zehnten aufgegeben hat.

Noch ein P. S., das mir gerade einfällt, obwohl das meine erste Frage hätte sein müssen. Was interessiert Dich, bullschuetz, an diesem Adagietto, was ist Deine Meinung dazu?

--