Antwort auf: 2018: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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gypsy-tail-wind
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SHIJIN: Jacques Schwarz-Bart, Malcolm Braff, Laurent David, Stéphane Galland – Moods, Zürich – 18.02.2018

Jacques Schwarz-Bart – tenor sax
Malcolm Braff – piano, rhodes, synth
Laurent David – electric bass
Stéphane Galland – drums
 
Gestern Abend gab es den zweitletzten Termin des intensiven Jazzwinters im Moods (morgen folgt noch Tim Berne, so die über mir schwebende Erkältung mich nicht doch noch holt) … Malcolm Braff spielte im letzten Januar mit seinem Trio ein grossartiges Konzert im Moods. Dass er daran anknüpfen würde, wagte ich nicht zu hoffen, auch weil es sich beim neuen Projekt um ein Kollektiv handelt – es nennt sich Shi Jin (nach einer Figur der klassischen chinesischen Literatur) und Laurent David scheint am ehesten der Kopf zu sein … oder besser: der Bauch. Er sagte die Musiker an und sein Bass stand im Zentrum des Sounds, der oft ziemlich kompakt daherkam, so dass Braffs Cluster und Riffs mit dem Bass verschmolzen, während Galland (der Drummer von Aka Moon, mit denen ich mich auch mal etwas genauer befassen sollte) den Fluss der Zeit in aberwitzige Einheiten unterteilte – er beherrscht zum Beispiel das Kunststück, bei gleichbleibendem Tempo eine allmähliche, also stufenlose Beschleunigung zu suggerrieren … wie viele „Einheiten“ sind dazu nötig? Wohl weniger als die gut 20 Bilder im Kino, aber dennoch: faszinierend!

Schwarz-Bart war dabei für mich das schwächste Glied der Kette, er verlor sich oft in Linien, die stark nach Übungsbuch klangen und an denen wenig Ansprechendes war, eher wirkten sie kühl und geschliffen – ein klassisches Problem der ganzen 90er-Mainstream-Leute, zu denen er wohl auch zu zählen ist. Wenn er dann aber in den Groove reinfand und auf diesem Ritt, ging es auch mit ihm ziemlich ab, und die schon in den leeren Läufen bewiesene technische Brillanz verhalf ihm dann schon zu ein paar sehr tollen Momenten. Im zweiten Set spielte er bei einem der Stücke ein langes Solo-Intro, für das vom Mischpult her ein Delay/Echo ergänzt wurde, so dass phasenwesie der Eindruck entstand, ein ganzer Saxophonchor stünde auf der Bühne. Sein Mikro hatte er übrigens irgendwo beim S-Bogen fixiert – ich hatte ja zunächst gehofft, dass er vielleicht noch mit ein paar Varitone-Effekten oder sowas auffahren würde.

Braff hatte wie letztes Jahr neben dem Flügel sein Rhodes aufgebaut, auf dem Rhodes lag noch ein kleiner Synthesizer, auf dem Flügel stand ein Notebook, darum herum ganz viele Verkabelungen, mit denen vor allem der Flügel noch weiter verfremdet werden konnte. Manchmal griff er auch direkt in die Saiten oder präparierte diese, ein anderes Mal loopte er einen scheppernden Echo-Effekt dazu. Wenn David mit seinem grummelnden Bass der Bauch der Gruppe ist, dann Galland an den Trommeln wohl das Hirn. MIt zwei Snares und zwei Stehtoms und auch sonst einem eher üppigen Set ging er nie klangmalerisch zur Sache, eher war sein Spiel klar, strukturiert, immer wieder von rabiater Direktheit – und die Becken und Trommeln waren offensichtlich genau aufeinander abgestimmt.

Im zweiten Set schaltete die Band einen Gang hoch, auch wenn Schwarz-Bart erst wieder warmlaufen musste. Braff kriegte etwas mehr Raum, sein Spiel beeindruckte wie immer mit Melodiefetzen, Riffs und Verdichtungen, aber es ist bei ihm immer auch Raum für fast schon schwelgerische Momente, die er dann mit Repetition und kleinen Verschiebungen selbst wieder unterläuft. Afrikanische (Braff) und karibische (Schwarz-Bart) Einflüsse kamen zum Vorschein, doch viel stärker dürfte – über Galland und David – die Verwurzelung in verschiedenen Spielarten des Rock sein (Prog, Post, was weiss ich, das ist ja alles nicht mein Spezialgebiet).

Eine tolle Zugabe gab es am Ende auch noch; das Publikum war zwar nicht sehr zahlreich, aber mit dem Gebotenen hörbar zufrieden.
 

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