Antwort auf: 2018: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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artacts ’18
Festival for Jazz and Improvised Music

March 9-11, 2018 – Alte Gerberei, St. Johann in Tirol
 
Mein erster Besuch beim Artacts in der reichlich seltsamen aber durchaus freundlichen Gegend namens Tirol … alles in allem hat sich das sehr gelohnt, die Stimmung beim Festival passt, die Alte Gerberei ist von der Grösse her perfekt geeignet – war auch stets gut gefüllt … das Drumherum im Wintersportort war Anfang März zu ertragen, aber etwas später im Jahr würde ich da eher noch lieber hinfahren, am besten wenn die Skifahrer weg und die Wanderer noch nicht da sind. Durchkommerzialisierte und verramschte Bergwelten sind gar nicht Meins (ist hierzulande ja das gleiche).

Was ich etwas problematisch fand: es gab im Abendprogramm jeweils vier Bands, das ist etwas viel, zumal die Blöcke von 19 Uhr bis ungefähr Mitternacht dauern, Abendessen hätte man nebenan was kleines haben können, aber das ging nicht, ohne ein Konzert zu verpassen. Also Mittagessen und Abends Bier und ein Sandwich an der Bar in der Gerberei. Kann man schon so machen, aber ich wünschte mir, dass die Konzerte etwas mehr über den Tag – und nach Möglichkeit den Ort (die Barockkirche im Zentrum!) – verteilt würden. Ich liess allerdings ein paar dezentrale sonntagnachmittägliche Sachen aus (ein Konzert, das Melvyn Poore mit Kindern einstudiert hatte, eine Klanginstallation von Elisabeth Flunger), einfach weil es zuviel wurde und ich auch nochmal richtig essen wollte an dem Tag … so perfekt wie ich es vom Météo in Mulhouse kenne ist das mit den Abläufen also nicht, aber das ist eine kleine Kritik angesichts des hochkarätigen Programmes.
 
DO, 8. März

Die ganz grossen Kracher fehlten mir am Ende wohl, aber es gab eine ganze Menge sehr schöner Konzerte. Los ging es am Donnerstagabend mit einer Ausstellungseröffnung: zum dritten Mal wurde eine Photo-Ausstellung mit Bildern gezeigt, die auch bei früheren Ausgaben des Festivals gemacht wurden. Dieses Mal war es die slowenische Photographin Petra Cvelbar, die im Mittelpunkt stand. Ken Vandermark zog durch das kleine Ortsmuseum im Zentrum und in der Ecke standen ein Tenorsaxophon und eine Klarinette – es gab also unverhofft und unangekündigt auch an dem Abend schon etwas Live-Musik. Mette Rasmussen und Dieb13 waren auch schon da, Rasmussen lauschte konzentriert. Nach dem Konzert tauchte auch Jaimie Branch noch auf. Vandermark erzählte – es ging ja um Photos – erstmal die Story, wie er den Vater seines Kollegen Erik Friedlander kennengelernt hat, ohne zu begreifen, dass es sich bei ihm um DEN Lee Friedlander handelt, einen der grössten Jazz- und Musikphotographen aller Zeiten. Er spielte ein erstes Stück an der Klarinette für Lee mit Zirkuläratmung und Tönen, die hart an der Schmerzgrenze vorbeischrammten. Ein paar Bussi-Bussi-Gäste verzogen sich denn auch beim Applaus gleich ins Nebenzimmer, wo das Buffet und die Alkoholika bereit standen. Vandermark griff zum Tenor, honkte sich durch eine wilde Nummer, dann wechselte er für einen ruhigeren Moment wieder zur Klarinette und schloss mit Aylers „Love Cry“ am Tenor. Ein sehr stimmiger Auftakt … auf den Apéro verzichtete ich dann, es ging gleich ab ins Braustüberl der lokalen Huberbräu und gab ein ordentliches Nachtessen.
 

 
FR, 9. März
 
Flunger/Berghammer/Vicard & Gnigler

Thomas Berghammer, t; Elisabeth Flunger, perc; Alessandro Vicard, b; Jakob Gnigler, ts

Den Einstieg ins eigentliche Festivalprogramm machte dann ein österreichisch-italienisches Quartett mit einem jungen österreichischen Gast am Saxophon. Ziemlich harmlose freie Improvisation war das Ergebnis, Rokoko-Impro irgendwie, voller Schnörkel, die keinem weh tun. Da war leider gar nichts Dringliches oder Packendes, keine Überaschung und schon gar keine Zumutung. Am besten fand ich wohl die lauteren (das fiel mit „intensiv“ leider völlig zusammen, echte Steigerungen gab es in dem Set keine) Momente, in denen die Bläser sich nahezu konventioneller Tonerzeugung hingaben und sowohl Berghammer wie auch Gnigler mit ihrem schönen Ton glänzen konnten. Flungers Spiel mit diversen objets trouvés, ausgelegt auf einem Tisch, war reichlich eindimensional. Das ganze am Ende fast sowas wie eine freie musique d’ameublement. Also für mich leider gar kein Einstieg nach Mass.
 
Branch/Rempis/Haker Falten/Ostvang

Jaimie Branch, t; Dave Rempis, as; Ingebrigt Haker Falten, b; Tollef Ostvang, d

Umso grösser dann die Hoffnung und Vorfreude auf die zweite Gruppe des Abends, erneut ein Quartett in derselben Besetzung. Doch hier trug man Karohemden und Bart, Baseball-Cap und viel Attitüde … Ostvang hatte ich noch nie gehört, er gefiel mir sehr gut – ein feines, präzises und doch sehr packendes Spiel. Haker-Flaten am Kontrabass war einmal mehr super, die grosse Überraschung war für mich aber Dave Rempis, den ich noch nie live erlebt hatte und von dem ich neben wenigen älteren Aufnahmen der Vandermark 5 auch keine Aufnahmen kannte. Sein Spiel, das die Linie fortführt, die von Charlie Parker bis zu Jimmy Lyons geht, war sehr beeindruckend. Neben diesen drei hochkarätigen Schwergewichten hatte Jaimie Branch – auf die ich mich sehr freute – einen ziemlich schweren Stand. Das fing einmal damit an, dass ihr Ton ziemlich uncharismatisch war, ging weiter mit ziemlich langweiligen Ideen bzw. einem recht deutlich auf „schlaue“ Effekte ausgelegten Spiel, in dem keine Bögen entstanden. Da war ein deutlicher Überschuss an Attitüde, ein Missverhältnis zwischen dem Auftreten und dem, was musikalisch geliefert wurde. Am Ende war die Trompete für mich nur eine erfreuliche Klangfarbe im Ganzen, das dennoch ziemlich überzeugend war.
 
Massaria/Gasser

Andrea Massaria, g; Clementine Gasser, vc

Als nächste gab es wieder etwas Experimentelleres, ein Cello-Gitarren-Duo nämlich, bei dem ich überhaupt keine Erwartungen hatte. Leider spielte Massaria bis auf die letzten Minuten mit einem Plastic-Gitarrenorgel-Sound (ohne Leslie geht das ja eh nicht …) verschwurbelte Linien … Gasser fand ich dagegeben ziemlich interessant, auch als Performerin, die auf der Bühne mit ihrem Instrument eine intenstive Beziehung pflegt. Das Cello wurde gestrichen und gestreichelt, geschlagen, gezupft, der Schrammelton hellte sich kurz auf, Gasser liess das Instrument für kurze Passagen singen … aber am Ende geschah da irgendwie fast noch weniger als beim ersten Set.
 
Shelter

Ken Vandermark, ts, cl; Nate Wooley, t; Jasper Stadhouders, g, elb; Steve Heather, d, crackle-box

Den Abschluss des Abends machte dann wieder Ken Vandermark, der quasi als Artist in Residence dieser Ausgabe des artact fungierte (bei der Photo-Ausstellung sprach er übrigens auch ein paar Worte und verfasste fürs Programmheft einen kurzen Text über Cvelbar und ihr Werk). Nate Wooley ist ebenfalls kein Charismatiker, aber ihm scheint an der Trompete zu gelingen, was immer er will – der Kontrast zu Branch hätte kaum grösser sein können. Wooley setzte seine Mittel einmal mehr gekonnt ein, seine Partnerschaft mit Vandermark hatte mich ja vor zwei Jahren schon ziemlich überzeugt. Stadhouders kannte ich davor noch nicht, Steve Heather einmal mit dem Trio Booklet mit Tobias Delius und Joe Williamson (s.u.) gehört. Dass Heather ein grossartiger Drummer ist, war mir also immerhin bekannt, wie variantenreich er in einem so anderen Kontext spielen wurde, war aber dennoch eine feine Überraschung. Stadhouders ist ein Spezialist für Feedbacks, die er äusserst gekonnt erzeugte und in die Musik des Quartetts einfügte. Wenn er zwischendurch zur Bassgitarre griff, lag die Gitarre manchmal noch am Boden vor den Verstärkern und rauschte oder schrie leise weiter, er ging kurz hin und griff in die Saiten und stiess neue Klangkaskaden los, die er am Bass gleich wieder aufgriff und fortspinnte. Nicht zuletzt fand ich auch Vandermark wieder ziemlich stark. Die Klarrinette setzte er nur zwischendurch und eher für Effekte ein, hauptsächlich spielte er sein kantiges Tenor mit dem grossen Ton, der manchmal etwas gar unbehende wirkt, aber in einem solchen Kontext ordentlich Dampf macht. Das war alles enorm druckvoll und ein toller Abschluss des alles in allem etwas gemischten Abends.
 

 
SA, 10. März
 
Joe Williamson Solo

Joe Williamson, b

Am Samstag gab ich mir fast das volle Programm … los ging es um halb vier in der St. Nikolaus-Kirche, Weitau, etwas über einen Kilometer von der Alten Gerberei die Innsbrucker Strasse lang. Der Rahmen in der kitschigen Stuck-Kirche war irgendwie witzig, aber die Kälte schlich sich innert weniger Minuten in die Knochen. Williamson liess sich nicht aus der Ruhe bringen, spielte zwei längere Improvisationen mit dem Bogen und dann eine kürzere, bei der er seinen Kontrabass zupfte. Es gab da und dort Drone-Effekte aber vor allem ruhige, recht stimmige Musik. Als mich das am Ende nicht wirklich packte, wusste ich nicht, ob das der mangelnden Aufmerksamkeit unter den Umständen geschuldet war oder auch der Musik.


 
Ken Vandermark & Terrie Hessels

Ken Vandermark, ts, cl; Terrie Hessels, g

Nach der Kälte in der Kirche ging es nebenan mit einem Duo weiter, in dem wieder Ken Vandermark zu hören war. In der Galerie der LLA – mit toller Felskulisse hinter den Fenstern und wieder an der Wärme – spielte er im Duo mit Terrie Hessels, auch bekannt als Terrie Ex. Das Set geriet sehr intenstiv. Wenn die beiden momentelang aneinander vorbeispielten, machte das nichts, denn bald fanden sie sich wieder im Ringkampf oder auch im scherzhaften Austausch. Hessels schlitterte über den glatten Boden, es war nicht ganz klar, ob er selbst das zu zähmende Raubtier ist, oder ob er gegen sein Instrument kämpfte, das wild heulte, störrische Klangkaskaden ausspuckte und schon einmal gegen den Boden, die Wände oder eine Metallstrebe vor den Fenstern gepresst wurde. Vandermark griff hier wieder etwas öfter und ausgiebiger zur Klarinette, blies sie so intensiv, bis der Ton brach und aufsplitterte, liess sie anderswo mit Zirkuläratmung und variablen Tonhöhen fast wie ein Didgeridoo klingen … guter Stoff! Mit dem Set kam ich im Festival so richtig an – gerne mehr davon!
 
Mette Rasmussen Solo

Mette Rasmussen, as

Das Mehr kam umgehend … um 19 Uhr ging es in der Alten Gerberei weiter und das erste der vier abendlichen Sets war vielleicht mein Highlight des ganzen Festivals. Auch darauf, Mette Rasmussen wiederzuhören (ein erstes Mal konnte ich sie beim Météo in Mulhouse letzten Sommer hören), hatte ich mich im Vorfeld sehr gefreut. Dass Rasmussen im Gegensatz zu Branch die Erwartungen mehr denn erfüllen konnte, freute mich denn ebensosehr. Sie lotet ihr Instrument aus, neben leise und sehr melodiöse, fast liedhafte Passagen stellt sie laute Klangkaskaden, sich überschlagende Töne, wilde Multiphonics … was immer sie macht, ist ins musikalische Geschehen eingebettet, wird nie zum Selbstzweck. Bei aller Breite ist Rasmussens Spiel aber stets unmittelbar, direkt, zupackend – und ihr Auftreten absolut unprätentiös: sie kommt nach vorn, stellt sich hin, spielt, sagt ein paar Worte und geht wieder. Zum Abschluss spielte sie ihre Version von Jimi Hendrix‘ famosem „Star-Spangled Banner“, wird dann aber noch nicht von der Bühne gelassen und muss nochmal ran. Grossartig!
 
Life and Other Transient Storms

Susana Santos Silva, t; Lotte Anker, ts, as, ss; Sten Sandell, p; Torbjörn Zetterberg, b; Jon Fält, d

Das nächste Highlight folgte sogleich … diesmal kam das klassische Jazz-Set des Abends von einem europäischen Quintett und fiel nicht nur wegen des Pianos deutlich anders aus als Rempis et al. am Vorabend. Wie hier mit Stimmungen umgegangen wurde, weite Bögen gespannt wurden, in denen für alle fünf Musikerinnen und Musiker viel Raum blieb, gefiel mir sehr. Das hatte für meine Ohren etwas ziemlich Zwingendes und Bezwingendes. Die Vorfreude auf Susana Santos Silva war gerade so gross gewesen wie jene auf Branch, Rasmussen und Hawkins/Mitchener (s.u.) und sie gefiel mit ihrem schlanken Spiel, stilvoll-reduziert wie ihr ganzes Auftreten – ihre Präsenz ist gewissermassen eine der Weg-, der Auslassung. Die Gruppe sorgte auch für Abwechslung, indem die Besetzung passagenweise verändert wurde: mal spielten nur die Bläser, mal nur die Rhythmusgruppe, mal griff Sandell ins Innere des Flügels, dann legte er Gegenstände auf die Saiten und dann wieder spielte er ihn ganz konventionell. Lotte Anker – noch eine Musikerin, die ich erst ab CD kannte (das gilt hier für alle fünf) – spielte zuerst Sopransaxophon, wechselte dann aufs Tenor, schliesslich aufs Alt, um am Ende wieder beim Sopran zu landen. Auf allen dreien war sie gut. Das wirkte alles sehr fokussiert und sehr konzentriert – selbst wenn Fält eine platte Bennink-Nummer abzog und nach einige Minuten im Set noch rasch die Schuhe wechselte oder über längere Zeit kleine Gegenstände bereitlegte, bloss um sie dann ungenutzt wieder wegzuwischen.


 
Mallaun/Harnik/Poore

Martin Mallaun, zither; Elisabeth Harnik, p; Melvyn Poore, tuba

Was konnte nach diesen drei tollen Sets denn noch folgen? An diesem Abend leider nicht mehr allzu viel. Das folgende Trio spielte zwar feine Musik, aber von der Programmierung passte das nach den zwei Sets davor einfach nicht so recht – die richtige Musik zur falschen Zeit (und einmal mehr wurde mir bewusst, wie geschickt man beim Météo in Mulhouse diesbezüglich agiert, dort ist jeder Abend in sich stimmig und perfekt abgestimmt). Mallaun spielte zunächst eine traditionelle (?) Zither, der er jedoch nur gedämpfte und verfremdete Töne entlockte. Später wechselte er zu einem verstärkten Instrument, das er dann erstaunlich konventionell bearbeitete, Melodien und Akkorde spielte, wie man sie so ähnlich auch auf einer Gitarre erzeugen könnte. Klanglich war das mit dem Piano von Harnik und der Tuba von Poore sehr attraktiv und auch ziemlich farbenprächtig. Harnik spielte den Flügel teils auch wieder im Inneren, schlug die Saiten mit Schlegeln an, benutzte diverse Gegenstände, hämmerte Cluster auch schon mal mit dem Ellbogen raus. Poore sass in der Mitte mit seiner Tuba und spielte später auch ein umgebautes Euphonium (?), das einen zweiten Trichter hat, den er mit einem Harmon Mute stopfte. So konnte er zwei Klänge zugleich erzeugen, einen offenen und einen gedämpften Ton. Das wusste er musikalisch durchaus einzusetzen, ein reiner gimmick war das nicht. Aber eben: diese Gruppe hätte besser an den Anfang des Abends gepasst – oder vielleicht auch als Entspannungsmoment zwischen Rasmussen und das Quintett – bin ich froh, muss ich keine Festivalabende programmieren!
 
Vom letzten Set Oliwood & Trevor Dunn (Oliver Steidle, d, comp; Frank Gratkowski, as; Kalle Kalima, g; Trevor Dunn, elb) hörte ich dann nur noch von hinten im Saal den Anfang. Der lange Tag und die davor kurze Nacht forderte ihren Tribut. Aber auch musikalisch mochte mich da wenig anzusprechen. Das war mir zu abgekartet, zu hart und irgendwie auch zu leer, trotz (oder wegen?) des vielen Drucks, der da gemacht wurde. Aber gut, der Tag war insgesamt enorm ergiebig und der Besuch des Festivals schon an dem Abend ein Erfolg.
 

 
SO, 11. März
 
Am Sonntagnachmittag liess ich wie erwähnt die ersten beiden Sets weg, doch am Mittag ging ich ins Soundcab, eine leere Weihnachtsmarktkabine, die auf dem Hauptplatz im Zentrum stand und in der am Samstag und am Sonntag jeweils drei Musikerinnen bzw. Musiker kurze Solo-Sets für 2-3 Leute spielten. Das erste Solo von Susana Santos Silva dauerte nur sehr kurz, während wir warteten, um fürs zweite reinzugehen. Das dauerte dann wohl drei Minuten und war ziemlich gut – ein kleiner Vorgeschmack auf ihr neues Album, das einen Solo-Auftritt dokumentiert (klick) und das ich am Vorabend schon beim Berliner (?) Laden gekauft hatte, der ein paar Tische mit CDs aufgebaut hatte. In der engen Kabine klang ihr Ton wunderbar, doch sie tat natürlich auch in der kurzen Zeit mehr, als nur konventionelle Töne aneinanderzureihen, fächerte den Ton auf, überblies, gab Stimme bei, nutzte die Hand zum Dämpfen …
 
Dieb13 & Didi Kern

Dieb13, tt; Didi Kern, d

Den Abend in der Gerberei öffnete ein österreichisches Duo: Dieb13 an den Turntables (ein ganzer Tisch voller Plattenspieler und diverser Gerätschaften) und Didi Kern am Schlagzeug. Letzteren hatte ich noch nie gehört, ersteren bei meinem ersten Besuch am Météo mit einem halbwegs überzeugenden DJ-Set bisher auch bloss einmal. Das Duo funktionierte leidlich gut, Kerns Spiel machte Spass und wirkte recht gut mit dem zusammen, was Dieb13 an Klängen erzeugte. Schlüssig war das ganze aber irgendwie nicht – doch egal, der Abend hatte gerade erst begonnen und das war ein guter Auftakt.
 

Hawkins-Mitchener Quartet

Alexander Hawkins, p; Elaine Mitchener, voc; Neil Charles, b; Stephen Davis, d

Die zweite Gruppe sollte dann die Gemüter spalten … viele Jazzhörer_innen tun sich ja mit Gesang schwer. Steht nur eine Performerin auf der Bühne, die sich nicht nur auf Jeanne Lee sondern auch auf Cathy Berberian und überhaupt die Performancekunst bezieht, wird das eher noch kritischer. Mir gefällt ja bekanntlich die Intakt-CD dieses Quartetts – nach ein paar Anläufen –
inzwischen gut, obendrein freute ich mich sowieso auf das Wiederhören von (und -sehen mit) Alexander Hawkins. Das Set entwickelte sich ziemlich gut, Mitcheners Präsenz fand ich beeindruckend, das Zusammenspiel des Trios hinter und mit ihr sowieso überzeugend. Stephen Davis ist ein toller Drummer, den ich heuer zum ersten Mal live hörte (netterweise erinnerte er sich noch daran, dass Hawkins uns anlässlich des Intakt in London-Festivals kurz vorgestellt hatte, damals war das Quartett gerade im Studio und die beiden schauten am Abend noch im Vortex vorbei). Neil Charles hatte ich schon mit Mulatu Astatke gehört, in dessen Band das Hawkins Trio (mit Tom Skinner am Schlagzeug) mitwirkt – er war für Mitchener auf der Bühne wohl der wichtigste Bezugspunkt, während Hawkins um sie herum, gegen und mit ihr spielte, Kaskaden hereinbrechen liess, Patterns heraushaute – dass er daraus mehrmals zu tollen Soli ansetzte, gehörte zum Erfolg des Sets aber absolut mit dazu.
 
Da ich mich dazu überwand, in der Pause zu den Musikern hochzugehen – und dort nicht nur von Hawkins sondern auch von Mitchener und Davis wärmstens empfangen wurde – verpasste ich das nächste Set, von dem ich mir nicht allzu viel versprach, Duthoit Agnel/Castelló (Isabelle Duthoit, voc, cl; Sophie Agnel, p; Angélica Castlló, paetzold-fl, tapes, elec). Die „frenchies“ hatten ordentlich Elektronik auf der Bühne, das alles drohte mir zu kapriziös und zu fiepsig zu werden … die paar Minuten, die ich von hinten im Saal hörte, überzeugten mich denn auch nicht sehr. Im Anschluss hörte ich aber von Freunden, das Set sei wohl eines der schönsten des Festivals gewesen (Hawkins/Mitchener überzeugte hingegen aus der betreffenden Runde wiederum nur mich und die Meinungen zu Jaimie Branch gingen auch auseinander; die Geschmäcker …)
 
Ken Vandermark Entr’acte

Ken Vandermark, ts, cl, comp; Mette Rasmussen, as; Nate Wooley, t, elec; Elisabeth Harnik, p; Terrie Hessels, g; Jasper Stadhouders, g, elb; Joe Williamson, b; Steve Heather, d; Didi Kern, d; Dieb13, tt

Den Abschluss machte dann Ken Vandermark mit seinem neuen Projekt „Entr’acte“, für das er die ganze Woche in St. Johann proben durfte. Das Material bleib allerdings recht knapp, Ausgangspunkte für die nächsten Soli, wobei Dieb13 die meiste Zeit untätig am Rand sass und nur da und dort eingeplante Beiträge zum besten gab. Der Bezug zu René Clairs gleichnamigem Film (oder Saties Musik, die im Gegensatz zum Film im Programmheft allerdings gar nicht erwähnt wird) blieb unklar, dass Vandermark Techniken des Filmes (Zeitlupen, Mehrfachbelichtungen, ungewöhnliche Kamerapositionen etc.) genutzt hätte, kann man nun wirklich nicht behaupten. Im Gegenteil: es ging ziemlich gradlinig und direkt zur Sache, die Musik war laut und intensiv, die Soli überzeugten, die Zähmung und Einbettung des niederländischen Punkers und seiner Gitarre gelang ziemlich erfolgreich, in einer düsteren rockigen Passage in der Mitte kamen die drei halsigen Saiteninstrumente sehr schön zusammen, auch wenn das gerade der Moment im Ganzen war, der mich am wenigsten ansprach. Die doppelten Drums von Heather und Kern waren immer wieder toll – unglaublich, wieviel Druck zwei Drumkits erzeugen können, auch oder gerade wenn sie völlig synchron spielen. Wooley kam vielleicht etwas zu kurz, er spielte ein längeres Solo, in dem er allerdings die Trompete völlig verfremdete, indem er den Ton durch ein paar Effektgeräte jagte. Vandermark glänzte einmal mehr mit zupackendem Tenorsaxophonspiel, Rasmussen bot ihm mühelos die Stirn … und Harnik am Klavier war sehr toll, so intensiv wie zuvor Hawkins, mit Clustern, Ellbogen und dem vollen Post-Taylor-Spiel, wie man es leider in dieser Güte auch heute nur selten zu hören kriegt.
 
Fazit:

Ein feines Festival, das ich mit passendem Line-Up gerne wieder einmal besuchen werde, wobei ich nicht annehme, dass es zum Fixpunkt meines Kalenders wird – dazu sind Jahrezeit, Ort und letztlich auch die Tagesgestaltung nicht so ganz mein Fall (und das Essen auch nicht unbedingt … mich zieht es ja schon eher gen Süden, auch wenn die Wahl zwischen braunen Holzköpfen und Grillini wenig erbaulich ist).

Zudem zwei Kritikpunkt, ein leiser und ein lauter: der leise hat mit der Lautstärke zu tun, die in der Alten Gerberei durch sehr starke Verstärkung ziemlich heftig war. Es klang zwar fast immer hervorragend, aber dass leise Momente (Rasmussen, die tonlos Luft durch das Saxophon bläst oder ohne zu blasen ein paar Klappen drückt) kaum zugelassen bzw. fast schon grotesk verstärkt den Saal füllen, finde ich nicht nötig. Die Kunst, unverstärkt zu spielen, ist heute unter Jazzmusikern ja kaum noch anzutreffen, aber man muss dem ja nicht noch Vorschub leisten (es sei denn, dass die Musiker das explizit wünschen oder aber die Art der Musik das unabdingbar macht, aber das war bei dem Festival nur selten der Fall).

Die lautere Kritik betrifft die penetrante Filmerei und Klickserei. Diverse Photograph_innen schlichen jeweils während des ganzen Abends vor der Bühne und an den Rändern herum, manche Kamera klickte gerne gerade in leiseren Momenten wiederholt laut drein und manche der Betreffenden bewegten sich auch alles andere als rücksichtsvoll. Zudem wurde von mehreren Leuten alles komplett gefilmt, auf meinen bescheidenen Photos sieht man stets die Filmkamera in der Mitte der ersten Reihe (die sowieso komplett für die Momentfesthalter freigehalten wurde), der Kollege des Herrn sass ab dem zweiten Abend sogar am Rand der Bühne … das finde ich schon ziemlich krass und frage mich, ob das von Veranstaltern wirklich toleriert bzw. erlaubt werden soll, denn das Festival wird ja nicht für die – zumeist wohl obendrein nicht mal Eintritt bezahlenden – Verwerten abgehalten sondern für das Publikum (dem man sonst wenigstens als Angebot zur Güte ein Portfolio mit ein paar Bildern von jedem Konzert anbieten könnte, schliesslich stellen wir denen ja immerhin kein Bein).
 

 
In Sternen geworfen:
 
* * * *1/2
Mette Rasmussen – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 10.3.
Life and Other Transient Storms (Susana Santos Silva/Lotte Anker/Sten Sandell/Torbjörn Zetterberg/Jon Fält) – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 10.3.
Shelter (Ken Vandermark/Nate Wooley/Jasper Stadhouders/Steve Heather)- artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 9.3.
Ken Vandermark & Terrie Hessels – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Galerie der LLA Weitau – 10.3.
Alexander Hawkins/Elaine Mitchener Quartet – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 11.3.
 
* * * *
Ken Vandermark „Entr’acte“ – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 11.3.
Ken Vandermark – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 8.3.
Jaimie Branch/Dave Rempis/Ingebrigt Haker Flaten/Tollef Ostvang – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 9.3.
 
* * *
Dieb13 & Didi Kern – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 11.3.
Joe Williamson – artacts ’18, St. Johann in Tirol, St. Nikolaus Kirche, Weitau – 10.3.
Martin Mallaun/Elisabeth Harnik/Melvyn Poore – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 10.3.
 
* *1/2
Elisabeth Flunger/Thomas Berghammer/Alessandro Vicard & Jakob Gnigler – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 9.3.
 
* *
Andrea Massaria/Clementine Gasser – artacts ’18, St. Johann in Tirol, Alte Gerberei – 9.3.

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